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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Meißen

ist sie soeben von E. Schwabe unter den Akten der Superintendentur Zerbst wieder¬
aufgefunden worden. Welche Summe erlesnen Wissens und veredelnder Bildung
ist im Laufe vou mehr als dreihundertsechzig Jahren von dieser stillen Hohe aus¬
gegangen! Welche Reihe von Mcinuern bilden allein die afranischen Rektoren von
dem wenn auch nicht formell als Rektor, so doch als Spiritus rsotor am Eingange
stehenden sinnigen Johann Rivius und von dem weltbefahrnen Fabricius (1546
bis 1571) an, der aus Rom heimgekehrt auch in seinem geliebten Meißen die
"sieben Hügel" wiederfindet, bis zu Friedrich Franke (1845 bis 1871), dessen
Blick noch im Bilde den Ignoranten zu entlarven, den Missetäter zu vernichten
scheint, bis zu dem genialen Organisator Hugo Jlberg (1871 bis 1874) und zu
dem "ehernen" Hermann Peter, der soeben nach einnnddreißigjähriger segensreicher
Amtsführung rüstig wie ein Jüngling das afrmüsche Zepter in jüngere Hände
gelegt hat.

Das siebzehnte Jahrhundert stürzte auch Meißen aus der lichten Höhe eines
künstlerisch und geistig reich begnadeten Zeitalters herunter in die Tiefe des Elends
und der Verkommenheit des "großen Krieges." Zweimal wurde die Stadt von
Feinden erstürmt und ausgeplündert: zuerst am 6. Juni 1637 von einem Streifkorps
des Schweden Bauer, sodaß es schon damals in der eigentlichen Stadt neben 102 be¬
wohnten Häusern 175 abgebrannte und neben 271 bewohnten Häusern der Vor¬
städte 158 wüste gab; dann am 8. August 1645 durch nenn schwedische Reiter¬
regimenter unter Königsmark, die am 13. August von den Kellern ans auch
in die Albrechtsburg eindrangen und die Besatzung samt dem Befehlshaber ge¬
fangen nahmen.

Eine dritte Blüteperiode brachte für Meißen die erste Hälfte des achtzehnten
Jahrhunderts, das Zeitalter Augusts des Starken und seines Sohnes. Im Sommer
1710 zog auf allerhöchsten Befehl in die verödeten Räume der Albrechtsburg ein
geheimnisvoller, sorgfältig gehüteter Mann ein, über dessen wahres Wesen und
Können die Geschichtsforschung bis zum heutigen Tage noch nicht ins reine ge¬
kommen ist: der Alchimist Böttcher, dem gewöhnlich die Erfindung des Porzellans
zugeschrieben wird. Der Baron Tschirnhaus, unter dessen Aufsicht er früher in
einem Laboratorium der Dresdner Juugfernbastei gearbeitet hatte, war 1708 ge¬
storben; so fiel ihm die schöne Aufgabe zu, eine Erfindung, die in der Haupt¬
sache wohl jener zustande gebracht hatte, praktisch auszubeuten und zu verbessern.
Der Betrieb dieser in ganz Europa Aufsehen erregenden Fabrik blieb jedoch bis zu
Böttchers Tode (1719) in sehr engen Grenzen: er beschäftigte mir dreiunddreißig
Arbeiter. Aber seit 1720 der Maler Johann Gregorius Herold, der spätere Be¬
gründer der Meißner Malerschule, und 1731 Johann Joachim Kandler, der
Sohn des Pfarrers in Seligstadt bei Bischofswerda, als Modellmeister, d. h. als
Vorstand der Formerei und Gestaltung in die Fabrik eingetreten waren, entwickelte
sie sich rasch zu ihrer ersten Blüteperiode, die die Jahre von 1731 bis 1756
umfaßte.

Die Schlösser des Kurfürsten und Polenkönigs, des sächsischen wie des
polnischen Adels, aber auch viele Fürsten- und Herrensitze des Auslands schmückten
damals ihre Prunktische und Kamine mit den kostbaren Dosen und Tabatieren,
Figuren und Gruppen, Lüsters und Spiegeln, die die unerschöpfliche Gestaltungs¬
gabe Kändlers erschuf; Götter und Heroen mußten damals im zierlichsten Duodez¬
format aus dem Olymp herniedersteigen und schmückten in immer neuen Stellungen
die allegorischen Kompositionen dieses Meisters, der den Nokokostil in sein natür¬
lichstes Format zu bringen und dieses Format wieder in dem passendsten Stoffe
zu verkörpern wußte. Und wenn auch Karl Justi, der feinsinnige Biograph
Johann Joachim Winckelmanns, in vielleicht manchmal zu strengem Urteil den ganzen
leichtfertigen Schwarm der Bildhauer des Rokoko verdammt: Kandler ist dem all¬
gemeinen Ketzergericht entgangen, er sagt von seinen Gestalten: "Für diese artigen,
munteren, graziösen, phantastischen gepuderten Leutchen, deren Gang ein Tanz ist,


