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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Unter Runden, Komödianten und wilden Tieren

Hier erhielt ich in einer großen Dampfbäckerei, die acht Gesellen und einen
Konditor beschäftigte, Arbeit. Der Besitzer war kein gelernter Bäcker, sondern ein
Bauunternehmer, der sich die englischen Öfen in dem benachbarten Hansen angesehen
und mit ebensolchen seine Bäckerei ausgestattet hatte. Ich bekam hier den höchsten
Lohn, den ich jemals in: Bäckereigewerbe erhalten habe, nämlich acht Mark die
Woche. Zu dem Betrieb gehörte eine Dampfanlage mit einer durch Dampf be-
triebnen Teigmaschine. Die Bäckerei unterhielt sechs Filialen in Eschwege und eine
in Kassel, wohin die Brote in ganzen Wagenladungen transportiert wurden. Zu
dem weitern Personal gehörten zwei Buchhalter und endlich drei Hausknechte,
denen auch die Versorgung der drei Pferde oblag. Die freie Zeit, über die wir
verfügen konnten, wenn das Brot im Ofen war, benutzten wir gewöhnlich zu einer
musikalischen Unterhaltung; einer der Gesellen, der Lehrer hatte werden wollen und
schon einige Jahre das Seminar besucht hatte, war ein Meister auf der Geige.
Der Konditor war Zithervirtuos, ein dritter wußte mit den Drückhölzern vortreff¬
lich zu trommeln, und ich schlug den Triangel. Sobald die andern die Musik ver¬
nahmen, kamen sie herbei. Auch die Frau des Besitzers und das Dienstmädchen
erschienen dann in der Backstube und beteiligten sich gelegentlich an einem Tänzchen.
Ich will nicht verschweigen, daß ich mich bei einer solchen Gelegenheit zum ersten¬
mal in meinem Leben ernstlich verliebte.

Die guten Lohnverhältnisse in Eschwege benutzte ich, mich wieder einmal neu
"einzupuppen" und mir sogar eine "Lupe" (Taschenuhr) zuzulegen. Um diese
Zeit stellte ich mich auch zum drittenmal beim Militär und wurde zur Ersatzreserve
Ur. 1 ohne Übung beim Train überschrieben. In Eschwege sah ich wieder einmal,
daß das Sprichwort: "Es ist nicht alles Gold, was glänzt" Recht hat. Der Prinzipal,
bei dem ich besondres Vertrauen genoß, erzählte mir, daß der Leiter der Kasseler
Filiale das Brot dort billiger verkauft habe, als es herzustellen sei, und daß er
mit dem Gelde das Weite gesucht habe. Auch die beiden Buchhalter betrachtete er
unausgesetzt mit Mißtrauen und meinte, die Zahlen in ihren Büchern stimmten
wohl, aber das Geld in der Kasse würde immer weniger. Er mochte nicht so ganz
Unrecht haben, denn die beiden Buchhalter wurden täglich dicker und taten nur das
Allernotwendigste. Eines Sonntag Morgens stellte sich heraus, daß ein Kuchen,
der über die gewöhnliche Anzahl gebacken worden war, fehlte. Der erste Buch¬
halter fragte den "Schulmeister" nach dem Verbleib, und dieser erklärte der Wahr¬
heit gemäß, daß er nicht wisse, was mit dem Kuchen geschehen sei. Die Kellerräume
des Hauses waren vermietet, und die dort wohnenden Leute kamen fortwährend an
der Bäckerei vorbei. Es war also möglich, daß einer von ihnen den Kuchen hatte
angehn heißen. Als der Schulmeister uns andern mitteilte, welchen Verdacht der
Buchhalter gegen uus ausgesprochen habe, wurden wir erregt und benutzten die Ge¬
legenheit, bei der Frau des Prinzipals anzufragen, weshalb wir in den letzten vier¬
zehn Tagen das übliche Geld für Schnaps nicht erhalte" hätten. Sie verwies uns
an den ersten Buchhalter, und wir baten sie nun, ihn uus in die Backstube hinunter-
zuschicken. Er kam denn auch bald und begann, als wir ihn wegen des Schnaps¬
geldes mahnten, wieder nach dem verlornen Kuchen zu fragen und uns alle des
Diebstahls zu beschuldigen. Nun war aber unsre Geduld erschöpft, wir gingen alle
acht, einer nach dem andern, ins Kondor und kündigten. Ich ging zunächst nach
Kassel, wo ich für zwei Wochen eine Aushilfsstelle annahm, und von dort nach
Fulda. Dort traf ich mit einem Kellner zusammen, der über eine so schlechte Kluft
verfügte, daß er es für aussichtslos hielt, in den Hotels um Arbeit vorzusprechen.
