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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Je mehr die Zeitverhältnisse dazu drängen, die Kräfte und die Macht des
Reiches einheitlich fest zusammenzufassen, desto weniger kann eine weitschauende
Reichspolitik darauf bedacht sein, die Kluft zwischen den beiden Konfessionen zu
vertiefen und zu erweitern. Das gilt von der auswärtigen Politik nicht weniger
als von der innern. In bezug auf diese ist Bismarck schon im Jahre 1878 bei
der ersten vertraulichen Sendung Schlözers nach Rom dem leitenden Gedanken
gefolgt, den er auch seiner Instruktion an Schlözer zugrunde gelegt hat: daß er
einen Kampf mit Rom und mit der Sozialdemokratie zugleich nicht führen könne.
Wenn das für Bismarck bei seinen großen Erfolgen und seinen reichen politischen
Mitteln der maßgebende Gedanke geworden war, werden seine Nachfolger, die nicht
über dasselbe Maß persönlicher Autorität verfügen, wohl nicht im Unrecht sein,
wenn sie ihm auf diesem Wege folgen, soweit das mit dem Reichsinteresse vereinbar
ist. Wir müssen doch in Deutschland endlich dahin kommen, daß die Katholiken in
nationalen Fragen nicht nur, wie Graf Ballestrem jüngst in einem Toast aus¬
gesprochen hat, "mit schwerem Herzen manchmal Ja sagen," sondern daß sie in
diesen Fragen wie andre Parteien eine patriotische und kraftvolle Initiative zeigen
und in der Stärkung, nicht in der Bekämpfung der staatlichen Gewalten ihre Auf¬
gabe sehen, Kameraden von gleichem Schritt und Tritt. Das alles hat ja mit
dem Bekenntnis nichts zu tun. Nationale Gesinnung ist von der Glaubensform
und ihrer äußern Bekundung ebenso unabhängig, wie es kriegerische Tapferkeit ist.
Deutschland ist gegenwärtig in einem Übergangsstadium, das aus dem traditionellen
Gegensatz des "Kulturkampfes" -- den bekanntlich auch Bismarck nicht als eine
dauernde staatliche Einrichtung, sondern als eine neue Episode des uralten Kampfes
zwischen Königtum und "Priestertum" angesehen hat -- zu normalen Verhältnissen
führen muß. Das Zentrum kann aber, das muß jede objektive Betrachtung zu¬
geben, diese Wandlung nicht von heute auf morgen vollziehn, will es nicht einen
großen Teil seiner Wählerschaft an die Sozialdemokratie verlieren.

Als taktische Maßregel in dieser Richtung ist auch wohl die sonst schwer be¬
greifliche Einbringung des Antrags Hompesch in den Reichstag zu erklären. Das
Zentrum mußte diesem Teil seiner Wählerschaft gegenüber äilixsntiÄM prästieren,
obwohl es sicher war, daß der Antrag nnr ein Schlag ins Wasser sein konnte und
obendrein das Gepräge eines außerordentlichen Mangels an Rücksicht auf das Ab¬
geordnetenhaus trug. Graf Ballestrem hat den Schritt seiner eignen Parteigenossen
Pariert. Er steht persönlich den Verhältnissen zu nahe, als daß er wünschen
konnte, auch "och diesen Zweig der Gesetzgebung dem sozialdemokratischen Einfluß
im Reichstage unterworfen zu sehen. Nun kann man ja sagen, der Antrag Hom¬
pesch war zugleich ein Avis an das Herrenhaus, bei dem jetzt die Entscheidung
ruht, und in dessen Reihen die Neigung, der Berggeschnovelle zuzustimmen, keines¬
wegs groß sein soll. Aber das Herrenhaus wird schließlich doch noch weniger
gewillt sein, die Regierung in eine Zwangslage zu bringen, die das Abgeordneten¬
haus ihr und sich selbst erspart, hat. Nach einer Ablehnung im Abgeordneten-
Hause standen der Regierung, die auf den von ihr eingenommnen Standpunkt nicht
verzichten wollte, zwei Wege offen: die Auflösung des Abgeordnetenhauses und der
Appell an den Reichstag. Obwohl es eine Auflösung gegen die konservative
Partei gewesen wäre, wäre dieser Ausweg doch einem Appell an den Reichstag
dorzuziehn gewesen, den auch andre Bundesregierungen schwerlich gern gesehen
hätten. Auch hätte es seine großen prinzipiellen Bedenken gehabt, in einer An¬
gelegenheit, die man bisher sorgfältig als ein Jnternum Preußens angesehen und
behandelt hat, plötzlich an das Reich zu gehn.

