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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Hund erkannten, und den wir unter lebhaftem Protest zurückwiesen. Wie elend die
Kost war, mag man daraus erkennen, daß eine Portion Reis zum Preise von
sieben Pfennigen ausreichen mußte, fünf Personen zu sättigen, dazu gab es ein kleines
Stück Rindfleisch, das in seinem Grvßeuverhältuis der Reisportion entsprach. In¬
folgedessen gingen wir mit dem Backwerk nicht sehr schonend um, und es war Ge¬
brauch geworden, daß das erste Blech Butterware in die Backstube flog, wo das
Gebäck gleich in Butter gestippt und so schnell wie möglich verzehrt wurde. Zum
Frühstück erhielten wir nur ein Butterbrot ohne Belag. Am Karfreitag erklärte
mir der Lehrling, er wolle sich zu seinem Brot ein Stück Wurst holen, was mich
ans den Gedanken brachte, zu meiner Tante hinüber zu gehn und mir ein Stück
Speck geben zu lassen. Während wir beide nun unser auf diese Weise verbessertes
Frühstück genossen, erschien der Meister, der ein strenger Katholik war, in der Back¬
stube und machte uns wegen einer solchen Entheiligung des Karfreitags schreckliche
Vorwürfe. Ich antwortete ihm ruhig: "Meister, ich esse Speck, wenn ich welchen
habe, und esse keinen, wenn ich keinen habe, und ini übrigen hoffe ich, daß mir
dieser Speck hier gut bekommen werde." Da es, wie schon bemerkt, mit der Kost
recht schlecht aussah, ging ich Mittags, wenn wir rin der Arbeit fertig waren, zu
meiner Taute, die immer etwas für mich in Bereitschaft hatte. Dort blieb ich in
der Regel bis Nachmittags vier oder fünf Uhr und unterhielt mich mit meiner
Cousine und deren Lehrmädchen in der Schneidcrstube. Dort ging es meist sehr
lustig zu, und über dem gemeinsamen Gesang vergaßen wir oft, das Fenster nach
dem Hofe im Auge zu behalten, durch das man die Kundinnen, die zum An¬
probieren erschienen, kommen sehen konnte. Dann geschah es zuweilen, daß es für
mich zu spät war, aus der Stuve zu flüchten, weshalb ich ein Versteck hinter dem
Ofen aufsuchen mußte. Dort blieb ich unbeweglich stehn, bis die Prozedur des An-
probierens erledigt war, was mitunter sehr lange dauerte.

Als die Baume wieder grün zu werden begannen, packte mich die Wander¬
lust, und ich beschloß, mich irgendwo anders nach Arbeit umzusehen. Dabei hatte ich
denn auch insofern Glück, als ich diesesmal nicht lange zu suchen brauchte. Der frühere
Besitzer der Bäckerei, wo ich uoch tätig war, wohnte in demselben Hause und zog
bald darauf nach Tschernow bei Küstrin. Er lud mich ein, wenn ich einmal von
Schwiebus weggehn sollte, dorthin zu kommen und bei ihm einzutreten. Von dieser
Einladung machte ich jetzt Gebrauch. Der Meister hatte außer seiner kleinen
Bäckerei einen Gnsthof, der mit Ökonomie verbunden war. Arbeit gab es nicht
übermäßig viel, Kost und Behandlung waren gut, aber der Lohn war, wie dort
in der Gegend allgemein, knapp. Ich blieb bis zum September und wanderte
weiter über Küstrin, Frankfurt a. O. und Neubrandenburg nach Stralsund, machte
einen Ausflug nach der Insel Rügen, wanderte dann über Demmin nach Stargard
und ging dort "umschauen." Ein alter Meister, bei dem ich vorsprach, wollte mir
das Verbandsbuch abnehmen, weil die Innung Lengenfeld zufälligerweise nicht auf
seiner Liste stand. Ich erklärte ihm, das möge er ruhig tun, ich würde dann aber
auf seine Kosten so lange dort liegen bleiben, bis ich das Buch zurückbekäme. Das
wirkte. Der Meister rückte das Buch gleich wieder heraus und gab mir noch einen
"Bieler" (Groschen). Ich will nicht verhehlen, daß ich in Stargard auch wieder
einmal "auf falschen Tappen ging" und als Fleischergeselle bei den Meistern vor¬
sprach. Dabei sammelte ich im "Vagabundierbeutcl," der unter dem Rocke getragen
wird, eine Anzahl Wurststücke. Auf der Herberge saßen, als ich vom Umschauen
zurückkam, ein paar "Tippelschicksen," d. h. berufsmäßige Begleiterinnen von Kunden.
