Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren In Apenrade fand ich sogleich Arbeit bei drei Mark Wochenlohn; die Arbeit Vom Fenster der Backstube aus konnte ich bis hinab auf die Schiffswerft Da meine Hausgenossen nur Dänisch sprachen, mußte ich wohl oder übel eben¬ Grenzboten II 1905 86
Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren In Apenrade fand ich sogleich Arbeit bei drei Mark Wochenlohn; die Arbeit Vom Fenster der Backstube aus konnte ich bis hinab auf die Schiffswerft Da meine Hausgenossen nur Dänisch sprachen, mußte ich wohl oder übel eben¬ Grenzboten II 1905 86
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0677" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297056"/> <fw type="header" place="top"> Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren</fw><lb/> <p xml:id="ID_3060"> In Apenrade fand ich sogleich Arbeit bei drei Mark Wochenlohn; die Arbeit<lb/> war nicht sehr schwer, aber für mich wieder völlig neu. Ich lernte hier zuerst den<lb/> niederdeutschen Schwarzbrotteig machen, der nicht wie bei uns aus reinem Mehl,<lb/> sondern aus geschrotenen Korn und aus Kleie hergestellt wird. Die Brote, die<lb/> daraus geformt werden, wurden auf zwei Seiten mit Öl bestrichen und dicht zu¬<lb/> sammen auf den Schieber gelegt. Vorher war der Ofen ringsherum mit Back¬<lb/> scheiten belegt worden, die ebenfalls mit Öl bestrichen waren, damit die Brote nicht<lb/> an den Wänden des Ofens kleben blieben. Außerdem wurde auch Weiße und sogar<lb/> Konditorware gebacken, die sich natürlich in Form, Herstellungsart und Bezeichnung<lb/> wesentlich von dem unterschied, was ich bisher kennen gelernt hatte. Der Meister<lb/> war ein Däne, der nur gebrochen Deutsch sprach, aber ein braver Mann war. Er<lb/> legte mir besonders eine Lebensregel ans Herz, die ich nie wieder vergessen habe,<lb/> sie lautet: Hab und Gut kann einem genommen werden, aber was man gelernt<lb/> hat, das hat man als sichern Besitz.</p><lb/> <p xml:id="ID_3061"> Vom Fenster der Backstube aus konnte ich bis hinab auf die Schiffswerft<lb/> sehen, die etwa fünfundzwanzig bis dreißig Meter unter uns in der Tiefe lag.<lb/> Um so mehr erstaunte ich, als mir der Meister in der Backstube dicht unter der Decke<lb/> eine Wasserstandsmarke zeigte, die angab, bis wohin die große Sturmflut des Jahres<lb/> 1876 gedrungen war. Am Vormittag des Silvestertages sagte mir der Meister:<lb/> Geselle, heute Mittag gibts nichts zu essen! Ich erwiderte: Ich werde schon sehen,<lb/> wie ich auf meine Kosten komme. Es gab auch keine Vesper an diesem Tage, und<lb/> ich legte mich mit gemischten Gefühlen zum Schlafen nieder. Gegen sechs Uhr<lb/> wurde ich geweckt und in die Wohnstube gerufen. Nachdem ich mich gewaschen<lb/> und angekleidet hatte, ging ich hin und erstaunte über die reichbesehte Tafel, an<lb/> der ich mich zur Seite des Meisters niedersetzen mußte. Da gab es eine Menge<lb/> guter Gerichte, von denen mir namentlich ein schöner Fisch und ein Stück ge¬<lb/> räucherter Schweinskopf mit Braunkohl in der Erinnerung geblieben sind. Der Meister<lb/> schenkte mir den Kopenhagner Schnaps aus einer großen Wasserkaraffe ein, und so<lb/> tafelten wir unter lebhafter Unterhaltung etwa eine Stunde lang. Als sich nach<lb/> Tisch das Dienstmädchen in feierlicher Weise bei dem Meister bedankte, folgte ich<lb/> ihrem Beispiele. Wir blieben bis halb zwölf in der Nacht sitzen und unter¬<lb/> hielten uns mit Kartenspielen, dann gingen wir alle zusammen auf den Marktplatz,<lb/> in dessen Mitte ein Pechfaß brannte, und wo eine dichtgescharte Menschenmenge<lb/> den Anbruch des neuen Jahres erwartete.