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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

In Thun, wohin wir nach der Berner Messe gezogen waren, begingen wir
ein andres Fest: die Hochzeit Gustav Lindigs, der das Böhmesche Dienstmädchen
heiratete. Abends gab es Freibier, und bei den komischen Vortragen, die wir
hielten, fehlte es nicht an mehr oder minder zarten Anspielungen auf die lange,
mit sechs Kindern gesegnete Brautzeit des jungen Ehepaares.

Nach Genf reisten wir am Tage vor dem Weihnachtsheiligabend ab. Wir
Angestellten fuhren "schwarz," d. h. ohne Billett. Wir erhielten am Abend vor der
Abreise unsern Proviant, der aus einem Butterbrot und einen, Stück Schweizer¬
käse bestand, und schlüpften gegen sieben Uhr mit dem Rattenfänger in den Pack¬
wagen. Leider hatten wir versäumt, uns mit etwas Trinkbarem zu versehen, und
mußten vierundzwanzig Stunden lang den Durst ertragen, zu dem uns der scharfe
Käse bald verhalf. Die Madame fuhr mit ihren beiden Möpsen im Wohnwagen
ebenfalls schwarz, während Herr Böhme selbst mit einem Billett auf durchaus legi¬
time Weise reiste. Am andern Nachmittag gegen drei Uhr merkten wir, daß der
Zug länger als gewöhnlich anhielt. Wir verhielten uns in unsern Betten so still
wie möglich und hörten, wie von außen an den Wagen geklopft und von mehreren
Leuten in französischer Sprache etwas gesagt wurde. Mein Freund Brunner, der
besser französisch als deutsch sprach, teilte uns mit leiser Stimme mit, daß draußen
jemand gesagt habe, im Wagen müßten Leute sein. Wir verbrachten eine Viertel¬
stunde in der größten Furcht, die Wagen möchten ans dem Zuge rangiert und
zurückbehalten werden, und atmeten erst erleichtert auf, als sich der Zug samt uns
wieder in Bewegung setzte. Am Weihnachtsabend um sieben Uhr fuhren wir endlich
in Genf ein und hörten, ehe noch der Zug hielt, die Stimme unsers Prinzipals,
der uns beim Namen rief und uns aufforderte, so schnell wie möglich den Wagen
zu verlassen. Wir sprangen hinaus, erhielten jeder von ihm fünf Franken und be¬
folgten seine Aufforderung, sofort auszureißen und uns am nächsten Morgen zum
Ausladen der Wagen wieder einzufinden. Wir gingen in den Gasthof "Zum
deutschen Rehbock," aßen mit gutem Appetit zu Nacht, löschten ausgiebig unsern
Durst und erquickten uns nach der langen Fahrt an einem guten Nachtlager. Am
andern Morgen waren wir pünktlich an der Rampe, luden aus und fuhren nach dem
Quai du Montblanc, wo die Neujahrsmesse abgehalten wurde. Dort herrschte drei
Tage lang Tag und Nacht ein ununterbrochnes Treiben. Wir mußten die Bude
von früh acht bis zum andern Morgen vier Uhr geöffnet halten und schliefen wäh¬
rend der ganzen Zeit nicht. Wir hatten so viel zu tun, daß der Prinzipal noch
einen weitern Angestellten, einen französischen Rekommandeur namens Felix, enga¬
gierte. Außer uns war auf dem Meßplatz eine Bude mit den Münchner Athleten
Müller und Daniel, die tausend Franken Prämie dem, der ihre Leistungen nach¬
machte, boten, ein Flohzirkus, eine Bude mit Seelöwen und die Menagerie Wilhelm
Böhme. Eine Anzahl andrer Schaugeschäfte und dergleichen stand noch zerstreut
in deu Straßen. Hier in Genf hörte ich auch zum erstenmal von der Menagerie
Nouma Hawa, die auf einer der Rhonebrücken ihre Bude aufgeschlagen hatte. Das
Geschäft ging so gut, daß mir am Morgen des zweiten Tages die Madame, um
ihrer Zufriedenheit Ausdruck zu verleihen, ein Trinkgeld von fünf Franken gab,
das in lauter Kupferstücken bestand. Am dritten Tag, einem Sonnabend, wurde
in der Nacht um zwei geschlossen und abgebrochen. Ein Fuhrmann brachte uns
nach dem Rout Point des Plainpalais, wo wir wieder aufbauten und am Sonntag
Nachmittag vier Uhr wieder öffneten. In diesem Winterquartier blieben wir bis
Ende Februar.

In Genf hatte ich Gelegenheit, die Abneigung der französischen Schweizer
gegen das Deutsche Reich kennen zu lernen. Das Weißersche Karussell hatte auf
beiden Seiten seiner Wagen ein Schild angebracht, auf dein der deutsche Reichs¬
adler mit der Umschrift "Deutsches Neichspateut" zu sehen war. Nach dem Ab¬
brechen des Karussells und beim Einfahren in die Stadt erregten diese Wagen die
Aufmerksamkeit des Publikums in so hohem Maße, daß die Angestellten stutzig


Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

In Thun, wohin wir nach der Berner Messe gezogen waren, begingen wir
ein andres Fest: die Hochzeit Gustav Lindigs, der das Böhmesche Dienstmädchen
heiratete. Abends gab es Freibier, und bei den komischen Vortragen, die wir
hielten, fehlte es nicht an mehr oder minder zarten Anspielungen auf die lange,
mit sechs Kindern gesegnete Brautzeit des jungen Ehepaares.