Die "Scheckse" (Liebhaber) waren noch unterwegs, so teilte ich denn meine Beute
an Wurst und Semmeln mit den beiden Schicksen. Die eine dieser Damen war
schwanger, die andre, die sich durch eine rote Nase auszeichnete, war früher als
Harfenmädchen gereist und hatte aus ihrer musikalischen Vergangenheit den Namen
Harfenpaule beibehalten. Die erste der Schicksen nannte zwei Scheckse ihr eigen,
einen "Pflanzer" (Schuster) und einen "Lehmer" (Bäcker), die Harfenpanle dagegen


Hund erkannten, und den wir unter lebhaftem Protest zurückwiesen. Wie elend die
Kost war, mag man daraus erkennen, daß eine Portion Reis zum Preise von
sieben Pfennigen ausreichen mußte, fünf Personen zu sättigen, dazu gab es ein kleines
Stück Rindfleisch, das in seinem Grvßeuverhältuis der Reisportion entsprach. In¬
folgedessen gingen wir mit dem Backwerk nicht sehr schonend um, und es war Ge¬
brauch geworden, daß das erste Blech Butterware in die Backstube flog, wo das
Gebäck gleich in Butter gestippt und so schnell wie möglich verzehrt wurde. Zum
Frühstück erhielten wir nur ein Butterbrot ohne Belag. Am Karfreitag erklärte
mir der Lehrling, er wolle sich zu seinem Brot ein Stück Wurst holen, was mich
ans den Gedanken brachte, zu meiner Tante hinüber zu gehn und mir ein Stück
Speck geben zu lassen. Während wir beide nun unser auf diese Weise verbessertes
Frühstück genossen, erschien der Meister, der ein strenger Katholik war, in der Back¬
stube und machte uns wegen einer solchen Entheiligung des Karfreitags schreckliche
Vorwürfe. Ich antwortete ihm ruhig: „Meister, ich esse Speck, wenn ich welchen
habe, und esse keinen, wenn ich keinen habe, und ini übrigen hoffe ich, daß mir
dieser Speck hier gut bekommen werde." Da es, wie schon bemerkt, mit der Kost
recht schlecht aussah, ging ich Mittags, wenn wir rin der Arbeit fertig waren, zu
meiner Taute, die immer etwas für mich in Bereitschaft hatte. Dort blieb ich in
der Regel bis Nachmittags vier oder fünf Uhr und unterhielt mich mit meiner
Cousine und deren Lehrmädchen in der Schneidcrstube. Dort ging es meist sehr
lustig zu, und über dem gemeinsamen Gesang vergaßen wir oft, das Fenster nach
dem Hofe im Auge zu behalten, durch das man die Kundinnen, die zum An¬
probieren erschienen, kommen sehen konnte. Dann geschah es zuweilen, daß es für
mich zu spät war, aus der Stuve zu flüchten, weshalb ich ein Versteck hinter dem
Ofen aufsuchen mußte. Dort blieb ich unbeweglich stehn, bis die Prozedur des An-
probierens erledigt war, was mitunter sehr lange dauerte.