</p><lb/> <p xml:id="ID_3062"> Da meine Hausgenossen nur Dänisch sprachen, mußte ich wohl oder übel eben¬<lb/> falls Dänisch lernen, was mir jedoch keine große Mühe machte. Meine freie Zeit<lb/> verwandte ich auf Spazierengehn in der Stadt, wo mich namentlich der große<lb/> Warenspeicher sowie die Schiffswerft, wo immer einige Schiffe im Dock logen, in¬<lb/> teressierten. Ich meldete mich auch zur Stammrolle an. Als das Frühjahr wieder<lb/> herankam, machte sich aber wieder der alte Wandertrieb bei mir bemerkbar. Ehe<lb/> ich aber von Apenrade wegkam, erkrankte ich am „Barrach" (Krätze) und ging in<lb/> die „Teewinde" (Krankenhaus), wo ich drei Tage blieb und dann als geheilt ent¬<lb/> lassen wurde. Ich traf dort etwa acht Kranke, unter denen ein lustiger Kupfer¬<lb/> schmied war, der die ganze Gesellschaft mit seinen Späßen unterhielt. Als ich kaum<lb/> wieder zuhause war, stellte sich heraus, daß die Kur doch nicht die gewünschte Wir¬<lb/> kung gehabt hatte; ich ging deshalb auf weitere drei Tage hin und war der ein¬<lb/> zige Patient in der sogenannten Krätzestube. Dort war es außerordentlich schmutzig,<lb/> besonders das Bett ließ, was Reinlichkeit anlangte, alles zu wünschen übrig. Das<lb/> Kopfkissen blieb, wenn man die flache Hand darauf legte, daran kleben. Die Kur<lb/> war recht einfach: ich bekam ein kleines Gläschen mit einer flüssigen Salbe, mit der<lb/> ich den ganzen Körper möglichst oft einreiben sollte. Dazu reichte nun freilich der<lb/> Inhalt der Flasche nicht, und nach der ersten Einreibung war das Medikament ver¬<lb/> braucht. Am dritten Tage mußte ich ein warmes Bad nehmen, und damit war die<lb/> Kur beendet. Ich vertrieb mir in der Krätzestube die Zeit mit Lesen und Rauchen.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1905 86</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0677]
Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren
In Apenrade fand ich sogleich Arbeit bei drei Mark Wochenlohn; die Arbeit
war nicht sehr schwer, aber für mich wieder völlig neu. Ich lernte hier zuerst den
niederdeutschen Schwarzbrotteig machen, der nicht wie bei uns aus reinem Mehl,
sondern aus geschrotenen Korn und aus Kleie hergestellt wird. Die Brote, die
daraus geformt werden, wurden auf zwei Seiten mit Öl bestrichen und dicht zu¬
sammen auf den Schieber gelegt. Vorher war der Ofen ringsherum mit Back¬
scheiten belegt worden, die ebenfalls mit Öl bestrichen waren, damit die Brote nicht
an den Wänden des Ofens kleben blieben. Außerdem wurde auch Weiße und sogar
Konditorware gebacken, die sich natürlich in Form, Herstellungsart und Bezeichnung
wesentlich von dem unterschied, was ich bisher kennen gelernt hatte. Der Meister
war ein Däne, der nur gebrochen Deutsch sprach, aber ein braver Mann war. Er
legte mir besonders eine Lebensregel ans Herz, die ich nie wieder vergessen habe,
sie lautet: Hab und Gut kann einem genommen werden, aber was man gelernt
hat, das hat man als sichern Besitz.
