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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel.

Just in den Tagen der Hochzeitsfeier des Kronprinzen in
Berlin ging ein freudiges Rauschen durch den deutschen Blätterwald: Herrn Deleasft
hatten seine französischen Ministerkollegen den Hals gebrochen. Bald wurde be¬
kannt, daß Herr Rouvier Gelegenheit genommen hatte, sich über die zwischen Deutsch¬
land und Frankreich durch die marokkanische Angelegenheit entstandne Differenz
persönlich zu informieren, und daß er, nachdem er den Stand der Dinge erfahren,
nicht gezögert hatte, den Rücktritt Delcafsts herbeizuführen, und zu erklären, daß
Frankreich nichts ferner liege, als um Marokkos willen in einen Konflikt mit
Deutschland zu geraten. Der nach Berlin entsandte französische General La Croix
wurde von Kaiser Wilhelm mit großer Auszeichnung behandelt, kurzum, schwerlich
hätte man in der auf die Hochzeitsfeier folgenden Woche für möglich gehalten, daß
sich das Bild binnen acht Tagen wieder vollständig verwandeln könne. Man las
von so häufigen Unterredungen zwischen dem deutschen Botschafter und dem franzö¬
sischen Ministerpräsidenten, daß die Annahme, die marokkanische Angelegenheit sei
auf dem besten Wege freundlicher und versöhnlicher Erledigung, durchaus gerecht¬
fertigt schien. Allerdings wird in der öffentlichen Meinung Deutschlands, die sonst
einig ist, daß Marokko keinen Kricgsgrund abgeben könne, noch zu wenig mit
den Verhältnisse" gerechnet, die Herrn Rouvier umgeben. Als alter Finanz- und
Börsenmann ist Herr Rouvier der Sentimentalität in Geschäften wenig zugänglich,
aber ebensowenig will er mit einer unnützen und erfolglosen Störung des Geschäfts,
auch des politischen, zu tun haben. Daher die kurz cmgebundne und energische
Beseitigung seines "auswärtigen" Kollegen. Aber Delcasse hat Freunde, auch in
der Kammer, ganz abgesehen davon, daß er der Mann König Eduards und der
willigste Agent war, den England seit langer Zeit in Paris gehabt hat. Um so
mehr muß Rouvier darauf sehen, daß er mit einem Erfolge, nicht mit einem Zurück¬
weichen Frankreichs, vor die Kammer treten kann.

Der englische Einfluß in der französischen Politik spielt dabei eine große
Rolle. Der britische Botschafter in Paris macht, ebenso wie seine Kollegen in andern
Hauptstädten, aus seiner Animosität gegen Deutschland kein Hehl und bestärkt die
französische Negierung in ihrer begreiflichen Abneigung, die ans Grund des englisch¬
französischen Abkommens gemachten Reformvorschläge, und damit indirekt dieses
Abkommen selbst, vor das Forum einer internationalen Konferenz zu ziehn. Eng¬
land hat in seinem Traktat mit Frankreich, den Herr Rouvier uns -- zum ersten¬
mal -- amtlich mitgeteilt zu haben scheint, großmütig etwas verschenkt, was ihm
nicht gehörte, und Herr Delcasse wollte nun durch seine "Reformvorschläge" dem
Sultan das Netz über den Kopf werfen und ihn "tunisifizieren," d. h. Frankreich
gegenüber in die Rolle des Beys von Tunis bringen. Von französischer Seite möchte
man geltend machen, daß die Position in Marokko doch wesentlich anders gedacht
sei als die in Tunis, die ja zudem ausdrücklich die Zustimmung Deutschlands er¬
halten habe. Diese Zustimmung hat Bismarck seinerzeit dem Grafen Saint-Vallier
erteilt in der Hoffnung, die Stellung des Kabinetts Freycinet, das sich für Deutsch¬
land friedlich und freundlich erwies, zu stärken; auch mochte es ihm nützlich er¬
scheinen, den Beschäftignngs- und den Betätigungsdrang des reorganisierten fran¬
zösischen Heeres nach Afrika und nach Asien zu verlegen. Außerdem hatte Deutschland
in Tunis keinerlei Interessen, die gegenüber der Gewinnung eines freundnachbar¬
lichen Verhältnisses zu Frankreich irgend in die Wage fallen konnten, noch weniger
vertragsmäßige Rechte, für deren Erhaltung es eintreten mußte. Deutschlands Zu¬
stimmung zu der Expedition nach Tunis läßt sich somit auf die geplante Mök-r-Mon
xs-eikous in Marokko weder anwenden noch übertragen. Für den Zug nach Tunis
wurde Deutschlands Zustimmung im voraus eingeholt, sodaß Bismarck einst dem
Verfasser dieser Zeilen auf einem von hohen Tannen umsäumten Wege im Park
von Friedrichsruh sagen konnte: "Auf diesem Wege habe ich den Franzosen die Er¬
laubnis zur Expedition nach Tunis gegeben" (Graf Saint-Vallier war zu diesem


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel.