Er gab mir deshalb seine Fleppe und ersuchte mich, für ihn "Umschau zu halten."
Das tat ich auch, da mehr dabei herauskam, als wenn ich meine eignen Meister
besucht hätte. In einem bessern Restaurant nahm mich der Wirt beiseite und fragte
mich, ob ich schon so tief gesunken sei, daß ich in den Restaurationen umschauen
müsse. Ich mußte diese Frage bejahe", zog aber zugleich die Papiere des Kellners
hervor, unter denen eine Postkarte war, durch die der Kellner aufgefordert wurde,


Unter Runden, Komödianten und wilden Tieren

Hier erhielt ich in einer großen Dampfbäckerei, die acht Gesellen und einen
Konditor beschäftigte, Arbeit. Der Besitzer war kein gelernter Bäcker, sondern ein
Bauunternehmer, der sich die englischen Öfen in dem benachbarten Hansen angesehen
und mit ebensolchen seine Bäckerei ausgestattet hatte. Ich bekam hier den höchsten
Lohn, den ich jemals in: Bäckereigewerbe erhalten habe, nämlich acht Mark die
Woche. Zu dem Betrieb gehörte eine Dampfanlage mit einer durch Dampf be-
triebnen Teigmaschine. Die Bäckerei unterhielt sechs Filialen in Eschwege und eine
in Kassel, wohin die Brote in ganzen Wagenladungen transportiert wurden. Zu
dem weitern Personal gehörten zwei Buchhalter und endlich drei Hausknechte,
denen auch die Versorgung der drei Pferde oblag. Die freie Zeit, über die wir
verfügen konnten, wenn das Brot im Ofen war, benutzten wir gewöhnlich zu einer
musikalischen Unterhaltung; einer der Gesellen, der Lehrer hatte werden wollen und
schon einige Jahre das Seminar besucht hatte, war ein Meister auf der Geige.
Der Konditor war Zithervirtuos, ein dritter wußte mit den Drückhölzern vortreff¬
lich zu trommeln, und ich schlug den Triangel. Sobald die andern die Musik ver¬
nahmen, kamen sie herbei. Auch die Frau des Besitzers und das Dienstmädchen
erschienen dann in der Backstube und beteiligten sich gelegentlich an einem Tänzchen.
Ich will nicht verschweigen, daß ich mich bei einer solchen Gelegenheit zum ersten¬
mal in meinem Leben ernstlich verliebte.

