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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

enthält. Drei davon sind uns zugegangen: Herder, Fichte und Friedrich Schlegel.
Herderu hat Friedrich von der Leyen bearbeitet. Wir führen aus dem "Denkmal
Johann Winkelmanns" zwei Gedanken an, die in den letzten Jahren unzähligemal
variiert worden sind, weil die Leser wahrscheinlich ebensowenig wie der Referent
bisher gewußt haben, daß sie schon Herder ausgesprochen hat; und vielleicht ist
auch dieser nicht der erste gewesen. "Der arme Winkelmann muß als Korrektor
in Seehausen und als Exzerptor zur Bünauischen Reichsgeschichte sich Stunden er¬
arbeiten und erflehten, damit er andern einst Augen gebe, Schätze zu genießen, die
er selbst nicht besaß, und für welche jene nur die Aufkäufer und Geldverschwender
werden konnten. Aber so ists in Deutschland lange gewesen und wird vielleicht
"och lange, weder zum Ruhm noch zum Vorteil der Nation, so bleiben. Denn
woher kommts, daß das Sprichwort: Sie vos non voois! von jeher der Deutschen
Schicksal gewesen? woher kommts, daß sie immer die besten Erfindungen gemacht
und nicht genutzt haben und am Ende nur immer die Stiege, der Fußtritt gewesen
sind, auf die eine andre Nation mit leichter Mühe steigt, um sich darauf mit
schwerem Anstande zu brüsten?" Der zweite Ausspruch bezieht sich auf den Streit
zwischen Künstlern und Kritikern oder Kunstschriftstellern, der ja erst jüngst wieder
einmal getobt hat. Gewisse Künstler, die Winkelmann angreifen, "sagen nichts mehr,
als der Koch soll nur für Köche kochen, der Dichter nur für Dichter dichten, der
Straßenfeger nur für Straßenfeger fegen; sonst, wehe dem Gaumen, der eine Speise
schmeckt, sie lobt oder tadelt und nicht selbst Koch ist! usw." -- Fichte, nicht der
MetaPhysiker, sondern der Ethiker und Patriot Fichte, ist eine der besten Mediziner
für Magen, die moderne Kost verdorben hat. Max Rieß hat seine Sammlung
von Kraftstellen und Dokumenten "Ein Evangelium der Freiheit" betitelt. Wir
empfehlen der Beherzigung die "bittern Erfahrungen eines idealistischen Professors
mit den Studenten" (S. 30). Rieß hätte noch den Ausspruch Fichtes über die
akademische Freiheit aufnehmen sollen, den dieser Tage die Kölnische Volkszeitung
(aus den vor gerade hundert Jahren gehaltnen Vorlesungen über das Wesen des
Gelehrten) abgedruckt hat. Dem guten Fichte würden wohl auch heute die Fenster
eingeworfen werden. -- Der geniale Liederjan Schlegel hat es nach seinem
Bearbeiter von der Leyen oft nur zu Aphorismen oder, wie man damals sagte,
Fragmenten gebracht, weil er zur Ausführung zu faul war. Der von ihm grund-
verschiedne Nietzsche ist aus ganz andern Ursachen Aphoristiker geworden, aber bei
aller Verschiedenheit beschränkt sich die Ähnlichkeit beider doch nicht auf die Vor¬
liebe für die aphoristische Form. Eine nicht ganz angenehme Überraschung wird
den Anbetern Nietzsches folgende Stelle aus Lehens Einführung bereiten. "Wir
wissen, daß Erwin Rohde und Nietzsche, aus Zufall gleichzeitig, sich in romantische
Werke vertieften. . . . Friedrich Schlegel hat zuerst die Worte "apollinisch" und
"dionysisch" geprägt und vielleicht auch das ungeheure Problem, das sich in ihnen
verbirgt, geahnt; Friedrich Schlegel schon sagte gelegentlich, daß die Griechen sich
ihres übergroßen Reichtums an Genialität nicht hätten erwehren können; derselbe
Friedrich Schlegel betonte bereits, man dürfe die griechische Philosophie nicht mit
Thales wie aus dem Nichts entstehn lassen, sondern müsse die Anfänge der Philo¬
sophie in der Religion und in den religiösen Kulten wie in denen der Orphiker
suchen. Friedrich Schlegel hat von der "fröhlichen Wissenschaft" gesprochen und
seine Zeit als Zeit der "Morgenröte" gepriesen; Nietzsche nannte seinen Zarathustra
ein Buch für alle und keinen, und Friedrich Schlegel sagte, ein rechter Autor müsse
für niemanden schreiben. Der Zarathustra kündete den Übermenschen, und Schlegel
schrieb, es sei der Menschheit eigen, daß sie sich über die Menschheit erheben müsse."
Von Schlegels kleinen, epigrammatischen Aphorismen wollen wir zwei Proben vor¬
legen. "Das erste in der Liebe ist der Sinn füreinander, und das Höchste der
Glaube aneinander." "Jeder Begriff von Gott ist leeres Geschwätz. Aber die
Idee der Gottheit ist die Idee aller Ideen."




