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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Ein Dresdner Don Juan

weniger kenntlichen und kaum weniger prächtigen Franenrvck handelte, sollten
die beiden Füchse einander nicht zugeflüstert haben: Das ist ja unsre Elvira!

Und wenn kostümgeschichtliche Bedenken dem Erscheinen Don Ottavivs
und seiner beiden Damen in Dominos entgegenstehn, warum sind Donna
Elvira und Donna Anna nicht nach echt spanischer, unverbrüchlicher Sitte
mit dem Manto versehen, oder wie wir sagen würden, verschleiert? Daß der
Schleier, ohne den sich auch heutzutage keine echte Spanierin auf der Straße
zeigt, eine uralte Sitte war, dafür fehlt es nicht an Beweisen. Außer un¬
zähligen Fingerzeigen in den Lustspielen Calderons, Moretos und Lope de Vegas
finden sich in Tirso de Molinas von 611 als ig.8 val^s vsrclss, der um die
Wende des sechzehnten und des siebzehnten Jahrhunderts geschrieben ist, zwei
Stellen, die unter vielen andern als Beweis dafür gelten können, daß schon
damals eine Spanierin das Hans ebensowenig unverschleiert verließ, wie in
unsern Tagen eine Dame ohne Hut ausgehn würde. In der vierten Szene
des zweiten Akts, in der Dona Juana den Besuch von Dona Jnez empfängt,
sagt sie: Ist deun keine Zofe da. meiner Freundin beim Entschleiern zu
helfen? Wo sind Flora und Laura? Schließlich muß Valdivieso, ein alter
Kammerdiener, einstweilen Zofendienst verrichten. Und weiterhin in der Vier-
Zehnten Szene des dritten Akts sagt Dona Jnez zu der sich von ihr ver¬
abschiedenden Dona Juana: Warte doch, es soll gleich eine Dienerin kommen
und mit dir gehn, und da Dona Juana dies für unnötig hält, da es nur
ein Schritt bis zu ihrer Wohnung sei. so sagt Dona Jnez: Nimm wenigstens
einen Schleier um: loua, MS8

Die Sterne der italienischen Oper verfehlen sogar in einer es mit der
Wahrscheinlichkeit so wenig genau nehmenden Oper wie Verdis Trovatore
nie, den so überaus kleidsamen Schleier anzulegen, wenn sie in finstrer Nacht
an den Turm eilen, aus dessen Tiefen Mcmricos Klage tönt: 0 vns ig, morte
"Zruu'a, ö eg,räe>, nöt vönir. Warum sollten die beiden Dresdner Damen dieser
geschmackvollen Tradition in einem Falle zuwiderhandeln, wo der überge-
nommne Schleier noch obendrein den Vorzug hat, sie oder doch eine von
ihnen vor einer unerwünschten Erkennung zu schützen? Die Bühne wimmelt
schon ohnehin von UnWahrscheinlichkeiten, für deren geduldige Hinnahme auf
den guten Willen des Publikums gerechnet werden muß, warum sollte man
deren Zahl ohne Not in Fällen erhöhen, wo ein bequemer Ausweg den
wünschenswerten Bühnenefsekt mit dem Gebote des gesunden Menschenver¬
standes in Einklang zu bringen verspricht?




Grenzboten II 190585
Ein Dresdner Don Juan

weniger kenntlichen und kaum weniger prächtigen Franenrvck handelte, sollten
die beiden Füchse einander nicht zugeflüstert haben: Das ist ja unsre Elvira!

Und wenn kostümgeschichtliche Bedenken dem Erscheinen Don Ottavivs
und seiner beiden Damen in Dominos entgegenstehn, warum sind Donna
Elvira und Donna Anna nicht nach echt spanischer, unverbrüchlicher Sitte
mit dem Manto versehen, oder wie wir sagen würden, verschleiert? Daß der
Schleier, ohne den sich auch heutzutage keine echte Spanierin auf der Straße
zeigt, eine uralte Sitte war, dafür fehlt es nicht an Beweisen. Außer un¬
zähligen Fingerzeigen in den Lustspielen Calderons, Moretos und Lope de Vegas
finden sich in Tirso de Molinas von 611 als ig.8 val^s vsrclss, der um die
Wende des sechzehnten und des siebzehnten Jahrhunderts geschrieben ist, zwei
Stellen, die unter vielen andern als Beweis dafür gelten können, daß schon
damals eine Spanierin das Hans ebensowenig unverschleiert verließ, wie in
unsern Tagen eine Dame ohne Hut ausgehn würde. In der vierten Szene
des zweiten Akts, in der Dona Juana den Besuch von Dona Jnez empfängt,
sagt sie: Ist deun keine Zofe da. meiner Freundin beim Entschleiern zu
helfen? Wo sind Flora und Laura? Schließlich muß Valdivieso, ein alter
Kammerdiener, einstweilen Zofendienst verrichten. Und weiterhin in der Vier-
Zehnten Szene des dritten Akts sagt Dona Jnez zu der sich von ihr ver¬
abschiedenden Dona Juana: Warte doch, es soll gleich eine Dienerin kommen
und mit dir gehn, und da Dona Juana dies für unnötig hält, da es nur
ein Schritt bis zu ihrer Wohnung sei. so sagt Dona Jnez: Nimm wenigstens
einen Schleier um: loua, MS8