Die guten Lohnverhältnisse in Eschwege benutzte ich, mich wieder einmal neu
„einzupuppen" und mir sogar eine „Lupe" (Taschenuhr) zuzulegen. Um diese
Zeit stellte ich mich auch zum drittenmal beim Militär und wurde zur Ersatzreserve
Ur. 1 ohne Übung beim Train überschrieben. In Eschwege sah ich wieder einmal,
daß das Sprichwort: „Es ist nicht alles Gold, was glänzt" Recht hat. Der Prinzipal,
bei dem ich besondres Vertrauen genoß, erzählte mir, daß der Leiter der Kasseler
Filiale das Brot dort billiger verkauft habe, als es herzustellen sei, und daß er
mit dem Gelde das Weite gesucht habe. Auch die beiden Buchhalter betrachtete er
unausgesetzt mit Mißtrauen und meinte, die Zahlen in ihren Büchern stimmten
wohl, aber das Geld in der Kasse würde immer weniger. Er mochte nicht so ganz
Unrecht haben, denn die beiden Buchhalter wurden täglich dicker und taten nur das
Allernotwendigste. Eines Sonntag Morgens stellte sich heraus, daß ein Kuchen,
der über die gewöhnliche Anzahl gebacken worden war, fehlte. Der erste Buch¬
halter fragte den „Schulmeister" nach dem Verbleib, und dieser erklärte der Wahr¬
heit gemäß, daß er nicht wisse, was mit dem Kuchen geschehen sei. Die Kellerräume
des Hauses waren vermietet, und die dort wohnenden Leute kamen fortwährend an
der Bäckerei vorbei. Es war also möglich, daß einer von ihnen den Kuchen hatte
angehn heißen. Als der Schulmeister uns andern mitteilte, welchen Verdacht der
Buchhalter gegen uus ausgesprochen habe, wurden wir erregt und benutzten die Ge¬
legenheit, bei der Frau des Prinzipals anzufragen, weshalb wir in den letzten vier¬
zehn Tagen das übliche Geld für Schnaps nicht erhalte» hätten. Sie verwies uns
an den ersten Buchhalter, und wir baten sie nun, ihn uus in die Backstube hinunter-
zuschicken. Er kam denn auch bald und begann, als wir ihn wegen des Schnaps¬
geldes mahnten, wieder nach dem verlornen Kuchen zu fragen und uns alle des
Diebstahls zu beschuldigen. Nun war aber unsre Geduld erschöpft, wir gingen alle
acht, einer nach dem andern, ins Kondor und kündigten. Ich ging zunächst nach
Kassel, wo ich für zwei Wochen eine Aushilfsstelle annahm, und von dort nach
Fulda. Dort traf ich mit einem Kellner zusammen, der über eine so schlechte Kluft
verfügte, daß er es für aussichtslos hielt, in den Hotels um Arbeit vorzusprechen.
Er gab mir deshalb seine Fleppe und ersuchte mich, für ihn „Umschau zu halten."
Das tat ich auch, da mehr dabei herauskam, als wenn ich meine eignen Meister
besucht hätte. In einem bessern Restaurant nahm mich der Wirt beiseite und fragte
mich, ob ich schon so tief gesunken sei, daß ich in den Restaurationen umschauen
müsse. Ich mußte diese Frage bejahe», zog aber zugleich die Papiere des Kellners
hervor, unter denen eine Postkarte war, durch die der Kellner aufgefordert wurde,


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[0156] Unter Runden, Komödianten und wilden Tieren Hier erhielt ich in einer großen Dampfbäckerei, die acht Gesellen und einen Konditor beschäftigte, Arbeit. Der Besitzer war kein gelernter Bäcker, sondern ein Bauunternehmer, der sich die englischen Öfen in dem benachbarten Hansen angesehen und mit ebensolchen seine Bäckerei ausgestattet hatte. Ich bekam hier den höchsten Lohn, den ich jemals in: Bäckereigewerbe erhalten habe, nämlich acht Mark die Woche. Zu dem Betrieb gehörte eine Dampfanlage mit einer durch Dampf be- triebnen Teigmaschine. Die Bäckerei unterhielt sechs Filialen in Eschwege und eine in Kassel, wohin die Brote in ganzen Wagenladungen transportiert wurden. Zu dem weitern Personal gehörten zwei Buchhalter und endlich drei Hausknechte, denen auch die