Nach der Annahme der Novelle im Abgeordnetenhause hätte jedoch für den
Fall der Ablehnung durch das Herrenhaus eine Auflösung des Abgeordnetenhauses
keinen Zweck, da das Votum des Herrenhauses dadurch uicht berührt würde. Das
wäre nur durch einen Pairsschub möglich. Aber bei der Zusammensetzung des
Herrenhauses nach den Berufungen im Jahre 1888 liegt keine wirkliche Gefahr


Grenzboien it 1905 K4
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Je mehr die Zeitverhältnisse dazu drängen, die Kräfte und die Macht des
Reiches einheitlich fest zusammenzufassen, desto weniger kann eine weitschauende
Reichspolitik darauf bedacht sein, die Kluft zwischen den beiden Konfessionen zu
vertiefen und zu erweitern. Das gilt von der auswärtigen Politik nicht weniger
als von der innern. In bezug auf diese ist Bismarck schon im Jahre 1878 bei
der ersten vertraulichen Sendung Schlözers nach Rom dem leitenden Gedanken
gefolgt, den er auch seiner Instruktion an Schlözer zugrunde gelegt hat: daß er
einen Kampf mit Rom und mit der Sozialdemokratie zugleich nicht führen könne.
Wenn das für Bismarck bei seinen großen Erfolgen und seinen reichen politischen
Mitteln der maßgebende Gedanke geworden war, werden seine Nachfolger, die nicht
über dasselbe Maß persönlicher Autorität verfügen, wohl nicht im Unrecht sein,
wenn sie ihm auf diesem Wege folgen, soweit das mit dem Reichsinteresse vereinbar
ist. Wir müssen doch in Deutschland endlich dahin kommen, daß die Katholiken in
nationalen Fragen nicht nur, wie Graf Ballestrem jüngst in einem Toast aus¬
gesprochen hat, „mit schwerem Herzen manchmal Ja sagen," sondern daß sie in
diesen Fragen wie andre Parteien eine patriotische und kraftvolle Initiative zeigen
und in der Stärkung, nicht in der Bekämpfung der staatlichen Gewalten ihre Auf¬
gabe sehen, Kameraden von gleichem Schritt und Tritt. Das alles hat ja mit
dem Bekenntnis nichts zu tun. Nationale Gesinnung ist von der Glaubensform
und ihrer äußern Bekundung ebenso unabhängig, wie es kriegerische Tapferkeit ist.
Deutschland ist gegenwärtig in einem Übergangsstadium, das aus dem traditionellen
Gegensatz des „Kulturkampfes" — den bekanntlich auch Bismarck nicht als eine
dauernde staatliche Einrichtung, sondern als eine neue Episode des uralten Kampfes
zwischen Königtum und „Priestertum" angesehen hat — zu normalen Verhältnissen
führen muß. Das Zentrum kann aber, das muß jede objektive Betrachtung zu¬
geben, diese Wandlung nicht von heute auf morgen vollziehn, will es nicht einen
großen Teil seiner Wählerschaft an die Sozialdemokratie verlieren.

Als taktische Maßregel in dieser Richtung ist auch wohl die sonst schwer be¬
greifliche Einbringung des Antrags Hompesch in den Reichstag zu erklären. Das
Zentrum mußte diesem Teil seiner Wählerschaft gegenüber äilixsntiÄM prästieren,
obwohl es sicher war, daß der Antrag nnr ein Schlag ins Wasser sein konnte und
obendrein das Gepräge eines außerordentlichen Mangels an Rücksicht auf das Ab¬
geordnetenhaus trug. Graf Ballestrem hat den Schritt seiner eignen Parteigenossen
Pariert. Er steht persönlich den Verhältnissen zu nahe, als daß er wünschen
konnte, auch «och diesen Zweig der Gesetzgebung dem sozialdemokratischen Einfluß
im Reichstage unterworfen zu sehen. Nun kann man ja sagen, der Antrag Hom¬
pesch war zugleich ein Avis an das Herrenhaus, bei dem jetzt die Entscheidung
ruht, und in dessen Reihen die Neigung, der Berggeschnovelle zuzustimmen, keines¬
wegs groß sein soll. Aber das Herrenhaus wird schließlich doch noch weniger
gewillt sein, die Regierung in eine Zwangslage zu bringen, die das Abgeordneten¬
haus ihr und sich selbst erspart, hat. Nach einer Ablehnung im Abgeordneten-
Hause standen der Regierung, die auf den von ihr eingenommnen Standpunkt nicht
verzichten wollte, zwei Wege offen: die Auflösung des Abgeordnetenhauses und der
Appell an den Reichstag. Obwohl es eine Auflösung gegen die konservative
Partei gewesen wäre, wäre dieser Ausweg doch einem Appell an den Reichstag
dorzuziehn gewesen, den auch andre Bundesregierungen schwerlich gern gesehen
hätten. Auch hätte es seine großen prinzipiellen Bedenken gehabt, in einer An¬
gelegenheit, die man bisher sorgfältig als ein Jnternum Preußens angesehen und
behandelt hat, plötzlich an das Reich zu gehn.