Nach Genf reisten wir am Tage vor dem Weihnachtsheiligabend ab. Wir
Angestellten fuhren „schwarz," d. h. ohne Billett. Wir erhielten am Abend vor der
Abreise unsern Proviant, der aus einem Butterbrot und einen, Stück Schweizer¬
käse bestand, und schlüpften gegen sieben Uhr mit dem Rattenfänger in den Pack¬
wagen. Leider hatten wir versäumt, uns mit etwas Trinkbarem zu versehen, und
mußten vierundzwanzig Stunden lang den Durst ertragen, zu dem uns der scharfe
Käse bald verhalf. Die Madame fuhr mit ihren beiden Möpsen im Wohnwagen
ebenfalls schwarz, während Herr Böhme selbst mit einem Billett auf durchaus legi¬
time Weise reiste. Am andern Nachmittag gegen drei Uhr merkten wir, daß der
Zug länger als gewöhnlich anhielt. Wir verhielten uns in unsern Betten so still
wie möglich und hörten, wie von außen an den Wagen geklopft und von mehreren
Leuten in französischer Sprache etwas gesagt wurde. Mein Freund Brunner, der
besser französisch als deutsch sprach, teilte uns mit leiser Stimme mit, daß draußen
jemand gesagt habe, im Wagen müßten Leute sein. Wir verbrachten eine Viertel¬
stunde in der größten Furcht, die Wagen möchten ans dem Zuge rangiert und
zurückbehalten werden, und atmeten erst erleichtert auf, als sich der Zug samt uns
wieder in Bewegung setzte. Am Weihnachtsabend um sieben Uhr fuhren wir endlich
in Genf ein und hörten, ehe noch der Zug hielt, die Stimme unsers Prinzipals,
der uns beim Namen rief und uns aufforderte, so schnell wie möglich den Wagen
zu verlassen. Wir sprangen hinaus, erhielten jeder von ihm fünf Franken und be¬
folgten seine Aufforderung, sofort auszureißen und uns am nächsten Morgen zum
Ausladen der Wagen wieder einzufinden. Wir gingen in den Gasthof „Zum
deutschen Rehbock," aßen mit gutem Appetit zu Nacht, löschten ausgiebig unsern
Durst und erquickten uns nach der langen Fahrt an einem guten Nachtlager. Am
andern Morgen waren wir pünktlich an der Rampe, luden aus und fuhren nach dem
Quai du Montblanc, wo die Neujahrsmesse abgehalten wurde. Dort herrschte drei
Tage lang Tag und Nacht ein ununterbrochnes Treiben. Wir mußten die Bude
von früh acht bis zum andern Morgen vier Uhr geöffnet halten und schliefen wäh¬
rend der ganzen Zeit nicht. Wir hatten so viel zu tun, daß der Prinzipal noch
einen weitern Angestellten, einen französischen Rekommandeur namens Felix, enga¬
gierte. Außer uns war auf dem Meßplatz eine Bude mit den Münchner Athleten
Müller und Daniel, die tausend Franken Prämie dem, der ihre Leistungen nach¬
machte, boten, ein Flohzirkus, eine Bude mit Seelöwen und die Menagerie Wilhelm
Böhme. Eine Anzahl andrer Schaugeschäfte und dergleichen stand noch zerstreut
in deu Straßen. Hier in Genf hörte ich auch zum erstenmal von der Menagerie
Nouma Hawa, die auf einer der Rhonebrücken ihre Bude aufgeschlagen hatte. Das
Geschäft ging so gut, daß mir am Morgen des zweiten Tages die Madame, um
ihrer Zufriedenheit Ausdruck zu verleihen, ein Trinkgeld von fünf Franken gab,
das in lauter Kupferstücken bestand. Am dritten Tag, einem Sonnabend, wurde
in der Nacht um zwei geschlossen und abgebrochen. Ein Fuhrmann brachte uns
nach dem Rout Point des Plainpalais, wo wir wieder aufbauten und am Sonntag
Nachmittag vier Uhr wieder öffneten. In diesem Winterquartier blieben wir bis
Ende Februar.

