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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Das Grabdenkmal des Konturs

ihm aufgerichtet, geschmückt, mit einer Inschrift versehen und im entscheidenden
Moment mit dem frechen Burlador, der es am Bart gezupft haben sollte, in
die Unterwelt verwiesen worden.

Sonderbar ist es nur, daß sich der Dichter, der im ganzen Verlaufe des
Stückes keinen Wink für die Inszenierung gibt, in dem einzigen Falle, wo
sich Herr und Diener durch ein Pförtchen ins Kloster begeben, um der Ein¬
ladung der Statue zum Nachtmahl zu folgen, zu einer szenischen Weisung
herbeiläßt, die dem Leser doppelt überflüssig erscheint, wenn er in Betracht
zieht, daß die Vorstellungen auf der spanischen Bühne zu Tirsos Zeiten in der
Hauptsache ohne Kulissen und Versatzstücke vor sich gingen. "Sie treten durch
eine Tür ein und gehn durch eine andre wieder hinaus" -- entr^n xornrm xorw,
^ salsn xsr otra --, heißt es in allen, auch den ältesten Ausgaben. Bringt
einen das nicht unwillkürlich auf den Gedanken, daß dein geistigen Auge des
Dichters eine bestimmte Lokalität, ein Vorraum, den man durchschreiten mußte,
um in die Kirche zu gelangen, oder eine zweite Tür, die man passieren mußte,
um in die Kapelle zu treten, in lebhaftester Erinnerung war, und daß er
nicht umhin konnte, diese Tatsache auch dem Zuschauer zugänglich und fühlbar
zu machen? Die zweitgenannte Eventualität, daß es sich nach des Dichters
Absicht bei der zweiten Tür um den Eingang in die Kapelle handelte, ist
die wahrscheinlichere, da der Kontur in einer frühern Szene dem Don Juan,
den er nun auch seinerseits zum Abendessen geladen hat, seine Kapelle als
den Ort bezeichnet, wo ihn dieser treffen werde, voncl" b.s as ir? fragt Don
Juan; a mi o-z-xslls,, antwortet der Kontur.

Und nun gar die letzten drei Verse des Stücks, in denen der König den
Befehl erteilt, das Grabdenkmal zu würdigster Erinnerung nach dem Kloster
San Francisco in Madrid überzuführen:


V si SLMlvw t!'g.l18ig,ä>;
Lein M'imoik", VII Ua,tu'i.d
?AA moinoria ass Kumas.

Hütte das Denkmal, ich drücke mich etwas gewagt aus, nur in der
Phantasie des Dichters "gelebt," so würde ihm nun und nimmermehr ein
solcher Gedanke gekommen sein, schon um deswillen nicht, daß er wenig
Augenblicke zuvor das Denkmal samt Don Juan und dem Kontur vor den
Angen des entsetzten Publikums hat in die Erde sinken lassen.

Unnötig und geradezu widersinnig hören diese drei Verse nur dann auf
zu sein, wenn es in Madrid im Kloster San Francisco ein Grabdenkmal gab,
mit dein eine an die Katastrophe des Burlador erinnernde Legende im Zu¬
sammenhang stand, an die anzuknüpfen der Dichter aus irgendeinem Grunde
den Wunsch hatte. Man wird also, sollte man meinen, nicht in Sevilla,
sondern in Madrid uach den Spuren einer solchen Legende suchen müssen.




Das Grabdenkmal des Konturs

ihm aufgerichtet, geschmückt, mit einer Inschrift versehen und im entscheidenden
Moment mit dem frechen Burlador, der es am Bart gezupft haben sollte, in
die Unterwelt verwiesen worden.

Sonderbar ist es nur, daß sich der Dichter, der im ganzen Verlaufe des
Stückes keinen Wink für die Inszenierung gibt, in dem einzigen Falle, wo
sich Herr und Diener durch ein Pförtchen ins Kloster begeben, um der Ein¬
ladung der Statue zum Nachtmahl zu folgen, zu einer szenischen Weisung
herbeiläßt, die dem Leser doppelt überflüssig erscheint, wenn er in Betracht
zieht, daß die Vorstellungen auf der spanischen Bühne zu Tirsos Zeiten in der
Hauptsache ohne Kulissen und Versatzstücke vor sich gingen. „Sie treten durch
eine Tür ein und gehn durch eine andre wieder hinaus" — entr^n xornrm xorw,
^ salsn xsr otra —, heißt es in allen, auch den ältesten Ausgaben. Bringt
einen das nicht unwillkürlich auf den Gedanken, daß dein geistigen Auge des
Dichters eine bestimmte Lokalität, ein Vorraum, den man durchschreiten mußte,
um in die Kirche zu gelangen, oder eine zweite Tür, die man passieren mußte,
um in die Kapelle zu treten, in lebhaftester Erinnerung war, und daß er
nicht umhin konnte, diese Tatsache auch dem Zuschauer zugänglich und fühlbar
zu machen? Die zweitgenannte Eventualität, daß es sich nach des Dichters
Absicht bei der zweiten Tür um den Eingang in die Kapelle handelte, ist
die wahrscheinlichere, da der Kontur in einer frühern Szene dem Don Juan,
den er nun auch seinerseits zum Abendessen geladen hat, seine Kapelle als
den Ort bezeichnet, wo ihn dieser treffen werde, voncl« b.s as ir? fragt Don
Juan; a mi o-z-xslls,, antwortet der Kontur.

Und nun gar die letzten drei Verse des Stücks, in denen der König den
Befehl erteilt, das Grabdenkmal zu würdigster Erinnerung nach dem Kloster
San Francisco in Madrid überzuführen:


V si SLMlvw t!'g.l18ig,ä>;
Lein M'imoik«, VII Ua,tu'i.d
?AA moinoria ass Kumas.

Hütte das Denkmal, ich drücke mich etwas gewagt aus, nur in der
Phantasie des Dichters „gelebt," so würde ihm nun und nimmermehr ein
solcher Gedanke gekommen sein, schon um deswillen nicht, daß er wenig
Augenblicke zuvor das Denkmal samt Don Juan und dem Kontur vor den
Angen des entsetzten Publikums hat in die Erde sinken lassen.

Unnötig und geradezu widersinnig hören diese drei Verse nur dann auf
zu sein, wenn es in Madrid im Kloster San Francisco ein Grabdenkmal gab,
mit dein eine an die Katastrophe des Burlador erinnernde Legende im Zu¬
sammenhang stand, an die anzuknüpfen der Dichter aus irgendeinem Grunde
den Wunsch hatte. Man wird also, sollte man meinen, nicht in Sevilla,
sondern in Madrid uach den Spuren einer solchen Legende suchen müssen.




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[0604] Das Grabdenkmal des Konturs ihm aufgerichtet, geschmückt, mit einer Inschrift versehen und im entscheidenden Moment mit dem frechen Burlador, der es am Bart gezupft haben sollte, in die Unterwelt verwiesen worden. Sonderbar ist es nur, daß sich der Dichter, der im ganzen Verlaufe des Stückes keinen Wink für die Inszenierung gibt, in dem einzigen Falle, wo sich Herr und Diener durch ein Pförtchen ins Kloster begeben, um der Ein¬ ladung der Statue zum Nachtmahl zu folgen, zu einer szenischen Weisung herbeiläßt, die dem Leser doppelt überflüssig erscheint, wenn er in Betracht zieht, daß die Vorstellungen auf der spanischen Bühne zu Tirsos Zeiten in der Hauptsache ohne Kulissen und Versatzstücke vor sich gingen. „Sie treten durch eine Tür ein und gehn durch eine andre wieder hinaus" — entr^n xornrm xorw, ^ salsn xsr otra —, heißt es in allen, auch den ältesten Ausgaben. Bringt einen das nicht unwillkürlich auf den Gedanken, daß dein geistigen Auge des Dichters eine bestimmte Lokalität, ein Vorraum, den man durchschreiten mußte, um in die Kirche zu gelangen, oder eine zweite Tür, die man passieren mußte, um in die Kapelle zu treten, in lebhaftester Erinnerung war, und daß er nicht umhin konnte, diese Tatsache auch dem Zuschauer zugänglich und fühlbar zu machen? Die zweitgenannte Eventualität, daß es sich nach des Dichters Absicht bei der zweiten Tür um den Eingang in die Kapelle handelte, ist die wahrscheinlichere, da der Kontur in einer frühern Szene dem Don Juan, den er nun auch seinerseits zum Abendessen geladen hat, seine Kapelle als den Ort bezeichnet, wo ihn dieser treffen werde, voncl« b.s as ir? fragt Don Juan; a mi o-z-xslls,, antwortet der Kontur. Und nun gar die letzten drei Verse des Stücks, in denen der König den Befehl erteilt, das Grabdenkmal zu würdigster Erinnerung nach dem Kloster San Francisco in Madrid überzuführen: V si SLMlvw t!'g.l18ig,ä>; Lein M'imoik«, VII Ua,tu'i.d ?AA moinoria ass Kumas. Hütte das Denkmal, ich drücke mich etwas gewagt aus, nur in der Phantasie des Dichters „gelebt," so würde ihm nun und nimmermehr ein solcher Gedanke gekommen sein, schon um deswillen nicht, daß er wenig Augenblicke zuvor das Denkmal samt Don Juan und dem Kontur vor den Angen des entsetzten Publikums hat in die Erde sinken lassen. Unnötig und geradezu widersinnig hören diese drei Verse nur dann auf zu sein, wenn es in Madrid im Kloster San Francisco ein Grabdenkmal gab, mit dein eine an die Katastrophe des Burlador erinnernde Legende im Zu¬ sammenhang stand, an die anzuknüpfen der Dichter aus irgendeinem Grunde den Wunsch hatte. Man wird also, sollte man meinen, nicht in Sevilla, sondern in Madrid uach den Spuren einer solchen Legende suchen müssen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/604>, abgerufen am 05.02.2025.