Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Aus König Wilhelms ersten Jahren weiter zu erheben, Prinz Adolf von Hohenlohe aber, der damalige Präsident Inzwischen hatte die Fortschrittspartei bei den Neuwahlen am 6. Mai Aus König Wilhelms ersten Jahren weiter zu erheben, Prinz Adolf von Hohenlohe aber, der damalige Präsident Inzwischen hatte die Fortschrittspartei bei den Neuwahlen am 6. Mai <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0638" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297017"/> <fw type="header" place="top"> Aus König Wilhelms ersten Jahren</fw><lb/> <p xml:id="ID_2968" prev="#ID_2967"> weiter zu erheben, Prinz Adolf von Hohenlohe aber, der damalige Präsident<lb/> des Herrenhauses, der Vater des Flügeladjutanten, stand schon im sechsund¬<lb/> sechzigsten Lebensjahre, fühlte sich den Geschäften, namentlich der schwierigen<lb/> auswärtigen Politik, nicht gewachsen und übernahm deshalb sein Amt nur<lb/> auf so lange, bis der König einen geeigneten Ministerpräsidenten gefunden<lb/> haben würde. Als solchen schlug ihm Hohenlohe schon im April Bismarck vor.<lb/> Da sah ihn der König groß an und antwortete: „Sie scherzen wohl?" Hohen¬<lb/> lohe aber stellte ihm die verschiednen guten Eigenschaften Bismarcks vor.<lb/> „Ach bewahre, sagte der König, der ist ja viel zu flatterhaft. Schlagen Sie<lb/> mir einen andern vor." Als aber Hohenlohe drei Tage später wieder zum<lb/> Vortrag kam, war der König zum Entschluß gekommen und sagte: „Ich sprach<lb/> Ihnen neulich die Idee aus, Bismarck an Ihre Stelle zu setzen, da Sie doch<lb/> nicht dauernd um derselben bleiben wollen." — „Sie haben ganz recht, daß die<lb/> auswärtige Politik die Hauptsache ist. Nun ist Bismarck in Frankfurt, Wien<lb/> und Petersburg orientiert. Ich denke, man schickt ihn noch nach Paris und<lb/> London, damit er überall die einflußreichen Leute kennen lernt. So lange<lb/> müssen Sie bei mir aushalten" <S. 306). Der König dachte dabei offenbar<lb/> an eine längere Zeit, aber er begann in seiner bedächtigen Weise mit der<lb/> Ausführung seines Programms und ernannte Bismarck, der sich damals in<lb/> Berlin aufhielt, am 22. Mai für Paris, Ende Juni schickte er ihn in be¬<lb/> sondern: Auftrage nach London. Doch wußte Bismarck schon vor der Abreise<lb/> von Berlin, daß er Aussicht auf die Ministerpräsidentschaft habe, wenn er<lb/> auch in seiner unbehaglichen Lage zuweilen zweifelte, ob der König ihn über¬<lb/> haupt berufen werde (siehe Bismarckbriefe, herausgegeben von Horst Kohl,<lb/> 7. Aufl.. S. 330. 332. 334f. 338; Bismarckregesten I, 176 ff.; Gedanken und<lb/> Erinnerungen I, 250 ff.). Das wird völlig begreiflich, denn Hohenlohe er¬<lb/> krankte schon im Mai und reichte sein Entlassungsgesuch ein, der König aber<lb/> erledigte dieses nicht, gab ihm nur Urlaub, zunächst bis zum 11. Juni, und<lb/> übertrug dem Minister August von der Heydt, der gern Ministerpräsident ge¬<lb/> worden wäre, das Präsidium nur provisorisch, schon weil er ihm nicht zu¬<lb/> traute, daß er demi Landtage gegenüber fest bleiben werde.</p><lb/> <p xml:id="ID_2969" next="#ID_2970"> Inzwischen hatte die Fortschrittspartei bei den Neuwahlen am 6. Mai<lb/> einen vollständigen Sieg erfochten und setzte als Antwort auf die sehr ruhige<lb/> Thronrede vom 19. Mai eine Adresse durch, die kurz und gut die Entlassung<lb/> des Ministeriums verlangte, da dieses nicht das Vertrauen des Landes habe.<lb/> Gegen den Rat des Ministeriums beschloß der König, diese Adresse persönlich<lb/> entgegenzunehmen, obwohl er nicht mit ihr einverstanden war, was gegen den<lb/> Brauch lief, und empfing am 7. Juni die Deputation des Abgeordnetenhauses<lb/> unter Führung seines Präsidenten Wilhelm Grabow, des Oberbürgermeisters<lb/> von Prenzlau, im Beisein von der Heydts und des diensttuenden Flügel¬<lb/> adjutanten Hohenlohe. Als Grabow in ziemlicher Verwirrung die Adresse<lb/> verlesen hatte, antwortete der König mit erhobner Stimme aus dem Stegreif,<lb/> ohne vorherige Beratung mit den Ministern, er habe sie nur empfangen, um<lb/> ihnen persönlich zu sagen, das Ministerium habe sein Vertrauen, es sei sein<lb/> Recht, seine Münster zu wählen, und er werde sie nicht entlassen; seine Ab-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0638]
Aus König Wilhelms ersten Jahren
weiter zu erheben, Prinz Adolf von Hohenlohe aber, der damalige Präsident
des Herrenhauses, der Vater des Flügeladjutanten, stand schon im sechsund¬
sechzigsten Lebensjahre, fühlte sich den Geschäften, namentlich der schwierigen
auswärtigen Politik, nicht gewachsen und übernahm deshalb sein Amt nur
auf so lange, bis der König einen geeigneten Ministerpräsidenten gefunden
haben würde. Als solchen schlug ihm Hohenlohe schon im April Bismarck vor.
Da sah ihn der König groß an und antwortete: „Sie scherzen wohl?" Hohen¬
lohe aber stellte ihm die verschiednen guten Eigenschaften Bismarcks vor.
„Ach bewahre, sagte der König, der ist ja viel zu flatterhaft. Schlagen Sie
mir einen andern vor." Als aber Hohenlohe drei Tage später wieder zum
Vortrag kam, war der König zum Entschluß gekommen und sagte: „Ich sprach
Ihnen neulich die Idee aus, Bismarck an Ihre Stelle zu setzen, da Sie doch
nicht dauernd um derselben bleiben wollen." — „Sie haben ganz recht, daß die
auswärtige Politik die Hauptsache ist. Nun ist Bismarck in Frankfurt, Wien
und Petersburg orientiert. Ich denke, man schickt ihn noch nach Paris und
London, damit er überall die einflußreichen Leute kennen lernt. So lange
müssen Sie bei mir aushalten" <S. 306). Der König dachte dabei offenbar
an eine längere Zeit, aber er begann in seiner bedächtigen Weise mit der
Ausführung seines Programms und ernannte Bismarck, der sich damals in
Berlin aufhielt, am 22. Mai für Paris, Ende Juni schickte er ihn in be¬
sondern: Auftrage nach London. Doch wußte Bismarck schon vor der Abreise
von Berlin, daß er Aussicht auf die Ministerpräsidentschaft habe, wenn er
auch in seiner unbehaglichen Lage zuweilen zweifelte, ob der König ihn über¬
haupt berufen werde (siehe Bismarckbriefe, herausgegeben von Horst Kohl,
7. Aufl.. S. 330. 332. 334f. 338; Bismarckregesten I, 176 ff.; Gedanken und
Erinnerungen I, 250 ff.). Das wird völlig begreiflich, denn Hohenlohe er¬
krankte schon im Mai und reichte sein Entlassungsgesuch ein, der König aber
erledigte dieses nicht, gab ihm nur Urlaub, zunächst bis zum 11. Juni, und
übertrug dem Minister August von der Heydt, der gern Ministerpräsident ge¬
worden wäre, das Präsidium nur provisorisch, schon weil er ihm nicht zu¬
traute, daß er demi Landtage gegenüber fest bleiben werde.
Inzwischen hatte die Fortschrittspartei bei den Neuwahlen am 6. Mai
einen vollständigen Sieg erfochten und setzte als Antwort auf die sehr ruhige
Thronrede vom 19. Mai eine Adresse durch, die kurz und gut die Entlassung
des Ministeriums verlangte, da dieses nicht das Vertrauen des Landes habe.
Gegen den Rat des Ministeriums beschloß der König, diese Adresse persönlich
entgegenzunehmen, obwohl er nicht mit ihr einverstanden war, was gegen den
Brauch lief, und empfing am 7. Juni die Deputation des Abgeordnetenhauses
unter Führung seines Präsidenten Wilhelm Grabow, des Oberbürgermeisters
von Prenzlau, im Beisein von der Heydts und des diensttuenden Flügel¬
adjutanten Hohenlohe. Als Grabow in ziemlicher Verwirrung die Adresse
verlesen hatte, antwortete der König mit erhobner Stimme aus dem Stegreif,
ohne vorherige Beratung mit den Ministern, er habe sie nur empfangen, um
ihnen persönlich zu sagen, das Ministerium habe sein Vertrauen, es sei sein
Recht, seine Münster zu wählen, und er werde sie nicht entlassen; seine Ab-
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