Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Meißen nicht genügend beglaubigt, so ist doch wohl der schlichte Vers echt, mit dem Goethe Denn im Goethearchiv findet sich ein kleines Goethesches Gedicht an Förster Weiterhin bewundert Fouque die berühmte Wendeltreppe der Albrechtsburg, Als Fouque diese Worte schrieb, waren die Wunden, die das Zeitalter Na¬ Von 1828 bis 1835, von seinem fünfundzwanzigsten bis zum zweiuuddreißigsten Meißen nicht genügend beglaubigt, so ist doch wohl der schlichte Vers echt, mit dem Goethe Denn im Goethearchiv findet sich ein kleines Goethesches Gedicht an Förster Weiterhin bewundert Fouque die berühmte Wendeltreppe der Albrechtsburg, Als Fouque diese Worte schrieb, waren die Wunden, die das Zeitalter Na¬ Von 1828 bis 1835, von seinem fünfundzwanzigsten bis zum zweiuuddreißigsten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0726" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297105"/> <fw type="header" place="top"> Meißen</fw><lb/> <p xml:id="ID_3308" prev="#ID_3307"> nicht genügend beglaubigt, so ist doch wohl der schlichte Vers echt, mit dem Goethe<lb/> damals die Waffen der Lützower segnete:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_44" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_3309"> Denn im Goethearchiv findet sich ein kleines Goethesches Gedicht an Förster<lb/> mit den Anfnngsworten: „Als ich Dich in Meißen segnete." Der hier mit er¬<lb/> wähnte Romantiker Fou<M war auch nach dem Freiheitskriege öfters in Meißen<lb/> und auf den benachbarten Schlössern. Er hat die Stadt und ihre Umgebung ganz<lb/> besonders geliebt, seine 1823 erschienenen „Reiseerinnerungen" enthalten die wert¬<lb/> vollsten Urteile darüber. Er übernachtete mit seiner Gemahlin in dem altertüm¬<lb/> lichen Gasthofe zur „Goldner Sonne." „Allerliebst nahmen sich am andern<lb/> Morgen im hellen Tagesschein die niedlichen Gärtchen längs den steilen Schlo߬<lb/> berg hinan und an dem AbHange desselben aus. Oft schon habe ich an den<lb/> Meißner» den Sinn für Blumen sowie die kunstreiche Pflege ihrer Gärten be¬<lb/> wundert. Und dazwischen die niedlichsten Kindergestalten, die große Zierde Sachsens.<lb/> Ich konnte mich nicht enthalten, das Fenster zu öffnen und die kleinen Geschöpfe,<lb/> die so leicht mein ganzes Herz haben, anzureden. Höflich stehn sie jedermann<lb/> Rede, wissen über alles Auskunft zu geben und sind zu etwaiger Dienstleistung un¬<lb/> aufgefordert erbötig."</p><lb/> <p xml:id="ID_3310"> Weiterhin bewundert Fouque die berühmte Wendeltreppe der Albrechtsburg,<lb/> „die, gleichsam auf sich selbst ruhend, in fortgehender Schneckenwindung vom Boden<lb/> bis zur Spitze zu schweben scheint," und deu Dom. „Majestätisch ragt der ernste<lb/> Bau, durch Zeit und Witterung tief angedunkelt, von seiner Felshöhe über bunte<lb/> Gärten, die Stadt und den raschen Elbstrom hinaus. Man wird sogleich zu fester<lb/> Sammlung gestimmt, welche dem Eindruck des Innern der Kirche angemessen ist.<lb/> Nichts gibt so das Bild heiliger Reinheit als diese zarte jungfräuliche Kirche. Un¬<lb/> mittelbar aus dem Dome muß man in den lieblichen Amtsgarten treten. Durch<lb/> ein Gewebe duftender Blumen sieht man hier auf die Elbe. Die Sonne glitt<lb/> silbern über die sanft bewegte Flut. Dahinter hebt sich die Bergkette, von dunkeln<lb/> Tannen bedeckt; links verbindet die schöne Brücke beide Ufer; unterhalb öffnen sich<lb/> die Straßen der Stadt, und diesseits des Beschauers das bezeigte Ufer entlängs<lb/> schimmern unzählige rote Dächer auf den Höhen liegender Lust- und Landhäuser;<lb/> schwarze Baumesgipfel ragen aus den eng zusammengeschobnen Schluften hervor:<lb/> kurz, die mannigfach gebrochne reiche Landschaft läßt das Auge nicht ruhen und<lb/> fesselt es an jeden Punkt mit unwiderstehlichem Zauber."<lb/> '</p><lb/> <p xml:id="ID_3311"> Als Fouque diese Worte schrieb, waren die Wunden, die das Zeitalter Na¬<lb/> poleons der Stadt und der Landschaft geschlagen hatte, schon wieder vernarbt, und<lb/> wir treten somit in die vierte Blütezeit der Stadt ein, die etwa von 1830 bis<lb/> 1870 reicht, die letzte Periode, in der Meißen eine stille Landstadt war, dafür<lb/> aber eins der treuesten Spiegelbilder des behaglichen deutschen Bürgertums der<lb/> Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, mit einem Worte: die Stadt Ludwig Richters.</p><lb/> <p xml:id="ID_3312" next="#ID_3313"> Von 1828 bis 1835, von seinem fünfundzwanzigsten bis zum zweiuuddreißigsten<lb/> Jahre, war er der unsre, und ich spreche es kühnlich aus: das Beste vou dem,<lb/> was sein Zeichenstift dem deutschen Leben seiner Zeit und der mitteldeutschen<lb/> Architektur und Landschaft abgelauscht hat, ist aus Meißen. Sogar in Rom dachte<lb/> er an „das alte romantische Meißen, welches ich nur schon in meinen Träumereien<lb/> zum künftigen Wohnsitz erkoren hatte." In den sieben Jahren seines Meißner<lb/> Aufenthalts aber vollzog sich in seinem ganzen künstlerischen Streben die entschei¬<lb/> dende Umgestaltung. War Ludwig Richter bis dahin fast ausschließlich heroisch¬<lb/> romantischen Motiven Italiens nachgegangen, so öffnete sich ihm in Meißen zuerst<lb/> das Auge für die anheimelnden Reize der deutschen Kleinstadt, für die Typen der<lb/> Bürger und Bauern, vor allem für die Kinderwelt. Nicht zufällig haben auch<lb/> Goethe und FouquL die Meißner Kinderwelt gepriesen: sie war und ist in der Tat</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0726]
Meißen
nicht genügend beglaubigt, so ist doch wohl der schlichte Vers echt, mit dem Goethe
damals die Waffen der Lützower segnete:
Denn im Goethearchiv findet sich ein kleines Goethesches Gedicht an Förster
mit den Anfnngsworten: „Als ich Dich in Meißen segnete." Der hier mit er¬
wähnte Romantiker Fou<M war auch nach dem Freiheitskriege öfters in Meißen
und auf den benachbarten Schlössern. Er hat die Stadt und ihre Umgebung ganz
besonders geliebt, seine 1823 erschienenen „Reiseerinnerungen" enthalten die wert¬
vollsten Urteile darüber. Er übernachtete mit seiner Gemahlin in dem altertüm¬
lichen Gasthofe zur „Goldner Sonne." „Allerliebst nahmen sich am andern
Morgen im hellen Tagesschein die niedlichen Gärtchen längs den steilen Schlo߬
berg hinan und an dem AbHange desselben aus. Oft schon habe ich an den
Meißner» den Sinn für Blumen sowie die kunstreiche Pflege ihrer Gärten be¬
wundert. Und dazwischen die niedlichsten Kindergestalten, die große Zierde Sachsens.
Ich konnte mich nicht enthalten, das Fenster zu öffnen und die kleinen Geschöpfe,
die so leicht mein ganzes Herz haben, anzureden. Höflich stehn sie jedermann
Rede, wissen über alles Auskunft zu geben und sind zu etwaiger Dienstleistung un¬
aufgefordert erbötig."
Weiterhin bewundert Fouque die berühmte Wendeltreppe der Albrechtsburg,
„die, gleichsam auf sich selbst ruhend, in fortgehender Schneckenwindung vom Boden
bis zur Spitze zu schweben scheint," und deu Dom. „Majestätisch ragt der ernste
Bau, durch Zeit und Witterung tief angedunkelt, von seiner Felshöhe über bunte
Gärten, die Stadt und den raschen Elbstrom hinaus. Man wird sogleich zu fester
Sammlung gestimmt, welche dem Eindruck des Innern der Kirche angemessen ist.
Nichts gibt so das Bild heiliger Reinheit als diese zarte jungfräuliche Kirche. Un¬
mittelbar aus dem Dome muß man in den lieblichen Amtsgarten treten. Durch
ein Gewebe duftender Blumen sieht man hier auf die Elbe. Die Sonne glitt
silbern über die sanft bewegte Flut. Dahinter hebt sich die Bergkette, von dunkeln
Tannen bedeckt; links verbindet die schöne Brücke beide Ufer; unterhalb öffnen sich
die Straßen der Stadt, und diesseits des Beschauers das bezeigte Ufer entlängs
schimmern unzählige rote Dächer auf den Höhen liegender Lust- und Landhäuser;
schwarze Baumesgipfel ragen aus den eng zusammengeschobnen Schluften hervor:
kurz, die mannigfach gebrochne reiche Landschaft läßt das Auge nicht ruhen und
fesselt es an jeden Punkt mit unwiderstehlichem Zauber."
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Als Fouque diese Worte schrieb, waren die Wunden, die das Zeitalter Na¬
poleons der Stadt und der Landschaft geschlagen hatte, schon wieder vernarbt, und
wir treten somit in die vierte Blütezeit der Stadt ein, die etwa von 1830 bis
1870 reicht, die letzte Periode, in der Meißen eine stille Landstadt war, dafür
aber eins der treuesten Spiegelbilder des behaglichen deutschen Bürgertums der
Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, mit einem Worte: die Stadt Ludwig Richters.
Von 1828 bis 1835, von seinem fünfundzwanzigsten bis zum zweiuuddreißigsten
Jahre, war er der unsre, und ich spreche es kühnlich aus: das Beste vou dem,
was sein Zeichenstift dem deutschen Leben seiner Zeit und der mitteldeutschen
Architektur und Landschaft abgelauscht hat, ist aus Meißen. Sogar in Rom dachte
er an „das alte romantische Meißen, welches ich nur schon in meinen Träumereien
zum künftigen Wohnsitz erkoren hatte." In den sieben Jahren seines Meißner
Aufenthalts aber vollzog sich in seinem ganzen künstlerischen Streben die entschei¬
dende Umgestaltung. War Ludwig Richter bis dahin fast ausschließlich heroisch¬
romantischen Motiven Italiens nachgegangen, so öffnete sich ihm in Meißen zuerst
das Auge für die anheimelnden Reize der deutschen Kleinstadt, für die Typen der
Bürger und Bauern, vor allem für die Kinderwelt. Nicht zufällig haben auch
Goethe und FouquL die Meißner Kinderwelt gepriesen: sie war und ist in der Tat
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