Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Zur Frage der großstädtischen Personalsteuer durch den Staat ist die erste und dauernde Ursache des "Zugs nach der Die in die Großstädte zuwandernden sind nach Ausweis der Statistik in Der Zuzug in die Großstädte vermehrt den Kapitalreichtum in diesen Es ist hiernach wohl ohne weiteres klar, daß bei Fortdauer dieser Zu¬ Zur Frage der großstädtischen Personalsteuer durch den Staat ist die erste und dauernde Ursache des „Zugs nach der Die in die Großstädte zuwandernden sind nach Ausweis der Statistik in Der Zuzug in die Großstädte vermehrt den Kapitalreichtum in diesen Es ist hiernach wohl ohne weiteres klar, daß bei Fortdauer dieser Zu¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0697" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297076"/> <fw type="header" place="top"> Zur Frage der großstädtischen Personalsteuer</fw><lb/> <p xml:id="ID_3221" prev="#ID_3220"> durch den Staat ist die erste und dauernde Ursache des „Zugs nach der<lb/> Großstadt." Es mögen neuerdings noch mancherlei andre Ursachen für diese<lb/> Erscheinung der modernen Zeit hinzugekommen sein, dennoch ist nur das Ein¬<lb/> greifen des Staats in das Wirtschaftsleben die wirklich grundlegende und<lb/> bleibende Ursache hierfür. Die wirtschaftliche Bevorzugung der Großstädte<lb/> veranlaßt alljährlich viele Hunderttausende von Menschen, in diesen ihr Glück<lb/> zu suchen, sodaß hier fortgesetzt neue Unternehmungen entstehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_3222"> Die in die Großstädte zuwandernden sind nach Ausweis der Statistik in<lb/> der Regel in dem Lebensalter vom fünfzehnten bis zum fünfundzwanzigsten<lb/> Lebensjahr. Auf dem Lande und in den kleinen Städten sind die Kosten für<lb/> ihren Unterhalt in der Jugend und für ihre Erziehung aufgebracht worden,<lb/> während ihre gesamte Arbeitskraft den Großstädten zugute kommt. Schätze<lb/> man den Betrag dieser Kosten für den Kopf nur auf 1000 Mark (eine sehr<lb/> niedrige Schützung!), so ergibt sich, daß den Großstädten auf diese Weise alle<lb/> Jahre Hunderte von Millionen Mark zugeführt werden, während die kleinen<lb/> Städte und das platte Land um denselben Betrag ärmer werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_3223"> Der Zuzug in die Großstädte vermehrt den Kapitalreichtum in diesen<lb/> aber noch in andrer Weise. Durch ihn wird nämlich das Ansteigen der gro߬<lb/> städtischen Bodenpreise verursacht. Von Paul Voigt ist zum Beispiel nach¬<lb/> gewiesen worden, daß von den 100000 in dem Jahrzehnt 1887 bis 1897<lb/> nach Charlottenburg zugewanderten jede hinzukommende Person den Char¬<lb/> lottenburger Grundbesitzern einen durchschnittlichen Wertzuwachs von 2500 Mark<lb/> gebracht hat, und daß dort dementsprechend eine Steigerung des Bodenwerts<lb/> um mehr als 250 Millionen Mark in diesem kurzen Zeitraum eingetreten ist.<lb/> Ähnliche wenn auch wohl nicht ganz so große Bereicherungen haben sämtliche<lb/> übrigen Großstädte erfahren. Für diese sich in ihrem Gesamtbetrage auf viele<lb/> Milliarden belaufende Kapitalvermehrung in den Großstädten müssen die Land¬<lb/> bewohner die Zinsen aufbringen helfen, da auf den Preis der Waren, die in<lb/> den Städten eingekauft werden, die Mietpreise in Gestalt von Geschäftsunkosten<lb/> aufgeschlagen find.</p><lb/> <p xml:id="ID_3224"> Es ist hiernach wohl ohne weiteres klar, daß bei Fortdauer dieser Zu¬<lb/> stände die Großstädte immer reicher an Menschen und Kapital werden müssen,<lb/> das platte Land dagegen und die Kleinstädte immer ärmer in beiderlei Hin¬<lb/> sicht. Im achtzehnten Jahrhundert war die Begünstigung der Großstädte<lb/> vollauf berechtigt, weil sich diese erst entwickeln mußten, um Mittelpunkte einer<lb/> höhern Kultur werden zu können, aber eine Fortdauer dieser Begünstigung in<lb/> der Gegenwart muß die bedenklichsten Folgen haben, wenn der Staat den<lb/> Wirkungen seines ständigen Eingreifens in das Wirtschaftsleben nicht in<lb/> irgendeiner Weise Hemmungen entgegensetzen will. Was in frühern Jahr¬<lb/> hunderten segensreich war, wird in der Gegenwart mehr und mehr verderblich.<lb/> Hier gilt wieder einmal das Wort: „Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage."<lb/> Wer in heutiger Zeit die Begünstigung des Anwachsens der Großstädte vom<lb/> Staate für berechtigt erklärt und entrüstet ist über jeden Vorschlag, diese Be¬<lb/> wegung einzuschränken, der ist ein Reaktionär und steht in seinen wirtschaft¬<lb/> lichen Anschauungen noch auf dem Standpunkte des achtzehnten Jahrhunderts.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0697]
Zur Frage der großstädtischen Personalsteuer
durch den Staat ist die erste und dauernde Ursache des „Zugs nach der
Großstadt." Es mögen neuerdings noch mancherlei andre Ursachen für diese
Erscheinung der modernen Zeit hinzugekommen sein, dennoch ist nur das Ein¬
greifen des Staats in das Wirtschaftsleben die wirklich grundlegende und
bleibende Ursache hierfür. Die wirtschaftliche Bevorzugung der Großstädte
veranlaßt alljährlich viele Hunderttausende von Menschen, in diesen ihr Glück
zu suchen, sodaß hier fortgesetzt neue Unternehmungen entstehn.
