Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Unter Uunden, Komödianten und wilden Tieren kann es, daß wir mit Eiern immer reichlich versorgt waren. Unterwegs bekam ich Von Lübeck ging es über Kiel, Eckernförde und Schleswig auf Husum zu. Unter Uunden, Komödianten und wilden Tieren kann es, daß wir mit Eiern immer reichlich versorgt waren. Unterwegs bekam ich Von Lübeck ging es über Kiel, Eckernförde und Schleswig auf Husum zu. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0675" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297054"/> <fw type="header" place="top"> Unter Uunden, Komödianten und wilden Tieren</fw><lb/> <p xml:id="ID_3056" prev="#ID_3055"> kann es, daß wir mit Eiern immer reichlich versorgt waren. Unterwegs bekam ich<lb/> wegen irgendeiner Kleinigkeit, auf die ich mich nicht mehr besinnen kann, mit<lb/> meinem Reisekollegen Streit und wurde dabei so wütend, daß ich meinen Strumpf<lb/> hervorzog und ihm diesen samt dem Inhalte von etwa zwanzig Eiern so lange<lb/> um die Ohren schlug, bis er aussah, als ob er im höchsten Grade die Gelbsucht<lb/> hätte. Der Eiervorrat wurde jedoch, bis wir in Grevesmühlen anlangten, wieder<lb/> so weit ersetzt, daß wir uns am Abend auf der Herberge Spiegeleier mit Speck<lb/> machen lassen konnten. Am Montag früh wanderten sieben Kunden nach Schönberg,<lb/> und ich folgte ihnen mit zwei andern, einem Tischler und einem Former, eine halbe<lb/> Stunde später. Wir kamen durch Dörfer, und der Tischler machte den Vorschlag,<lb/> ein paar „Kaffern zu fiebern" (Bauern anzubetteln). Das taten wir denn auch,<lb/> als ich aber aus dem dritten Bauernhaus wieder herauskam, sah ich die ganze<lb/> Gesellschaft, die vor uns ausgewandert war, zurückkehren. Ich konnte mir dies<lb/> um so weniger erklären, als ich keinen Teckel in ihrer Gesellschaft zu sehen ver¬<lb/> mochte. Die sieben Kunden winkten mit ihren Stenzen und gaben uns Zeichen,<lb/> daß wir ausreißen sollten, was wir aber nicht taten, weil wir nichts Gefährliches<lb/> sahen. Als sie nahe genug bei uns waren, kam plötzlich ein Teckel zum Vorschein,<lb/> der gebückt hinter den Kunden hergegangen war und hinter diesen gewissermaßen<lb/> Deckung gesucht hatte. Er steppte uns und erklärte uns für arretiert, wobei er<lb/> uns in einen Krug führte und von dort aus bei den gefiederten Kaffern Erkun¬<lb/> digungen einzog. Dann brachte er uns neun nach Grevesmühlen auf das Amts¬<lb/> gericht, wo wir einem Verhör unterworfen und zu drei Tagen Haft verdonnert<lb/> wurden. Das „Knechen" (Haftlokal) war offenbar neu. Es war mit allem Kom¬<lb/> fort der Neuzeit ausgestattet und hatte sogar Gasbeleuchtung und elektrische Klingel.<lb/> Der Aufenthalt dort war ganz angenehm, und die Kost ließ, was Qualität und<lb/> Quantität anlangte, nichts zu wünschen übrig. Nachdem wir entlassen worden<lb/> waren, faßten wir den Entschluß, Mecklenburg so bald wie möglich zu verlassen,<lb/> besuchten noch Schönberg, wo wir eine Nacht blieben und nur die Krauterer stießen,<lb/> und wanderten von dort weiter auf Lübeck zu. Unterwegs kamen wir durch das<lb/> Dorf Schlntup, das an einer Meeresbucht liegt und hauptsächlich Bücklingsräucherei<lb/> betreibt. Wir, d. h. meine drei Wanderkollegen und ich, hatten von diesem Orte<lb/> schon in Schönberg gehört und ebenso von dem Brauche der Schlutuper, die Kunden<lb/> mit frisch geräucherten Bücklingen zu beschenken. Wir verabredeten deshalb, daß<lb/> jeder eine bestimmte Anzahl der fünfunddreißig Räuchereien vornehmen und sein<lb/> Glück versuchen sollte. In diesen Räuchereien waren durchschnittlich