Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Unter Runden, Komödianten und milden Tieren mein Sinn." Die Fahrt mit dem Schiff dauerte nicht länger als eine halbe Stunde Auf der Penne ging es sehr lustig zu, wir verkürzten nus die Zeit mit den Von Hamburg wanderte ich in Gesellschaft eines andern Kunden nach Berge¬ Meine Absicht war, über Berlin nach Schwiebus zu wandern, wo eine Tante Unter Runden, Komödianten und milden Tieren mein Sinn." Die Fahrt mit dem Schiff dauerte nicht länger als eine halbe Stunde Auf der Penne ging es sehr lustig zu, wir verkürzten nus die Zeit mit den Von Hamburg wanderte ich in Gesellschaft eines andern Kunden nach Berge¬ Meine Absicht war, über Berlin nach Schwiebus zu wandern, wo eine Tante <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0671" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297050"/> <fw type="header" place="top"> Unter Runden, Komödianten und milden Tieren</fw><lb/> <p xml:id="ID_3045" prev="#ID_3044"> mein Sinn." Die Fahrt mit dem Schiff dauerte nicht länger als eine halbe Stunde<lb/> und bot reichlich Gelegenheit, das belebte Bild der Städte Altona und Hamburg<lb/> sowie die großartigen Hafenanlagen der alten Hansastndt zu betrachten, die sich<lb/> dem Blicke des Reisenden darbieten, wenn das Schiff um den Steinwerder herum¬<lb/> gefahren ist. Nachdem das Schiff bei Se. Pauli angelegt hatte, ging ich an Land<lb/> und fragte nach der Bäckerherberge, die ganz in der Nähe, in der Windmühlen¬<lb/> straße war. Dort fand ich viele Berufsgenossen. Außer etwa dreihundert Gesellen,<lb/> die schon in Hamburg gearbeitet hatten, waren auf der Herberge noch ungefähr<lb/> sechzig Zugereiste. Infolgedessen hatte es mit dem Übermächten seine Schwierigkeit;<lb/> wir mußten zu dreien in einem Bett schlafen. Um halb neun am andern Morgen<lb/> fand in der Fremdenstnbe das gemeinsame Frühstück statt, an dem jeder teilnehmen<lb/> mußte, und wobei der Altgeselle, nachdem er vorher dreimal mit dem Zunftholz,<lb/> einem mit Schnitzereien verzierten Knüppel, auf den Tisch geschlagen hatte, eine<lb/> Ansprache hielt, worin er alles, was sich am letzten Tage in der Herberge zu¬<lb/> getragen hatte, besprach, auch Verlorne und gefundne Gegenstände meldete. Dabei<lb/> wurde bekannt gemacht, daß jeder Zugereiste fünfzig Pfennige zu bezahlen habe,<lb/> wofür er während der Dauer seiner Anwesenheit auf der Herberge eine „lüttje<lb/> Lage" (Schnaps und Bier) bekam. Nach dem Frühstück legitimierte ich mich dnrch<lb/> Vorzeigung meines Germaniabnchs, da in Hamburg nur die Inhaber eines solchen<lb/> das sogenannte Meistergeschenk erhalten. Da nun jeden Tag nur drei Gesellen<lb/> zum Anschaun gehn dürfen, wobei sie ein besondrer Führer, der von der Herberge<lb/> angestellt ist, begleitet, so hatte ich die nicht gerade angenehme Aussicht, acht bis<lb/> zehn Tage auf der Herberge zu bleiben, bis die Reihe des Umschauns an mich<lb/> kam. Da ich keinen Überfluß an Kies hatte, ging ich aber auf eigne Faust talfen<lb/> und brachte so viel zusammen, daß ich während meines ganzen Aufenthalts nur zwei<lb/> Mark Schulden machte. Endlich kam der Tag, wo ich mit zwei Kollegen und dem<lb/> Führer meine Wanderung durch Hamburg antrat. Jeder wurde mit einem großen<lb/> grüne» Sack ausgerüstet, den