Meißen

ist sie soeben von E. Schwabe unter den Akten der Superintendentur Zerbst wieder¬
aufgefunden worden. Welche Summe erlesnen Wissens und veredelnder Bildung
ist im Laufe vou mehr als dreihundertsechzig Jahren von dieser stillen Hohe aus¬
gegangen! Welche Reihe von Mcinuern bilden allein die afranischen Rektoren von
dem wenn auch nicht formell als Rektor, so doch als Spiritus rsotor am Eingange
stehenden sinnigen Johann Rivius und von dem weltbefahrnen Fabricius (1546
bis 1571) an, der aus Rom heimgekehrt auch in seinem geliebten Meißen die
„sieben Hügel" wiederfindet, bis zu Friedrich Franke (1845 bis 1871), dessen
Blick noch im Bilde den Ignoranten zu entlarven, den Missetäter zu vernichten
scheint, bis zu dem genialen Organisator Hugo Jlberg (1871 bis 1874) und zu
dem „ehernen" Hermann Peter, der soeben nach einnnddreißigjähriger segensreicher
Amtsführung rüstig wie ein Jüngling das afrmüsche Zepter in jüngere Hände
gelegt hat.

Das siebzehnte Jahrhundert stürzte auch Meißen aus der lichten Höhe eines
künstlerisch und geistig reich begnadeten Zeitalters herunter in die Tiefe des Elends
und der Verkommenheit des „großen Krieges." Zweimal wurde die Stadt von
Feinden erstürmt und ausgeplündert: zuerst am 6. Juni 1637 von einem Streifkorps
des Schweden Bauer, sodaß es schon damals in der eigentlichen Stadt neben 102 be¬
wohnten Häusern 175 abgebrannte und neben 271 bewohnten Häusern der Vor¬
städte 158 wüste gab; dann am 8. August 1645 durch nenn schwedische Reiter¬
regimenter unter Königsmark, die am 13. August von den Kellern ans auch
in die Albrechtsburg eindrangen und die Besatzung samt dem Befehlshaber ge¬
fangen nahmen.

Eine dritte Blüteperiode brachte für Meißen die erste Hälfte des achtzehnten
Jahrhunderts, das Zeitalter Augusts des Starken und seines Sohnes. Im Sommer
1710 zog auf allerhöchsten Befehl in die verödeten Räume der Albrechtsburg ein
geheimnisvoller, sorgfältig gehüteter Mann ein, über dessen wahres Wesen und
Können die Geschichtsforschung bis zum heutigen Tage noch nicht ins reine ge¬
kommen ist: der Alchimist Böttcher, dem gewöhnlich die Erfindung des Porzellans
zugeschrieben wird. Der Baron Tschirnhaus, unter dessen Aufsicht er früher in
einem Laboratorium der Dresdner Juugfernbastei gearbeitet hatte, war 1708 ge¬
storben; so fiel ihm die schöne Aufgabe zu, eine Erfindung, die in der Haupt¬
sache wohl jener zustande gebracht hatte, praktisch auszubeuten und zu verbessern.
Der Betrieb dieser in ganz Europa Aufsehen erregenden Fabrik blieb jedoch bis zu
Böttchers Tode (1719) in sehr engen Grenzen: er beschäftigte mir dreiunddreißig
Arbeiter. Aber seit 1720 der Maler Johann Gregorius Herold, der spätere Be¬
gründer der Meißner Malerschule, und 1731 Johann Joachim Kandler, der
Sohn des Pfarrers in Seligstadt bei Bischofswerda, als Modellmeister, d. h. als
Vorstand der Formerei und Gestaltung in die Fabrik eingetreten waren, entwickelte
sie sich rasch zu ihrer ersten Blüteperiode, die die Jahre von 1731 bis 1756
umfaßte.

Die Schlösser des Kurfürsten und Polenkönigs, des sächsischen wie des
polnischen Adels, aber auch viele Fürsten- und Herrensitze des Auslands schmückten
damals ihre Prunktische und Kamine mit den kostbaren Dosen und Tabatieren,
Figuren und Gruppen, Lüsters und Spiegeln, die die unerschöpfliche Gestaltungs¬
gabe Kändlers erschuf; Götter und Heroen mußten damals im zierlichsten Duodez¬
format aus dem Olymp herniedersteigen und schmückten in immer neuen Stellungen
die allegorischen Kompositionen dieses Meisters, der den Nokokostil in sein natür¬
lichstes Format zu bringen und dieses Format wieder in dem passendsten Stoffe
zu verkörpern wußte. Und wenn auch Karl Justi, der feinsinnige Biograph
Johann Joachim Winckelmanns, in vielleicht manchmal zu strengem Urteil den ganzen
leichtfertigen Schwarm der Bildhauer des Rokoko verdammt: Kandler ist dem all¬
gemeinen Ketzergericht entgangen, er sagt von seinen Gestalten: „Für diese artigen,
munteren, graziösen, phantastischen gepuderten Leutchen, deren Gang ein Tanz ist,


