Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches prinzipiellen Gründen Nein sagen. Tatsächlich käme sie damit in die Lage, ent¬ Auch diese Haltung gehört mit zu den Motiven der Vorlagen, der Kontratt- Das Herrenhaus hat sich durch den Mund seines Präsidenten beklagt, daß es Maßgebliches und Unmaßgebliches prinzipiellen Gründen Nein sagen. Tatsächlich käme sie damit in die Lage, ent¬ Auch diese Haltung gehört mit zu den Motiven der Vorlagen, der Kontratt- Das Herrenhaus hat sich durch den Mund seines Präsidenten beklagt, daß es <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0060" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297192"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_211" prev="#ID_210"> prinzipiellen Gründen Nein sagen. Tatsächlich käme sie damit in die Lage, ent¬<lb/> weder ihre eignen Kinder dem Prinzip zuliebe schlachten zu müssen oder das<lb/> Prinzip fallen zu lassen und ihre eigne Landtagsvorlage aus der Hand des<lb/> Zentrums und der Sozialdemokratie im Reichstag anzunehmen! Ein solcher Aus¬<lb/> gang kaun aber unmöglich deu Wünschen der konservativen wie der nativualliberalen<lb/> Gegner der Vorlagen entsprechen, und es ist also wohl anzunehmen, das; diese Ent¬<lb/> würfe, wenn auch mit einigen Amendiernngen, Gesetz werden. Tatsächlich fällt dabei<lb/> auch die von den Bergarbeitern im großen und ganzen beobachtete ruhige Haltung<lb/> ins Gewicht, die ebenso Gegenstand der Beobachtung und der Berichterstattung wie<lb/> der Anerkennung der in Berlin beglaubigten fremden Diplomatie gewesen ist. Zwei¬<lb/> hunderttausend feiernde Arbeiter und kein einziger schwerer Exzeß!</p><lb/> <p xml:id="ID_212"> Auch diese Haltung gehört mit zu den Motiven der Vorlagen, der Kontratt-<lb/> bruch ist dadurch bis zu einem gewissen Grade ausgeglichen, auch wenn die Gründe<lb/> dieser Haltung nicht einzig und allein in dem Bedürfnis nach Gesetzmäßigkeit be¬<lb/> ruht haben sollten. Man wollte eine wirtschaftliche Auseinandersetzung, aber mit<lb/> Vermeidung jedes Zusammenstoßes mit der Staatsgewalt; man wußte, daß der<lb/> Erfolg, d. h. ein Eingreifen des Staats auf dem Wege der Gesetzgebung zugunsten<lb/> der Arbeiter davon abhängig war. Von der Regierung war dem Zuzug italienischer<lb/> Arbeiter gewehrt worden, die in einer solchen Bewegung leicht ein unerwünschtes<lb/> Element gewesen wären; die Bergleute erkannten daraus, daß bei absoluter Gesetz¬<lb/> mäßigkeit manche Wünsche für sie erreichbar sein würden. Die Lage der Zechen¬<lb/> verwaltungen ist sicherlich uicht leicht. Um so mehr muß dafür Sorge getragen<lb/> werden, daß die jetzt in Aussicht genommnen Maßregeln auch wirklich alle Lücken<lb/> schließen, und daß Streikbewegungen, die auf andern als Lohnfragen beruhn, in<lb/> der gesetzlichen Lage der Arbeiter keinerlei Begründung mehr finden. Ein Kohlen¬<lb/> streik, der unser ganzes industrielles Lebe», Eisenbahnen, Dampfschiffe, Kriegsflotte<lb/> und daneben auch die häuslichen Existenzen in Mitleidenschaft zieht, sollte eigent¬<lb/> lich unmöglich gemacht werden. Aber das würde auch bei einer Verstaatlichung<lb/> nicht der Fall sein, sobald eines Tags Lohnfragen zum Ausgangspunkt einer Streit¬<lb/> bewegung gemacht würden. Auch eine staatliche Zechenverwaltung könnte nicht<lb/> daran denken, allen Ansprüchen gegenüber nur Nachgiebigkeit zu üben, und je<lb/> größer die Massen wären, desto größer würde auch der Hang zur Begehrlichkeit<lb/> sein. Man darf im Gegenteil sagen, die jetzige Einrichtung in Preußen mit einem<lb/> starken Anteil des Staats am Bergwerkbesitz ist gerade das Richtige. Der Staat<lb/> kann damit einen regulierenden Einfluß auf die Preisbildung, auf die Lohnfrage<lb/> sowie auf viele andre Fragen des Betriebs üben; er hat dnrch seinen eignen Besitz<lb/> ein Urteil über das sachlich Zulässige und ist in Situationen, wie wir sie jetzt<lb/> hinter uns haben, der gegebne Vermittler. Der Vermittler aber würde fehlen,<lb/> sobald der Staat selbst als Arbeitgeber der großen Masse der Bergarbeiter<lb/> gegenüberstünde, deren Unzufriedenheit und Mißfallen sich dann nicht gegen eine<lb/> Reihe von Zechenverwaltungen und deren Verband, sondern gegen den Staat<lb/> richten würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_213" next="#ID_214"> Das Herrenhaus hat sich durch den Mund seines Präsidenten beklagt, daß es<lb/> von der Regierung vernachlässigt würde, und daß namentlich die Berggcsetznovellen<lb/> zuerst hätten an dieses Haus gebracht werden müssen. Da der Gegenstand im<lb/> Abgeordnetenhause schon anhängig war, wäre es eine Rücksichtslosigkeit gegen dieses<lb/> gewesen, hätte man die in den Vorlagen behandelten Fragen im Herrenhause prii-<lb/> judizieren lassen. Dazu kommt dann wohl noch, daß die Chancen der Vorlagen<lb/> im Herrenhaus unendlich geringer gewesen wären. Wenn das Herrenhaus die<lb/> Vorlagen aus der Hand des Abgeordnetenhauses erhält, nachdem sie dort unter<lb/> Zustimmung der Konservativen zur Annahme gelangt sind, wird in diesem Falle<lb/> die Stellung des Herrenhauses wesentlich anders sein, als wenn die Regierung<lb/> gleich zuerst an dieses Haus herangetreten wäre. Im Ernst kann die preußische<lb/> Regierung ja nicht daran denken, das Herrenhaus absichtlich oder systematisch zu</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0060]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
prinzipiellen Gründen Nein sagen. Tatsächlich käme sie damit in die Lage, ent¬
weder ihre eignen Kinder dem Prinzip zuliebe schlachten zu müssen oder das
Prinzip fallen zu lassen und ihre eigne Landtagsvorlage aus der Hand des
Zentrums und der Sozialdemokratie im Reichstag anzunehmen! Ein solcher Aus¬
gang kaun aber unmöglich deu Wünschen der konservativen wie der nativualliberalen
Gegner der Vorlagen entsprechen, und es ist also wohl anzunehmen, das; diese Ent¬
würfe, wenn auch mit einigen Amendiernngen, Gesetz werden. Tatsächlich fällt dabei
auch die von den Bergarbeitern im großen und ganzen beobachtete ruhige Haltung
ins Gewicht, die ebenso Gegenstand der Beobachtung und der Berichterstattung wie
der Anerkennung der in Berlin beglaubigten fremden Diplomatie gewesen ist. Zwei¬
hunderttausend feiernde Arbeiter und kein einziger schwerer Exzeß!
Auch diese Haltung gehört mit zu den Motiven der Vorlagen, der Kontratt-
bruch ist dadurch bis zu einem gewissen Grade ausgeglichen, auch wenn die Gründe
dieser Haltung nicht einzig und allein in dem Bedürfnis nach Gesetzmäßigkeit be¬
ruht haben sollten. Man wollte eine wirtschaftliche Auseinandersetzung, aber mit
Vermeidung jedes Zusammenstoßes mit der Staatsgewalt; man wußte, daß der
Erfolg, d. h. ein Eingreifen des Staats auf dem Wege der Gesetzgebung zugunsten
der Arbeiter davon abhängig war. Von der Regierung war dem Zuzug italienischer
Arbeiter gewehrt worden, die in einer solchen Bewegung leicht ein unerwünschtes
Element gewesen wären; die Bergleute erkannten daraus, daß bei absoluter Gesetz¬
mäßigkeit manche Wünsche für sie erreichbar sein würden. Die Lage der Zechen¬
verwaltungen ist sicherlich uicht leicht. Um so mehr muß dafür Sorge getragen
werden, daß die jetzt in Aussicht genommnen Maßregeln auch wirklich alle Lücken
schließen, und daß Streikbewegungen, die auf andern als Lohnfragen beruhn, in
der gesetzlichen Lage der Arbeiter keinerlei Begründung mehr finden. Ein Kohlen¬
streik, der unser ganzes industrielles Lebe», Eisenbahnen, Dampfschiffe, Kriegsflotte
und daneben auch die häuslichen Existenzen in Mitleidenschaft zieht, sollte eigent¬
lich unmöglich gemacht werden. Aber das würde auch bei einer Verstaatlichung
nicht der Fall sein, sobald eines Tags Lohnfragen zum Ausgangspunkt einer Streit¬
bewegung gemacht würden. Auch eine staatliche Zechenverwaltung könnte nicht
daran denken, allen Ansprüchen gegenüber nur Nachgiebigkeit zu üben, und je
größer die Massen wären, desto größer würde auch der Hang zur Begehrlichkeit
sein. Man darf im Gegenteil sagen, die jetzige Einrichtung in Preußen mit einem
starken Anteil des Staats am Bergwerkbesitz ist gerade das Richtige. Der Staat
kann damit einen regulierenden Einfluß auf die Preisbildung, auf die Lohnfrage
sowie auf viele andre Fragen des Betriebs üben; er hat dnrch seinen eignen Besitz
ein Urteil über das sachlich Zulässige und ist in Situationen, wie wir sie jetzt
hinter uns haben, der gegebne Vermittler. Der Vermittler aber würde fehlen,
sobald der Staat selbst als Arbeitgeber der großen Masse der Bergarbeiter
gegenüberstünde, deren Unzufriedenheit und Mißfallen sich dann nicht gegen eine
Reihe von Zechenverwaltungen und deren Verband, sondern gegen den Staat
richten würde.
Das Herrenhaus hat sich durch den Mund seines Präsidenten beklagt, daß es
von der Regierung vernachlässigt würde, und daß namentlich die Berggcsetznovellen
zuerst hätten an dieses Haus gebracht werden müssen. Da der Gegenstand im
Abgeordnetenhause schon anhängig war, wäre es eine Rücksichtslosigkeit gegen dieses
gewesen, hätte man die in den Vorlagen behandelten Fragen im Herrenhause prii-
judizieren lassen. Dazu kommt dann wohl noch, daß die Chancen der Vorlagen
im Herrenhaus unendlich geringer gewesen wären. Wenn das Herrenhaus die
Vorlagen aus der Hand des Abgeordnetenhauses erhält, nachdem sie dort unter
Zustimmung der Konservativen zur Annahme gelangt sind, wird in diesem Falle
die Stellung des Herrenhauses wesentlich anders sein, als wenn die Regierung
gleich zuerst an dieses Haus herangetreten wäre. Im Ernst kann die preußische
Regierung ja nicht daran denken, das Herrenhaus absichtlich oder systematisch zu
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