Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Reiseerinnerungen aus Rußland familier schnell und stehn nicht immer auf einer Stufe, für die das roh1k88s Bis sich gegen elf Uhr die Gesellschaft einzufinden pflegte, wurden die Jedes größere Haus in Petersburg hat seinen Schweizer, und wenn ich Reiseerinnerungen aus Rußland familier schnell und stehn nicht immer auf einer Stufe, für die das roh1k88s Bis sich gegen elf Uhr die Gesellschaft einzufinden pflegte, wurden die Jedes größere Haus in Petersburg hat seinen Schweizer, und wenn ich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0438" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296819"/> <fw type="header" place="top"> Reiseerinnerungen aus Rußland</fw><lb/> <p xml:id="ID_1961" prev="#ID_1960"> familier schnell und stehn nicht immer auf einer Stufe, für die das roh1k88s<lb/> obiiM Giltigkeit hat. Die Grenze zwischen Adel und Bürgertum ist übrigens<lb/> in Rußland nicht scharf gezogen, und es gibt dort eine Menge Menschen, die<lb/> sich adlich nennen, sobald sie es so weit gebracht haben, daß sie ein Haus<lb/> machen können. Das markierende Wörtchen „von" existiert nicht; gerade die,<lb/> die keinen Anspruch darauf haben, beeilen sich aber, vor einer Neise in das<lb/> Ausland Karten mit „as" oder „von" drucken zu lassen, um mit der nötigen<lb/> Prätension auftreten zu können. Der vornehme Russe zeichnet sich anch im<lb/> Auslande durch große Einfachheit aus; der emvorgekommne Plebejer und alle,<lb/> die sich auf ihr Geld etwas einbilden, ohne zuhause Beachtung zu finden,<lb/> tragen aber in der Fremde einen geradezu widerlichen Dünkel zur Schau. Das<lb/> kann man freilich auch von andern Nationen sagen!</p><lb/> <p xml:id="ID_1962"> Bis sich gegen elf Uhr die Gesellschaft einzufinden pflegte, wurden die<lb/> Abendstunden bei Musik und anregender Plauderei hingebracht. Man unterhielt<lb/> sich über alles, nur nicht über Politik. Der vornehme Russe vermeidet es so<lb/> viel wie möglich, zuhause darüber zu sprechen, denn man weiß ja nicht, ob nicht<lb/> einmal ein Wort an die falsche Adresse kommt; im Auslande küßt er sich dafür<lb/> um so mehr gehn und pflegt mit seinem Urteil gar nicht zurückhaltend zu sein.<lb/> Unser Kaiser ist zu gutmütig und läßt sich viel zu sehr von andern Leuten be¬<lb/> herrschen — so hörte ich oft sagen. Besonders ein Abend ist mir in freund¬<lb/> lichster Erinnerung, als ein Stabskapitän des Preobrashenskojeregiments sechs<lb/> Soldaten seiner Kompagnie aufmarschieren ließ, die er nach vorheriger Prüfung<lb/> ihres musikalischen Gehörs auf dem Nationalinstrnment, der Balalaika — einer<lb/> Art von Gitarre —, auf seine Kosten hatte ausbilden lassen; auch einen Gesang¬<lb/> verein hatte er aus geeigneten Leuten der Kompagnie gegründet, wo unter seiner<lb/> Leitung russische Nationalliedcr gesungen wurden. Gesangverein und Balalaika¬<lb/> künstler waren schon unter großem Beifall vor der kaiserlichen Familie auf¬<lb/> getreten, und ich kann nur sagen, daß auch auf mich die ganze Vorführung<lb/> einen tiefen Eindruck machte. Die sechs Soldaten, die also eines Abends vor<lb/> den Bewohnern unsers Hauses und einem kleinen geladner Kreis auftraten,<lb/> waren mit großer Sachkenntnis und nach einer originellen Idee ausgesucht.<lb/> Man hatte Südrussen gewählt, weil bei ihnen Balalaika und Volkslied am<lb/> meisten zuhause sind; sonst waren noch musikalisches Gehör, Stimmen und<lb/> Gestalt maßgebend gewesen. An der Spitze marschierte ein Niese mit einem<lb/> ganz kolossalen Instrument, so groß wie eine Baßgeige; beim zweiten war alles<lb/> etwas kleiner, und so ging es fort bis zum letzten, der sich als kleiner Mensch<lb/> mit winziger Balalaika präsentierte. Als die sechs der Reihe nach mit mili¬<lb/> tärischem Tritt den Saal betraten, mußte ich zuerst laut lachen, denn der<lb/> Aufzug sah zu komisch aus, und das Ganze schien mir ein Scherz. Kaum<lb/> schlugen aber die Künstler unter Direktion ihres Kapitäns die Saiten der In¬<lb/> strumente, da wurde ich eines bessern belehrt, denn was sie boten, war ein hoher<lb/> musikalischer Genuß. Lustige nationale Tänze wechselten ab mit schwermütigen<lb/> Weisen, und zum Schluß wurden unter Balalaikabegleitung Volkslieder gesungen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1963" next="#ID_1964"> Jedes größere Haus in Petersburg hat seinen Schweizer, und wenn ich<lb/> Morgens nach acht Uhr die noch ziemlich öden Straßen betrat, dann fielen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0438]
Reiseerinnerungen aus Rußland
familier schnell und stehn nicht immer auf einer Stufe, für die das roh1k88s
obiiM Giltigkeit hat. Die Grenze zwischen Adel und Bürgertum ist übrigens
in Rußland nicht scharf gezogen, und es gibt dort eine Menge Menschen, die
sich adlich nennen, sobald sie es so weit gebracht haben, daß sie ein Haus
machen können. Das markierende Wörtchen „von" existiert nicht; gerade die,
die keinen Anspruch darauf haben, beeilen sich aber, vor einer Neise in das
Ausland Karten mit „as" oder „von" drucken zu lassen, um mit der nötigen
Prätension auftreten zu können. Der vornehme Russe zeichnet sich anch im
Auslande durch große Einfachheit aus; der emvorgekommne Plebejer und alle,
die sich auf ihr Geld etwas einbilden, ohne zuhause Beachtung zu finden,
tragen aber in der Fremde einen geradezu widerlichen Dünkel zur Schau. Das
kann man freilich auch von andern Nationen sagen!
Bis sich gegen elf Uhr die Gesellschaft einzufinden pflegte, wurden die
Abendstunden bei Musik und anregender Plauderei hingebracht. Man unterhielt
sich über alles, nur nicht über Politik. Der vornehme Russe vermeidet es so
viel wie möglich, zuhause darüber zu sprechen, denn man weiß ja nicht, ob nicht
einmal ein Wort an die falsche Adresse kommt; im Auslande küßt er sich dafür
um so mehr gehn und pflegt mit seinem Urteil gar nicht zurückhaltend zu sein.
Unser Kaiser ist zu gutmütig und läßt sich viel zu sehr von andern Leuten be¬
herrschen — so hörte ich oft sagen. Besonders ein Abend ist mir in freund¬
lichster Erinnerung, als ein Stabskapitän des Preobrashenskojeregiments sechs
Soldaten seiner Kompagnie aufmarschieren ließ, die er nach vorheriger Prüfung
ihres musikalischen Gehörs auf dem Nationalinstrnment, der Balalaika — einer
Art von Gitarre —, auf seine Kosten hatte ausbilden lassen; auch einen Gesang¬
verein hatte er aus geeigneten Leuten der Kompagnie gegründet, wo unter seiner
Leitung russische Nationalliedcr gesungen wurden. Gesangverein und Balalaika¬
künstler waren schon unter großem Beifall vor der kaiserlichen Familie auf¬
getreten, und ich kann nur sagen, daß auch auf mich die ganze Vorführung
einen tiefen Eindruck machte. Die sechs Soldaten, die also eines Abends vor
den Bewohnern unsers Hauses und einem kleinen geladner Kreis auftraten,
waren mit großer Sachkenntnis und nach einer originellen Idee ausgesucht.
Man hatte Südrussen gewählt, weil bei ihnen Balalaika und Volkslied am
meisten zuhause sind; sonst waren noch musikalisches Gehör, Stimmen und
Gestalt maßgebend gewesen. An der Spitze marschierte ein Niese mit einem
ganz kolossalen Instrument, so groß wie eine Baßgeige; beim zweiten war alles
etwas kleiner, und so ging es fort bis zum letzten, der sich als kleiner Mensch
mit winziger Balalaika präsentierte. Als die sechs der Reihe nach mit mili¬
tärischem Tritt den Saal betraten, mußte ich zuerst laut lachen, denn der
Aufzug sah zu komisch aus, und das Ganze schien mir ein Scherz. Kaum
schlugen aber die Künstler unter Direktion ihres Kapitäns die Saiten der In¬
strumente, da wurde ich eines bessern belehrt, denn was sie boten, war ein hoher
musikalischer Genuß. Lustige nationale Tänze wechselten ab mit schwermütigen
Weisen, und zum Schluß wurden unter Balalaikabegleitung Volkslieder gesungen.
Jedes größere Haus in Petersburg hat seinen Schweizer, und wenn ich
Morgens nach acht Uhr die noch ziemlich öden Straßen betrat, dann fielen
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