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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Lin Familienbild aus der Zeit des großen Krieges

idealen Güter hinzuraffen drohten. Wie in jenen Zeiten der Zerrüttung der
treue Zusammenhalt der Familienglieder ein fester Pol war, kann man aus den
Briefen erkennen, von denen hier gesprochen werden soll. Sie entstammen der
alten Nürnberger Patrizierfamilie Behaim, deren bekanntestes Mitglied der als
Entdecker der Azoren und als Verfertiger des ersten Globus (1499) berühmt
gewordne Martin ist. Paul Behaim nahm 1546 an dem Turnier der Rum- ,
berger Geschlechter teil und gewann den fünften Dank. Der sich durch mehrere
Generationen erstreckende Briefwechsel der Familienglieder gehört jetzt zu den
Schätzen des Germanischen Nationalmuseums.

Das Haupt der Familie war im zweiten Drittel des siebzehnten Jahr¬
hunderts der Ratsherr Lukas Friedrich Behaim; der ältere Sohn Georg
Friedrich hatte studiert und in der Vaterstadt geheiratet, der zweite, Hans
Jakob, nahm 1640 dem Zuge der Zeit folgend Kriegsdienste, eine Schwester
Anna Sabina war an einen Harsdörffer vermählt, die jüngste, Susanna,
weilte noch bei den Eltern. Daß Hans Jakob, der schon in der Heimat als
Architekt tätig gewesen war, auf Wunsch seines Vaters das niederländische
Kriegstheater aufsuchte, hat seiue guten Gründe. Die Niederlande galten seit
den großen Freiheitskämpfen als das klassische Land der Festungen. Das
Wesen der neuen Befestigungsart bestand im Gegensatz zu dem bisher herrschenden
italienischen der Steinbastioncn in Erdwerken und nassen Gräben, sein Studium
war schon vor dem großen Kriege ein Bestandteil der Kavaliercrziehung. Es
war die herrschende Ansicht, die um die Mitte des Jahrhunderts Wendelin
Schildknecht, der Stadt Stettin Ingenieur, treuherzig wiedergab:

Sechs Jahre lang hat der junge Nürnberger im Felde gestanden, von
wo er nicht wieder heimkehrte. Es ist gewiß ein gutes Zeichen für die Innig¬
keit des Familiengefühls, daß er während der ganzen Zeit einen lebhaften
Briefwechsel mit den Angehörigen daheim geführt und ihre Briefe im Feld¬
lager sorgsam aufbewahrt hat, um so mehr als er offenbar ein leichtsinniger
Bursch gewesen ist. Die während des Kriegs aufgewachsne Generation zeigt
schon alle die häßlichen Züge ausgebildet, die nachher dem deutschen Leben
sein trostloses Gepräge geben. Leichtsinnige und verschwenderische Neigungen
der Söhne sind zu allen Zeiten ein beliebtes Thema väterlicher Briefe, aber
bezeichnend für die damalige Zeit ist die heuchlerische Gespreiztheit der Ver¬
teidigung. Die Ausdrucksweise des alten Behaim erscheint gegenüber diesen
Phrasen bei aller Steifheit weit natürlicher. Noch ist damals der Vater das
ehrfurchtgebietende Haupt des Hauses, und die kindliche Vertraulichkeit ist durch
eine gewisse Förmlichkeit beschränkt, aber Hans Jakob schreibt immer: "Edler
ehrenfester hochgeehrter Herr Vater" und "befiehlt sich zu ferneren väterlichen
Gnaden " Seine Absichten sind immer die besten. Gleich nach seiner Ankunft


Lin Familienbild aus der Zeit des großen Krieges

idealen Güter hinzuraffen drohten. Wie in jenen Zeiten der Zerrüttung der
treue Zusammenhalt der Familienglieder ein fester Pol war, kann man aus den
Briefen erkennen, von denen hier gesprochen werden soll. Sie entstammen der
alten Nürnberger Patrizierfamilie Behaim, deren bekanntestes Mitglied der als
Entdecker der Azoren und als Verfertiger des ersten Globus (1499) berühmt
gewordne Martin ist. Paul Behaim nahm 1546 an dem Turnier der Rum- ,
berger Geschlechter teil und gewann den fünften Dank. Der sich durch mehrere
Generationen erstreckende Briefwechsel der Familienglieder gehört jetzt zu den
Schätzen des Germanischen Nationalmuseums.

Das Haupt der Familie war im zweiten Drittel des siebzehnten Jahr¬
hunderts der Ratsherr Lukas Friedrich Behaim; der ältere Sohn Georg
Friedrich hatte studiert und in der Vaterstadt geheiratet, der zweite, Hans
Jakob, nahm 1640 dem Zuge der Zeit folgend Kriegsdienste, eine Schwester
Anna Sabina war an einen Harsdörffer vermählt, die jüngste, Susanna,
weilte noch bei den Eltern. Daß Hans Jakob, der schon in der Heimat als
Architekt tätig gewesen war, auf Wunsch seines Vaters das niederländische
Kriegstheater aufsuchte, hat seiue guten Gründe. Die Niederlande galten seit
den großen Freiheitskämpfen als das klassische Land der Festungen. Das
Wesen der neuen Befestigungsart bestand im Gegensatz zu dem bisher herrschenden
italienischen der Steinbastioncn in Erdwerken und nassen Gräben, sein Studium
war schon vor dem großen Kriege ein Bestandteil der Kavaliercrziehung. Es
war die herrschende Ansicht, die um die Mitte des Jahrhunderts Wendelin
Schildknecht, der Stadt Stettin Ingenieur, treuherzig wiedergab:

Sechs Jahre lang hat der junge Nürnberger im Felde gestanden, von
wo er nicht wieder heimkehrte. Es ist gewiß ein gutes Zeichen für die Innig¬
keit des Familiengefühls, daß er während der ganzen Zeit einen lebhaften
Briefwechsel mit den Angehörigen daheim geführt und ihre Briefe im Feld¬
lager sorgsam aufbewahrt hat, um so mehr als er offenbar ein leichtsinniger
Bursch gewesen ist. Die während des Kriegs aufgewachsne Generation zeigt
schon alle die häßlichen Züge ausgebildet, die nachher dem deutschen Leben
sein trostloses Gepräge geben. Leichtsinnige und verschwenderische Neigungen
der Söhne sind zu allen Zeiten ein beliebtes Thema väterlicher Briefe, aber
bezeichnend für die damalige Zeit ist die heuchlerische Gespreiztheit der Ver¬
teidigung. Die Ausdrucksweise des alten Behaim erscheint gegenüber diesen
Phrasen bei aller Steifheit weit natürlicher. Noch ist damals der Vater das
ehrfurchtgebietende Haupt des Hauses, und die kindliche Vertraulichkeit ist durch
eine gewisse Förmlichkeit beschränkt, aber Hans Jakob schreibt immer: „Edler
ehrenfester hochgeehrter Herr Vater" und „befiehlt sich zu ferneren väterlichen
Gnaden " Seine Absichten sind immer die besten. Gleich nach seiner Ankunft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/45>, abgerufen am 05.02.2025.