Versorgung der drei Pferde oblag. Die freie Zeit, über die wir verfügen konnten, wenn das Brot im Ofen war, benutzten wir gewöhnlich zu einer musikalischen Unterhaltung; einer der Gesellen, der Lehrer hatte werden wollen und schon einige Jahre das Seminar besucht hatte, war ein Meister auf der Geige. Der Konditor war Zithervirtuos, ein dritter wußte mit den Drückhölzern vortreff¬ lich zu trommeln, und ich schlug den Triangel. Sobald die andern die Musik ver¬ nahmen, kamen sie herbei. Auch die Frau des Besitzers und das Dienstmädchen erschienen dann in der Backstube und beteiligten sich gelegentlich an einem Tänzchen. Ich will nicht verschweigen, daß ich mich bei einer solchen Gelegenheit zum ersten¬ mal in meinem Leben ernstlich verliebte. Die guten Lohnverhältnisse in Eschwege benutzte ich, mich wieder einmal neu „einzupuppen" und mir sogar eine „Lupe" (Taschenuhr) zuzulegen. Um diese Zeit stellte ich mich auch zum drittenmal beim Militär und wurde zur Ersatzreserve Ur. 1 ohne Übung beim Train überschrieben. In Eschwege sah ich wieder einmal, daß das Sprichwort: „Es ist nicht alles Gold, was glänzt" Recht hat. Der Prinzipal, bei dem ich besondres Vertrauen genoß, erzählte mir, daß der Leiter der Kasseler Filiale das Brot dort billiger verkauft habe, als es herzustellen sei, und daß er mit dem Gelde das Weite gesucht habe. Auch die beiden Buchhalter betrachtete er unausgesetzt mit Mißtrauen und meinte, die Zahlen in ihren Büchern stimmten wohl, aber das Geld in der Kasse würde immer weniger. Er mochte nicht so ganz Unrecht haben, denn die beiden Buchhalter wurden täglich dicker und taten nur das Allernotwendigste. Eines Sonntag Morgens stellte sich heraus, daß ein Kuchen, der über die gewöhnliche Anzahl gebacken worden war, fehlte. Der erste Buch¬ halter fragte den „Schulmeister" nach dem Verbleib, und dieser erklärte der Wahr¬ heit gemäß, daß er nicht wisse, was mit dem Kuchen geschehen sei. Die Kellerräume des Hauses waren vermietet, und die dort wohnenden Leute kamen fortwährend an der Bäckerei vorbei. Es war also möglich, daß einer von ihnen den Kuchen hatte angehn heißen. Als der Schulmeister uns andern mitteilte, welchen Verdacht der Buchhalter gegen uus ausgesprochen habe, wurden wir erregt und benutzten die Ge¬ legenheit, bei der Frau des Prinzipals anzufragen, weshalb wir in den letzten vier¬ zehn Tagen das übliche Geld für Schnaps nicht erhalte» hätten. Sie verwies uns an den ersten Buchhalter, und wir baten sie nun, ihn uus in die Backstube hinunter- zuschicken. Er kam denn auch bald und begann, als wir ihn wegen des Schnaps¬ geldes mahnten, wieder nach dem verlornen Kuchen zu fragen und uns alle des Diebstahls zu beschuldigen. Nun war aber unsre Geduld erschöpft, wir gingen alle acht, einer nach dem andern, ins Kondor und kündigten. Ich ging zunächst nach Kassel, wo ich für zwei Wochen eine Aushilfsstelle annahm, und von dort nach Fulda. Dort traf ich mit einem Kellner zusammen, der über eine so schlechte Kluft verfügte, daß er es für aussichtslos hielt, in den Hotels um Arbeit vorzusprechen. Er gab mir deshalb seine Fleppe und ersuchte mich, für ihn „Umschau zu halten." Das tat ich auch, da mehr dabei herauskam, als wenn ich meine eignen Meister besucht hätte. In einem bessern Restaurant nahm mich der Wirt beiseite und fragte mich, ob ich schon so tief gesunken sei, daß ich in den Restaurationen umschauen müsse. Ich mußte diese Frage bejahe», zog aber zugleich die Papiere des Kellners hervor, unter denen eine Postkarte war, durch die der Kellner aufgefordert wurde,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/156>, abgerufen am 27.09.2024.