zehn bis zwölf<lb/> Frauen damit beschäftigt, die rohen Fische, eine Art Hering, in einem großen<lb/> Wasserkübel mit dem Besen durcheinander zu rühre» und sie auf diese Weise ober¬<lb/> flächlich von Schmutz und Schuppen zu reinigen. Dann wurden die Fische an<lb/> dünne eiserne Stäbchen gereiht und in besondern Räumen über den, mit grünen<lb/> Fichtenreisern unterhaltnen Feuer geräuchert. Ich bekam in jedem Hause etwa<lb/> ein halbes Dutzend warme Bücklinge, die man mir in Strohpapier wickelte, sodaß<lb/> ich beim Verlassen des Dorfes nicht nur meinen Berliner und meine Taschen mit<lb/> Fischen gefüllt hatte, sondern auch uoch eiuen ansehnlichen Pack im Arme trug.<lb/> Meine Wanderkollegen hatten eine eben so reiche Ernte gehabt, und wir konnten<lb/> nicht nnr bis nach Lübeck hinein von unsern Borräten zehren, sondern anch dort noch<lb/> eine große Menge verkaufen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3057" next="#ID_3058"> Von Lübeck ging es über Kiel, Eckernförde und Schleswig auf Husum zu.<lb/> Es war kurz vor Weihnachten, und das Wetter war so schlecht, wie ich es selten<lb/> erlebt habe. Ich mußte in einem Dorfe über Nacht bleiben und den nächsten Tag<lb/> bei ununterbrochnem Regen und Schnee meine Wanderung fortsetzen. Abends gegen<lb/> zehn Uhr kam ich in Husum an, ging auf die dortige Penne und bemerkte zu<lb/> meinem Schrecken, daß meine Stiefel infolge der Nässe aufgeplatzt waren. Über¬<lb/> haupt war ich naß bis auf die Knochen, und es dauerte eine ganze Weile, bevor<lb/> ich mich mit Soruff und einem soliden „Pikus" (Abendessen) wieder einigermaßen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0675]
Unter Uunden, Komödianten und wilden Tieren
kann es, daß wir mit Eiern immer reichlich versorgt waren. Unterwegs bekam ich
wegen irgendeiner Kleinigkeit, auf die ich mich nicht mehr besinnen kann, mit
meinem Reisekollegen Streit und wurde dabei so wütend, daß ich meinen Strumpf
hervorzog und ihm diesen samt dem Inhalte von etwa zwanzig Eiern so lange
um die Ohren schlug, bis er aussah, als ob er im höchsten Grade die Gelbsucht
hätte. Der Eiervorrat wurde jedoch, bis wir in Grevesmühlen anlangten, wieder
so weit ersetzt, daß wir uns am Abend auf der Herberge Spiegeleier mit Speck
machen lassen konnten. Am Montag früh wanderten sieben Kunden nach Schönberg,
und ich folgte ihnen mit zwei andern, einem Tischler und einem Former, eine halbe
Stunde später. Wir kamen durch Dörfer, und der Tischler machte den Vorschlag,
ein paar „Kaffern zu fiebern" (Bauern anzubetteln). Das taten wir denn auch,
als ich aber aus dem dritten Bauernhaus wieder herauskam, sah ich die ganze
Gesellschaft, die vor uns ausgewandert war, zurückkehren. Ich konnte mir dies
um so weniger erklären, als ich keinen Teckel in ihrer Gesellschaft zu sehen ver¬
mochte. Die sieben Kunden winkten mit ihren Stenzen und gaben uns Zeichen,
daß wir ausreißen sollten, was wir aber nicht taten, weil wir nichts Gefährliches
sahen. Als sie nahe genug bei uns waren, kam plötzlich ein Teckel zum Vorschein,
der gebückt hinter den Kunden hergegangen war und hinter diesen gewissermaßen
Deckung gesucht hatte. Er steppte uns und erklärte uns für arretiert, wobei er
uns in einen Krug führte und von dort aus bei den gefiederten Kaffern Erkun¬
digungen einzog. Dann brachte er uns neun nach Grevesmühlen auf das Amts¬
gericht, wo wir einem Verhör unterworfen und zu drei Tagen Haft verdonnert
wurden. Das „Knechen" (Haftlokal) war offenbar neu. Es war mit allem Kom¬
fort der Neuzeit ausgestattet und hatte sogar Gasbeleuchtung und elektrische Klingel.