Just in den Tagen der Hochzeitsfeier des Kronprinzen in
Berlin ging ein freudiges Rauschen durch den deutschen Blätterwald: Herrn Deleasft
hatten seine französischen Ministerkollegen den Hals gebrochen. Bald wurde be¬
kannt, daß Herr Rouvier Gelegenheit genommen hatte, sich über die zwischen Deutsch¬
land und Frankreich durch die marokkanische Angelegenheit entstandne Differenz
persönlich zu informieren, und daß er, nachdem er den Stand der Dinge erfahren,
nicht gezögert hatte, den Rücktritt Delcafsts herbeizuführen, und zu erklären, daß
Frankreich nichts ferner liege, als um Marokkos willen in einen Konflikt mit
Deutschland zu geraten. Der nach Berlin entsandte französische General La Croix
wurde von Kaiser Wilhelm mit großer Auszeichnung behandelt, kurzum, schwerlich
hätte man in der auf die Hochzeitsfeier folgenden Woche für möglich gehalten, daß
sich das Bild binnen acht Tagen wieder vollständig verwandeln könne. Man las
von so häufigen Unterredungen zwischen dem deutschen Botschafter und dem franzö¬
sischen Ministerpräsidenten, daß die Annahme, die marokkanische Angelegenheit sei
auf dem besten Wege freundlicher und versöhnlicher Erledigung, durchaus gerecht¬
fertigt schien. Allerdings wird in der öffentlichen Meinung Deutschlands, die sonst
einig ist, daß Marokko keinen Kricgsgrund abgeben könne, noch zu wenig mit
den Verhältnisse» gerechnet, die Herrn Rouvier umgeben. Als alter Finanz- und
Börsenmann ist Herr Rouvier der Sentimentalität in Geschäften wenig zugänglich,
aber ebensowenig will er mit einer unnützen und erfolglosen Störung des Geschäfts,
auch des politischen, zu tun haben. Daher die kurz cmgebundne und energische
Beseitigung seines „auswärtigen" Kollegen. Aber Delcasse hat Freunde, auch in
der Kammer, ganz abgesehen davon, daß er der Mann König Eduards und der
willigste Agent war, den England seit langer Zeit in Paris gehabt hat. Um so
mehr muß Rouvier darauf sehen, daß er mit einem Erfolge, nicht mit einem Zurück¬
weichen Frankreichs, vor die Kammer treten kann.

Der englische Einfluß in der französischen Politik spielt dabei eine große
Rolle. Der britische Botschafter in Paris macht, ebenso wie seine Kollegen in andern
Hauptstädten, aus seiner Animosität gegen Deutschland kein Hehl und bestärkt die
französische Negierung in ihrer begreiflichen Abneigung, die ans Grund des englisch¬
französischen Abkommens gemachten Reformvorschläge, und damit indirekt dieses
Abkommen selbst, vor das Forum einer internationalen Konferenz zu ziehn. Eng¬
land hat in seinem Traktat mit Frankreich, den Herr Rouvier uns — zum ersten¬
mal — amtlich mitgeteilt zu haben scheint, großmütig etwas verschenkt, was ihm
nicht gehörte, und Herr Delcasse wollte nun durch seine „Reformvorschläge" dem
Sultan das Netz über den Kopf werfen und ihn „tunisifizieren," d. h. Frankreich
gegenüber in die Rolle des Beys von Tunis bringen. Von französischer Seite möchte
man geltend machen, daß die Position in Marokko doch wesentlich anders gedacht
sei als die in Tunis, die ja zudem ausdrücklich die Zustimmung Deutschlands er¬
halten habe. Diese Zustimmung hat Bismarck seinerzeit dem Grafen Saint-Vallier
erteilt in der Hoffnung, die Stellung des Kabinetts Freycinet, das sich für Deutsch¬
land friedlich und freundlich erwies, zu stärken; auch mochte es ihm nützlich er¬
scheinen, den Beschäftignngs- und den Betätigungsdrang des reorganisierten fran¬
zösischen Heeres nach Afrika und nach Asien zu verlegen. Außerdem hatte Deutschland
in Tunis keinerlei Interessen, die gegenüber der Gewinnung eines freundnachbar¬
lichen Verhältnisses zu Frankreich irgend in die Wage fallen konnten, noch weniger
vertragsmäßige Rechte, für deren Erhaltung es eintreten mußte. Deutschlands Zu¬
stimmung zu der Expedition nach Tunis läßt sich somit auf die geplante Mök-r-Mon
xs-eikous in Marokko weder anwenden noch übertragen. Für den Zug nach Tunis
wurde Deutschlands Zustimmung im voraus eingeholt, sodaß Bismarck einst dem
Verfasser dieser Zeilen auf einem von hohen Tannen umsäumten Wege im Park
von Friedrichsruh sagen konnte: „Auf diesem Wege habe ich den Franzosen die Er¬
laubnis zur Expedition nach Tunis gegeben" (Graf Saint-Vallier war zu diesem