die Meister nach und nach mit Semmeln und init<lb/> „Rundstücken" (besondre Sorte von Hamburger Gebäck) füllten. Für die Semmeln,<lb/> die wir natürlich nicht alle verzehren konnten, hatte der Führer seine festen Ab¬<lb/> nehmer, die sie uns abkauften. Als wir den Erlös teilten, kam ans jeden der Be¬<lb/> trag von zwei Mark siebzig Pfennig! wir waren vom Morgen acht bis Nachmittag<lb/> drei Uhr unterwegs gewesen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3046"> Auf der Penne ging es sehr lustig zu, wir verkürzten nus die Zeit mit den<lb/> alten derben Späßen und Gesellschaftsspielen, die bei den Kunden in Schwang sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_3047"> Von Hamburg wanderte ich in Gesellschaft eines andern Kunden nach Berge¬<lb/> dorf, wo ich zwei Tage auf der Herberge blieb. Es logierten gerade Zigeuner<lb/> dort, unter denen am zweiten Tage ein Streit ausbrach, wobei die Polizei ein¬<lb/> schreiten mußte.</p><lb/> <p xml:id="ID_3048" next="#ID_3049"> Meine Absicht war, über Berlin nach Schwiebus zu wandern, wo eine Tante<lb/> von mir lebte. Als ich diesen Vorsatz mit einigen Kunden auf der Penue in Berge¬<lb/> dorf besprach, erklärten mir diese, ich würde bei meiner Wanderung durch das<lb/> Mecklenburgische kommen, wo es sehr heiß sei, und wo jeder Kunde Gefahr laufe,<lb/> nach dreimaligem „Verschüttgehen" in die „Schenigelswinde" (Arbeitshaus) ge¬<lb/> bracht zu werde». Dieses Arbeitshaus war in Güstrow und war bei allen Kunden<lb/> mit Recht gefürchtet, bestand doch damals dort noch eine Tretmühle, wie überhaupt<lb/> in Mecklenburg zum Teil noch recht seltsame Zustände herrschen. Ich hörte bei<lb/> dieser Gelegenheit, was ich später aus eigner Erfcchrnng bestätigen konnte, daß die<lb/> Bevölkerung in Mecklenburg durchaus nicht übel ist, sondern den Kunden gern und<lb/> reichlich „steckt." Dasselbe Entgegenkommen beweisen die Mecklenburger aber auch<lb/> dem „Teckel" oder „Klempners Karl" (Gendarm), vor dem sie eine unbegrenzte<lb/> Hochachtung haben, und dem sie in jeder Weise behilflich sind, wenn es gilt, einen<lb/> Kunden „verschütt gehen" zu lassen. Ich ließ mich durch diese Warnungen jedoch<lb/> nicht abhalten, Mecklenburg mit einem Besuche zu beehren, und wanderte über</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0671]
Unter Runden, Komödianten und milden Tieren
mein Sinn." Die Fahrt mit dem Schiff dauerte nicht länger als eine halbe Stunde
und bot reichlich Gelegenheit, das belebte Bild der Städte Altona und Hamburg
sowie die großartigen Hafenanlagen der alten Hansastndt zu betrachten, die sich
dem Blicke des Reisenden darbieten, wenn das Schiff um den Steinwerder herum¬
gefahren ist. Nachdem das Schiff bei Se. Pauli angelegt hatte, ging ich an Land
und fragte nach der Bäckerherberge, die ganz in der Nähe, in der Windmühlen¬
straße war. Dort fand ich viele Berufsgenossen. Außer etwa dreihundert Gesellen,
die schon in Hamburg gearbeitet hatten, waren auf der Herberge noch ungefähr
sechzig Zugereiste. Infolgedessen hatte es mit dem Übermächten seine Schwierigkeit;
wir mußten zu dreien in einem Bett schlafen. Um halb neun am andern Morgen
fand in der Fremdenstnbe das gemeinsame Frühstück statt, an dem jeder teilnehmen
mußte, und wobei der Altgeselle, nachdem er vorher dreimal mit dem Zunftholz,