Der Aufenthalt dort war ganz angenehm, und die Kost ließ, was Qualität und
Quantität anlangte, nichts zu wünschen übrig. Nachdem wir entlassen worden
waren, faßten wir den Entschluß, Mecklenburg so bald wie möglich zu verlassen,
besuchten noch Schönberg, wo wir eine Nacht blieben und nur die Krauterer stießen,
und wanderten von dort weiter auf Lübeck zu. Unterwegs kamen wir durch das
Dorf Schlntup, das an einer Meeresbucht liegt und hauptsächlich Bücklingsräucherei
betreibt. Wir, d. h. meine drei Wanderkollegen und ich, hatten von diesem Orte
schon in Schönberg gehört und ebenso von dem Brauche der Schlutuper, die Kunden
mit frisch geräucherten Bücklingen zu beschenken. Wir verabredeten deshalb, daß
jeder eine bestimmte Anzahl der fünfunddreißig Räuchereien vornehmen und sein
Glück versuchen sollte. In diesen Räuchereien waren durchschnittlich zehn bis zwölf
Frauen damit beschäftigt, die rohen Fische, eine Art Hering, in einem großen
Wasserkübel mit dem Besen durcheinander zu rühre» und sie auf diese Weise ober¬
flächlich von Schmutz und Schuppen zu reinigen. Dann wurden die Fische an
dünne eiserne Stäbchen gereiht und in besondern Räumen über den, mit grünen
Fichtenreisern unterhaltnen Feuer geräuchert. Ich bekam in jedem Hause etwa
ein halbes Dutzend warme Bücklinge, die man mir in Strohpapier wickelte, sodaß
ich beim Verlassen des Dorfes nicht nur meinen Berliner und meine Taschen mit
Fischen gefüllt hatte, sondern auch uoch eiuen ansehnlichen Pack im Arme trug.
Meine Wanderkollegen hatten eine eben so reiche Ernte gehabt, und wir konnten
nicht nnr bis nach Lübeck hinein von unsern Borräten zehren, sondern anch dort noch
eine große Menge verkaufen.
Von Lübeck ging es über Kiel, Eckernförde und Schleswig auf Husum zu.
Es war kurz vor Weihnachten, und das Wetter war so schlecht, wie ich es selten
erlebt habe. Ich mußte in einem Dorfe über Nacht bleiben und den nächsten Tag
bei ununterbrochnem Regen und Schnee meine Wanderung fortsetzen. Abends gegen
zehn Uhr kam ich in Husum an, ging auf die dortige Penne und bemerkte zu
meinem Schrecken, daß meine Stiefel infolge der Nässe aufgeplatzt waren. Über¬
haupt war ich naß bis auf die Knochen, und es dauerte eine ganze Weile, bevor
ich mich mit Soruff und einem soliden „Pikus" (Abendessen) wieder einigermaßen
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