Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Reiseerinnerungen ans Rußland Philipp Ludwig Strömer erschienen. Es ist hiervon jedoch nur eine ziemlich Erst dem zweiten Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts blieb es vor¬ Reiseerinnerungen aus Rußland von lvilhelm Gittermann (Schluß) in berühmter Arzt hat in Petersburg eine hochangesehene Stellung, Niemand verstand seine Landsleute besser zu nehmen, als der berühmte Reiseerinnerungen ans Rußland Philipp Ludwig Strömer erschienen. Es ist hiervon jedoch nur eine ziemlich Erst dem zweiten Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts blieb es vor¬ Reiseerinnerungen aus Rußland von lvilhelm Gittermann (Schluß) in berühmter Arzt hat in Petersburg eine hochangesehene Stellung, Niemand verstand seine Landsleute besser zu nehmen, als der berühmte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0435" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296816"/> <fw type="header" place="top"> Reiseerinnerungen ans Rußland</fw><lb/> <p xml:id="ID_1950" prev="#ID_1949"> Philipp Ludwig Strömer erschienen. Es ist hiervon jedoch nur eine ziemlich<lb/> unbedeutende Nummer gedruckt worden, große Bedeutung ist ihr deshalb nicht<lb/> beizulegen. Im Jahre 1719 soll anch in Nürnberg eine Wochenschrift: „Der<lb/> Spectatcur" oder „Betrachtungen über die verdorbenen Sitten der Welt" er-<lb/> schienen sein, Bedeutung hat aber auch diese uicht erlaugt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1951"> Erst dem zweiten Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts blieb es vor¬<lb/> behalten, die Blüte der moralischen Wochenschriften in Deutschland zu zeitigen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Reiseerinnerungen aus Rußland<lb/><note type="byline"> von lvilhelm Gittermann</note> (Schluß) </head><lb/> <p xml:id="ID_1952"> in berühmter Arzt hat in Petersburg eine hochangesehene Stellung,<lb/> und es gibt unter den Ärzten eine ganze Reihe „Zivilgenerale,"<lb/> auch wenn sie nicht dem Lehrkörper der Universität angehören.<lb/> „Zivilgeneral" ist die Übersetzung eines russischen Wortes und<lb/> bedeutet etwa „Wirklicher Geheimrat mit dem Titel Exzellenz."<lb/> Bei uns gibt es meines Wissens im ganzen Reiche nur vier ärztliche Exzellenzen,<lb/> und der deutsche Soldat hat wohl eher deu Marschallstab im Tornister als ein<lb/> praktischer Arzt die Anwartschaft auf „Exzellenz." Die uicht gerade schön<lb/> klingenden Titel Sarnath- oder Medizinalrat sind in Nußland unbekannt;<lb/> man wird dagegen gar nicht selten ein vornehmer „Staatsrat," und wer diese<lb/> Nobilitiernng noch nicht erlangen konnte, sucht sich wenigstens in irgendwelche<lb/> Beziehung zu einem der vielen Spitäler zu bringen. „Konsultierender Arzt<lb/> für Massage am .... Krankenhaus" — so las ich einmal auf der Karte eines<lb/> Kollegen. Trotz diesen guten Aussichten möchte ich aber nicht Arzt in Nußland<lb/> sein, denn das dortige Publikum stellt oft recht naive Anforderungen, und es<lb/> ist nicht jedermanns Sache, darauf einzugehn. Man will gesund werden aber<lb/> seine Lebensweise ja nicht ändern; mau will nicht frühzeitig alt sein, man will<lb/> um Gottes willen nicht sterben, aber man will sich nicht zu rechter Zeit in das<lb/> Bett legen, denn das Spiel ist interessant, und das Schlafen höchst langweilig.<lb/> Man will das Leben auch wirklich fühlen und immer wieder genießen! Wer<lb/> ein berühmter Arzt werden will, der muß in Rußland noch mehr als anderswo<lb/> ein großer Schauspieler sein; er muß seinem Publikum gegenüber wie ein Gott<lb/> auftreten und darf nicht merken lassen, daß auch sein Wissen nur Stückwerk ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1953" next="#ID_1954"> Niemand verstand seine Landsleute besser zu nehmen, als der berühmte<lb/> Professor Sacharjin in Moskau, von dem die wunderlichsten Geschichten erzählt<lb/> werden. Als sich bei Alexander dem Dritten zum erstenmal die Zeichen seiner<lb/> Krankheit bemerkbar machten, wurde ein hoher Beamter in Moskau angewiesen,<lb/> den großen Arzt nach Petersburg zu schicken. Er fuhr zum Professor und<lb/> teilte ihm mit, daß er in zwei Stunden mit dem Schnellzuge wegen Erkrankung<lb/> des Kaisers abreisen müsse. Was? — schrie Sacharjin — der Kaiser ist krank,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0435]
Reiseerinnerungen ans Rußland
Philipp Ludwig Strömer erschienen. Es ist hiervon jedoch nur eine ziemlich
unbedeutende Nummer gedruckt worden, große Bedeutung ist ihr deshalb nicht
beizulegen. Im Jahre 1719 soll anch in Nürnberg eine Wochenschrift: „Der
Spectatcur" oder „Betrachtungen über die verdorbenen Sitten der Welt" er-
schienen sein, Bedeutung hat aber auch diese uicht erlaugt.
Erst dem zweiten Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts blieb es vor¬
behalten, die Blüte der moralischen Wochenschriften in Deutschland zu zeitigen.
Reiseerinnerungen aus Rußland
von lvilhelm Gittermann (Schluß)
in berühmter Arzt hat in Petersburg eine hochangesehene Stellung,
und es gibt unter den Ärzten eine ganze Reihe „Zivilgenerale,"
auch wenn sie nicht dem Lehrkörper der Universität angehören.
„Zivilgeneral" ist die Übersetzung eines russischen Wortes und
bedeutet etwa „Wirklicher Geheimrat mit dem Titel Exzellenz."
Bei uns gibt es meines Wissens im ganzen Reiche nur vier ärztliche Exzellenzen,
und der deutsche Soldat hat wohl eher deu Marschallstab im Tornister als ein
praktischer Arzt die Anwartschaft auf „Exzellenz." Die uicht gerade schön
klingenden Titel Sarnath- oder Medizinalrat sind in Nußland unbekannt;
man wird dagegen gar nicht selten ein vornehmer „Staatsrat," und wer diese
Nobilitiernng noch nicht erlangen konnte, sucht sich wenigstens in irgendwelche
Beziehung zu einem der vielen Spitäler zu bringen. „Konsultierender Arzt
für Massage am .... Krankenhaus" — so las ich einmal auf der Karte eines
Kollegen. Trotz diesen guten Aussichten möchte ich aber nicht Arzt in Nußland
sein, denn das dortige Publikum stellt oft recht naive Anforderungen, und es
ist nicht jedermanns Sache, darauf einzugehn. Man will gesund werden aber
seine Lebensweise ja nicht ändern; mau will nicht frühzeitig alt sein, man will
um Gottes willen nicht sterben, aber man will sich nicht zu rechter Zeit in das
Bett legen, denn das Spiel ist interessant, und das Schlafen höchst langweilig.
Man will das Leben auch wirklich fühlen und immer wieder genießen! Wer
ein berühmter Arzt werden will, der muß in Rußland noch mehr als anderswo
ein großer Schauspieler sein; er muß seinem Publikum gegenüber wie ein Gott
auftreten und darf nicht merken lassen, daß auch sein Wissen nur Stückwerk ist.
Niemand verstand seine Landsleute besser zu nehmen, als der berühmte
Professor Sacharjin in Moskau, von dem die wunderlichsten Geschichten erzählt
werden. Als sich bei Alexander dem Dritten zum erstenmal die Zeichen seiner
Krankheit bemerkbar machten, wurde ein hoher Beamter in Moskau angewiesen,
den großen Arzt nach Petersburg zu schicken. Er fuhr zum Professor und
teilte ihm mit, daß er in zwei Stunden mit dem Schnellzuge wegen Erkrankung
des Kaisers abreisen müsse. Was? — schrie Sacharjin — der Kaiser ist krank,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |