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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Länder unaufhaltsam, wie im Juli 1870, einen, Konflikte zu, dem -- wenn Frank¬
reich ihn wirklich wollte -- Deutschland weder ausweichen konnte noch durfte. Im
Gegenteil, wir hätten uns das Gesetz des Kriegs nicht vom Feinde vorschreiben
lassen können. Alle diese Zettelungen, deren Etappen an verschiednen Plätzen
deutlich zu beobachten waren und ebenso rechtzeitig wie sorgfältig beobachtet worden
sind, drängten zu der Erkenntnis, daß wir unvermeidlich gezwungen werden würden,
Frankreich die Frage: Krieg oder Frieden? zu stellen, wenn Delcasse im Amt blieb,
und seine Politik, bei der er 1o eceur I6Uhr den Krieg ins Auge faßte, die Zu¬
stimmung der andern Minister, der französischen Regierung, fand.

Sobald Rouvier das erkannte, säumte er nicht, einer Spekulation ein Ende zu
machen, deren Folgen ihm nicht im Interesse Frankreichs zu liegen schienen. Diese
friedliche Gesinnung des französischen Ministerpräsidenten bürgt auch dafür, daß es
den Umtrieben, die immer noch an der Arbeit sind, nicht gelingen wird, die
Konferenz schließlich resultatlos zu machen. England, dessen diplomatische Vertreter
den Konferenzgedcmken nach Möglichkeit bekämpft haben, hat jetzt durch den Mund
des Staatssekretärs des Auswärtigen seine Bereitwilligkeit verkündet, die Konferenz
zu beschicken, und so ist denn Aussicht vorhanden, daß der von Deutschland ver-
tretne Rechtsstandpuukt doch der Grundstein einer neuen international verbürgten
Ordnung der Dinge in Marokko wird. Die Eröffnungen, die der Reichskanzler am
12. d. M. dem Bundesrntsausschuß gemacht hat, und die übrigens durchaus ver¬
traulicher Natur waren, also schon aus diesem Grunde nicht ohne weiteres zur
Mitteilung an die deutscheu Landtage bestimmt und geeignet sein konnten, haben
selbstverständlich auch die Ziele der deutschen Politik in Marokko berührt, sodaß die
Reichsregieruug in die Verhandlungen mit Frankreich über das Konferenzprogramm
sowie in die Konferenz selbst mit der Gewißheit eintreten kann, der Zustimmung
und des Vertrauens der deutschen Bundesgenossen sicher zu sein.

Diese Gewißheit wird um so wünschenswerter und notwendiger in einer
Situation, wo ernste Spannungen zu überwinden waren, andre vielleicht noch zu
überwinden sein werden. Auch wenn man die französisch-englische "Flotten¬
verbrüderung" nicht höher bewertet, als sie es verdient, darf man doch nicht ver¬
gessen, daß sie sich auf dem Hintergründe des Delcasseschen Kriegsbündnisprojekts
und einer starken gegen Deutschland gerichteten Gereiztheit in England vollzieht.
Daß die französischen und die englischen Kriegsschiffe in Brest bunte Reihe machten,
und daß bei den Trinksprüchen alle möglichen Versicherungen ausgetauscht wurden,
das alles ist auch in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in der
Glanzzeit des dritten Napoleon schon dagewesen, und wie jetzt in Brest und
Portsmouth mit der englischen, hat sich die französische Flotte in Kronstäbe und
Toulon mit der russischen verbrüdert. Das sind nur Vorgänge von dekorativer
Bedeutung auf dem Welttheater, bei denen es hinterher immer zweifelhaft bleibt,
ob sie die Kosten wert waren. Was wir im Auge behalten wollen, ist die Tat¬
sache, daß sich den Delcasfüschen Enthüllungen gegenüber noch keine autoritative
Stimme in England erhoben hat, die der Bündnisidee widersprochen hätte. Im
Gegenteil, eine Äußerung im Unterhause, die von eiuer Unterstützung des Ver¬
bündeten Englands bei Kämpfen in der Nordsee sprach, hat vom Regierungstisch
keinerlei Zurückweisung erfahren, sodaß die Grenze, bis zu der das Verhalten
Englands gegen uns noch als korrekt angesehen werden kann, nicht mehr so fern
ist. Dennoch ist mit einiger Zuversicht anzunehmen, daß die gegenseitigen Be¬
ziehungen, wenn auch vorläufig kaum eine gründliche Besserung, so doch jedenfalls
keine weitere Verschlechterung erfahren werden, namentlich seitdem England die
Gewißheit hat, daß Frankreich für den deutscheu Krieg nicht zu haben ist, weder
die Regierung noch die öffentliche Meinung.

