Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren mußte gleich mit zugreifen. Der Meister hatte den Teig schon fertig; ich mußte Am ersten Tage meiner Lehrzeit wurde dreimal Brot gebacken, was jedesmal Um halb zwei Uhr in der Nacht wurde mit dem Backen der weißen Ware Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren mußte gleich mit zugreifen. Der Meister hatte den Teig schon fertig; ich mußte Am ersten Tage meiner Lehrzeit wurde dreimal Brot gebacken, was jedesmal Um halb zwei Uhr in der Nacht wurde mit dem Backen der weißen Ware <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0495" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296874"/> <fw type="header" place="top"> Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren</fw><lb/> <p xml:id="ID_2234" prev="#ID_2233"> mußte gleich mit zugreifen. Der Meister hatte den Teig schon fertig; ich mußte<lb/> mich deshalb beim Abwiegen beteiligen und den Teig in Schüsseln legen, die aus<lb/> Wurzeln geflochten waren. Die fertig gemachten Schüsseln wurden zur Seite ge¬<lb/> stellt, das mußte ich tun, ich mußte sie dabei zunächst der Meisterin hinsetzen, die<lb/> den Teig „zustieß," d. h. die gäreude Masse wieder zusammendrückte, worauf der<lb/> Meister den Teig „wirkte," d. h. ihm die richtige Form des Brotes gab. Aus<lb/> des Meisters Händen nahm ich die Schüsseln, die ich, bevor der Meister das Brot<lb/> hineingelegt hatte, mit Mehl bestäuben mußte, und setzte sie zur Seite, bis der<lb/> „Schuß," d. h. die zum Backen bestimmte Anzahl Brote, fertig war. Dann wurde<lb/> das Brot zunächst mit dem Kehrbesen abgefegt und mit kaltem Wasser bestrichen,<lb/> wodurch die Brote vor dem Reißen ihrer Oberfläche bewahrt bleiben. Nachdem<lb/> dies geschehen war, mußte ich die Brote mit einem Messer zeichnen, d. h. rings¬<lb/> herum Kerbe hiueiumachen, die dazu bestimmt waren, das Ansehen des Brotes zu<lb/> verschönern. Während das Brot eine Weile stehn blieb und dadurch seine richtige<lb/> „Gare" erlangte, machte der Meister den Ofen fertig. Dann mußte ich ihm die<lb/> Brote zureichen, die er ans den Schieber warf und in den Ofen schob.</p><lb/> <p xml:id="ID_2235"> Am ersten Tage meiner Lehrzeit wurde dreimal Brot gebacken, was jedesmal<lb/> drei Stunden in Anspruch nahm. Am zweiten Tage Nachmittags, als wir mit<lb/> dem Backen fertig waren, mußte ich „Sprcisel" machen, d. h. Holz zerkleinern,<lb/> wobei Scheite in der Stärke eines halben Armes mit der Axt zersplittert wurden;<lb/> dann mußte ich auch die Backscheite, die aus stärker»: Holz bestanden, hinten im<lb/> Ofen aufschichte», wo sie bis zum nächsten Backen des weißen Brotes liegen<lb/> blieben, während ich vorn drei Arme voll Spreisel aufschichtete. Die Spreisel<lb/> wurden dann Abends gegen sieben oder acht Uhr wieder herausgenommen, und<lb/> „Hefenstück" und Sauerteig gemacht — Hefenstück ist der Vorteig zu der weißen<lb/> Ware —, um acht Uhr wurde dann Abendbrot gegessen, wobei es meist Milch¬<lb/> suppe und „Eingeschnittene" (Bratkartoffeln) gab. Zum Schlafen wurde mir eine<lb/> Kammer angewiesen, die zwei Treppen hoch lag und zwei Betten enthielt. Mein<lb/> Schlafgenosse war der Knecht, der die beiden Pferde des Meisters zu besorgen<lb/> hatte. Wie in den meisten kleinen Orten betrieb der Meister nebenbei Ökonomie;<lb/> er hatte damals sieben Kühe und zwei Schweine. Das Dienstmädchen mußte ge¬<lb/> wöhnlich beim Zulangen und Wegsetzen helfen und deshalb des Nachts mit auf¬<lb/> stehn. In der ersten Nacht hörte ich, wie das Dienstmädchen geweckt wurde,<lb/> während der Meister mich schlafen lassen wollte; ich stand trotzdem auf und ging<lb/> in die Backstube.</p><lb/> <p xml:id="ID_2236" next="#ID_2237"> Um halb zwei Uhr in der Nacht wurde mit dem Backen der weißen Ware<lb/> begonnen. Der Meister machte den Teig, brannte den Ofen an, und ich mußte<lb/> mit beim Wirken des weißen Teiges zugreifen. Die Semmeln machte der Meister<lb/> selbst, die „Nöckele" machten die Meisterin und ich. Wir legten die fertiggemachten<lb/> Semmeln und Röckele in die Tröge, und diese stellte dus Dienstmädchen in den<lb/> „Garkasten." Nach dieser Tätigkeit wandten wir uns den Dreierbrötchen zu, die<lb/> in derselben Weise behandelt wurden, wobei noch das Drücken mit einem Holz<lb/> hinzukam, wodurch die Brötchen ihre Dreiteilung erhielten. Zum Schlüsse wurde<lb/> »och eine Anzahl Milchbrödchen gemacht, die nur einmal gedrückt wurden. In¬<lb/> zwischen hatte der Ofen die richtige Hitze bekommen, sodaß er „weiß" geworden<lb/> war; um wurden die Holzkohlen herausgeholt und in einen Behälter („Dämpfer")<lb/> verschlossen, sodann wurde der Ofen mit einem nassen Strohwisch, der an einer<lb/> Stange befestigt war. gereinigt. Nach diesen Vorbereitungen schob der Meister<lb/> die weiße Ware mit Hilfe des Schiebers in den Ofen, was uicht so leicht ist, weil<lb/> ein besondrer Kunstgriff dazu gehört, die Semmeln usw. aus dem „Trögel" ans<lb/> den Schieber zu werfen. Beim Auswirken wurde die weiße Ware mit dünner<lb/> Kartoffelstärke bestrichen, wodurch sie ihren schönen Glanz erhielt. Um sieben Uhr<lb/> früh mußte der Teig für die Brote fertig sein; deren Menge richtete sich danach,<lb/> wieviel Brote von den Hausbäckern eingeliefert wurden. Meist brachten drei oder</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0495]
Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren
mußte gleich mit zugreifen. Der Meister hatte den Teig schon fertig; ich mußte
mich deshalb beim Abwiegen beteiligen und den Teig in Schüsseln legen, die aus
Wurzeln geflochten waren. Die fertig gemachten Schüsseln wurden zur Seite ge¬
stellt, das mußte ich tun, ich mußte sie dabei zunächst der Meisterin hinsetzen, die
den Teig „zustieß," d. h. die gäreude Masse wieder zusammendrückte, worauf der
Meister den Teig „wirkte," d. h. ihm die richtige Form des Brotes gab. Aus
des Meisters Händen nahm ich die Schüsseln, die ich, bevor der Meister das Brot
hineingelegt hatte, mit Mehl bestäuben mußte, und setzte sie zur Seite, bis der
„Schuß," d. h. die zum Backen bestimmte Anzahl Brote, fertig war. Dann wurde
das Brot zunächst mit dem Kehrbesen abgefegt und mit kaltem Wasser bestrichen,
wodurch die Brote vor dem Reißen ihrer Oberfläche bewahrt bleiben. Nachdem
dies geschehen war, mußte ich die Brote mit einem Messer zeichnen, d. h. rings¬
herum Kerbe hiueiumachen, die dazu bestimmt waren, das Ansehen des Brotes zu
verschönern. Während das Brot eine Weile stehn blieb und dadurch seine richtige
„Gare" erlangte, machte der Meister den Ofen fertig. Dann mußte ich ihm die
Brote zureichen, die er ans den Schieber warf und in den Ofen schob.
