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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Der Zweikampf bei Goethe

Wie leicht man in Goethes Jugendzeit zur Selbsthilfe und zum Degen
griff, zeigt die Aufzeichnung aus einem Tagebuche jener Zeit. Der Gro߬
vater des Dichters, Schultheiß Textor, war das Haupt der herrschenden
österreichischen Partei. Aus einem noch erhaltnen amtlichen Schriftstücke
(Kriegks Senckenberg S 135) geht hervor, daß er den österreichisch-preußischen
Krieg einfach "die dermalige preußische Empörung" nannte. Der größere Teil
der Familie hielt es mit Österreich, der kleinere Teil, darunter der Rat Goethe,
hing mit Leidenschaft Friedrich dem Großen an. Daher kam es, daß sich die
Familienglieder nach der Darstellung Goethes auf der Straße nicht begegnen
konnten, ohne daß es Händel gab wie in Romeo und Julie. Bei einer
Tauffeier kam es im Jahre 1760 zu einer bösen Szene zwischen Textor und
seinem Schwiegersohne Goethe. Der Arzt Senckenberg erzählt darüber in
seinem Tagebuch unter dem 1. April 1760 (Kriegks Senckenberg S. 136)
folgendes: Der Schultheiß hatte eine Beschwerde des Rates Goethe wegen
der französischen Einquartierung abgelehnt. Bei Tische sprachen beide Männer
von diesem Gegenstande, und Textor gab seinem Schwiegersohne keine guten
Worte. Der Rat fuhr auf und sagte, er verfluche das Geld, das Textor
genommen habe, um die Stadt den Franzosen zu verraten, und verfluche die¬
jenigen, die sie hereingelassen hätten. Da warf Textor mit einem Messer
nach ihm, und der Rat zog den Degen. Der Taufvater, Pastor starck, der
eine andre Tochter Textors geheiratet hatte, wurde krank vor Schreck, dem
anwesenden Pfarrer Claudi gelang es mit Mühe, Frieden zu stiften.

In die Zeit der französischen Einquartierung fällt der erste Ehrenhandel
des Dichters selbst. Der Knabe, der bis dahin in ruhigen Verhältnissen auf¬
gewachsen war, sah erstaunt in eine Märchenwelt, als ihm zum erstenmal im
Grafen Thoranc ein wahrhaft vornehmer Mann von ritterlichem Wesen und
echt männlicher Art entgegentrat, und das französische Theater ihm Herz und
Sinn umstrickte. Mit dem jungen Derones vom französischen Theater sollte
er sich schlagen. Der ganze Handel verlief ungefährlich und ganz theatralisch,
wie aus Dichtung und Wahrheit (I, 3) bekannt ist. Der junge Wolfgang,
als Märchenprinz gekleidet, den Hut unter dem Arm, mit einem kleinen
Degen, dessen Bügel mit einer seidnen Bandschleife geziert war, spielte mit
feinen Kameraden in der Nähe des Theaters. Da fiel es dem jungen Derones
ein, Wolfgang zu erklären, er habe ihn beleidigt und müsse ihm Genugtuung
geben. Der Märchenprinz begreift nicht, um was es sich handelt, läßt sich
aber die Herausforderung gefallen. Hinter einer Scheune geht dann der
Zweikampf vor sich, die Klingen klirren, aber die Stöße gehn neben aus.
Derones bleibt mit der Spitze seines Degens an der Bandschleife seines
Gegners hängen, erklärt vollkommen Genugtuung zu haben, umarmt Wolf¬
gang und geht mit ihm in ein Kaffeehaus, um bei einem Glase Mandelmilch
den alten Freundschaftsbund desto fester zu schließen. Den Zweikampf des


Der Zweikampf bei Goethe

Wie leicht man in Goethes Jugendzeit zur Selbsthilfe und zum Degen
griff, zeigt die Aufzeichnung aus einem Tagebuche jener Zeit. Der Gro߬
vater des Dichters, Schultheiß Textor, war das Haupt der herrschenden
österreichischen Partei. Aus einem noch erhaltnen amtlichen Schriftstücke
(Kriegks Senckenberg S 135) geht hervor, daß er den österreichisch-preußischen
Krieg einfach „die dermalige preußische Empörung" nannte. Der größere Teil
der Familie hielt es mit Österreich, der kleinere Teil, darunter der Rat Goethe,
hing mit Leidenschaft Friedrich dem Großen an. Daher kam es, daß sich die
Familienglieder nach der Darstellung Goethes auf der Straße nicht begegnen
konnten, ohne daß es Händel gab wie in Romeo und Julie. Bei einer
Tauffeier kam es im Jahre 1760 zu einer bösen Szene zwischen Textor und
seinem Schwiegersohne Goethe. Der Arzt Senckenberg erzählt darüber in
seinem Tagebuch unter dem 1. April 1760 (Kriegks Senckenberg S. 136)
folgendes: Der Schultheiß hatte eine Beschwerde des Rates Goethe wegen
der französischen Einquartierung abgelehnt. Bei Tische sprachen beide Männer
von diesem Gegenstande, und Textor gab seinem Schwiegersohne keine guten
Worte. Der Rat fuhr auf und sagte, er verfluche das Geld, das Textor
genommen habe, um die Stadt den Franzosen zu verraten, und verfluche die¬
jenigen, die sie hereingelassen hätten. Da warf Textor mit einem Messer
nach ihm, und der Rat zog den Degen. Der Taufvater, Pastor starck, der
eine andre Tochter Textors geheiratet hatte, wurde krank vor Schreck, dem
anwesenden Pfarrer Claudi gelang es mit Mühe, Frieden zu stiften.

In die Zeit der französischen Einquartierung fällt der erste Ehrenhandel
des Dichters selbst. Der Knabe, der bis dahin in ruhigen Verhältnissen auf¬
gewachsen war, sah erstaunt in eine Märchenwelt, als ihm zum erstenmal im
Grafen Thoranc ein wahrhaft vornehmer Mann von ritterlichem Wesen und
echt männlicher Art entgegentrat, und das französische Theater ihm Herz und
Sinn umstrickte. Mit dem jungen Derones vom französischen Theater sollte
er sich schlagen. Der ganze Handel verlief ungefährlich und ganz theatralisch,
wie aus Dichtung und Wahrheit (I, 3) bekannt ist. Der junge Wolfgang,
als Märchenprinz gekleidet, den Hut unter dem Arm, mit einem kleinen
Degen, dessen Bügel mit einer seidnen Bandschleife geziert war, spielte mit
feinen Kameraden in der Nähe des Theaters. Da fiel es dem jungen Derones
ein, Wolfgang zu erklären, er habe ihn beleidigt und müsse ihm Genugtuung
geben. Der Märchenprinz begreift nicht, um was es sich handelt, läßt sich
aber die Herausforderung gefallen. Hinter einer Scheune geht dann der
Zweikampf vor sich, die Klingen klirren, aber die Stöße gehn neben aus.
Derones bleibt mit der Spitze seines Degens an der Bandschleife seines
Gegners hängen, erklärt vollkommen Genugtuung zu haben, umarmt Wolf¬
gang und geht mit ihm in ein Kaffeehaus, um bei einem Glase Mandelmilch
den alten Freundschaftsbund desto fester zu schließen. Den Zweikampf des


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[0148] Der Zweikampf bei Goethe Wie leicht man in Goethes Jugendzeit zur Selbsthilfe und zum Degen griff, zeigt die Aufzeichnung aus einem Tagebuche jener Zeit. Der Gro߬ vater des Dichters, Schultheiß Textor, war das Haupt der herrschenden österreichischen Partei. Aus einem noch erhaltnen amtlichen Schriftstücke (Kriegks Senckenberg S 135) geht hervor, daß er den österreichisch-preußischen Krieg einfach „die dermalige preußische Empörung" nannte. Der größere Teil der Familie hielt es mit Österreich, der kleinere Teil, darunter der Rat Goethe, hing mit Leidenschaft Friedrich dem Großen an. Daher kam es, daß sich die Familienglieder nach der Darstellung Goethes auf der Straße nicht begegnen konnten, ohne daß es Händel gab wie in Romeo und Julie. Bei einer Tauffeier kam es im Jahre 1760 zu einer bösen Szene zwischen Textor und seinem Schwiegersohne Goethe. Der Arzt Senckenberg erzählt darüber in seinem Tagebuch unter dem 1. April 1760 (Kriegks Senckenberg S. 136) folgendes: Der Schultheiß hatte eine Beschwerde des Rates Goethe wegen der französischen Einquartierung abgelehnt. Bei Tische sprachen beide Männer von diesem Gegenstande, und Textor gab seinem Schwiegersohne keine guten Worte. Der Rat fuhr auf und sagte, er verfluche das Geld, das Textor genommen habe, um die Stadt den Franzosen zu verraten, und verfluche die¬ jenigen, die sie hereingelassen hätten. Da warf Textor mit einem Messer nach ihm, und der Rat zog den Degen. Der Taufvater, Pastor starck, der eine andre Tochter Textors geheiratet hatte, wurde krank vor Schreck, dem anwesenden Pfarrer Claudi gelang es mit Mühe, Frieden zu stiften. In die Zeit der französischen Einquartierung fällt der erste Ehrenhandel des Dichters selbst. Der Knabe, der bis dahin in ruhigen Verhältnissen auf¬ gewachsen war, sah erstaunt in eine Märchenwelt, als ihm zum erstenmal im Grafen Thoranc ein wahrhaft vornehmer Mann von ritterlichem Wesen und echt männlicher Art entgegentrat, und das französische Theater ihm Herz und Sinn umstrickte. Mit dem jungen Derones vom französischen Theater sollte er sich schlagen. Der ganze Handel verlief ungefährlich und ganz theatralisch, wie aus Dichtung und Wahrheit (I, 3) bekannt ist. Der junge Wolfgang, als Märchenprinz gekleidet, den Hut unter dem Arm, mit einem kleinen Degen, dessen Bügel mit einer seidnen Bandschleife geziert war, spielte mit feinen Kameraden in der Nähe des Theaters. Da fiel es dem jungen Derones ein, Wolfgang zu erklären, er habe ihn beleidigt und müsse ihm Genugtuung geben. Der Märchenprinz begreift nicht, um was es sich handelt, läßt sich aber die Herausforderung gefallen. Hinter einer Scheune geht dann der Zweikampf vor sich, die Klingen klirren, aber die Stöße gehn neben aus. Derones bleibt mit der Spitze seines Degens an der Bandschleife seines Gegners hängen, erklärt vollkommen Genugtuung zu haben, umarmt Wolf¬ gang und geht mit ihm in ein Kaffeehaus, um bei einem Glase Mandelmilch den alten Freundschaftsbund desto fester zu schließen. Den Zweikampf des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/148>, abgerufen am 27.09.2024.