Die Sterne der italienischen Oper verfehlen sogar in einer es mit der
Wahrscheinlichkeit so wenig genau nehmenden Oper wie Verdis Trovatore
nie, den so überaus kleidsamen Schleier anzulegen, wenn sie in finstrer Nacht
an den Turm eilen, aus dessen Tiefen Mcmricos Klage tönt: 0 vns ig, morte
«Zruu'a, ö eg,räe>, nöt vönir. Warum sollten die beiden Dresdner Damen dieser
geschmackvollen Tradition in einem Falle zuwiderhandeln, wo der überge-
nommne Schleier noch obendrein den Vorzug hat, sie oder doch eine von
ihnen vor einer unerwünschten Erkennung zu schützen? Die Bühne wimmelt
schon ohnehin von UnWahrscheinlichkeiten, für deren geduldige Hinnahme auf
den guten Willen des Publikums gerechnet werden muß, warum sollte man
deren Zahl ohne Not in Fällen erhöhen, wo ein bequemer Ausweg den
wünschenswerten Bühnenefsekt mit dem Gebote des gesunden Menschenver¬
standes in Einklang zu bringen verspricht?




Grenzboten II 190585
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[0669] Ein Dresdner Don Juan weniger kenntlichen und kaum weniger prächtigen Franenrvck handelte, sollten die beiden Füchse einander nicht zugeflüstert haben: Das ist ja unsre Elvira! Und wenn kostümgeschichtliche Bedenken dem Erscheinen Don Ottavivs und seiner beiden Damen in Dominos entgegenstehn, warum sind Donna Elvira und Donna Anna nicht nach echt spanischer, unverbrüchlicher Sitte mit dem Manto versehen, oder wie wir sagen würden, verschleiert? Daß der Schleier, ohne den sich auch heutzutage keine echte Spanierin auf der Straße zeigt, eine uralte Sitte war, dafür fehlt es nicht an Beweisen. Außer un¬ zähligen Fingerzeigen in den Lustspielen Calderons, Moretos und Lope de Vegas finden sich in Tirso de Molinas von 611 als ig.8 val^s vsrclss, der um die Wende des sechzehnten und des siebzehnten Jahrhunderts geschrieben ist, zwei Stellen, die unter vielen andern als Beweis dafür gelten können, daß schon damals eine Spanierin das Hans ebensowenig unverschleiert verließ, wie in unsern Tagen eine Dame ohne Hut ausgehn würde. In der vierten Szene des zweiten Akts, in der Dona Juana den Besuch von Dona Jnez empfängt, sagt sie: Ist deun keine Zofe da. meiner Freundin beim Entschleiern zu helfen? Wo sind Flora und Laura? Schließlich muß Valdivieso, ein alter Kammerdiener, einstweilen Zofendienst verrichten. Und weiterhin in der Vier- Zehnten Szene des dritten Akts sagt Dona Jnez zu der sich von ihr ver¬ abschiedenden Dona Juana: Warte doch, es soll gleich eine Dienerin kommen und mit dir gehn, und da Dona Juana dies für unnötig hält, da es nur ein Schritt bis zu ihrer Wohnung sei. so sagt Dona Jnez: Nimm wenigstens einen Schleier um: loua, MS8 Die Sterne der italienischen Oper verfehlen sogar in einer es mit der Wahrscheinlichkeit so wenig genau nehmenden Oper wie Verdis Trovatore nie, den so überaus kleidsamen Schleier anzulegen, wenn sie in finstrer Nacht an den Turm eilen, aus dessen Tiefen Mcmricos Klage tönt: 0 vns ig, morte «Zruu'a, ö eg,räe>, nöt vönir. Warum sollten die beiden Dresdner Damen dieser geschmackvollen Tradition in einem Falle zuwiderhandeln, wo der überge- nommne Schleier noch obendrein den Vorzug hat, sie oder doch eine von ihnen vor einer unerwünschten Erkennung zu schützen? Die Bühne wimmelt schon ohnehin von UnWahrscheinlichkeiten, für deren geduldige Hinnahme auf den guten Willen des Publikums gerechnet werden muß, warum sollte man deren Zahl ohne Not in Fällen erhöhen, wo ein bequemer Ausweg den wünschenswerten Bühnenefsekt mit dem Gebote des gesunden Menschenver¬ standes in Einklang zu bringen verspricht? Grenzboten II 190585

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/669>, abgerufen am 05.02.2025.