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Karl Marquart in Leipzig
Maßgebliches und Unmaßgebliches

enthält. Drei davon sind uns zugegangen: Herder, Fichte und Friedrich Schlegel.
Herderu hat Friedrich von der Leyen bearbeitet. Wir führen aus dem „Denkmal
Johann Winkelmanns" zwei Gedanken an, die in den letzten Jahren unzähligemal
variiert worden sind, weil die Leser wahrscheinlich ebensowenig wie der Referent
bisher gewußt haben, daß sie schon Herder ausgesprochen hat; und vielleicht ist
auch dieser nicht der erste gewesen. „Der arme Winkelmann muß als Korrektor
in Seehausen und als Exzerptor zur Bünauischen Reichsgeschichte sich Stunden er¬
arbeiten und erflehten, damit er andern einst Augen gebe, Schätze zu genießen, die
er selbst nicht besaß, und für welche jene nur die Aufkäufer und Geldverschwender
werden konnten. Aber so ists in Deutschland lange gewesen und wird vielleicht
«och lange, weder zum Ruhm noch zum Vorteil der Nation, so bleiben. Denn
woher kommts, daß das Sprichwort: Sie vos non voois! von jeher der Deutschen
Schicksal gewesen? woher kommts, daß sie immer die besten Erfindungen gemacht
und nicht genutzt haben und am Ende nur immer die Stiege, der Fußtritt gewesen
sind, auf die eine andre Nation mit leichter Mühe steigt, um sich darauf mit
schwerem Anstande zu brüsten?" Der zweite Ausspruch bezieht sich auf den Streit
zwischen Künstlern und Kritikern oder Kunstschriftstellern, der ja erst jüngst wieder
einmal getobt hat. Gewisse Künstler, die Winkelmann angreifen, „sagen nichts mehr,
als der Koch soll nur für Köche kochen, der Dichter nur für Dichter dichten, der
Straßenfeger nur für Straßenfeger fegen; sonst, wehe dem Gaumen, der eine Speise
schmeckt, sie lobt oder tadelt und nicht selbst Koch ist! usw." — Fichte, nicht der
MetaPhysiker, sondern der Ethiker und Patriot Fichte, ist eine der besten Mediziner
für Magen, die moderne Kost verdorben hat. Max Rieß hat seine Sammlung
von Kraftstellen und Dokumenten „Ein Evangelium der Freiheit" betitelt. Wir
empfehlen der Beherzigung die „bittern Erfahrungen eines idealistischen Professors
mit den Studenten" (S. 30). Rieß hätte noch den Ausspruch Fichtes über die
akademische Freiheit aufnehmen sollen, den dieser Tage die Kölnische Volkszeitung
(aus den vor gerade hundert Jahren gehaltnen Vorlesungen über das Wesen des
Gelehrten) abgedruckt hat. Dem guten Fichte würden wohl auch heute die Fenster
eingeworfen werden. — Der geniale Liederjan Schlegel hat es nach seinem
Bearbeiter von der Leyen oft nur zu Aphorismen oder, wie man damals sagte,
Fragmenten gebracht, weil er zur Ausführung zu faul war. Der von ihm grund-
verschiedne Nietzsche ist aus ganz andern Ursachen Aphoristiker geworden, aber bei
aller Verschiedenheit beschränkt sich die Ähnlichkeit beider doch nicht auf die Vor¬
liebe für die aphoristische Form. Eine nicht ganz angenehme Überraschung wird
den Anbetern Nietzsches folgende Stelle aus Lehens Einführung bereiten. „Wir
wissen, daß Erwin Rohde und Nietzsche, aus Zufall gleichzeitig, sich in romantische
Werke vertieften. . . . Friedrich Schlegel hat zuerst die Worte »apollinisch« und
»dionysisch« geprägt und vielleicht auch das ungeheure Problem, das sich in ihnen
verbirgt, geahnt; Friedrich Schlegel schon sagte gelegentlich, daß die Griechen sich
ihres übergroßen Reichtums an Genialität nicht hätten erwehren können; derselbe
Friedrich Schlegel betonte bereits, man dürfe die griechische Philosophie nicht mit
Thales wie aus dem Nichts entstehn lassen, sondern müsse die Anfänge der Philo¬
sophie in der Religion und in den religiösen Kulten wie in denen der Orphiker
suchen. Friedrich Schlegel hat von der »fröhlichen Wissenschaft« gesprochen und
seine Zeit als Zeit der »Morgenröte« gepriesen; Nietzsche nannte seinen Zarathustra
ein Buch für alle und keinen, und Friedrich Schlegel sagte, ein rechter Autor müsse
für niemanden schreiben. Der Zarathustra kündete den Übermenschen, und Schlegel
schrieb, es sei der Menschheit eigen, daß sie sich über die Menschheit erheben müsse."
Von Schlegels kleinen, epigrammatischen Aphorismen wollen wir zwei Proben vor¬
legen. „Das erste in der Liebe ist der Sinn füreinander, und das Höchste der
Glaube aneinander." „Jeder Begriff von Gott ist leeres Geschwätz. Aber die
Idee der Gottheit ist die Idee aller Ideen."




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig
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[0120] Maßgebliches und Unmaßgebliches enthält. Drei davon sind uns zugegangen: Herder, Fichte und Friedrich Schlegel. Herderu hat Friedrich von der Leyen bearbeitet. Wir führen aus dem „Denkmal Johann Winkelmanns" zwei Gedanken an, die in den letzten Jahren unzähligemal variiert worden sind, weil die Leser wahrscheinlich ebensowenig wie der Referent bisher gewußt haben, daß sie schon Herder ausgesprochen hat; und vielleicht ist auch dieser nicht der erste gewesen. „Der arme Winkelmann muß als Korrektor in Seehausen und als Exzerptor zur Bünauischen Reichsgeschichte sich Stunden er¬ arbeiten und erflehten, damit er andern einst Augen gebe, Schätze zu genießen, die er selbst nicht besaß, und für welche jene nur die Aufkäufer und Geldverschwender werden konnten. Aber so ists in Deutschland lange gewesen und wird vielleicht «och lange, weder zum Ruhm noch zum Vorteil der Nation, so bleiben. Denn woher kommts, daß das Sprichwort: Sie vos non voois! von jeher der Deutschen Schicksal gewesen? woher kommts, daß sie immer die besten Erfindungen gemacht und nicht genutzt haben und am Ende nur immer die Stiege, der Fußtritt gewesen sind, auf die eine andre Nation mit leichter Mühe steigt, um sich darauf mit schwerem Anstande zu brüsten?" Der zweite Ausspruch bezieht sich auf den Streit zwischen Künstlern und Kritikern oder Kunstschriftstellern, der ja erst jüngst wieder einmal getobt hat. Gewisse Künstler, die Winkelmann angreifen, „sagen nichts mehr, als der Koch soll nur für Köche kochen, der Dichter nur für Dichter dichten, der Straßenfeger nur für Straßenfeger fegen; sonst, wehe dem Gaumen, der eine Speise schmeckt, sie lobt oder tadelt und nicht selbst Koch ist! usw." — Fichte, nicht der MetaPhysiker, sondern der Ethiker und Patriot Fichte, ist eine der besten Mediziner für Magen, die moderne Kost verdorben hat. Max Rieß hat seine Sammlung von Kraftstellen und Dokumenten „Ein Evangelium der Freiheit" betitelt. Wir empfehlen der Beherzigung die „bittern Erfahrungen eines idealistischen Professors mit den Studenten" (S. 30). Rieß hätte noch den Ausspruch Fichtes über die akademische Freiheit aufnehmen sollen, den dieser Tage die Kölnische Volkszeitung (aus den vor gerade hundert Jahren gehaltnen Vorlesungen über das Wesen des Gelehrten) abgedruckt hat. Dem guten Fichte würden wohl auch heute die Fenster eingeworfen werden. — Der geniale Liederjan Schlegel hat es nach seinem Bearbeiter von der Leyen oft nur zu Aphorismen oder, wie man damals sagte, Fragmenten gebracht, weil er zur Ausführung zu faul war. Der von ihm grund- verschiedne Nietzsche ist aus ganz andern Ursachen Aphoristiker geworden, aber bei aller Verschiedenheit beschränkt sich die Ähnlichkeit beider doch nicht auf die Vor¬ liebe für die aphoristische Form. Eine nicht ganz angenehme Überraschung wird den Anbetern Nietzsches folgende Stelle aus Lehens Einführung bereiten. „Wir wissen, daß Erwin Rohde und Nietzsche, aus Zufall gleichzeitig, sich in romantische Werke vertieften. . . . Friedrich Schlegel hat zuerst die Worte »apollinisch« und »dionysisch« geprägt und vielleicht auch das ungeheure Problem, das sich in ihnen verbirgt, geahnt; Friedrich Schlegel schon sagte gelegentlich, daß die Griechen sich ihres übergroßen Reichtums an Genialität nicht hätten erwehren können; derselbe Friedrich Schlegel betonte bereits, man dürfe die griechische Philosophie nicht mit Thales wie aus dem Nichts entstehn lassen, sondern müsse die Anfänge der Philo¬ sophie in der Religion und in den religiösen Kulten wie in denen der Orphiker suchen. Friedrich Schlegel hat von der »fröhlichen Wissenschaft« gesprochen und seine Zeit als Zeit der »Morgenröte« gepriesen; Nietzsche nannte seinen Zarathustra ein Buch für alle und keinen, und Friedrich Schlegel sagte, ein rechter Autor müsse für niemanden schreiben. Der Zarathustra kündete den Übermenschen, und Schlegel schrieb, es sei der Menschheit eigen, daß sie sich über die Menschheit erheben müsse." Von Schlegels kleinen, epigrammatischen Aphorismen wollen wir zwei Proben vor¬ legen. „Das erste in der Liebe ist der Sinn füreinander, und das Höchste der Glaube aneinander." „Jeder Begriff von Gott ist leeres Geschwätz. Aber die Idee der Gottheit ist die Idee aller Ideen." Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/120>, abgerufen am 27.09.2024.