Vom Fenster der Backstube aus konnte ich bis hinab auf die Schiffswerft
sehen, die etwa fünfundzwanzig bis dreißig Meter unter uns in der Tiefe lag.
Um so mehr erstaunte ich, als mir der Meister in der Backstube dicht unter der Decke
eine Wasserstandsmarke zeigte, die angab, bis wohin die große Sturmflut des Jahres
1876 gedrungen war. Am Vormittag des Silvestertages sagte mir der Meister:
Geselle, heute Mittag gibts nichts zu essen! Ich erwiderte: Ich werde schon sehen,
wie ich auf meine Kosten komme. Es gab auch keine Vesper an diesem Tage, und
ich legte mich mit gemischten Gefühlen zum Schlafen nieder. Gegen sechs Uhr
wurde ich geweckt und in die Wohnstube gerufen. Nachdem ich mich gewaschen
und angekleidet hatte, ging ich hin und erstaunte über die reichbesehte Tafel, an
der ich mich zur Seite des Meisters niedersetzen mußte. Da gab es eine Menge
guter Gerichte, von denen mir namentlich ein schöner Fisch und ein Stück ge¬
räucherter Schweinskopf mit Braunkohl in der Erinnerung geblieben sind. Der Meister
schenkte mir den Kopenhagner Schnaps aus einer großen Wasserkaraffe ein, und so
tafelten wir unter lebhafter Unterhaltung etwa eine Stunde lang. Als sich nach
Tisch das Dienstmädchen in feierlicher Weise bei dem Meister bedankte, folgte ich
ihrem Beispiele. Wir blieben bis halb zwölf in der Nacht sitzen und unter¬
hielten uns mit Kartenspielen, dann gingen wir alle zusammen auf den Marktplatz,
in dessen Mitte ein Pechfaß brannte, und wo eine dichtgescharte Menschenmenge
den Anbruch des neuen Jahres erwartete.
Da meine Hausgenossen nur Dänisch sprachen, mußte ich wohl oder übel eben¬
falls Dänisch lernen, was mir jedoch keine große Mühe machte. Meine freie Zeit
verwandte ich auf Spazierengehn in der Stadt, wo mich namentlich der große
Warenspeicher sowie die Schiffswerft, wo immer einige Schiffe im Dock logen, in¬
teressierten. Ich meldete mich auch zur Stammrolle an. Als das Frühjahr wieder
herankam, machte sich aber wieder der alte Wandertrieb bei mir bemerkbar. Ehe
ich aber von Apenrade wegkam, erkrankte ich am „Barrach" (Krätze) und ging in
die „Teewinde" (Krankenhaus), wo ich drei Tage blieb und dann als geheilt ent¬
lassen wurde. Ich traf dort etwa acht Kranke, unter denen ein lustiger Kupfer¬
schmied war, der die ganze Gesellschaft mit seinen Späßen unterhielt. Als ich kaum
wieder zuhause war, stellte sich heraus, daß die Kur doch nicht die gewünschte Wir¬
kung gehabt hatte; ich ging deshalb auf weitere drei Tage hin und war der ein¬
zige Patient in der sogenannten Krätzestube. Dort war es außerordentlich schmutzig,
besonders das Bett ließ, was Reinlichkeit anlangte, alles zu wünschen übrig. Das
Kopfkissen blieb, wenn man die flache Hand darauf legte, daran kleben. Die Kur
war recht einfach: ich bekam ein kleines Gläschen mit einer flüssigen Salbe, mit der
ich den ganzen Körper möglichst oft einreiben sollte. Dazu reichte nun freilich der
Inhalt der Flasche nicht, und nach der ersten Einreibung war das Medikament ver¬
braucht. Am dritten Tage mußte ich ein warmes Bad nehmen, und damit war die
Kur beendet. Ich vertrieb mir in der Krätzestube die Zeit mit Lesen und Rauchen.
Grenzboten II 1905 86
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |