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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Büchern und in der Bibel finden kann. -- Ebenso scheint uns Immanuel Sweden¬
borg nicht ganz mit Recht von den Neumystikern annektiert worden zu sein. Seine
Theologischen Schriften hat Lothar Brieger-Wasservogel übersetzt und
eingeleitet. Dem Bemühen, ihn für die Diesseitigkeitslehre mit Beschlag zu belegen,
widerstreben doch allzusehr viele seiner Äußerungen, die beweisen, daß er seine
Visionen nicht als Symbole des innern Wesens der diesseitigen Welt gemeint,
sondern für Besuche aus dem Jenseits gehalten, und daß er aufrichtig an das
Fortleben der Seele nach dem Tode geglaubt hat. Interessant ist, wie heftig er
die "Dreigötterlehre" und das Dogma von der Rechtfertigung bekämpft. Von
dessen protestantischer Fassung meint er, die Reformatoren hätten nur in der
Theorie, nicht in der Praxis die Liebe und die Werke vom Glauben getrennt, um
zwischen sich und der alten Kirche eine unüberschreitbare Kluft zu reißen. Daß
dies ihr Beweggrund gewesen sei, hätten ihm die Herren selbst gesagt; denn sie
haben ihn gleich allen andern verstorbnen Großgeistern besucht. Im Anhange wird
auch der Brief Kants an Fräulein Charlotte Knobloch abgedruckt, worin der
rationalistische Philosoph mehrere Fälle von Hellsehen oder Telepathie Swedenborgs
mitteilt, die so sicher bezeugt seien, daß an den Tntsachen nicht gezweifelt werden
könne. -- Das einzig Notwendige, ein Laienbrevier von Amos Comenius,
hat Ludwig Keller in der Übersetzung von Johannes Seeger mit biographischer
Einleitung herausgegeben. Dieser edle Prediger eines humanen Christentums in
einer wilden Zeit ist ohne Frage der Mehrheit der heute Lebenden in hohem
Grade sympathisch und verdient als Vorläufer heutiger Richtungen, besonders der
pädagogischen, in Erinnerung gebracht zu werden, aber auch ihm tut man Gewalt
an, wenn man ihn schlankweg als einen Vertreter der Alleinslehre in Allspruch
nimmt. Daß er der Alleinslehre Platos und des Neuen Testaments anhängt, wie
auf S. 10 gesagt wird, geben wir zu, ja es versteht sich eigentlich von selbst; aber
von der modernen Alleinslehre war er doch weit entfernt. Die Regel Christi, mit
der er das Leben vereinfachen und die Menschen aus dem Labyrinth erretten will,
in das sie ihre Jagd nach unnützen Dingen geführt hat; diese Regel fordert nach
ihm unter anderen, daß die Schulen "nur ihrem Meister, Christo folgen und allen
andern Führern, besonders denen aus der Schar der blinden Heiden, den Abschied
geben. Das Hauptbuch ihrer Bibliothek müßte die Bibel sein." Das und sein
Glaube an die Erbsünde is. 46) sieht nicht nach moderner Weltanschauung ans.
Natürlich haben wir nicht das mindeste dagegen, sondern finden es sogar sehr
schön, daß es gerade ganz moderne Denker sind, die unser heutiges Publikum mit
den gläubigen Frommen vergangner Jahrhunderte bekannt machen.




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Karl Marquart in Leipzig





Büchern und in der Bibel finden kann. — Ebenso scheint uns Immanuel Sweden¬
borg nicht ganz mit Recht von den Neumystikern annektiert worden zu sein. Seine
Theologischen Schriften hat Lothar Brieger-Wasservogel übersetzt und
eingeleitet. Dem Bemühen, ihn für die Diesseitigkeitslehre mit Beschlag zu belegen,
widerstreben doch allzusehr viele seiner Äußerungen, die beweisen, daß er seine
Visionen nicht als Symbole des innern Wesens der diesseitigen Welt gemeint,
sondern für Besuche aus dem Jenseits gehalten, und daß er aufrichtig an das
Fortleben der Seele nach dem Tode geglaubt hat. Interessant ist, wie heftig er
die „Dreigötterlehre" und das Dogma von der Rechtfertigung bekämpft. Von
dessen protestantischer Fassung meint er, die Reformatoren hätten nur in der
Theorie, nicht in der Praxis die Liebe und die Werke vom Glauben getrennt, um
zwischen sich und der alten Kirche eine unüberschreitbare Kluft zu reißen. Daß
dies ihr Beweggrund gewesen sei, hätten ihm die Herren selbst gesagt; denn sie
haben ihn gleich allen andern verstorbnen Großgeistern besucht. Im Anhange wird
auch der Brief Kants an Fräulein Charlotte Knobloch abgedruckt, worin der
rationalistische Philosoph mehrere Fälle von Hellsehen oder Telepathie Swedenborgs
mitteilt, die so sicher bezeugt seien, daß an den Tntsachen nicht gezweifelt werden
könne. — Das einzig Notwendige, ein Laienbrevier von Amos Comenius,
hat Ludwig Keller in der Übersetzung von Johannes Seeger mit biographischer
Einleitung herausgegeben. Dieser edle Prediger eines humanen Christentums in
einer wilden Zeit ist ohne Frage der Mehrheit der heute Lebenden in hohem
Grade sympathisch und verdient als Vorläufer heutiger Richtungen, besonders der
pädagogischen, in Erinnerung gebracht zu werden, aber auch ihm tut man Gewalt
an, wenn man ihn schlankweg als einen Vertreter der Alleinslehre in Allspruch
nimmt. Daß er der Alleinslehre Platos und des Neuen Testaments anhängt, wie
auf S. 10 gesagt wird, geben wir zu, ja es versteht sich eigentlich von selbst; aber
von der modernen Alleinslehre war er doch weit entfernt. Die Regel Christi, mit
der er das Leben vereinfachen und die Menschen aus dem Labyrinth erretten will,
in das sie ihre Jagd nach unnützen Dingen geführt hat; diese Regel fordert nach
ihm unter anderen, daß die Schulen „nur ihrem Meister, Christo folgen und allen
andern Führern, besonders denen aus der Schar der blinden Heiden, den Abschied
geben. Das Hauptbuch ihrer Bibliothek müßte die Bibel sein." Das und sein
Glaube an die Erbsünde is. 46) sieht nicht nach moderner Weltanschauung ans.
Natürlich haben wir nicht das mindeste dagegen, sondern finden es sogar sehr
schön, daß es gerade ganz moderne Denker sind, die unser heutiges Publikum mit
den gläubigen Frommen vergangner Jahrhunderte bekannt machen.




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig





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[0176] Büchern und in der Bibel finden kann. — Ebenso scheint uns Immanuel Sweden¬ borg nicht ganz mit Recht von den Neumystikern annektiert worden zu sein. Seine Theologischen Schriften hat Lothar Brieger-Wasservogel übersetzt und eingeleitet. Dem Bemühen, ihn für die Diesseitigkeitslehre mit Beschlag zu belegen, widerstreben doch allzusehr viele seiner Äußerungen, die beweisen, daß er seine Visionen nicht als Symbole des innern Wesens der diesseitigen Welt gemeint, sondern für Besuche aus dem Jenseits gehalten, und daß er aufrichtig an das Fortleben der Seele nach dem Tode geglaubt hat. Interessant ist, wie heftig er die „Dreigötterlehre" und das Dogma von der Rechtfertigung bekämpft. Von dessen protestantischer Fassung meint er, die Reformatoren hätten nur in der Theorie, nicht in der Praxis die Liebe und die Werke vom Glauben getrennt, um zwischen sich und der alten Kirche eine unüberschreitbare Kluft zu reißen. Daß dies ihr Beweggrund gewesen sei, hätten ihm die Herren selbst gesagt; denn sie haben ihn gleich allen andern verstorbnen Großgeistern besucht. Im Anhange wird auch der Brief Kants an Fräulein Charlotte Knobloch abgedruckt, worin der rationalistische Philosoph mehrere Fälle von Hellsehen oder Telepathie Swedenborgs mitteilt, die so sicher bezeugt seien, daß an den Tntsachen nicht gezweifelt werden könne. — Das einzig Notwendige, ein Laienbrevier von Amos Comenius, hat Ludwig Keller in der Übersetzung von Johannes Seeger mit biographischer Einleitung herausgegeben. Dieser edle Prediger eines humanen Christentums in einer wilden Zeit ist ohne Frage der Mehrheit der heute Lebenden in hohem Grade sympathisch und verdient als Vorläufer heutiger Richtungen, besonders der pädagogischen, in Erinnerung gebracht zu werden, aber auch ihm tut man Gewalt an, wenn man ihn schlankweg als einen Vertreter der Alleinslehre in Allspruch nimmt. Daß er der Alleinslehre Platos und des Neuen Testaments anhängt, wie auf S. 10 gesagt wird, geben wir zu, ja es versteht sich eigentlich von selbst; aber von der modernen Alleinslehre war er doch weit entfernt. Die Regel Christi, mit der er das Leben vereinfachen und die Menschen aus dem Labyrinth erretten will, in das sie ihre Jagd nach unnützen Dingen geführt hat; diese Regel fordert nach ihm unter anderen, daß die Schulen „nur ihrem Meister, Christo folgen und allen andern Führern, besonders denen aus der Schar der blinden Heiden, den Abschied geben. Das Hauptbuch ihrer Bibliothek müßte die Bibel sein." Das und sein Glaube an die Erbsünde is. 46) sieht nicht nach moderner Weltanschauung ans. Natürlich haben wir nicht das mindeste dagegen, sondern finden es sogar sehr schön, daß es gerade ganz moderne Denker sind, die unser heutiges Publikum mit den gläubigen Frommen vergangner Jahrhunderte bekannt machen. Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig [Abbildung]

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/176>, abgerufen am 27.09.2024.