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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Unter Runden, Komödianten und wilden Tieren

Wache. Der Klempner beging die Torheit, uns dahin zu folgen, obwohl er Ge¬
legenheit gehabt hätte, zu verduften. Wir wurden beide auf der Wache verhört,
und weil man uns nachweisen konnte, daß wir am Tage vorher in dem Orte ge-
talft hatten, zu drei Tagen Knechen verdonnert. Das Gefängnislokal war sehr
"mich" (schlecht) und kalt und erweckte bei mir sehnsüchtige Erinnerungen an das
erste Verschüttgehn in Mecklenburg. Wir erhielten dreimal des Tags ein Essen,
das nur aus einer Blechschüssel mit dünnem Kaffee und einem Stück trocknen Brotes
bestand. Um uns die Zeit zu verkürzen, verfertigten wir uns aus einem Stück
Papier, das wir zufällig bei uns hatten, kleine Spielkarten, die in Ermanglung
von Bildern eine kurze Bleistiftaufschrift, wie z. B. Schellenas, grüne Neun, Herz¬
dame, trugen. Mit diesen Karten, die freilich keinen Stempel trugen, spielten wir
von früh bis spät Sechsundsechzig. Am vierten Tage, als wir entlassen und zugleich
auf die Dauer von zwei Jahren des Landes verwiesen wurden, stand schon ein
Fischerkahn bereit, der uns über die Weser bringen mußte, was mit der größten
Eile bewerkstelligt wurde, weil gerade die Ebbe eintrat. Nach der Entlassung freute
ich mich am meisten darauf, wieder meine Pfeife rauchen zu können, die ich in Er¬
manglung von andern: Tabak mit sogenanntem schwarzem Krusel stopfte, der im
allgemeinen nur als Kautabak verwandt wird, und von dem ich einen gehörigen
Vorrat in Hamburg und in Bremerhaven getalft hatte. Bei dem traurigen Zu¬
stande, worin sich mein Magen nach der dreitägigen Fastenzeit befand, bekam mir
der außerordentlich schwere Tabak schlecht, ich vermochte mich kaum aufrecht zu er¬
halten und wäre bei meiner Bemühung, das auf den Sand geratne Fischerboot
wieder flott zu machen, beinahe über Bord gestürzt. Als wir drüben glücklich an¬
gelangt waren, gingen wir über eine große Wiese, ich voran, der Klempner hinter
mir her. Plötzlich fiel mir auf, daß ich keine Schritte mehr hörte, ich drehte mich
um, konnte aber im ganzen Umkreis nichts entdecken, was einem Klempner ähnlich
gesehen hatte. Auf mein Rufen erhielt ich Antwort, aber es war mir zunächst un¬
möglich, zu ermitteln, woher die Stimme des Vermißten kam. Endlich fand ich ein
vier Meter tiefes Loch, das durch den Strudel eines Hochwassers ausgewühlt
worden sein mochte, und worin mein Begleiter verschwunden war. Ich trat be¬
hutsam bis zum Rande vor, reichte ihm meinen Sterz und zog ihn unter großen
Anstrengungen wieder an die Oberfläche. Als wir nach diesem Abenteuer wieder
in Vegesack ans der Herberge anlangten, machte sich der Penneboos über uns lustig
und meinte, er habe es ja gleich gesagt, daß wir es nicht lange in Oldenburg aus¬
halten würden.