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[0743] Maßgebliches und Unmaßgebliches Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel. Just in den Tagen der Hochzeitsfeier des Kronprinzen in Berlin ging ein freudiges Rauschen durch den deutschen Blätterwald: Herrn Deleasft hatten seine französischen Ministerkollegen den Hals gebrochen. Bald wurde be¬ kannt, daß Herr Rouvier Gelegenheit genommen hatte, sich über die zwischen Deutsch¬ land und Frankreich durch die marokkanische Angelegenheit entstandne Differenz persönlich zu informieren, und daß er, nachdem er den Stand der Dinge erfahren, nicht gezögert hatte, den Rücktritt Delcafsts herbeizuführen, und zu erklären, daß Frankreich nichts ferner liege, als um Marokkos willen in einen Konflikt mit Deutschland zu geraten. Der nach Berlin entsandte französische General La Croix wurde von Kaiser Wilhelm mit großer Auszeichnung behandelt, kurzum, schwerlich hätte man in der auf die Hochzeitsfeier folgenden Woche für möglich gehalten, daß sich das Bild binnen acht Tagen wieder vollständig verwandeln könne. Man las von so häufigen Unterredungen zwischen dem deutschen Botschafter und dem franzö¬ sischen Ministerpräsidenten, daß die Annahme, die marokkanische Angelegenheit sei auf dem besten Wege freundlicher und versöhnlicher Erledigung, durchaus gerecht¬ fertigt schien. Allerdings wird in der öffentlichen Meinung Deutschlands, die sonst einig ist, daß Marokko keinen Kricgsgrund abgeben könne, noch zu wenig mit den Verhältnisse» gerechnet, die Herrn Rouvier umgeben. Als alter Finanz- und Börsenmann ist Herr Rouvier der Sentimentalität in Geschäften wenig zugänglich, aber ebensowenig will er mit einer unnützen und erfolglosen Störung des Geschäfts, auch des politischen, zu tun haben. Daher die kurz cmgebundne und energische Beseitigung seines „auswärtigen" Kollegen. Aber Delcasse hat Freunde, auch in der Kammer, ganz abgesehen davon, daß er der Mann König Eduards und der willigste Agent war, den England seit langer Zeit in Paris gehabt hat. Um so mehr muß Rouvier darauf sehen, daß er mit einem Erfolge, nicht mit einem Zurück¬ weichen Frankreichs, vor die Kammer treten kann. Der englische Einfluß in der französischen Politik spielt dabei eine große Rolle. Der britische Botschafter in Paris macht, ebenso wie seine Kollegen in andern Hauptstädten, aus seiner Animosität gegen Deutschland kein Hehl und bestärkt die französische Negierung in ihrer begreiflichen Abneigung, die ans Grund des englisch¬ französischen Abkommens gemachten Reformvorschläge, und damit indirekt dieses Abkommen selbst, vor das Forum einer internationalen Konferenz zu ziehn. Eng¬ land hat in seinem Traktat mit Frankreich, den Herr Rouvier uns — zum ersten¬ mal — amtlich mitgeteilt zu haben scheint, großmütig etwas verschenkt, was ihm nicht gehörte, und Herr Delcasse wollte nun durch seine „Reformvorschläge" dem Sultan das Netz über den Kopf werfen und ihn „tunisifizieren," d. h. Frankreich gegenüber in die Rolle des Beys von Tunis bringen. Von französischer Seite möchte man geltend machen, daß die Position in Marokko doch wesentlich anders gedacht sei als die in Tunis, die ja zudem ausdrücklich die Zustimmung Deutschlands er¬ halten habe. Diese Zustimmung hat Bismarck seinerzeit dem Grafen Saint-Vallier erteilt in der Hoffnung, die Stellung des Kabinetts Freycinet, das sich für Deutsch¬ land friedlich und freundlich erwies, zu stärken; auch mochte es ihm nützlich er¬ scheinen, den Beschäftignngs- und den Betätigungsdrang des reorganisierten fran¬ zösischen Heeres nach Afrika und nach Asien zu verlegen. Außerdem hatte Deutschland in Tunis keinerlei Interessen, die gegenüber der Gewinnung eines freundnachbar¬ lichen Verhältnisses zu Frankreich irgend in die Wage fallen konnten, noch weniger vertragsmäßige Rechte, für deren Erhaltung es eintreten mußte. Deutschlands Zu¬ stimmung zu der Expedition nach Tunis läßt sich somit auf die geplante Mök-r-Mon xs-eikous in Marokko weder anwenden noch übertragen. Für den Zug nach Tunis wurde Deutschlands Zustimmung im voraus eingeholt, sodaß Bismarck einst dem Verfasser dieser Zeilen auf einem von hohen Tannen umsäumten Wege im Park von Friedrichsruh sagen konnte: „Auf diesem Wege habe ich den Franzosen die Er¬ laubnis zur Expedition nach Tunis gegeben" (Graf Saint-Vallier war zu diesem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/743>, abgerufen am 05.02.2025.