Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren mußte sich mit einem begnügen, der nicht einmal ganz komplett war, sondern enden Im Mecklenburgischen traf ich einen Maler, der zugleich ein Meister des Da ich inzwischen meinen Vagabnndierbentel verloren hatte, befestigte ich an Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren mußte sich mit einem begnügen, der nicht einmal ganz komplett war, sondern enden Im Mecklenburgischen traf ich einen Maler, der zugleich ein Meister des Da ich inzwischen meinen Vagabnndierbentel verloren hatte, befestigte ich an <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0674" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297053"/> <fw type="header" place="top"> Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren</fw><lb/> <p xml:id="ID_3053" prev="#ID_3052"> mußte sich mit einem begnügen, der nicht einmal ganz komplett war, sondern enden<lb/> Stelzfuß hatte. Später kam noch eine ganze Familie dazu, bestehend aus dem<lb/> Schenks, der Schickse und zwei „Schrabinern" (Kindern). Um sieben Uhr Abends<lb/> „pickte" (aß) die in der Herberge versammelte recht gemischte Gesellschaft Kartoffeln<lb/> und Hering. Nach dem Essen räumten die Schicksen den Tisch ab, machten sich<lb/> in jeder Weise nützlich und entfalteten häusliche Talente, die ich gar nicht bei ihnen<lb/> erwartet hatte. Währenddessen stand der Lehmer am Ofen, wärmte sich seine Rück¬<lb/> seite und schaute dem Treiben zu. Da erschien plötzlich Klempners Karl, der uns<lb/> Wider Erwarten nicht steppte. Der Lehmer schien mit dem Vertreter der hohen<lb/> Obrigkeit ans ganz vertrautem Fuße zu stehn, denn er begrüßte ihn mit den Worten:<lb/> „Herr Wachtmeister, jetzt ist die Harfenpaule da, jetzt kann das Vergnügen los-<lb/> gehn." Der Gendarm streifte die Schicksen mit eineni verachtungsvollen Blick,<lb/> sagte: „Schöne Gesellschaft" und zog sich in die Extrastube zurück, deren Tür er<lb/> offen stehn ließ. Die Harfenpanle improvisierte ein Couplet, worin sie jedem der<lb/> Anwesenden, den Klempners Karl nicht ausgeschlossen, eine Strophe widmete, was<lb/> das steinerne Herz des Gendarmen so rührte, daß er der Sängerin ein „halbes<lb/> Pfund" verabfolgen ließ, das diese mit einem einzigen Zug in Sicherheit brachte.<lb/> Als es nach dieser Abendunterhaltung zum Schlafen ging, mußten sechs der Kunden<lb/> ihr Nachtlager in einem hoher liegenden Raum aufschlagen, während die Scheckse<lb/> mit ihren Schicksen auf Rauscher schlafen sollten. Der Lehmer, der nebenbei bemerkt<lb/> keine Bienen oder deutsche Reichskäfer hatte und deshalb berechtigt war, in einem<lb/> „Sänftling" (Bett) zu „perlten" (schlafen), wollte seine Angebetete mit hinauf<lb/> nehmen, wogegen jedoch Einspruch erhoben wurde. Er verzichtete deshalb auf den<lb/> Säuftliug und bettete sich in Gesellschaft seiner Schickse und seines Nebenbuhlers<lb/> auf Rauscher. Als ich am andern Morgen gegen sechs Uhr wieder in die Fremden¬<lb/> stube hinunterkam, war die ganze Gesellschaft schon verschwunden, und das Lokal<lb/> gereinigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_3054"> Im Mecklenburgischen traf ich einen Maler, der zugleich ein Meister des<lb/> Gesangs war und uns die gemeinsame Wanderung mit „Schalleru" verkürzte.<lb/> Wir gelangten zusammen nach Rostock und wollten von dort nach Waruemünde.