einem mit Schnitzereien verzierten Knüppel, auf den Tisch geschlagen hatte, eine
Ansprache hielt, worin er alles, was sich am letzten Tage in der Herberge zu¬
getragen hatte, besprach, auch Verlorne und gefundne Gegenstände meldete. Dabei
wurde bekannt gemacht, daß jeder Zugereiste fünfzig Pfennige zu bezahlen habe,
wofür er während der Dauer seiner Anwesenheit auf der Herberge eine „lüttje
Lage" (Schnaps und Bier) bekam. Nach dem Frühstück legitimierte ich mich dnrch
Vorzeigung meines Germaniabnchs, da in Hamburg nur die Inhaber eines solchen
das sogenannte Meistergeschenk erhalten. Da nun jeden Tag nur drei Gesellen
zum Anschaun gehn dürfen, wobei sie ein besondrer Führer, der von der Herberge
angestellt ist, begleitet, so hatte ich die nicht gerade angenehme Aussicht, acht bis
zehn Tage auf der Herberge zu bleiben, bis die Reihe des Umschauns an mich
kam. Da ich keinen Überfluß an Kies hatte, ging ich aber auf eigne Faust talfen
und brachte so viel zusammen, daß ich während meines ganzen Aufenthalts nur zwei
Mark Schulden machte. Endlich kam der Tag, wo ich mit zwei Kollegen und dem
Führer meine Wanderung durch Hamburg antrat. Jeder wurde mit einem großen
grüne» Sack ausgerüstet, den die Meister nach und nach mit Semmeln und init
„Rundstücken" (besondre Sorte von Hamburger Gebäck) füllten. Für die Semmeln,
die wir natürlich nicht alle verzehren konnten, hatte der Führer seine festen Ab¬
nehmer, die sie uns abkauften. Als wir den Erlös teilten, kam ans jeden der Be¬
trag von zwei Mark siebzig Pfennig! wir waren vom Morgen acht bis Nachmittag
drei Uhr unterwegs gewesen.
Auf der Penne ging es sehr lustig zu, wir verkürzten nus die Zeit mit den
alten derben Späßen und Gesellschaftsspielen, die bei den Kunden in Schwang sind.
Von Hamburg wanderte ich in Gesellschaft eines andern Kunden nach Berge¬
dorf, wo ich zwei Tage auf der Herberge blieb. Es logierten gerade Zigeuner
dort, unter denen am zweiten Tage ein Streit ausbrach, wobei die Polizei ein¬
schreiten mußte.
Meine Absicht war, über Berlin nach Schwiebus zu wandern, wo eine Tante
von mir lebte. Als ich diesen Vorsatz mit einigen Kunden auf der Penue in Berge¬
dorf besprach, erklärten mir diese, ich würde bei meiner Wanderung durch das
Mecklenburgische kommen, wo es sehr heiß sei, und wo jeder Kunde Gefahr laufe,
nach dreimaligem „Verschüttgehen" in die „Schenigelswinde" (Arbeitshaus) ge¬
bracht zu werde». Dieses Arbeitshaus war in Güstrow und war bei allen Kunden
mit Recht gefürchtet, bestand doch damals dort noch eine Tretmühle, wie überhaupt
in Mecklenburg zum Teil noch recht seltsame Zustände herrschen. Ich hörte bei
dieser Gelegenheit, was ich später aus eigner Erfcchrnng bestätigen konnte, daß die
Bevölkerung in Mecklenburg durchaus nicht übel ist, sondern den Kunden gern und
reichlich „steckt." Dasselbe Entgegenkommen beweisen die Mecklenburger aber auch
dem „Teckel" oder „Klempners Karl" (Gendarm), vor dem sie eine unbegrenzte
Hochachtung haben, und dem sie in jeder Weise behilflich sind, wenn es gilt, einen
Kunden „verschütt gehen" zu lassen. Ich ließ mich durch diese Warnungen jedoch
nicht abhalten, Mecklenburg mit einem Besuche zu beehren, und wanderte über
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