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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Unter Runden, Komödianten und wilden Tieren

überfüllt sei, ein andres aufsuchten. Es ist möglich, daß dieses Kleeblatt schon
schlimme Erfahrungen mit dem Inhaber eines Berliners gemacht hatte. In Gößnitz
beschränkte ich mich darauf, mir mein Mittagsbrod zusnmmenzntalfen, und reiste noch
am Nachmittag weiter nach Altenburg. Unterwegs holte ich drei Kunden ein, unter
denen ein "seichter" (Schneider) aus Lengenfeld war, den ich von früher her kannte.
Die Kunden fragten mich, ob ich auf meiner Wanderung schon den "Teckel" oder
"Klempuers Karl" (Gendarm) gesehen hätte; sie selbst seien, sagten sie, heute schon
"gesteppt" (nach den Pnpiereu gefragt) worden. In Altenburg fand ich die Penne
etwas besser und blieb dort über Nacht. Dann reiste ich weiter über Geithain nach
Frvhburg. Der dortige Boos war ein geiziger, mürrischer alter Manu, der mir
den Aufenthalt in der Penne bald verleidete.

Über Colditz kam ich nach Leisnig, wo ich zunächst meinen Onkel und meine
Tante, die eine Restauration betrieben, besuchte und mich nach Arbeit umsah. Ich
fand solche in der bei Leisnig liegenden Schanzenmühle, wo täglich in einem alten
Banernvfen zwei- oder dreimal Brot gebacken wurde. Der ganze Betrieb war
ziemlich kläglich, so gab es zum Beispiel keine Backofenlampe, statt dieser dienten
angezündete Birkenschwarten zur Beleuchtung. Da ich diese Einrichtung nicht kannte,
fragte ich nach einer Lampe, bei deren Licht ich meine Arbeit verrichten wollte.
Man gab mir eine zinnerne Öllampe, die ich ansteckte und in deu Backofen stellte,
um bei ihrem Licht den Schuß Brot hineinzubringen. Dabei sah ich zu meinem
Schrecken, wie sich die Lampe langsam zur Seite neigte und schmolz. In der
Schanzenmnhle selbst wurden Mahlmühle, Schneidemühle, Bäckerei und Ökonomie
betrieben. In der dazu gehörenden weiter unter liegenden Mühle war eine Schneide¬
mühle und eine Lohmühle eingerichtet. Ich mußte dem Müller bei seiner Arbeit
helfen, wogegen dieser mir wieder beim Backen behilflich war. Ein schwieriges
Stück Arbeit war das Schärfen der Mühlsteine; da kein Kran vorhanden war,
um diese hierzu in die Höhe zu winden, mußten wir Walzen unter den Stein
bringen und ihn mit deren Hilfe erst ein Stück fortschieben und dann umkanten.
Wenn der Stein umgeknntet war, wurde er mit einem pickelartigen Hammer be¬
arbeitet. Hierbei lösen sich von dem Hammer kleine Stahlsplitterchen ab, die dem
Arbeitenden unter die Haut der Hand dringen und besonders die Stelle zwischen
den Knöcheln blan färben -- ein Merkmal, woran man jeden Müller, der mit
dem Steinschleifen zu tun hat, erkennt.

In der untern Mühle arbeitete damals ein fünfundsiebzigjähriger Schneide¬
müller, der noch eine junge Frau und kleine Kinder hatte und ein großes Original
war. Ich mußte ihm zuweilen sein Mittagessen hinunterbringen und ergötzte mich
dabei an dem Appetit, mit dem er über das in der Regel sehr fette Schweine¬
fleisch, das sein Lieblingsgericht war, herfiel. Er hauste in der "Feiste" (Stube
der Mühlkunppen), dort stand auch sein Bett, dem ich mich nur unger" näherte,
da es voller Flöhe war. Ich hatte genügend Arbeit, erhielt die Woche fünf Mark
Lohn und mäßige Kost, die hauptsächlich aus Schweinefleisch und zuweilen auch
aus "Buttermilchpams" bestand. Rindfleisch war so gut wie unbekannt.