Die in die Großstädte zuwandernden sind nach Ausweis der Statistik in
der Regel in dem Lebensalter vom fünfzehnten bis zum fünfundzwanzigsten
Lebensjahr. Auf dem Lande und in den kleinen Städten sind die Kosten für
ihren Unterhalt in der Jugend und für ihre Erziehung aufgebracht worden,
während ihre gesamte Arbeitskraft den Großstädten zugute kommt. Schätze
man den Betrag dieser Kosten für den Kopf nur auf 1000 Mark (eine sehr
niedrige Schützung!), so ergibt sich, daß den Großstädten auf diese Weise alle
Jahre Hunderte von Millionen Mark zugeführt werden, während die kleinen
Städte und das platte Land um denselben Betrag ärmer werden.
Der Zuzug in die Großstädte vermehrt den Kapitalreichtum in diesen
aber noch in andrer Weise. Durch ihn wird nämlich das Ansteigen der gro߬
städtischen Bodenpreise verursacht. Von Paul Voigt ist zum Beispiel nach¬
gewiesen worden, daß von den 100000 in dem Jahrzehnt 1887 bis 1897
nach Charlottenburg zugewanderten jede hinzukommende Person den Char¬
lottenburger Grundbesitzern einen durchschnittlichen Wertzuwachs von 2500 Mark
gebracht hat, und daß dort dementsprechend eine Steigerung des Bodenwerts
um mehr als 250 Millionen Mark in diesem kurzen Zeitraum eingetreten ist.
Ähnliche wenn auch wohl nicht ganz so große Bereicherungen haben sämtliche
übrigen Großstädte erfahren. Für diese sich in ihrem Gesamtbetrage auf viele
Milliarden belaufende Kapitalvermehrung in den Großstädten müssen die Land¬
bewohner die Zinsen aufbringen helfen, da auf den Preis der Waren, die in
den Städten eingekauft werden, die Mietpreise in Gestalt von Geschäftsunkosten
aufgeschlagen find.
Es ist hiernach wohl ohne weiteres klar, daß bei Fortdauer dieser Zu¬
stände die Großstädte immer reicher an Menschen und Kapital werden müssen,
das platte Land dagegen und die Kleinstädte immer ärmer in beiderlei Hin¬
sicht. Im achtzehnten Jahrhundert war die Begünstigung der Großstädte
vollauf berechtigt, weil sich diese erst entwickeln mußten, um Mittelpunkte einer
höhern Kultur werden zu können, aber eine Fortdauer dieser Begünstigung in
der Gegenwart muß die bedenklichsten Folgen haben, wenn der Staat den
Wirkungen seines ständigen Eingreifens in das Wirtschaftsleben nicht in
irgendeiner Weise Hemmungen entgegensetzen will. Was in frühern Jahr¬
hunderten segensreich war, wird in der Gegenwart mehr und mehr verderblich.
Hier gilt wieder einmal das Wort: „Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage."
Wer in heutiger Zeit die Begünstigung des Anwachsens der Großstädte vom
Staate für berechtigt erklärt und entrüstet ist über jeden Vorschlag, diese Be¬
wegung einzuschränken, der ist ein Reaktionär und steht in seinen wirtschaft¬
lichen Anschauungen noch auf dem Standpunkte des achtzehnten Jahrhunderts.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |