Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Lin Dresdner von Juan Otero zum erstenmal in Paris als "Tänzerin" auf den Brettern zeigte. Als Die Perlen der Don-Juan-Partitur sind wohl ohne Zweifel Don Ottavio Grenzboten II 1905 91
Lin Dresdner von Juan Otero zum erstenmal in Paris als „Tänzerin" auf den Brettern zeigte. Als Die Perlen der Don-Juan-Partitur sind wohl ohne Zweifel Don Ottavio Grenzboten II 1905 91
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0717" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297096"/> <fw type="header" place="top"> Lin Dresdner von Juan</fw><lb/> <p xml:id="ID_3281" prev="#ID_3280"> Otero zum erstenmal in Paris als „Tänzerin" auf den Brettern zeigte. Als<lb/> ich längst von dem ersten Eindruck, daß ein Mann in Weiberkleidern zum Ulk<lb/> tanze, zurückgekommen war, hatte ich noch immer die Sorge, daß die Gute durch¬<lb/> brechen oder eine Kulisse umreißen würde. Ob sie inzwischen choreographische<lb/> Fortschritte gemacht hat, weiß ich nicht; ich bin ihr seitdem immer aus dem<lb/> Wege gegangen, um mir das schöne Gruseln nicht zu verderben, das mich noch<lb/> heutigentags befüllt, wenn ich an die zahllosen Meter innerlich und äußerlich<lb/> verwandter goldgelber Levcintine und das dazwischen von Zeit zu Zeit zum<lb/> Vorschein kommende Paar Gorgonenbeine denke. Das Gefühl, daß die Bühne<lb/> für eine solche Hcmneliese zu klein und nicht dauerhaft genug gebaut sei, hatte<lb/> man ja bei der Dresdner Zerlina nicht; im Gegenteil, es fehlte das, womit<lb/> Amor einen Masetto ins Netz lockt, und hin und her geschaukelt zwischen den<lb/> beiden Fragen: wie kann sich die nur den ausgesucht haben? und wie kann<lb/> der nur auf den Einfall gekommen sein, sich in die zu verlieben? gibt mans<lb/> Glauben und Vermute» auf und versinkt in gleichgiltige Verödung. In einer<lb/> Beschreibung des Eröffnungsabends der Grazer Tonkünstlerversammlung er¬<lb/> wähnt einer der Berichterstatter, im dritten Akte von Kienzls Don Quijote habe<lb/> sein Nachbar laut geschnarcht, und gibt, damit man das nicht als Erfindung<lb/> ansehe, als gewissenhafter Zeuge genau den Tatort (Parkett, siebente Reihe,<lb/> Platz neun) an: es bleibt also auf Nummer acht oder zehn sitzen; .einer von<lb/> ihnen beiden hat geschnarcht. Durch den neulichen Don Juan bin ich für<lb/> solche Beweise vernichteter Aufnahmefähigkeit sehr nachsichtig geworden. In<lb/> einem Konzert, wo an die Sängerin nur die Anforderung gestellt wird, daß<lb/> sie eine Künstlerin und als solche eine Dame sei, würde man Zerlinens<lb/> musikalischer Leistung, die mir freilich hier und da der wünschenswerten Wärme<lb/> und herzgewinnenden Naivität zu entbehren schien, leichter gerecht werden<lb/> können. Wenn eine große Bühne, der wie dem Dresdner Hoftheater die<lb/> Wahl zwischen mehreren Möglichkeiten freizustehn scheint, und die entweder<lb/> für eine zu besetzende Partie auch eine andre Sängerin bestimmen, oder<lb/> wenn zeitweilige Konjunkturen diesen Ausweg verbieten, die Oper für eine Zeit<lb/> lang von ihrem Repertoire absetzen kann, trotzdem eine Sängerin auftreten<lb/> läßt, deren äußere Erscheinung mit dem, was sie vorstellen soll, in grellsten<lb/> Widerspruche steht, so ist das ein Experiment, vor dessen Wiederholung abzu¬<lb/> raten ist, denn wenn sich auch das Publikum gegen eine solche Zumutung<lb/> vielleicht nicht mit einem förmlichen Protest erhebt, so hat es ein viel wirk¬<lb/> sameres Mittel, sein Unbehagen an den Tag zu legen, indem es das nächste¬<lb/> mal einfach wegbleibt. Die Franzosen, denen man sich in solchen Dingen<lb/> meist ohne Gefahr anschließen kann, weil der gesunde Menschenverstand ihr<lb/> Führer ist, und weil sie für jede solche Unzuträglichkeit einen fertigen, von<lb/> jedermann verstandn«» und von niemand übel genommnen Ausdruck haben,<lb/> sagen: N^äsmoisslls uns tslls n'g, xg.s 1s xuMcius as 1'sinxloi, und damit<lb/> ist die Sache für alle Beteiligten endgiltig entschieden.</p><lb/> <p xml:id="ID_3282" next="#ID_3283"> Die Perlen der Don-Juan-Partitur sind wohl ohne Zweifel Don Ottavio<lb/> und Donna Anna. Beide Partien sind durch Künstler wie Mario, Tamberlick,<lb/> die Lange, die Grisi in ihren Hauptlinien so meisterlich festgestellt worden, daß</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1905 91</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0717]
Lin Dresdner von Juan
Otero zum erstenmal in Paris als „Tänzerin" auf den Brettern zeigte. Als
ich längst von dem ersten Eindruck, daß ein Mann in Weiberkleidern zum Ulk
tanze, zurückgekommen war, hatte ich noch immer die Sorge, daß die Gute durch¬
brechen oder eine Kulisse umreißen würde. Ob sie inzwischen choreographische
Fortschritte gemacht hat, weiß ich nicht; ich bin ihr seitdem immer aus dem
Wege gegangen, um mir das schöne Gruseln nicht zu verderben, das mich noch
heutigentags befüllt, wenn ich an die zahllosen Meter innerlich und äußerlich
verwandter goldgelber Levcintine und das dazwischen von Zeit zu Zeit zum
Vorschein kommende Paar Gorgonenbeine denke. Das Gefühl, daß die Bühne
für eine solche Hcmneliese zu klein und nicht dauerhaft genug gebaut sei, hatte
man ja bei der Dresdner Zerlina nicht; im Gegenteil, es fehlte das, womit
Amor einen Masetto ins Netz lockt, und hin und her geschaukelt zwischen den
beiden Fragen: wie kann sich die nur den ausgesucht haben? und wie kann
der nur auf den Einfall gekommen sein, sich in die zu verlieben? gibt mans
Glauben und Vermute» auf und versinkt in gleichgiltige Verödung. In einer
Beschreibung des Eröffnungsabends der Grazer Tonkünstlerversammlung er¬
wähnt einer der Berichterstatter, im dritten Akte von Kienzls Don Quijote habe
sein Nachbar laut geschnarcht, und gibt, damit man das nicht als Erfindung
ansehe, als gewissenhafter Zeuge genau den Tatort (Parkett, siebente Reihe,
Platz neun) an: es bleibt also auf Nummer acht oder zehn sitzen; .einer von
ihnen beiden hat geschnarcht. Durch den neulichen Don Juan bin ich für
solche Beweise vernichteter Aufnahmefähigkeit sehr nachsichtig geworden. In
einem Konzert, wo an die Sängerin nur die Anforderung gestellt wird, daß
sie eine Künstlerin und als solche eine Dame sei, würde man Zerlinens
musikalischer Leistung, die mir freilich hier und da der wünschenswerten Wärme
und herzgewinnenden Naivität zu entbehren schien, leichter gerecht werden
können. Wenn eine große Bühne, der wie dem Dresdner Hoftheater die
Wahl zwischen mehreren Möglichkeiten freizustehn scheint, und die entweder
für eine zu besetzende Partie auch eine andre Sängerin bestimmen, oder
wenn zeitweilige Konjunkturen diesen Ausweg verbieten, die Oper für eine Zeit
lang von ihrem Repertoire absetzen kann, trotzdem eine Sängerin auftreten
läßt, deren äußere Erscheinung mit dem, was sie vorstellen soll, in grellsten
Widerspruche steht, so ist das ein Experiment, vor dessen Wiederholung abzu¬
raten ist, denn wenn sich auch das Publikum gegen eine solche Zumutung
vielleicht nicht mit einem förmlichen Protest erhebt, so hat es ein viel wirk¬
sameres Mittel, sein Unbehagen an den Tag zu legen, indem es das nächste¬
mal einfach wegbleibt. Die Franzosen, denen man sich in solchen Dingen
meist ohne Gefahr anschließen kann, weil der gesunde Menschenverstand ihr
Führer ist, und weil sie für jede solche Unzuträglichkeit einen fertigen, von
jedermann verstandn«» und von niemand übel genommnen Ausdruck haben,
sagen: N^äsmoisslls uns tslls n'g, xg.s 1s xuMcius as 1'sinxloi, und damit
ist die Sache für alle Beteiligten endgiltig entschieden.
Die Perlen der Don-Juan-Partitur sind wohl ohne Zweifel Don Ottavio
und Donna Anna. Beide Partien sind durch Künstler wie Mario, Tamberlick,
die Lange, die Grisi in ihren Hauptlinien so meisterlich festgestellt worden, daß
Grenzboten II 1905 91
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