Am ersten Tage meiner Lehrzeit wurde dreimal Brot gebacken, was jedesmal
drei Stunden in Anspruch nahm. Am zweiten Tage Nachmittags, als wir mit
dem Backen fertig waren, mußte ich „Sprcisel" machen, d. h. Holz zerkleinern,
wobei Scheite in der Stärke eines halben Armes mit der Axt zersplittert wurden;
dann mußte ich auch die Backscheite, die aus stärker»: Holz bestanden, hinten im
Ofen aufschichte», wo sie bis zum nächsten Backen des weißen Brotes liegen
blieben, während ich vorn drei Arme voll Spreisel aufschichtete. Die Spreisel
wurden dann Abends gegen sieben oder acht Uhr wieder herausgenommen, und
„Hefenstück" und Sauerteig gemacht — Hefenstück ist der Vorteig zu der weißen
Ware —, um acht Uhr wurde dann Abendbrot gegessen, wobei es meist Milch¬
suppe und „Eingeschnittene" (Bratkartoffeln) gab. Zum Schlafen wurde mir eine
Kammer angewiesen, die zwei Treppen hoch lag und zwei Betten enthielt. Mein
Schlafgenosse war der Knecht, der die beiden Pferde des Meisters zu besorgen
hatte. Wie in den meisten kleinen Orten betrieb der Meister nebenbei Ökonomie;
er hatte damals sieben Kühe und zwei Schweine. Das Dienstmädchen mußte ge¬
wöhnlich beim Zulangen und Wegsetzen helfen und deshalb des Nachts mit auf¬
stehn. In der ersten Nacht hörte ich, wie das Dienstmädchen geweckt wurde,
während der Meister mich schlafen lassen wollte; ich stand trotzdem auf und ging
in die Backstube.
Um halb zwei Uhr in der Nacht wurde mit dem Backen der weißen Ware
begonnen. Der Meister machte den Teig, brannte den Ofen an, und ich mußte
mit beim Wirken des weißen Teiges zugreifen. Die Semmeln machte der Meister
selbst, die „Nöckele" machten die Meisterin und ich. Wir legten die fertiggemachten
Semmeln und Röckele in die Tröge, und diese stellte dus Dienstmädchen in den
„Garkasten." Nach dieser Tätigkeit wandten wir uns den Dreierbrötchen zu, die
in derselben Weise behandelt wurden, wobei noch das Drücken mit einem Holz
hinzukam, wodurch die Brötchen ihre Dreiteilung erhielten. Zum Schlüsse wurde
»och eine Anzahl Milchbrödchen gemacht, die nur einmal gedrückt wurden. In¬
zwischen hatte der Ofen die richtige Hitze bekommen, sodaß er „weiß" geworden
war; um wurden die Holzkohlen herausgeholt und in einen Behälter („Dämpfer")
verschlossen, sodann wurde der Ofen mit einem nassen Strohwisch, der an einer
Stange befestigt war. gereinigt. Nach diesen Vorbereitungen schob der Meister
die weiße Ware mit Hilfe des Schiebers in den Ofen, was uicht so leicht ist, weil
ein besondrer Kunstgriff dazu gehört, die Semmeln usw. aus dem „Trögel" ans
den Schieber zu werfen. Beim Auswirken wurde die weiße Ware mit dünner
Kartoffelstärke bestrichen, wodurch sie ihren schönen Glanz erhielt. Um sieben Uhr
früh mußte der Teig für die Brote fertig sein; deren Menge richtete sich danach,
wieviel Brote von den Hausbäckern eingeliefert wurden. Meist brachten drei oder
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