In der Nähe der Mühlen entdeckte ich in einem Bretterstapel eines Tages
ein Bachstelzennest, worin vier Eier lagen; ein paar Tage darauf lag noch ein
fünftes darin, das bedeutend größer und von andrer Farbe war und offenbar von
einem andern Vogel herrührte. Ich beobachtete nnn, wie das Bachstelzenweibchen
brütete, und ging alle Tage vorbei, um nachzusehen. Eines Tages bemerkte ich
zu meiner Verwunderung, daß nur ein großer Vogel im Neste saß, der den
Schnabel so weit aufsperrte, daß ich mit dem Finger hätte hineinfahren können,
während unter dem Neste die vier jungen Bachstelzen tot lagen. Nun wußte ich
gleich, daß der Jnsasse des Nestes ein junger Kuckuck war, zeigte ihn meinem alten
Freunde, und wir beschlossen, den Kuckuck aufzuziehn und als einen seltnen Vogel
zu Gelde zu machen. Wir ließen ihn noch einige Zeit im Neste, nahmen ihn dann
heraus, setzte" ihn auf das geleerte Dach des Lvlomobileuschuppeus und überdeckten


Unter Runden, Komödianten und wilden Tieren

überfüllt sei, ein andres aufsuchten. Es ist möglich, daß dieses Kleeblatt schon
schlimme Erfahrungen mit dem Inhaber eines Berliners gemacht hatte. In Gößnitz
beschränkte ich mich darauf, mir mein Mittagsbrod zusnmmenzntalfen, und reiste noch
am Nachmittag weiter nach Altenburg. Unterwegs holte ich drei Kunden ein, unter
denen ein „seichter" (Schneider) aus Lengenfeld war, den ich von früher her kannte.
Die Kunden fragten mich, ob ich auf meiner Wanderung schon den „Teckel" oder
„Klempuers Karl" (Gendarm) gesehen hätte; sie selbst seien, sagten sie, heute schon
„gesteppt" (nach den Pnpiereu gefragt) worden. In Altenburg fand ich die Penne
etwas besser und blieb dort über Nacht. Dann reiste ich weiter über Geithain nach
Frvhburg. Der dortige Boos war ein geiziger, mürrischer alter Manu, der mir
den Aufenthalt in der Penne bald verleidete.

Über Colditz kam ich nach Leisnig, wo ich zunächst meinen Onkel und meine
Tante, die eine Restauration betrieben, besuchte und mich nach Arbeit umsah. Ich
fand solche in der bei Leisnig liegenden Schanzenmühle, wo täglich in einem alten
Banernvfen zwei- oder dreimal Brot gebacken wurde. Der ganze Betrieb war
ziemlich kläglich, so gab es zum Beispiel keine Backofenlampe, statt dieser dienten
angezündete Birkenschwarten zur Beleuchtung. Da ich diese Einrichtung nicht kannte,
fragte ich nach einer Lampe, bei deren Licht ich meine Arbeit verrichten wollte.
Man gab mir eine zinnerne Öllampe, die ich ansteckte und in deu Backofen stellte,
um bei ihrem Licht den Schuß Brot hineinzubringen. Dabei sah ich zu meinem
Schrecken, wie sich die Lampe langsam zur Seite neigte und schmolz. In der
Schanzenmnhle selbst wurden Mahlmühle, Schneidemühle, Bäckerei und Ökonomie
betrieben. In der dazu gehörenden weiter unter liegenden Mühle war eine Schneide¬
mühle und eine Lohmühle eingerichtet. Ich mußte dem Müller bei seiner Arbeit
helfen, wogegen dieser mir wieder beim Backen behilflich war. Ein schwieriges
Stück Arbeit war das Schärfen der Mühlsteine; da kein Kran vorhanden war,
um diese hierzu in die Höhe zu winden, mußten wir Walzen unter den Stein
bringen und ihn mit deren Hilfe erst ein Stück fortschieben und dann umkanten.
Wenn der Stein umgeknntet war, wurde er mit einem pickelartigen Hammer be¬
arbeitet. Hierbei lösen sich von dem Hammer kleine Stahlsplitterchen ab, die dem
Arbeitenden unter die Haut der Hand dringen und besonders die Stelle zwischen
den Knöcheln blan färben — ein Merkmal, woran man jeden Müller, der mit
dem Steinschleifen zu tun hat, erkennt.

In der untern Mühle arbeitete damals ein fünfundsiebzigjähriger Schneide¬
müller, der noch eine junge Frau und kleine Kinder hatte und ein großes Original
war. Ich mußte ihm zuweilen sein Mittagessen hinunterbringen und ergötzte mich
dabei an dem Appetit, mit dem er über das in der Regel sehr fette Schweine¬
fleisch, das sein Lieblingsgericht war, herfiel. Er hauste in der „Feiste" (Stube
der Mühlkunppen), dort stand auch sein Bett, dem ich mich nur unger» näherte,
da es voller Flöhe war. Ich hatte genügend Arbeit, erhielt die Woche fünf Mark
Lohn und mäßige Kost, die hauptsächlich aus Schweinefleisch und zuweilen auch
aus „Buttermilchpams" bestand. Rindfleisch war so gut wie unbekannt.

In der Nähe der Mühlen entdeckte ich in einem Bretterstapel eines Tages
ein Bachstelzennest, worin vier Eier lagen; ein paar Tage darauf lag noch ein
fünftes darin, das bedeutend größer und von andrer Farbe war und offenbar von
einem andern Vogel herrührte. Ich beobachtete nnn, wie das Bachstelzenweibchen
brütete, und ging alle Tage vorbei, um nachzusehen. Eines Tages bemerkte ich
zu meiner Verwunderung, daß nur ein großer Vogel im Neste saß, der den
Schnabel so weit aufsperrte, daß ich mit dem Finger hätte hineinfahren können,
während unter dem Neste die vier jungen Bachstelzen tot lagen. Nun wußte ich
gleich, daß der Jnsasse des Nestes ein junger Kuckuck war, zeigte ihn meinem alten
Freunde, und wir beschlossen, den Kuckuck aufzuziehn und als einen seltnen Vogel
zu Gelde zu machen. Wir ließen ihn noch einige Zeit im Neste, nahmen ihn dann
heraus, setzte» ihn auf das geleerte Dach des Lvlomobileuschuppeus und überdeckten