<lb/> Zufälligerweise trafen wir günstige Fahrgelegenheit, da am Hafen gerade ein Boor<lb/> lag, das mit Ziegelsteinen beladen und nach Waruemünde bestimmt war. Der<lb/> Schiffer, dem wir unsern Wunsch, nach Warnemünde zu fahren, vortrugen, war froh,<lb/> auf seiner Fahrt Gesellschaft zu finden, und nahm uns umsonst mit. Was man ge¬<lb/> wöhnlich von einer Wasserfahrt behauptet, daß sie ein Vergnügen eigner Art sei,<lb/> ließ sich von unsrer Fahrt durchaus uicht sagen. Das Boot, das nnter Segel fuhr,<lb/> war so schwer beladen, daß der Bord nur etwa zwei Hand hoch über das Wasser<lb/> heraussah. Dabei war es ein kalter, windiger Novembernachmittag. Wir mußten<lb/> vier Stunden lang unbeweglich sitzen, um jedes Schwanken des Bootes zu ver¬<lb/> hüten. Die Möwen kreisten schreiend über unsern Köpfen, und das Gefühl der<lb/> Sicherheit wurde durch den Umstand, daß der Schiffer von Zeit zu Zeit eine der<lb/> Bvdenplanken öffnete nud mit einem hölzernen Löffel das Wasser ausschöpfte, bei<lb/> mir wenigstens nicht gerade gehoben. Als wir eine Weile gefahren waren, be¬<lb/> gegnete uus eine Anzahl von Fischerbooten, die bei Einbruch der Dunkelheit auf<lb/> den Faug auszogen und mit uns in der landesüblichen Weise Grüße tauschte».<lb/> Steifgefroren langten wir in Warnemünde an, wo wir in der wilden Heimat ein<lb/> warmes Quartier und leidliche Beköstigung fanden. Der Penneboos verkürzte uns<lb/> den Abend mit allerlei Geschichten, ans deren Vortrag er sich vorzüglich verstand.<lb/> Am andern Morgen ging ich auf Umschau, zog aber schon Mittags in Gesellschaft<lb/> des Malers nach Wismar und von dort am nächsten Tage nach Grevesmühlen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3055" next="#ID_3056"> Da ich inzwischen meinen Vagabnndierbentel verloren hatte, befestigte ich an<lb/> der Innenseite des Rockes einen Strumpf, der sich vorzüglich zur Aufnahme der<lb/> bei den Bauern „getalften" Eier eignete. Die Bauern geben dort in der Gegend<lb/> den Kunden lieber ein El oder ein Stückchen Speck als einen „Poschcr"; daher</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0674]
Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren
mußte sich mit einem begnügen, der nicht einmal ganz komplett war, sondern enden
Stelzfuß hatte. Später kam noch eine ganze Familie dazu, bestehend aus dem
Schenks, der Schickse und zwei „Schrabinern" (Kindern). Um sieben Uhr Abends
„pickte" (aß) die in der Herberge versammelte recht gemischte Gesellschaft Kartoffeln
und Hering. Nach dem Essen räumten die Schicksen den Tisch ab, machten sich
in jeder Weise nützlich und entfalteten häusliche Talente, die ich gar nicht bei ihnen
erwartet hatte. Währenddessen stand der Lehmer am Ofen, wärmte sich seine Rück¬
seite und schaute dem Treiben zu. Da erschien plötzlich Klempners Karl, der uns
Wider Erwarten nicht steppte. Der Lehmer schien mit dem Vertreter der hohen
Obrigkeit ans ganz vertrautem Fuße zu stehn, denn er begrüßte ihn mit den Worten:
„Herr Wachtmeister, jetzt ist die Harfenpaule da, jetzt kann das Vergnügen los-
gehn." Der Gendarm streifte die Schicksen mit eineni verachtungsvollen Blick,
sagte: „Schöne Gesellschaft" und zog sich in die Extrastube zurück, deren Tür er
offen stehn ließ. Die Harfenpanle improvisierte ein Couplet, worin sie jedem der
Anwesenden, den Klempners Karl nicht ausgeschlossen, eine Strophe widmete, was
das steinerne Herz des Gendarmen so rührte, daß er der Sängerin ein „halbes
Pfund" verabfolgen ließ, das diese mit einem einzigen Zug in Sicherheit brachte.