Dem deutschen Volke wird diese Wetterwolke, die ja vorüberzuziehn scheint,
aber eines Tages sehr wohl von neuem am Horizont erscheinen kann, hoffentlich
eine ernste Mahnung sein, sich nicht zu gedankenlos dem Genuß der erworbnen


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Länder unaufhaltsam, wie im Juli 1870, einen, Konflikte zu, dem — wenn Frank¬
reich ihn wirklich wollte — Deutschland weder ausweichen konnte noch durfte. Im
Gegenteil, wir hätten uns das Gesetz des Kriegs nicht vom Feinde vorschreiben
lassen können. Alle diese Zettelungen, deren Etappen an verschiednen Plätzen
deutlich zu beobachten waren und ebenso rechtzeitig wie sorgfältig beobachtet worden
sind, drängten zu der Erkenntnis, daß wir unvermeidlich gezwungen werden würden,
Frankreich die Frage: Krieg oder Frieden? zu stellen, wenn Delcasse im Amt blieb,
und seine Politik, bei der er 1o eceur I6Uhr den Krieg ins Auge faßte, die Zu¬
stimmung der andern Minister, der französischen Regierung, fand.

Sobald Rouvier das erkannte, säumte er nicht, einer Spekulation ein Ende zu
machen, deren Folgen ihm nicht im Interesse Frankreichs zu liegen schienen. Diese
friedliche Gesinnung des französischen Ministerpräsidenten bürgt auch dafür, daß es
den Umtrieben, die immer noch an der Arbeit sind, nicht gelingen wird, die
Konferenz schließlich resultatlos zu machen. England, dessen diplomatische Vertreter
den Konferenzgedcmken nach Möglichkeit bekämpft haben, hat jetzt durch den Mund
des Staatssekretärs des Auswärtigen seine Bereitwilligkeit verkündet, die Konferenz
zu beschicken, und so ist denn Aussicht vorhanden, daß der von Deutschland ver-
tretne Rechtsstandpuukt doch der Grundstein einer neuen international verbürgten
Ordnung der Dinge in Marokko wird. Die Eröffnungen, die der Reichskanzler am
12. d. M. dem Bundesrntsausschuß gemacht hat, und die übrigens durchaus ver¬
traulicher Natur waren, also schon aus diesem Grunde nicht ohne weiteres zur
Mitteilung an die deutscheu Landtage bestimmt und geeignet sein konnten, haben
selbstverständlich auch die Ziele der deutschen Politik in Marokko berührt, sodaß die
Reichsregieruug in die Verhandlungen mit Frankreich über das Konferenzprogramm
sowie in die Konferenz selbst mit der Gewißheit eintreten kann, der Zustimmung
und des Vertrauens der deutschen Bundesgenossen sicher zu sein.

Diese Gewißheit wird um so wünschenswerter und notwendiger in einer
Situation, wo ernste Spannungen zu überwinden waren, andre vielleicht noch zu
überwinden sein werden. Auch wenn man die französisch-englische „Flotten¬
verbrüderung" nicht höher bewertet, als sie es verdient, darf man doch nicht ver¬
gessen, daß sie sich auf dem Hintergründe des Delcasseschen Kriegsbündnisprojekts
und einer starken gegen Deutschland gerichteten Gereiztheit in England vollzieht.
Daß die französischen und die englischen Kriegsschiffe in Brest bunte Reihe machten,
und daß bei den Trinksprüchen alle möglichen Versicherungen ausgetauscht wurden,
das alles ist auch in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in der
Glanzzeit des dritten Napoleon schon dagewesen, und wie jetzt in Brest und
Portsmouth mit der englischen, hat sich die französische Flotte in Kronstäbe und
Toulon mit der russischen verbrüdert. Das sind nur Vorgänge von dekorativer
Bedeutung auf dem Welttheater, bei denen es hinterher immer zweifelhaft bleibt,
ob sie die Kosten wert waren. Was wir im Auge behalten wollen, ist die Tat¬
sache, daß sich den Delcasfüschen Enthüllungen gegenüber noch keine autoritative
Stimme in England erhoben hat, die der Bündnisidee widersprochen hätte. Im
Gegenteil, eine Äußerung im Unterhause, die von eiuer Unterstützung des Ver¬
bündeten Englands bei Kämpfen in der Nordsee sprach, hat vom Regierungstisch
keinerlei Zurückweisung erfahren, sodaß die Grenze, bis zu der das Verhalten
Englands gegen uns noch als korrekt angesehen werden kann, nicht mehr so fern
ist. Dennoch ist mit einiger Zuversicht anzunehmen, daß die gegenseitigen Be¬
ziehungen, wenn auch vorläufig kaum eine gründliche Besserung, so doch jedenfalls
keine weitere Verschlechterung erfahren werden, namentlich seitdem England die
Gewißheit hat, daß Frankreich für den deutscheu Krieg nicht zu haben ist, weder
die Regierung noch die öffentliche Meinung.