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[0554] Unter Runden, Komödianten und wilden Tieren überfüllt sei, ein andres aufsuchten. Es ist möglich, daß dieses Kleeblatt schon schlimme Erfahrungen mit dem Inhaber eines Berliners gemacht hatte. In Gößnitz beschränkte ich mich darauf, mir mein Mittagsbrod zusnmmenzntalfen, und reiste noch am Nachmittag weiter nach Altenburg. Unterwegs holte ich drei Kunden ein, unter denen ein „seichter" (Schneider) aus Lengenfeld war, den ich von früher her kannte. Die Kunden fragten mich, ob ich auf meiner Wanderung schon den „Teckel" oder „Klempuers Karl" (Gendarm) gesehen hätte; sie selbst seien, sagten sie, heute schon „gesteppt" (nach den Pnpiereu gefragt) worden. In Altenburg fand ich die Penne etwas besser und blieb dort über Nacht. Dann reiste ich weiter über Geithain nach Frvhburg. Der dortige Boos war ein geiziger, mürrischer alter Manu, der mir den Aufenthalt in der Penne bald verleidete. Über Colditz kam ich nach Leisnig, wo ich zunächst meinen Onkel und meine Tante, die eine Restauration betrieben, besuchte und mich nach Arbeit umsah. Ich fand solche in der bei Leisnig liegenden Schanzenmühle, wo täglich in einem alten Banernvfen zwei- oder dreimal Brot gebacken wurde. Der ganze Betrieb war ziemlich kläglich, so gab es zum Beispiel keine Backofenlampe, statt dieser dienten angezündete Birkenschwarten zur Beleuchtung. Da ich diese Einrichtung nicht kannte, fragte ich nach einer Lampe, bei deren Licht ich meine Arbeit verrichten wollte. Man gab mir eine zinnerne Öllampe, die ich ansteckte und in deu Backofen stellte, um bei ihrem Licht den Schuß Brot hineinzubringen. Dabei sah ich zu meinem Schrecken, wie sich die Lampe langsam zur Seite neigte und schmolz. In der Schanzenmnhle selbst wurden Mahlmühle, Schneidemühle, Bäckerei und Ökonomie betrieben. In der dazu gehörenden weiter unter liegenden Mühle war eine Schneide¬ mühle und eine Lohmühle eingerichtet. Ich mußte dem Müller bei seiner Arbeit helfen, wogegen dieser mir wieder beim Backen behilflich war. Ein schwieriges Stück Arbeit war das Schärfen der Mühlsteine; da kein Kran vorhanden war, um diese hierzu in die Höhe zu winden, mußten wir Walzen unter den Stein bringen und ihn mit deren Hilfe erst ein Stück fortschieben und dann umkanten. Wenn der Stein umgeknntet war, wurde er mit einem pickelartigen Hammer be¬ arbeitet. Hierbei lösen sich von dem Hammer kleine Stahlsplitterchen ab, die dem Arbeitenden unter die Haut der Hand dringen und besonders die Stelle zwischen den Knöcheln blan färben — ein Merkmal, woran man jeden Müller, der mit dem Steinschleifen zu tun hat, erkennt. In der untern Mühle arbeitete damals ein fünfundsiebzigjähriger Schneide¬ müller, der noch eine junge Frau und kleine Kinder hatte und ein großes Original war. Ich mußte ihm zuweilen sein Mittagessen hinunterbringen und ergötzte mich dabei an dem Appetit, mit dem er über das in der Regel sehr fette Schweine¬ fleisch, das sein Lieblingsgericht war, herfiel. Er hauste in der „Feiste" (Stube der Mühlkunppen), dort stand auch sein Bett, dem ich mich nur unger» näherte, da es voller Flöhe war. Ich hatte genügend Arbeit, erhielt die Woche fünf Mark Lohn und mäßige Kost, die hauptsächlich aus Schweinefleisch und zuweilen auch aus „Buttermilchpams" bestand. Rindfleisch war so gut wie unbekannt. In der Nähe der Mühlen entdeckte ich in einem Bretterstapel eines Tages ein Bachstelzennest, worin vier Eier lagen; ein paar Tage darauf lag noch ein fünftes darin, das bedeutend größer und von andrer Farbe war und offenbar von einem andern Vogel herrührte. Ich beobachtete nnn, wie das Bachstelzenweibchen brütete, und ging alle Tage vorbei, um nachzusehen. Eines Tages bemerkte ich zu meiner Verwunderung, daß nur ein großer Vogel im Neste saß, der den Schnabel so weit aufsperrte, daß ich mit dem Finger hätte hineinfahren können, während unter dem Neste die vier jungen Bachstelzen tot lagen. Nun wußte ich gleich, daß der Jnsasse des Nestes ein junger Kuckuck war, zeigte ihn meinem alten Freunde, und wir beschlossen, den Kuckuck aufzuziehn und als einen seltnen Vogel zu Gelde zu machen. Wir ließen ihn noch einige Zeit im Neste, nahmen ihn dann heraus, setzte» ihn auf das geleerte Dach des Lvlomobileuschuppeus und überdeckten

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/554>, abgerufen am 06.02.2025.