Als die Baume wieder grün zu werden begannen, packte mich die Wander¬
lust, und ich beschloß, mich irgendwo anders nach Arbeit umzusehen. Dabei hatte ich
denn auch insofern Glück, als ich diesesmal nicht lange zu suchen brauchte. Der frühere
Besitzer der Bäckerei, wo ich uoch tätig war, wohnte in demselben Hause und zog
bald darauf nach Tschernow bei Küstrin. Er lud mich ein, wenn ich einmal von
Schwiebus weggehn sollte, dorthin zu kommen und bei ihm einzutreten. Von dieser
Einladung machte ich jetzt Gebrauch. Der Meister hatte außer seiner kleinen
Bäckerei einen Gnsthof, der mit Ökonomie verbunden war. Arbeit gab es nicht
übermäßig viel, Kost und Behandlung waren gut, aber der Lohn war, wie dort
in der Gegend allgemein, knapp. Ich blieb bis zum September und wanderte
weiter über Küstrin, Frankfurt a. O. und Neubrandenburg nach Stralsund, machte
einen Ausflug nach der Insel Rügen, wanderte dann über Demmin nach Stargard
und ging dort „umschauen." Ein alter Meister, bei dem ich vorsprach, wollte mir
das Verbandsbuch abnehmen, weil die Innung Lengenfeld zufälligerweise nicht auf
seiner Liste stand. Ich erklärte ihm, das möge er ruhig tun, ich würde dann aber
auf seine Kosten so lange dort liegen bleiben, bis ich das Buch zurückbekäme. Das
wirkte. Der Meister rückte das Buch gleich wieder heraus und gab mir noch einen
„Bieler" (Groschen). Ich will nicht verhehlen, daß ich in Stargard auch wieder
einmal „auf falschen Tappen ging" und als Fleischergeselle bei den Meistern vor¬
sprach. Dabei sammelte ich im „Vagabundierbeutcl," der unter dem Rocke getragen
wird, eine Anzahl Wurststücke. Auf der Herberge saßen, als ich vom Umschauen
zurückkam, ein paar „Tippelschicksen," d. h. berufsmäßige Begleiterinnen von Kunden.
Die „Scheckse" (Liebhaber) waren noch unterwegs, so teilte ich denn meine Beute
an Wurst und Semmeln mit den beiden Schicksen. Die eine dieser Damen war
schwanger, die andre, die sich durch eine rote Nase auszeichnete, war früher als
Harfenmädchen gereist und hatte aus ihrer musikalischen Vergangenheit den Namen
Harfenpaule beibehalten. Die erste der Schicksen nannte zwei Scheckse ihr eigen,
einen „Pflanzer" (Schuster) und einen „Lehmer" (Bäcker), die Harfenpanle dagegen


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[0673] Hund erkannten, und den wir unter lebhaftem Protest zurückwiesen. Wie elend die Kost war, mag man daraus erkennen, daß eine Portion Reis zum Preise von sieben Pfennigen ausreichen mußte, fünf Personen zu sättigen, dazu gab es ein kleines Stück Rindfleisch, das in seinem Grvßeuverhältuis der Reisportion entsprach. In¬ folgedessen gingen wir mit dem Backwerk nicht sehr schonend um, und es war Ge¬ brauch geworden, daß das erste Blech Butterware in die Backstube flog, wo das Gebäck gleich in Butter gestippt und so schnell wie möglich verzehrt wurde. Zum Frühstück erhielten wir nur ein Butterbrot ohne Belag. Am Karfreitag erklärte mir der Lehrling, er wolle sich zu seinem Brot ein Stück Wurst holen, was mich ans den Gedanken brachte, zu meiner Tante hinüber zu gehn und mir ein Stück Speck geben zu lassen. Während wir beide nun unser auf diese Weise verbessertes Frühstück genossen, erschien der Meister, der ein strenger Katholik war, in der Back¬ stube und machte uns wegen einer solchen Entheiligung des Karfreitags