In Genf hatte ich Gelegenheit, die Abneigung der französischen Schweizer
gegen das Deutsche Reich kennen zu lernen. Das Weißersche Karussell hatte auf
beiden Seiten seiner Wagen ein Schild angebracht, auf dein der deutsche Reichs¬
adler mit der Umschrift „Deutsches Neichspateut" zu sehen war. Nach dem Ab¬
brechen des Karussells und beim Einfahren in die Stadt erregten diese Wagen die
Aufmerksamkeit des Publikums in so hohem Maße, daß die Angestellten stutzig


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[0271] Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren In Thun, wohin wir nach der Berner Messe gezogen waren, begingen wir ein andres Fest: die Hochzeit Gustav Lindigs, der das Böhmesche Dienstmädchen heiratete. Abends gab es Freibier, und bei den komischen Vortragen, die wir hielten, fehlte es nicht an mehr oder minder zarten Anspielungen auf die lange, mit sechs Kindern gesegnete Brautzeit des jungen Ehepaares. Nach Genf reisten wir am Tage vor dem Weihnachtsheiligabend ab. Wir Angestellten fuhren „schwarz," d. h. ohne Billett. Wir erhielten am Abend vor der Abreise unsern Proviant, der aus einem Butterbrot und einen, Stück Schweizer¬ käse bestand, und schlüpften gegen sieben Uhr mit dem Rattenfänger in den Pack¬ wagen. Leider hatten wir versäumt, uns mit etwas Trinkbarem zu versehen, und mußten vierundzwanzig Stunden lang den Durst ertragen, zu dem uns der scharfe Käse bald verhalf. Die Madame fuhr mit ihren beiden Möpsen im Wohnwagen ebenfalls schwarz, während Herr Böhme selbst mit einem Billett auf durchaus legi¬ time Weise reiste. Am andern Nachmittag gegen drei Uhr merkten wir, daß der Zug länger als gewöhnlich anhielt. Wir verhielten uns in unsern Betten so still wie möglich und hörten, wie von außen an den Wagen geklopft und von mehreren Leuten in französischer Sprache etwas gesagt wurde. Mein Freund Brunner, der besser französisch als deutsch sprach, teilte uns mit leiser Stimme mit, daß draußen jemand gesagt habe, im Wagen müßten Leute sein. Wir verbrachten eine Viertel¬ stunde in der größten Furcht, die Wagen möchten ans dem Zuge rangiert und zurückbehalten werden, und atmeten erst erleichtert auf, als sich der Zug samt uns wieder in Bewegung setzte. Am Weihnachtsabend um sieben Uhr fuhren wir endlich in Genf ein und hörten, ehe noch der Zug hielt, die Stimme unsers Prinzipals, der uns beim Namen rief und uns aufforderte, so schnell wie möglich den Wagen zu verlassen. Wir sprangen hinaus, erhielten jeder von ihm fünf Franken und be¬ folgten seine Aufforderung, sofort auszureißen und uns am nächsten Morgen zum Ausladen der Wagen wieder einzufinden. Wir gingen in den Gasthof „Zum deutschen Rehbock," aßen mit gutem Appetit zu Nacht, löschten ausgiebig unsern Durst und erquickten uns nach der langen Fahrt an einem guten Nachtlager. Am andern Morgen waren wir pünktlich an der Rampe, luden aus und fuhren nach dem Quai du Montblanc, wo die Neujahrsmesse abgehalten wurde. Dort herrschte drei Tage lang Tag und Nacht ein ununterbrochnes Treiben. Wir mußten die Bude von früh acht bis zum andern Morgen vier Uhr geöffnet halten und schliefen wäh¬ rend der ganzen Zeit nicht. Wir hatten so viel zu tun, daß der Prinzipal noch einen weitern Angestellten, einen französischen Rekommandeur namens Felix, enga¬ gierte. Außer uns war auf dem Meßplatz eine Bude mit den Münchner Athleten Müller und Daniel, die tausend Franken Prämie dem, der ihre Leistungen nach¬ machte, boten, ein Flohzirkus, eine Bude mit Seelöwen und die Menagerie Wilhelm Böhme. Eine Anzahl andrer Schaugeschäfte und dergleichen stand noch zerstreut in deu Straßen. Hier in Genf hörte ich auch zum erstenmal von der Menagerie Nouma Hawa, die auf einer der Rhonebrücken ihre Bude aufgeschlagen hatte. Das Geschäft ging so gut, daß mir am Morgen des zweiten Tages die Madame, um ihrer Zufriedenheit Ausdruck zu verleihen, ein Trinkgeld von fünf Franken gab, das in lauter Kupferstücken bestand. Am dritten Tag, einem Sonnabend, wurde in der Nacht um zwei geschlossen und abgebrochen. Ein Fuhrmann brachte uns nach dem Rout Point des Plainpalais, wo wir wieder aufbauten und am Sonntag Nachmittag vier Uhr wieder öffneten. In diesem Winterquartier blieben wir bis Ende Februar. In Genf hatte ich Gelegenheit, die Abneigung der französischen Schweizer gegen das Deutsche Reich kennen zu lernen. Das Weißersche Karussell hatte auf beiden Seiten seiner Wagen ein Schild angebracht, auf dein der deutsche Reichs¬ adler mit der Umschrift „Deutsches Neichspateut" zu sehen war. Nach dem Ab¬ brechen des Karussells und beim Einfahren in die Stadt erregten diese Wagen die Aufmerksamkeit des Publikums in so hohem Maße, daß die Angestellten stutzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/271>, abgerufen am 27.09.2024.