Von Vegesack wanderte ich nach Werden an der Aller. Dort waren zu da¬
maliger Zeit zwei Herbergen, die miteinander in offner Fehde lagen. Die eine er¬
freute sich großen Zuspruchs, während die andre gewöhnlich leer war. Infolge¬
dessen veröffentlichte der Penneboos der schlecht besuchten Herberge in der Zeitung
einen Artikel, worin er seinen Konkurrenten herabzusetzen gedachte; dieser blieb ihm
die Antwort nicht schuldig, und auch die in seiner Penne anwesenden Kunden ver¬
faßten und unterzeichneten einen Artikel, worin sie für den von ihnen begünstigten
Penneboos Partei ergriffen. Ich war natürlich auf der beliebten der beiden
Pennen eingekehrt und fand es dort recht gemütlich. Die Wand war mit Empfehlungs¬
karten von Herbergen aller Länder bedeckt. Einer der anwesenden Kunden ent¬
puppte sich als Virtuos im Harmonikaspielen. Werden ist ein hübsches Städtchen,
dessen Einwohner bei den Kunden für "dufte" (gut) gelten und gut stecken. Dort
gibt es besonders viel "Piependreher" (Zigarrenmacher), bei denen man gewöhnlich
eine Zigarre erhält, die sich, wenn man sie nicht selber rauchen will, bei den Reise¬
kollegen leicht zu Gelde machen läßt. Auch herrscht dort der Brauch, daß die an¬
sässigen Zigarrenmacher die Kunden, die bei ihnen als Berufsgenossen vorsprechen,
auffordern, sich selbst ein paar Zigarren zu machen. Sie sehen bei dieser Gelegen¬
heit, ob der Besucher wirklich ein Berufsgenosse ist. Die so hergestellten Zigarren
werden in der Regel beim Penneboos verkauft.


Unter Runden, Komödianten und wilden Tieren

Wache. Der Klempner beging die Torheit, uns dahin zu folgen, obwohl er Ge¬
legenheit gehabt hätte, zu verduften. Wir wurden beide auf der Wache verhört,
und weil man uns nachweisen konnte, daß wir am Tage vorher in dem Orte ge-
talft hatten, zu drei Tagen Knechen verdonnert. Das Gefängnislokal war sehr
„mich" (schlecht) und kalt und erweckte bei mir sehnsüchtige Erinnerungen an das
erste Verschüttgehn in Mecklenburg. Wir erhielten dreimal des Tags ein Essen,
das nur aus einer Blechschüssel mit dünnem Kaffee und einem Stück trocknen Brotes
bestand. Um uns die Zeit zu verkürzen, verfertigten wir uns aus einem Stück
Papier, das wir zufällig bei uns hatten, kleine Spielkarten, die in Ermanglung
von Bildern eine kurze Bleistiftaufschrift, wie z. B. Schellenas, grüne Neun, Herz¬
dame, trugen. Mit diesen Karten, die freilich keinen Stempel trugen, spielten wir
von früh bis spät Sechsundsechzig. Am vierten Tage, als wir entlassen und zugleich
auf die Dauer von zwei Jahren des Landes verwiesen wurden, stand schon ein
Fischerkahn bereit, der uns über die Weser bringen mußte, was mit der größten
Eile bewerkstelligt wurde, weil gerade die Ebbe eintrat. Nach der Entlassung freute
ich mich am meisten darauf, wieder meine Pfeife rauchen zu können, die ich in Er¬
manglung von andern: Tabak mit sogenanntem schwarzem Krusel stopfte, der im
allgemeinen nur als Kautabak verwandt wird, und von dem ich einen gehörigen
Vorrat in Hamburg und in Bremerhaven getalft hatte. Bei dem traurigen Zu¬
stande, worin sich mein Magen nach der dreitägigen Fastenzeit befand, bekam mir
der außerordentlich schwere Tabak schlecht, ich vermochte mich kaum aufrecht zu er¬
halten und wäre bei meiner Bemühung, das auf den Sand geratne Fischerboot
wieder flott zu machen, beinahe über Bord gestürzt. Als wir drüben glücklich an¬
gelangt waren, gingen wir über eine große Wiese, ich voran, der Klempner hinter
mir her. Plötzlich fiel mir auf, daß ich keine Schritte mehr hörte, ich drehte mich
um, konnte aber im ganzen Umkreis nichts entdecken, was einem Klempner ähnlich
gesehen hatte. Auf mein Rufen erhielt ich Antwort, aber es war mir zunächst un¬
möglich, zu ermitteln, woher die Stimme des Vermißten kam. Endlich fand ich ein
vier Meter tiefes Loch, das durch den Strudel eines Hochwassers ausgewühlt
worden sein mochte, und worin mein Begleiter verschwunden war. Ich trat be¬
hutsam bis zum Rande vor, reichte ihm meinen Sterz und zog ihn unter großen
Anstrengungen wieder an die Oberfläche. Als wir nach diesem Abenteuer wieder
in Vegesack ans der Herberge anlangten, machte sich der Penneboos über uns lustig
und meinte, er habe es ja gleich gesagt, daß wir es nicht lange in Oldenburg aus¬
halten würden.

