Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Aus König Wilhelms ersten Jahren
von Gelo Uciemmel

is heute wird das Urteil über die Persönlichkeit und die Wirk¬
samkeit Kaiser Wilhelms des Ersten noch im wesentlichen von
der Auffassung bestimmt, die Bismarck in zahlreichen Erzählungen
und zuletzt noch in den "Gedanken und Erinnerungen" vertreten
hat. Danach hat man den Eindruck, als ob der Monarch zu
allen bedeutenden Handlungen seiner Regierung seit 1862 von Bismarck habe
angetrieben und andrerseits von unzweckmäßigen oder nachteiligen Entschlüssen
habe zurückgehalten werden müssen, weil er eben beständig auch von entgegen¬
stehenden Einflüssen bestimmt worden sei, die Bismarck als unberechtigt und
verderblich habe bekämpfen müssen. Dieses Urteil ist von Bismarcks Stand¬
punkt aus ganz begreiflich, denn er stand im fortwährenden Kampfe. Aber
auch Erich Marcks, der der Eigentümlichkeit und der Bedeutung Wilhelms
in allen Beziehungen gerecht zu werden bestrebt ist, findet, daß er mit dem
Eintritt Bismarcks in die Leitung der Geschäfte "ans der Stelle des Han¬
delnden um einen Schritt zurückgetreten sei, daß er sein Größtes bis dahin
geleistet" habe, daß also der Höhepunkt seiner persönlichen Wirksamkeit nicht
in die Zeit der Reichsgründung falle, daß an dieser sein Anteil der geringere
sei. Ob das historisch richtig ist? Wilhelm ist doch zu allen Zeiten immer
der Mittelpunkt aller Geschäfte geblieben; in seinen Händen allein liefen alle
Fäden zusammen, er hielt alle seine Mitarbeiter, auch die größten, streng in
den Grenzen ihrer Ressorts und duldete bei keinem eine Überschreitung. Er
wußte wohl, warum er auch in Versailles während des Kriegswinters 1870/71
daran festhielt, denn er war sich bewußt, daß die Ausgleichung der Gegensätze
zwischen seinen Beratern in seiner Hand liege. Und darüber hinaus wäre es
doch ungerecht und unhistorisch, zu vergessen, daß das Reich eben nicht nnr
durch die Staatskunst Bismarcks, sondern ebenso gut durch die Kriegstaten
des Heeres gegründet worden ist, die beide immer einander voraussetzten, und
daß Wilhelm der Erste der Schöpfer und der Führer dieses Heeres ge¬
wesen ist.

Jedem, der allmählich zu einem wirklich unbefangnen und richtigen Urteil
über Wilhelms des Ersten Bedeutung gelangen will, muß deshalb alles will-