Dem deutschen Volke wird diese Wetterwolke, die ja vorüberzuziehn scheint,
aber eines Tages sehr wohl von neuem am Horizont erscheinen kann, hoffentlich
eine ernste Mahnung sein, sich nicht zu gedankenlos dem Genuß der erworbnen


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[0173] Maßgebliches und Unmaßgebliches Länder unaufhaltsam, wie im Juli 1870, einen, Konflikte zu, dem — wenn Frank¬ reich ihn wirklich wollte — Deutschland weder ausweichen konnte noch durfte. Im Gegenteil, wir hätten uns das Gesetz des Kriegs nicht vom Feinde vorschreiben lassen können. Alle diese Zettelungen, deren Etappen an verschiednen Plätzen deutlich zu beobachten waren und ebenso rechtzeitig wie sorgfältig beobachtet worden sind, drängten zu der Erkenntnis, daß wir unvermeidlich gezwungen werden würden, Frankreich die Frage: Krieg oder Frieden? zu stellen, wenn Delcasse im Amt blieb, und seine Politik, bei der er 1o eceur I6Uhr den Krieg ins Auge faßte, die Zu¬ stimmung der andern Minister, der französischen Regierung, fand. Sobald Rouvier das erkannte, säumte er nicht, einer Spekulation ein Ende zu machen, deren Folgen ihm nicht im Interesse Frankreichs zu liegen schienen. Diese friedliche Gesinnung des französischen Ministerpräsidenten bürgt auch dafür, daß es den Umtrieben, die immer noch an der Arbeit sind, nicht gelingen wird, die Konferenz schließlich resultatlos zu machen. England, dessen diplomatische Vertreter den Konferenzgedcmken nach Möglichkeit bekämpft haben, hat jetzt durch den Mund des Staatssekretärs des Auswärtigen seine Bereitwilligkeit verkündet, die Konferenz zu beschicken, und so ist denn Aussicht vorhanden, daß der von Deutschland ver- tretne Rechtsstandpuukt doch der Grundstein einer neuen international verbürgten Ordnung der Dinge in Marokko wird. Die Eröffnungen, die der Reichskanzler am 12. d. M. dem Bundesrntsausschuß gemacht hat, und die übrigens durchaus ver¬ traulicher Natur waren, also schon aus diesem Grunde nicht ohne weiteres zur Mitteilung an die deutscheu Landtage bestimmt und geeignet sein konnten, haben selbstverständlich auch die Ziele der deutschen Politik in Marokko berührt, sodaß die Reichsregieruug in die Verhandlungen mit Frankreich über das Konferenzprogramm sowie in die Konferenz selbst mit der Gewißheit eintreten kann, der Zustimmung und des Vertrauens der deutschen Bundesgenossen sicher zu sein. Diese Gewißheit wird um so wünschenswerter und notwendiger in einer Situation, wo ernste Spannungen zu überwinden waren, andre vielleicht noch zu überwinden sein werden. Auch wenn man die französisch-englische „Flotten¬ verbrüderung" nicht höher bewertet, als sie es verdient, darf man doch nicht ver¬ gessen, daß sie sich auf dem Hintergründe des Delcasseschen Kriegsbündnisprojekts und einer starken gegen Deutschland gerichteten Gereiztheit in England vollzieht. Daß die französischen und die englischen Kriegsschiffe in Brest bunte Reihe machten, und daß bei den Trinksprüchen alle möglichen Versicherungen ausgetauscht wurden, das alles ist auch in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in der Glanzzeit des dritten Napoleon schon dagewesen, und wie jetzt in Brest und Portsmouth mit der englischen, hat sich die französische Flotte in Kronstäbe und Toulon mit der russischen verbrüdert. Das sind nur Vorgänge von dekorativer Bedeutung auf dem Welttheater, bei denen es hinterher immer zweifelhaft bleibt, ob sie die Kosten wert waren. Was wir im Auge behalten wollen, ist die Tat¬ sache, daß sich den Delcasfüschen Enthüllungen gegenüber noch keine autoritative Stimme in England erhoben hat, die der Bündnisidee widersprochen hätte. Im Gegenteil, eine Äußerung im Unterhause, die von eiuer Unterstützung des Ver¬ bündeten Englands bei Kämpfen in der Nordsee sprach, hat vom Regierungstisch keinerlei Zurückweisung erfahren, sodaß die Grenze, bis zu der das Verhalten Englands gegen uns noch als korrekt angesehen werden kann, nicht mehr so fern ist. Dennoch ist mit einiger Zuversicht anzunehmen, daß die gegenseitigen Be¬ ziehungen, wenn auch vorläufig kaum eine gründliche Besserung, so doch jedenfalls keine weitere Verschlechterung erfahren werden, namentlich seitdem England die Gewißheit hat, daß Frankreich für den deutscheu Krieg nicht zu haben ist, weder die Regierung noch die öffentliche Meinung. Dem deutschen Volke wird diese Wetterwolke, die ja vorüberzuziehn scheint, aber eines Tages sehr wohl von neuem am Horizont erscheinen kann, hoffentlich eine ernste Mahnung sein, sich nicht zu gedankenlos dem Genuß der erworbnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/173>, abgerufen am 27.09.2024.