Von Vegesack wanderte ich nach Werden an der Aller. Dort waren zu da¬
maliger Zeit zwei Herbergen, die miteinander in offner Fehde lagen. Die eine er¬
freute sich großen Zuspruchs, während die andre gewöhnlich leer war. Infolge¬
dessen veröffentlichte der Penneboos der schlecht besuchten Herberge in der Zeitung
einen Artikel, worin er seinen Konkurrenten herabzusetzen gedachte; dieser blieb ihm
die Antwort nicht schuldig, und auch die in seiner Penne anwesenden Kunden ver¬
faßten und unterzeichneten einen Artikel, worin sie für den von ihnen begünstigten
Penneboos Partei ergriffen. Ich war natürlich auf der beliebten der beiden
Pennen eingekehrt und fand es dort recht gemütlich. Die Wand war mit Empfehlungs¬
karten von Herbergen aller Länder bedeckt. Einer der anwesenden Kunden ent¬
puppte sich als Virtuos im Harmonikaspielen. Werden ist ein hübsches Städtchen,
dessen Einwohner bei den Kunden für „dufte" (gut) gelten und gut stecken. Dort
gibt es besonders viel „Piependreher" (Zigarrenmacher), bei denen man gewöhnlich
eine Zigarre erhält, die sich, wenn man sie nicht selber rauchen will, bei den Reise¬
kollegen leicht zu Gelde machen läßt. Auch herrscht dort der Brauch, daß die an¬
sässigen Zigarrenmacher die Kunden, die bei ihnen als Berufsgenossen vorsprechen,
auffordern, sich selbst ein paar Zigarren zu machen. Sie sehen bei dieser Gelegen¬
heit, ob der Besucher wirklich ein Berufsgenosse ist. Die so hergestellten Zigarren
werden in der Regel beim Penneboos verkauft.


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[0101] Unter Runden, Komödianten und wilden Tieren Wache. Der Klempner beging die Torheit, uns dahin zu folgen, obwohl er Ge¬ legenheit gehabt hätte, zu verduften. Wir wurden beide auf der Wache verhört, und weil man uns nachweisen konnte, daß wir am Tage vorher in dem Orte ge- talft hatten, zu drei Tagen Knechen verdonnert. Das Gefängnislokal war sehr „mich" (schlecht) und kalt und erweckte bei mir sehnsüchtige Erinnerungen an das erste Verschüttgehn in Mecklenburg. Wir erhielten dreimal des Tags ein Essen, das nur aus einer Blechschüssel mit dünnem Kaffee und einem Stück trocknen Brotes bestand. Um uns die Zeit zu verkürzen, verfertigten wir uns aus einem Stück Papier, das wir zufällig bei uns hatten, kleine Spielkarten, die in Ermanglung von Bildern eine kurze Bleistiftaufschrift, wie z. B. Schellenas, grüne Neun, Herz¬ dame, trugen. Mit diesen Karten, die freilich keinen Stempel trugen, spielten wir von früh bis spät Sechsundsechzig. Am vierten Tage, als wir entlassen und zugleich auf die Dauer von zwei Jahren des Landes verwiesen wurden, stand schon ein Fischerkahn bereit, der uns über die Weser bringen mußte, was mit der größten Eile bewerkstelligt wurde, weil gerade die Ebbe eintrat. Nach der Entlassung freute ich mich am meisten darauf, wieder meine Pfeife rauchen zu können, die ich in Er¬ manglung von andern: Tabak mit sogenanntem schwarzem Krusel stopfte, der im allgemeinen nur als Kautabak verwandt wird, und von dem ich einen gehörigen Vorrat in Hamburg und in Bremerhaven getalft hatte. Bei dem traurigen Zu¬ stande, worin sich mein Magen nach der dreitägigen Fastenzeit befand, bekam mir der außerordentlich schwere Tabak schlecht, ich vermochte mich kaum aufrecht zu er¬ halten und wäre bei meiner Bemühung, das auf den Sand geratne Fischerboot wieder flott zu machen, beinahe über Bord gestürzt. Als wir drüben glücklich an¬ gelangt waren, gingen wir über eine große Wiese, ich voran, der Klempner hinter mir her. Plötzlich fiel mir auf, daß ich keine Schritte mehr hörte, ich drehte mich um, konnte aber im ganzen Umkreis nichts entdecken, was einem Klempner ähnlich gesehen hatte. Auf mein Rufen erhielt ich Antwort, aber es war mir zunächst un¬ möglich, zu ermitteln, woher die Stimme des Vermißten kam. Endlich fand ich ein vier Meter tiefes Loch, das durch den Strudel eines Hochwassers ausgewühlt worden sein mochte, und worin mein Begleiter verschwunden war. Ich trat be¬ hutsam bis zum Rande vor, reichte ihm meinen Sterz und zog ihn unter großen Anstrengungen wieder an die Oberfläche. Als wir nach diesem Abenteuer wieder in Vegesack ans der Herberge anlangten, machte sich der Penneboos über uns lustig und meinte, er habe es ja gleich gesagt, daß wir es nicht lange in Oldenburg aus¬ halten würden. Von Vegesack wanderte ich nach Werden an der Aller. Dort waren zu da¬ maliger Zeit zwei Herbergen, die miteinander in offner Fehde lagen. Die eine er¬ freute sich großen Zuspruchs, während die andre gewöhnlich leer war. Infolge¬ dessen veröffentlichte der Penneboos der schlecht besuchten Herberge in der Zeitung einen Artikel, worin er seinen Konkurrenten herabzusetzen gedachte; dieser blieb ihm die Antwort nicht schuldig, und auch die in seiner Penne anwesenden Kunden ver¬ faßten und unterzeichneten einen Artikel, worin sie für den von ihnen begünstigten Penneboos Partei ergriffen. Ich war natürlich auf der beliebten der beiden Pennen eingekehrt und fand es dort recht gemütlich. Die Wand war mit Empfehlungs¬ karten von Herbergen aller Länder bedeckt. Einer der anwesenden Kunden ent¬ puppte sich als Virtuos im Harmonikaspielen. Werden ist ein hübsches Städtchen, dessen Einwohner bei den Kunden für „dufte" (gut) gelten und gut stecken. Dort gibt es besonders viel „Piependreher" (Zigarrenmacher), bei denen man gewöhnlich eine Zigarre erhält, die sich, wenn man sie nicht selber rauchen will, bei den Reise¬ kollegen leicht zu Gelde machen läßt. Auch herrscht dort der Brauch, daß die an¬ sässigen Zigarrenmacher die Kunden, die bei ihnen als Berufsgenossen vorsprechen, auffordern, sich selbst ein paar Zigarren zu machen. Sie sehen bei dieser Gelegen¬ heit, ob der Besucher wirklich ein Berufsgenosse ist. Die so hergestellten Zigarren werden in der Regel beim Penneboos verkauft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/101>, abgerufen am 20.10.2024.