Grmzbotei, II 1905 73


Aus König Wilhelms ersten Jahren
von Gelo Uciemmel

is heute wird das Urteil über die Persönlichkeit und die Wirk¬
samkeit Kaiser Wilhelms des Ersten noch im wesentlichen von
der Auffassung bestimmt, die Bismarck in zahlreichen Erzählungen
und zuletzt noch in den „Gedanken und Erinnerungen" vertreten
hat. Danach hat man den Eindruck, als ob der Monarch zu
allen bedeutenden Handlungen seiner Regierung seit 1862 von Bismarck habe
angetrieben und andrerseits von unzweckmäßigen oder nachteiligen Entschlüssen
habe zurückgehalten werden müssen, weil er eben beständig auch von entgegen¬
stehenden Einflüssen bestimmt worden sei, die Bismarck als unberechtigt und
verderblich habe bekämpfen müssen. Dieses Urteil ist von Bismarcks Stand¬
punkt aus ganz begreiflich, denn er stand im fortwährenden Kampfe. Aber
auch Erich Marcks, der der Eigentümlichkeit und der Bedeutung Wilhelms
in allen Beziehungen gerecht zu werden bestrebt ist, findet, daß er mit dem
Eintritt Bismarcks in die Leitung der Geschäfte „ans der Stelle des Han¬
delnden um einen Schritt zurückgetreten sei, daß er sein Größtes bis dahin
geleistet" habe, daß also der Höhepunkt seiner persönlichen Wirksamkeit nicht
in die Zeit der Reichsgründung falle, daß an dieser sein Anteil der geringere
sei. Ob das historisch richtig ist? Wilhelm ist doch zu allen Zeiten immer
der Mittelpunkt aller Geschäfte geblieben; in seinen Händen allein liefen alle
Fäden zusammen, er hielt alle seine Mitarbeiter, auch die größten, streng in
den Grenzen ihrer Ressorts und duldete bei keinem eine Überschreitung. Er
wußte wohl, warum er auch in Versailles während des Kriegswinters 1870/71
daran festhielt, denn er war sich bewußt, daß die Ausgleichung der Gegensätze
zwischen seinen Beratern in seiner Hand liege. Und darüber hinaus wäre es
doch ungerecht und unhistorisch, zu vergessen, daß das Reich eben nicht nnr
durch die Staatskunst Bismarcks, sondern ebenso gut durch die Kriegstaten
des Heeres gegründet worden ist, die beide immer einander voraussetzten, und
daß Wilhelm der Erste der Schöpfer und der Führer dieses Heeres ge¬
wesen ist.

Jedem, der allmählich zu einem wirklich unbefangnen und richtigen Urteil
über Wilhelms des Ersten Bedeutung gelangen will, muß deshalb alles will-


Grmzbotei, II 1905 73
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <pb facs="#f0577" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296956"/>
        <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341881_296764/figures/grenzboten_341881_296764_296956_000.jpg"/><lb/>
        <div n="1">
          <head> Aus König Wilhelms ersten Jahren<lb/><note type="byline"> von Gelo Uciemmel</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_2698"> is heute wird das Urteil über die Persönlichkeit und die Wirk¬<lb/>
samkeit Kaiser Wilhelms des Ersten noch im wesentlichen von<lb/>
der Auffassung bestimmt, die Bismarck in zahlreichen Erzählungen<lb/>
und zuletzt noch in den &#x201E;Gedanken und Erinnerungen" vertreten<lb/>
hat.  Danach hat man den Eindruck, als ob der Monarch zu<lb/>
allen bedeutenden Handlungen seiner Regierung seit 1862 von Bismarck habe<lb/>
angetrieben und andrerseits von unzweckmäßigen oder nachteiligen Entschlüssen<lb/>
habe zurückgehalten werden müssen, weil er eben beständig auch von entgegen¬<lb/>
stehenden Einflüssen bestimmt worden sei, die Bismarck als unberechtigt und<lb/>
verderblich habe bekämpfen müssen.  Dieses Urteil ist von Bismarcks Stand¬<lb/>
punkt aus ganz begreiflich, denn er stand im fortwährenden Kampfe. Aber<lb/>
auch Erich Marcks, der der Eigentümlichkeit und der Bedeutung Wilhelms<lb/>
in allen Beziehungen gerecht zu werden bestrebt ist, findet, daß er mit dem<lb/>
Eintritt Bismarcks in die Leitung der Geschäfte &#x201E;ans der Stelle des Han¬<lb/>
delnden um einen Schritt zurückgetreten sei, daß er sein Größtes bis dahin<lb/>
geleistet" habe, daß also der Höhepunkt seiner persönlichen Wirksamkeit nicht<lb/>
in die Zeit der Reichsgründung falle, daß an dieser sein Anteil der geringere<lb/>
sei.  Ob das historisch richtig ist? Wilhelm ist doch zu allen Zeiten immer<lb/>
der Mittelpunkt aller Geschäfte geblieben; in seinen Händen allein liefen alle<lb/>
Fäden zusammen, er hielt alle seine Mitarbeiter, auch die größten, streng in<lb/>
den Grenzen ihrer Ressorts und duldete bei keinem eine Überschreitung. Er<lb/>
wußte wohl, warum er auch in Versailles während des Kriegswinters 1870/71<lb/>
daran festhielt, denn er war sich bewußt, daß die Ausgleichung der Gegensätze<lb/>
zwischen seinen Beratern in seiner Hand liege.  Und darüber hinaus wäre es<lb/>
doch ungerecht und unhistorisch, zu vergessen, daß das Reich eben nicht nnr<lb/>
durch die Staatskunst Bismarcks, sondern ebenso gut durch die Kriegstaten<lb/>
des Heeres gegründet worden ist, die beide immer einander voraussetzten, und<lb/>
daß Wilhelm der Erste der Schöpfer und der Führer dieses Heeres ge¬<lb/>
wesen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2699" next="#ID_2700"> Jedem, der allmählich zu einem wirklich unbefangnen und richtigen Urteil<lb/>
über Wilhelms des Ersten Bedeutung gelangen will, muß deshalb alles will-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grmzbotei, II 1905 73</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0577] [Abbildung] Aus König Wilhelms ersten Jahren von Gelo Uciemmel is heute wird das Urteil über die Persönlichkeit und die Wirk¬ samkeit Kaiser Wilhelms des Ersten noch im wesentlichen von der Auffassung bestimmt, die Bismarck in zahlreichen Erzählungen und zuletzt noch in den „Gedanken und Erinnerungen" vertreten hat. Danach hat man den Eindruck, als ob der Monarch zu allen bedeutenden Handlungen seiner Regierung seit 1862 von Bismarck habe angetrieben und andrerseits von unzweckmäßigen oder nachteiligen Entschlüssen habe zurückgehalten werden müssen, weil er eben beständig auch von entgegen¬ stehenden Einflüssen bestimmt worden sei, die Bismarck als unberechtigt und verderblich habe bekämpfen müssen. Dieses Urteil ist von Bismarcks Stand¬ punkt aus ganz begreiflich, denn er stand im fortwährenden Kampfe. Aber auch Erich Marcks, der der Eigentümlichkeit und der Bedeutung Wilhelms in allen Beziehungen gerecht zu werden bestrebt ist, findet, daß er mit dem Eintritt Bismarcks in die Leitung der Geschäfte „ans der Stelle des Han¬ delnden um einen Schritt zurückgetreten sei, daß er sein Größtes bis dahin geleistet" habe, daß also der Höhepunkt seiner persönlichen Wirksamkeit nicht in die Zeit der Reichsgründung falle, daß an dieser sein Anteil der geringere sei. Ob das historisch richtig ist? Wilhelm ist doch zu allen Zeiten immer der Mittelpunkt aller Geschäfte geblieben; in seinen Händen allein liefen alle Fäden zusammen, er hielt alle seine Mitarbeiter, auch die größten, streng in den Grenzen ihrer Ressorts und duldete bei keinem eine Überschreitung. Er wußte wohl, warum er auch in Versailles während des Kriegswinters 1870/71 daran festhielt, denn er war sich bewußt, daß die Ausgleichung der Gegensätze zwischen seinen Beratern in seiner Hand liege. Und darüber hinaus wäre es doch ungerecht und unhistorisch, zu vergessen, daß das Reich eben nicht nnr durch die Staatskunst Bismarcks, sondern ebenso gut durch die Kriegstaten des Heeres gegründet worden ist, die beide immer einander voraussetzten, und daß Wilhelm der Erste der Schöpfer und der Führer dieses Heeres ge¬ wesen ist. Jedem, der allmählich zu einem wirklich unbefangnen und richtigen Urteil über Wilhelms des Ersten Bedeutung gelangen will, muß deshalb alles will- Grmzbotei, II 1905 73

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/577
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/577>, abgerufen am 05.02.2025.