Als es nach dieser Abendunterhaltung zum Schlafen ging, mußten sechs der Kunden
ihr Nachtlager in einem hoher liegenden Raum aufschlagen, während die Scheckse
mit ihren Schicksen auf Rauscher schlafen sollten. Der Lehmer, der nebenbei bemerkt
keine Bienen oder deutsche Reichskäfer hatte und deshalb berechtigt war, in einem
„Sänftling" (Bett) zu „perlten" (schlafen), wollte seine Angebetete mit hinauf
nehmen, wogegen jedoch Einspruch erhoben wurde. Er verzichtete deshalb auf den
Säuftliug und bettete sich in Gesellschaft seiner Schickse und seines Nebenbuhlers
auf Rauscher. Als ich am andern Morgen gegen sechs Uhr wieder in die Fremden¬
stube hinunterkam, war die ganze Gesellschaft schon verschwunden, und das Lokal
gereinigt.
Im Mecklenburgischen traf ich einen Maler, der zugleich ein Meister des
Gesangs war und uns die gemeinsame Wanderung mit „Schalleru" verkürzte.
Wir gelangten zusammen nach Rostock und wollten von dort nach Waruemünde.
Zufälligerweise trafen wir günstige Fahrgelegenheit, da am Hafen gerade ein Boor
lag, das mit Ziegelsteinen beladen und nach Waruemünde bestimmt war. Der
Schiffer, dem wir unsern Wunsch, nach Warnemünde zu fahren, vortrugen, war froh,
auf seiner Fahrt Gesellschaft zu finden, und nahm uns umsonst mit. Was man ge¬
wöhnlich von einer Wasserfahrt behauptet, daß sie ein Vergnügen eigner Art sei,
ließ sich von unsrer Fahrt durchaus uicht sagen. Das Boot, das nnter Segel fuhr,
war so schwer beladen, daß der Bord nur etwa zwei Hand hoch über das Wasser
heraussah. Dabei war es ein kalter, windiger Novembernachmittag. Wir mußten
vier Stunden lang unbeweglich sitzen, um jedes Schwanken des Bootes zu ver¬
hüten. Die Möwen kreisten schreiend über unsern Köpfen, und das Gefühl der
Sicherheit wurde durch den Umstand, daß der Schiffer von Zeit zu Zeit eine der
Bvdenplanken öffnete nud mit einem hölzernen Löffel das Wasser ausschöpfte, bei
mir wenigstens nicht gerade gehoben. Als wir eine Weile gefahren waren, be¬
gegnete uus eine Anzahl von Fischerbooten, die bei Einbruch der Dunkelheit auf
den Faug auszogen und mit uns in der landesüblichen Weise Grüße tauschte».
Steifgefroren langten wir in Warnemünde an, wo wir in der wilden Heimat ein
warmes Quartier und leidliche Beköstigung fanden. Der Penneboos verkürzte uns
den Abend mit allerlei Geschichten, ans deren Vortrag er sich vorzüglich verstand.
Am andern Morgen ging ich auf Umschau, zog aber schon Mittags in Gesellschaft
des Malers nach Wismar und von dort am nächsten Tage nach Grevesmühlen.
Da ich inzwischen meinen Vagabnndierbentel verloren hatte, befestigte ich an
der Innenseite des Rockes einen Strumpf, der sich vorzüglich zur Aufnahme der
bei den Bauern „getalften" Eier eignete. Die Bauern geben dort in der Gegend
den Kunden lieber ein El oder ein Stückchen Speck als einen „Poschcr"; daher
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