Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Meißen mir dort dereinst für lange Zeit eine geliebte Wohn-, Amts- und Studienstätte Meißen mir dort dereinst für lange Zeit eine geliebte Wohn-, Amts- und Studienstätte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0613" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296992"/> <fw type="header" place="top"> Meißen</fw><lb/> <p xml:id="ID_2806" prev="#ID_2805" next="#ID_2807"> mir dort dereinst für lange Zeit eine geliebte Wohn-, Amts- und Studienstätte<lb/> werden sollte, aber der Wunsch, daß es so komme» mochte, stahl sich gleich bei der<lb/> ersten Bekanntschaft in mein Herz. Es war ein leuchtender Augustnachmittag, als<lb/> ich vom rechtselbischen Bahnhof über die alte Brücke schritt und durch die Elbgasse<lb/> auf den Heinrichsplatz kam. Ich kann nicht sagen, daß mich damals die reichen<lb/> geschichtlichen Erinnerungen der Stadt bewegten, von ihnen wußte ich sehr wenig,<lb/> oder daß ich das schöne Landschaftsbild wirklich erfaßte, dazu war ich zu wenig<lb/> geübt, aber ich hatte doch eine dunkle Empfindung davon, daß hier ein gelobtes<lb/> Land sei, wo Milch und Honig fließt: die Luft erschien mir weicher und wohliger,<lb/> die Sonne Würmer und heitrer als anderswo, und der Bronnen zu Füßen des<lb/> steinernen Königs Heinrich, der stolz und behutsam sein Burgmodell im Arme trägt,<lb/> rauschte eine süße, verheißungsvolle Melodie. Und als ich rechts abbiegend durch<lb/> gewundne Gassen und Gcißchcn höher stieg bis zu dem malerischen Torweg am<lb/> Baderberg, über dem sich Helles Weinbergsgelände und die dunkle Flanke des Doms,<lb/> rote Steildächer und die lustigen Türme der Burg und der Bischofspfalz zu einer»<lb/> ragenden Gebild aufbauten, das weit in den blauen Himmel hineinschaute, da war<lb/> ich, dessen Wiege in einer poesiearmen Woll- und Fabrikstadt des Vogtlandes ge¬<lb/> standen hatte, und der aus der planimetrischen Sphäre der Pleißenstadt zugereist<lb/> war, von der neuen Welt wie verzaubert. Zu meiner Freude fand ich in eben<lb/> dem stille«, großen, kühlen Hause, vor dem ich stehn geblieben war, ein anheimelndes<lb/> Quartier. Am nächsten Tage, einem Sonntage, steigerte sich mein Entzücken, als<lb/> ich im Fluge alle die schönsten Punkte der Stadt und ihrer nächsten Umgebung<lb/> durchstreifte. Danach geriet ich an den urbehaglichen Frühstückstisch einer wein-<lb/> schänkenden Bäckerei, wo glattrasierte ältere Herren der Bürgerschaft mit sanft ge¬<lb/> röteten Gesichtern über den tadellosen Vatermördern Pasteten und Rotwein schmausten,<lb/> und endlich fand ich in dem fast benachbarten Hotel zum blauen Stern, das damals<lb/> ans der Höhe seiner Entwicklung angekommen war, an der langen Table d'böte der<lb/> Junggesellen einen Platz. Ich hatte bis dahin meinen Mittagsappetit genügsam<lb/> nieist im Leipziger Konvikt gestillt, aber die Meißner „Sternsuppe" war doch ein<lb/> recht schöner Gegensatz zu der damaligen „Konviktsuppe," in die der alte Leilthier<lb/> — so hieß unser Aufwärter — jedesmal beim Aufsetzen der schweren Zinnschüssel<lb/> einen Kristalltropfen fallen ließ, den wir schon lange zuvor an seiner dürren Nasen¬<lb/> spitze zittern gesehen hatten. Und als nun gar der Älteste der Tafelrunde mit vor-<lb/> gebundner Serviette ein Riesenstück saftigen Ochsenfleisches in rosige Scheiben zer¬<lb/> legte, ein feister Kapaun folgte, und saftiges Dünstobst den Beschluß machte, da<lb/> staunte ich nicht wenig über die ungewohnte Üppigkeit. Es war ein vielgestaltiger<lb/> muntrer Kreis, in den mich ein gütiges Schicksal geführt hatte: gewürzt vor allem<lb/> durch den liebenswürdigen Humor der Münchner und der Dresdner Maler, die<lb/> damals (1876) mit der Ausschmückung der Albrechtsburg beschäftigt waren. Des<lb/> Nachmittags zog man die Dresdner Straße hinaus, wo die ganz besonders anmutige<lb/> Welt der Meißner Frauen und Mädchen in bunten Scharen spazieren ging, und dann<lb/> hinauf auf das noch fast ganz mit Reben bestcmdne Spargebirge in eine ehemalige<lb/> „Engländerei," wo man unter reifenden Obst im Freien saß und auf die wei߬<lb/> grünen Dampfer hinunterspähte, die den eng zwischen grünen Bergen dahinflutenden<lb/> Strom belebten. Abends kehrte ich in die Stadt zurück, sah das fröhliche Ge¬<lb/> wimmel von Fremden und Einheimischen auf Straßen und Plätzen, stieg einsam<lb/> zur stillern Oberstadt empor und genoß beim Zauberschein des Mondes noch einmal<lb/> die erhabnen Konturen des Doms und der Burg, und an die Mauerzinne vor¬<lb/> tretend sog ich den süßen Duft der Blumen und Gärten, die sich zum Strom hiuunter-<lb/> zogen. Aus ihnen erscholl froher Gesang schwärmender Gesellen und Saitenklang<lb/> bis tief in die Nacht, und als ich heimging, sah ich manche schwankende Gestalt<lb/> bewegliche Schatten ziehn, aber niemand achtete sehr darauf. Voll der neuen Ein¬<lb/> drücke ging ich schließlich zu Bett, und uoch beim Einschlafen entspann sich in meiner<lb/> Philologenseele ein Wettstreit des Taciteischen Spruches: vivu rwotömauo eontinuaro</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0613]
Meißen
mir dort dereinst für lange Zeit eine geliebte Wohn-, Amts- und Studienstätte
werden sollte, aber der Wunsch, daß es so komme» mochte, stahl sich gleich bei der
ersten Bekanntschaft in mein Herz. Es war ein leuchtender Augustnachmittag, als
ich vom rechtselbischen Bahnhof über die alte Brücke schritt und durch die Elbgasse
auf den Heinrichsplatz kam. Ich kann nicht sagen, daß mich damals die reichen
geschichtlichen Erinnerungen der Stadt bewegten, von ihnen wußte ich sehr wenig,
oder daß ich das schöne Landschaftsbild wirklich erfaßte, dazu war ich zu wenig
geübt, aber ich hatte doch eine dunkle Empfindung davon, daß hier ein gelobtes
Land sei, wo Milch und Honig fließt: die Luft erschien mir weicher und wohliger,
die Sonne Würmer und heitrer als anderswo, und der Bronnen zu Füßen des
steinernen Königs Heinrich, der stolz und behutsam sein Burgmodell im Arme trägt,
rauschte eine süße, verheißungsvolle Melodie. Und als ich rechts abbiegend durch
gewundne Gassen und Gcißchcn höher stieg bis zu dem malerischen Torweg am
Baderberg, über dem sich Helles Weinbergsgelände und die dunkle Flanke des Doms,
rote Steildächer und die lustigen Türme der Burg und der Bischofspfalz zu einer»
ragenden Gebild aufbauten, das weit in den blauen Himmel hineinschaute, da war
ich, dessen Wiege in einer poesiearmen Woll- und Fabrikstadt des Vogtlandes ge¬
standen hatte, und der aus der planimetrischen Sphäre der Pleißenstadt zugereist
war, von der neuen Welt wie verzaubert. Zu meiner Freude fand ich in eben
dem stille«, großen, kühlen Hause, vor dem ich stehn geblieben war, ein anheimelndes
Quartier. Am nächsten Tage, einem Sonntage, steigerte sich mein Entzücken, als
ich im Fluge alle die schönsten Punkte der Stadt und ihrer nächsten Umgebung
durchstreifte. Danach geriet ich an den urbehaglichen Frühstückstisch einer wein-
schänkenden Bäckerei, wo glattrasierte ältere Herren der Bürgerschaft mit sanft ge¬
röteten Gesichtern über den tadellosen Vatermördern Pasteten und Rotwein schmausten,
und endlich fand ich in dem fast benachbarten Hotel zum blauen Stern, das damals
ans der Höhe seiner Entwicklung angekommen war, an der langen Table d'böte der
Junggesellen einen Platz. Ich hatte bis dahin meinen Mittagsappetit genügsam
nieist im Leipziger Konvikt gestillt, aber die Meißner „Sternsuppe" war doch ein
recht schöner Gegensatz zu der damaligen „Konviktsuppe," in die der alte Leilthier
— so hieß unser Aufwärter — jedesmal beim Aufsetzen der schweren Zinnschüssel
einen Kristalltropfen fallen ließ, den wir schon lange zuvor an seiner dürren Nasen¬
spitze zittern gesehen hatten. Und als nun gar der Älteste der Tafelrunde mit vor-
gebundner Serviette ein Riesenstück saftigen Ochsenfleisches in rosige Scheiben zer¬
legte, ein feister Kapaun folgte, und saftiges Dünstobst den Beschluß machte, da
staunte ich nicht wenig über die ungewohnte Üppigkeit. Es war ein vielgestaltiger
muntrer Kreis, in den mich ein gütiges Schicksal geführt hatte: gewürzt vor allem
durch den liebenswürdigen Humor der Münchner und der Dresdner Maler, die
damals (1876) mit der Ausschmückung der Albrechtsburg beschäftigt waren. Des
Nachmittags zog man die Dresdner Straße hinaus, wo die ganz besonders anmutige
Welt der Meißner Frauen und Mädchen in bunten Scharen spazieren ging, und dann
hinauf auf das noch fast ganz mit Reben bestcmdne Spargebirge in eine ehemalige
„Engländerei," wo man unter reifenden Obst im Freien saß und auf die wei߬
grünen Dampfer hinunterspähte, die den eng zwischen grünen Bergen dahinflutenden
Strom belebten. Abends kehrte ich in die Stadt zurück, sah das fröhliche Ge¬
wimmel von Fremden und Einheimischen auf Straßen und Plätzen, stieg einsam
zur stillern Oberstadt empor und genoß beim Zauberschein des Mondes noch einmal
die erhabnen Konturen des Doms und der Burg, und an die Mauerzinne vor¬
tretend sog ich den süßen Duft der Blumen und Gärten, die sich zum Strom hiuunter-
zogen. Aus ihnen erscholl froher Gesang schwärmender Gesellen und Saitenklang
bis tief in die Nacht, und als ich heimging, sah ich manche schwankende Gestalt
bewegliche Schatten ziehn, aber niemand achtete sehr darauf. Voll der neuen Ein¬
drücke ging ich schließlich zu Bett, und uoch beim Einschlafen entspann sich in meiner
Philologenseele ein Wettstreit des Taciteischen Spruches: vivu rwotömauo eontinuaro
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