Nach der Annahme der Novelle im Abgeordnetenhause hätte jedoch für den
Fall der Ablehnung durch das Herrenhaus eine Auflösung des Abgeordnetenhauses
keinen Zweck, da das Votum des Herrenhauses dadurch uicht berührt würde. Das
wäre nur durch einen Pairsschub möglich. Aber bei der Zusammensetzung des
Herrenhauses nach den Berufungen im Jahre 1888 liegt keine wirkliche Gefahr


Grenzboien it 1905 K4
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[0509] Maßgebliches und Unmaßgebliches Je mehr die Zeitverhältnisse dazu drängen, die Kräfte und die Macht des Reiches einheitlich fest zusammenzufassen, desto weniger kann eine weitschauende Reichspolitik darauf bedacht sein, die Kluft zwischen den beiden Konfessionen zu vertiefen und zu erweitern. Das gilt von der auswärtigen Politik nicht weniger als von der innern. In bezug auf diese ist Bismarck schon im Jahre 1878 bei der ersten vertraulichen Sendung Schlözers nach Rom dem leitenden Gedanken gefolgt, den er auch seiner Instruktion an Schlözer zugrunde gelegt hat: daß er einen Kampf mit Rom und mit der Sozialdemokratie zugleich nicht führen könne. Wenn das für Bismarck bei seinen großen Erfolgen und seinen reichen politischen Mitteln der maßgebende Gedanke geworden war, werden seine Nachfolger, die nicht über dasselbe Maß persönlicher Autorität verfügen, wohl nicht im Unrecht sein, wenn sie ihm auf diesem Wege folgen, soweit das mit dem Reichsinteresse vereinbar ist. Wir müssen doch in Deutschland endlich dahin kommen, daß die Katholiken in nationalen Fragen nicht nur, wie Graf Ballestrem jüngst in einem Toast aus¬ gesprochen hat, „mit schwerem Herzen manchmal Ja sagen," sondern daß sie in diesen Fragen wie andre Parteien eine patriotische und kraftvolle Initiative zeigen und in der Stärkung, nicht in der Bekämpfung der staatlichen Gewalten ihre Auf¬ gabe sehen, Kameraden von gleichem Schritt und Tritt. Das alles hat ja mit dem Bekenntnis nichts zu tun. Nationale Gesinnung ist von der Glaubensform und ihrer äußern Bekundung ebenso unabhängig, wie es kriegerische Tapferkeit ist. Deutschland ist gegenwärtig in einem Übergangsstadium, das aus dem traditionellen Gegensatz des „Kulturkampfes" — den bekanntlich auch Bismarck nicht als eine dauernde staatliche Einrichtung, sondern als eine neue Episode des uralten Kampfes zwischen Königtum und „Priestertum" angesehen hat — zu normalen Verhältnissen führen muß. Das Zentrum kann aber, das muß jede objektive Betrachtung zu¬ geben, diese Wandlung nicht von heute auf morgen vollziehn, will es nicht einen großen Teil seiner Wählerschaft an die Sozialdemokratie verlieren. Als taktische Maßregel in dieser Richtung ist auch wohl die sonst schwer be¬ greifliche Einbringung des Antrags Hompesch in den Reichstag zu erklären. Das Zentrum mußte diesem Teil seiner Wählerschaft gegenüber äilixsntiÄM prästieren, obwohl es sicher war, daß der Antrag nnr ein Schlag ins Wasser sein konnte und obendrein das Gepräge eines außerordentlichen Mangels an Rücksicht auf das Ab¬ geordnetenhaus trug. Graf Ballestrem hat den Schritt seiner eignen Parteigenossen Pariert. Er steht persönlich den Verhältnissen zu nahe, als daß er wünschen konnte, auch «och diesen Zweig der Gesetzgebung dem sozialdemokratischen Einfluß im Reichstage unterworfen zu sehen. Nun kann man ja sagen, der Antrag Hom¬ pesch war zugleich ein Avis an das Herrenhaus, bei dem jetzt die Entscheidung ruht, und in dessen Reihen die Neigung, der Berggeschnovelle zuzustimmen, keines¬ wegs groß sein soll. Aber das Herrenhaus wird schließlich doch noch weniger gewillt sein, die Regierung in eine Zwangslage zu bringen, die das Abgeordneten¬ haus ihr und sich selbst erspart, hat. Nach einer Ablehnung im Abgeordneten- Hause standen der Regierung, die auf den von ihr eingenommnen Standpunkt nicht verzichten wollte, zwei Wege offen: die Auflösung des Abgeordnetenhauses und der Appell an den Reichstag. Obwohl es eine Auflösung gegen die konservative Partei gewesen wäre, wäre dieser Ausweg doch einem Appell an den Reichstag dorzuziehn gewesen, den auch andre Bundesregierungen schwerlich gern gesehen hätten. Auch hätte es seine großen prinzipiellen Bedenken gehabt, in einer An¬ gelegenheit, die man bisher sorgfältig als ein Jnternum Preußens angesehen und behandelt hat, plötzlich an das Reich zu gehn. Nach der Annahme der Novelle im Abgeordnetenhause hätte jedoch für den Fall der Ablehnung durch das Herrenhaus eine Auflösung des Abgeordnetenhauses keinen Zweck, da das Votum des Herrenhauses dadurch uicht berührt würde. Das wäre nur durch einen Pairsschub möglich. Aber bei der Zusammensetzung des Herrenhauses nach den Berufungen im Jahre 1888 liegt keine wirkliche Gefahr Grenzboien it 1905 K4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/509>, abgerufen am 05.02.2025.