schreckliche Vorwürfe. Ich antwortete ihm ruhig: „Meister, ich esse Speck, wenn ich welchen habe, und esse keinen, wenn ich keinen habe, und ini übrigen hoffe ich, daß mir dieser Speck hier gut bekommen werde." Da es, wie schon bemerkt, mit der Kost recht schlecht aussah, ging ich Mittags, wenn wir rin der Arbeit fertig waren, zu meiner Taute, die immer etwas für mich in Bereitschaft hatte. Dort blieb ich in der Regel bis Nachmittags vier oder fünf Uhr und unterhielt mich mit meiner Cousine und deren Lehrmädchen in der Schneidcrstube. Dort ging es meist sehr lustig zu, und über dem gemeinsamen Gesang vergaßen wir oft, das Fenster nach dem Hofe im Auge zu behalten, durch das man die Kundinnen, die zum An¬ probieren erschienen, kommen sehen konnte. Dann geschah es zuweilen, daß es für mich zu spät war, aus der Stuve zu flüchten, weshalb ich ein Versteck hinter dem Ofen aufsuchen mußte. Dort blieb ich unbeweglich stehn, bis die Prozedur des An- probierens erledigt war, was mitunter sehr lange dauerte. Als die Baume wieder grün zu werden begannen, packte mich die Wander¬ lust, und ich beschloß, mich irgendwo anders nach Arbeit umzusehen. Dabei hatte ich denn auch insofern Glück, als ich diesesmal nicht lange zu suchen brauchte. Der frühere Besitzer der Bäckerei, wo ich uoch tätig war, wohnte in demselben Hause und zog bald darauf nach Tschernow bei Küstrin. Er lud mich ein, wenn ich einmal von Schwiebus weggehn sollte, dorthin zu kommen und bei ihm einzutreten. Von dieser Einladung machte ich jetzt Gebrauch. Der Meister hatte außer seiner kleinen Bäckerei einen Gnsthof, der mit Ökonomie verbunden war. Arbeit gab es nicht übermäßig viel, Kost und Behandlung waren gut, aber der Lohn war, wie dort in der Gegend allgemein, knapp. Ich blieb bis zum September und wanderte weiter über Küstrin, Frankfurt a. O. und Neubrandenburg nach Stralsund, machte einen Ausflug nach der Insel Rügen, wanderte dann über Demmin nach Stargard und ging dort „umschauen." Ein alter Meister, bei dem ich vorsprach, wollte mir das Verbandsbuch abnehmen, weil die Innung Lengenfeld zufälligerweise nicht auf seiner Liste stand. Ich erklärte ihm, das möge er ruhig tun, ich würde dann aber auf seine Kosten so lange dort liegen bleiben, bis ich das Buch zurückbekäme. Das wirkte. Der Meister rückte das Buch gleich wieder heraus und gab mir noch einen „Bieler" (Groschen). Ich will nicht verhehlen, daß ich in Stargard auch wieder einmal „auf falschen Tappen ging" und als Fleischergeselle bei den Meistern vor¬ sprach. Dabei sammelte ich im „Vagabundierbeutcl," der unter dem Rocke getragen wird, eine Anzahl Wurststücke. Auf der Herberge saßen, als ich vom Umschauen zurückkam, ein paar „Tippelschicksen," d. h. berufsmäßige Begleiterinnen von Kunden. Die „Scheckse" (Liebhaber) waren noch unterwegs, so teilte ich denn meine Beute an Wurst und Semmeln mit den beiden Schicksen. Die eine dieser Damen war schwanger, die andre, die sich durch eine rote Nase auszeichnete, war früher als Harfenmädchen gereist und hatte aus ihrer musikalischen Vergangenheit den Namen Harfenpaule beibehalten. Die erste der Schicksen nannte zwei Scheckse ihr eigen, einen „Pflanzer" (Schuster) und einen „Lehmer" (Bäcker), die Harfenpanle dagegen

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/673>, abgerufen am 06.02.2025.