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[0721] Meißen ist sie soeben von E. Schwabe unter den Akten der Superintendentur Zerbst wieder¬ aufgefunden worden. Welche Summe erlesnen Wissens und veredelnder Bildung ist im Laufe vou mehr als dreihundertsechzig Jahren von dieser stillen Hohe aus¬ gegangen! Welche Reihe von Mcinuern bilden allein die afranischen Rektoren von dem wenn auch nicht formell als Rektor, so doch als Spiritus rsotor am Eingange stehenden sinnigen Johann Rivius und von dem weltbefahrnen Fabricius (1546 bis 1571) an, der aus Rom heimgekehrt auch in seinem geliebten Meißen die „sieben Hügel" wiederfindet, bis zu Friedrich Franke (1845 bis 1871), dessen Blick noch im Bilde den Ignoranten zu entlarven, den Missetäter zu vernichten scheint, bis zu dem genialen Organisator Hugo Jlberg (1871 bis 1874) und zu dem „ehernen" Hermann Peter, der soeben nach einnnddreißigjähriger segensreicher Amtsführung rüstig wie ein Jüngling das afrmüsche Zepter in jüngere Hände gelegt hat. Das siebzehnte Jahrhundert stürzte auch Meißen aus der lichten Höhe eines künstlerisch und geistig reich begnadeten Zeitalters herunter in die Tiefe des Elends und der Verkommenheit des „großen Krieges." Zweimal wurde die Stadt von Feinden erstürmt und ausgeplündert: zuerst am 6. Juni 1637 von einem Streifkorps des Schweden Bauer, sodaß es schon damals in der eigentlichen Stadt neben 102 be¬ wohnten Häusern 175 abgebrannte und neben 271 bewohnten Häusern der Vor¬ städte 158 wüste gab; dann am 8. August 1645 durch nenn schwedische Reiter¬ regimenter unter Königsmark, die am 13. August von den Kellern ans auch in die Albrechtsburg eindrangen und die Besatzung samt dem Befehlshaber ge¬ fangen nahmen. Eine dritte Blüteperiode brachte für Meißen die erste Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, das Zeitalter Augusts des Starken und seines Sohnes. Im Sommer 1710 zog auf allerhöchsten Befehl in die verödeten Räume der Albrechtsburg ein geheimnisvoller, sorgfältig gehüteter Mann ein, über dessen wahres Wesen und Können die Geschichtsforschung bis zum heutigen Tage noch nicht ins reine ge¬ kommen ist: der Alchimist Böttcher, dem gewöhnlich die Erfindung des Porzellans zugeschrieben wird. Der Baron Tschirnhaus, unter dessen Aufsicht er früher in einem Laboratorium der Dresdner Juugfernbastei gearbeitet hatte, war 1708 ge¬ storben; so fiel ihm die schöne Aufgabe zu, eine Erfindung, die in der Haupt¬ sache wohl jener zustande gebracht hatte, praktisch auszubeuten und zu verbessern. Der Betrieb dieser in ganz Europa Aufsehen erregenden Fabrik blieb jedoch bis zu Böttchers Tode (1719) in sehr engen Grenzen: er beschäftigte mir dreiunddreißig Arbeiter. Aber seit 1720 der Maler Johann Gregorius Herold, der spätere Be¬ gründer der Meißner Malerschule, und 1731 Johann Joachim Kandler, der Sohn des Pfarrers in Seligstadt bei Bischofswerda, als Modellmeister, d. h. als Vorstand der Formerei und Gestaltung in die Fabrik eingetreten waren, entwickelte sie sich rasch zu ihrer ersten Blüteperiode, die die Jahre von 1731 bis 1756 umfaßte. Die Schlösser des Kurfürsten und Polenkönigs, des sächsischen wie des polnischen Adels, aber auch viele Fürsten- und Herrensitze des Auslands schmückten damals ihre Prunktische und Kamine mit den kostbaren Dosen und Tabatieren, Figuren und Gruppen, Lüsters und Spiegeln, die die unerschöpfliche Gestaltungs¬ gabe Kändlers erschuf; Götter und Heroen mußten damals im zierlichsten Duodez¬ format aus dem Olymp herniedersteigen und schmückten in immer neuen Stellungen die allegorischen Kompositionen dieses Meisters, der den Nokokostil in sein natür¬ lichstes Format zu bringen und dieses Format wieder in dem passendsten Stoffe zu verkörpern wußte. Und wenn auch Karl Justi, der feinsinnige Biograph Johann Joachim Winckelmanns, in vielleicht manchmal zu strengem Urteil den ganzen leichtfertigen Schwarm der Bildhauer des Rokoko verdammt: Kandler ist dem all¬ gemeinen Ketzergericht entgangen, er sagt von seinen Gestalten: „Für diese artigen, munteren, graziösen, phantastischen gepuderten Leutchen, deren Gang ein Tanz ist,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/721>, abgerufen am 05.02.2025.