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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Dia "wralischcn Wochenschriften

ethischen Idealismus, auf den es uns, und wahrscheinlich auch Natorp, doch
hauptsächlich ankommt, dürfte er leine besondern Dienste leisten. Mit der
Transzendenz nimmt uns Natorp den halben Plato, und die erkenntnis-
theoretische Hälfte, die er uns übrig läßt, ist keineswegs mehr als das Ganze.
Natürlich denken wir uns unter den transzendenten, verdinglichten Ideen nicht
eine Art jenseitiges Wachsfigurenkabinett hübscher Puppen, sondern wie die christ¬
lichen Philosophen, die den Plato weitergebildet haben, die Gedanken Gottes,
die der Schöpfung zugrunde liegen, und die sich in den vollendeten Menschen-
seelen im Jenseits verwirklichen sollen. Aus der Hoffnung auf diese Ver¬
wirklichung schöpft der christliche Idealist die Kraft zur unverdrossenen Arbeit
daran. Denn daß diese Arbeit jemals im Diesseits zum Ziele führen werde,
glauben doch nur die Utopisten. Da die meisten Weisen mit den meisten Un¬
weisen darin übereinstimmen, daß jedes einzelnen Menschen Dasein -- ohne
die gehoffte jenseitige Ergänzung und Vollendung -- unbefriedigend verläuft,
so kann anch die Fortzeugung dieses Unbefriedigenden, und daure sie wirklich
die ganze Ewigkeit, den Drang des Eros nicht stillen, der darum zwecklos
erscheint, als eine Täuschung, die den unglücklichen Sterblichen nur zum
Narren macht. Abgesehen von der entschiednen Diesseitigkeitstendenz ist
Natorps Werk ein Hilfsmittel ersten Ranges zum Verständnis der platonischen
Dialoge; ein ausführliches Namen- lind Sachregister erhöht seine Brauch¬
barkeit.




Die moralischen Wochenschriften
von I. h- Lckardt
1^. Die ältesten deutschen Nachahmungen der englischen moralischen Wochen¬
schriften

>n den letzten Jahren ist eine ganze Literatur über diese Zeit¬
schriften erschienen. Meist sind es Schulprogramme oder Fest¬
schriften einzelner Gesellschaften, die sich mit dem Thema befassen,
manches Neue und Wissenswerte bringen und Licht schaffen in
! diesem ziemlich unerforschten, für die Geistesentwicklung aber
höchst wichtigen Gebiet.

Man hat die ^.oth. Lruäiwrum des Otto Mencken und "Die Monats¬
gespräche" des Thomasius als Vorläufer der Moralischen Wochenschriften be¬
zeichnet, genau genommen sind sie es nicht, es fehlt ihnen das bestimmte große
Ziel, das sich die Moralischen Wochenschriften in der Erziehung des Menschen
setzten.

In der heutigen Zeit, wo wir mit Zeitungen und Zeitschriften mehr als
reichlich gesegnet sind, von denen sich viele auch die "Erziehung des Menschen"
zum Wahlspruch nehmen, dürfte es interessant sein, diese Wochenschriften auf¬
zuzählen und näher zu betrachten; vielleicht gelingt es noch hie und da weitere
zu entdecken und dieses und jenes Bruchstück richtig einzuordnen.


Dia „wralischcn Wochenschriften

ethischen Idealismus, auf den es uns, und wahrscheinlich auch Natorp, doch
hauptsächlich ankommt, dürfte er leine besondern Dienste leisten. Mit der
Transzendenz nimmt uns Natorp den halben Plato, und die erkenntnis-
theoretische Hälfte, die er uns übrig läßt, ist keineswegs mehr als das Ganze.
Natürlich denken wir uns unter den transzendenten, verdinglichten Ideen nicht
eine Art jenseitiges Wachsfigurenkabinett hübscher Puppen, sondern wie die christ¬
lichen Philosophen, die den Plato weitergebildet haben, die Gedanken Gottes,
die der Schöpfung zugrunde liegen, und die sich in den vollendeten Menschen-
seelen im Jenseits verwirklichen sollen. Aus der Hoffnung auf diese Ver¬
wirklichung schöpft der christliche Idealist die Kraft zur unverdrossenen Arbeit
daran. Denn daß diese Arbeit jemals im Diesseits zum Ziele führen werde,
glauben doch nur die Utopisten. Da die meisten Weisen mit den meisten Un¬
weisen darin übereinstimmen, daß jedes einzelnen Menschen Dasein — ohne
die gehoffte jenseitige Ergänzung und Vollendung — unbefriedigend verläuft,
so kann anch die Fortzeugung dieses Unbefriedigenden, und daure sie wirklich
die ganze Ewigkeit, den Drang des Eros nicht stillen, der darum zwecklos
erscheint, als eine Täuschung, die den unglücklichen Sterblichen nur zum
Narren macht. Abgesehen von der entschiednen Diesseitigkeitstendenz ist
Natorps Werk ein Hilfsmittel ersten Ranges zum Verständnis der platonischen
Dialoge; ein ausführliches Namen- lind Sachregister erhöht seine Brauch¬
barkeit.




Die moralischen Wochenschriften
von I. h- Lckardt
1^. Die ältesten deutschen Nachahmungen der englischen moralischen Wochen¬
schriften

>n den letzten Jahren ist eine ganze Literatur über diese Zeit¬
schriften erschienen. Meist sind es Schulprogramme oder Fest¬
schriften einzelner Gesellschaften, die sich mit dem Thema befassen,
manches Neue und Wissenswerte bringen und Licht schaffen in
! diesem ziemlich unerforschten, für die Geistesentwicklung aber
höchst wichtigen Gebiet.

Man hat die ^.oth. Lruäiwrum des Otto Mencken und „Die Monats¬
gespräche" des Thomasius als Vorläufer der Moralischen Wochenschriften be¬
zeichnet, genau genommen sind sie es nicht, es fehlt ihnen das bestimmte große
Ziel, das sich die Moralischen Wochenschriften in der Erziehung des Menschen
setzten.

In der heutigen Zeit, wo wir mit Zeitungen und Zeitschriften mehr als
reichlich gesegnet sind, von denen sich viele auch die „Erziehung des Menschen"
zum Wahlspruch nehmen, dürfte es interessant sein, diese Wochenschriften auf¬
zuzählen und näher zu betrachten; vielleicht gelingt es noch hie und da weitere
zu entdecken und dieses und jenes Bruchstück richtig einzuordnen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/427>, abgerufen am 05.02.2025.