Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Plato Philosophen vollends -- und von deren Phantasien sind die der spätern Aber durch die Freude an dieser durch seine Phantasie verdoppelten bunten Plato Philosophen vollends — und von deren Phantasien sind die der spätern Aber durch die Freude an dieser durch seine Phantasie verdoppelten bunten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0423" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296804"/> <fw type="header" place="top"> Plato</fw><lb/> <p xml:id="ID_1909" prev="#ID_1908"> Philosophen vollends — und von deren Phantasien sind die der spätern<lb/> Mystiker nicht wesentlich verschieden — nahm das ruhende Eine die Gestalt<lb/> des von allen wahrnehmbaren Eigenschaften entblößten allgemeinen Seins an,<lb/> das sich vom Nichts nur noch durch den Namen unterschied. Mit diesem<lb/> leeren Gespenst konnte sich die vollblütige und lebensfrohe jonische Seele, die<lb/> neben der dorischen in Plato lebte, nicht zufrieden geben. Wenn Plato seinen<lb/> Sokrates sich als Virtuosen in der Kunst zu lieben vorstellen läßt, so meint<lb/> er sich selbst. Er war mit den schärfsten Sinnen und der lebhaftesten Sinnlich¬<lb/> keit begabt. Er nahm die feinsten Schattierungen wahr in Farbe und Gestalt<lb/> der sichtbaren Dinge wie in dem Rhythmus und der Melodie der Musik und<lb/> der Sprache. Und er liebte diese bunte Welt der Erscheinungen, die für ihn<lb/> nicht ein wesenloser Schein, sondern packende, aufregende Wirklichkeit war.<lb/> Darum personifizierte er die edelsten und höchsten unter den Begriffen, nannte<lb/> sie Ideen und schuf sich so eine unsterbliche und unveränderliche, aber nicht<lb/> tote, leere und ode Welt des wahrhaft Seienden; eine Welt göttlich schöner<lb/> Gestalten, nach deren Muster die unvollkommnen Dinge dieser irdischen Welt<lb/> geschaffen seien; Gestalten, die wir selbst in unserm frühern Dasein geschaut<lb/> hätten, sodaß uns die dunkle Erinnerung daran in den Stand setze, ihren<lb/> Abglanz auf den irdischen Nachbildern zu erkennen und damit das Wesenhafte<lb/> dieser irdischen Dinge zu erfasse«. So sei deun die Erkenntnis der Begriffe,<lb/> die das Wesen der Dinge bezeichnen, nur ein Erinnern, eine Besinnung auf<lb/> unser eignes eigentliches Leben, das wir schon einmal, vor diesem irdischen<lb/> Schattendasein, gelebt Hütten und dereinst wieder leben würden. Und in den<lb/> Gestalten der edlern unter seinen Zeitgenossen und Freunden, die er uns in<lb/> seinen Dialogen vorführt, sah und liebte er die irdische Verkörperung seiner<lb/> Ideen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1910" next="#ID_1911"> Aber durch die Freude an dieser durch seine Phantasie verdoppelten bunten<lb/> Welt ließ er sich von dem ernsten Ziele, das ihm seine dorische Seele steckte,<lb/> nicht abbringen. Rettung Griechenlands durch die Vereinfachung des Denkens<lb/> und des Lebens und durch strenge Zucht nach dem Vorbilde Spartas war<lb/> dieses Ziel. Das Gute, die Gerechtigkeit, ist ihm im Staat wie in der Seele<lb/> die richtige Ordnung, die Harmonie, die Einfügung jedes Teils an der Stelle,<lb/> an die er gehört, und die treue Ausübung der ihm zukommenden Verrichtung.<lb/> So sollen in der Seele die niedern Triebe der Vernunft, im Staate die ver¬<lb/> schiednen Stunde den Vertretern der Vernunft, den Philosophen dienen und<lb/> gehorchen. Es ist nach ihm nicht wahr, daß jeder Mensch zu allem Möglichen<lb/> befähigt sei. Die Menschen sind verschieden geboren. Jeder ist für eine be¬<lb/> stimmte Verrichtung, zum Regieren oder zum Kämpfen oder zur Mathematik<lb/> oder Musik oder zum Pflügen oder zum Schustern bestimmt; dazu ist er auch<lb/> befähigt, dafür muß er erzogen werden, und an seinem Platze muß er bleiben.<lb/> Wenn aber Plato die Philosophen zu Königen machen will, so geschieht das<lb/> nicht darum, weil sie die Weisesten sind, als solche das Staatswesen weise<lb/> einrichten und auch Weisheit verbreite» werden, sondern weil sie die einzigen<lb/> sind, die in ihrer Philosophie ein höheres Gut besitzen, als das Königtum eins<lb/> ist, und die darum dieses nicht begehren. Wenn solche herrschen, denen die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0423]
Plato
Philosophen vollends — und von deren Phantasien sind die der spätern
Mystiker nicht wesentlich verschieden — nahm das ruhende Eine die Gestalt
des von allen wahrnehmbaren Eigenschaften entblößten allgemeinen Seins an,
das sich vom Nichts nur noch durch den Namen unterschied. Mit diesem
leeren Gespenst konnte sich die vollblütige und lebensfrohe jonische Seele, die
neben der dorischen in Plato lebte, nicht zufrieden geben. Wenn Plato seinen
Sokrates sich als Virtuosen in der Kunst zu lieben vorstellen läßt, so meint
er sich selbst. Er war mit den schärfsten Sinnen und der lebhaftesten Sinnlich¬
keit begabt. Er nahm die feinsten Schattierungen wahr in Farbe und Gestalt
der sichtbaren Dinge wie in dem Rhythmus und der Melodie der Musik und
der Sprache. Und er liebte diese bunte Welt der Erscheinungen, die für ihn
nicht ein wesenloser Schein, sondern packende, aufregende Wirklichkeit war.
Darum personifizierte er die edelsten und höchsten unter den Begriffen, nannte
sie Ideen und schuf sich so eine unsterbliche und unveränderliche, aber nicht
tote, leere und ode Welt des wahrhaft Seienden; eine Welt göttlich schöner
Gestalten, nach deren Muster die unvollkommnen Dinge dieser irdischen Welt
geschaffen seien; Gestalten, die wir selbst in unserm frühern Dasein geschaut
hätten, sodaß uns die dunkle Erinnerung daran in den Stand setze, ihren
Abglanz auf den irdischen Nachbildern zu erkennen und damit das Wesenhafte
dieser irdischen Dinge zu erfasse«. So sei deun die Erkenntnis der Begriffe,
die das Wesen der Dinge bezeichnen, nur ein Erinnern, eine Besinnung auf
unser eignes eigentliches Leben, das wir schon einmal, vor diesem irdischen
Schattendasein, gelebt Hütten und dereinst wieder leben würden. Und in den
Gestalten der edlern unter seinen Zeitgenossen und Freunden, die er uns in
seinen Dialogen vorführt, sah und liebte er die irdische Verkörperung seiner
Ideen.
Aber durch die Freude an dieser durch seine Phantasie verdoppelten bunten
Welt ließ er sich von dem ernsten Ziele, das ihm seine dorische Seele steckte,
nicht abbringen. Rettung Griechenlands durch die Vereinfachung des Denkens
und des Lebens und durch strenge Zucht nach dem Vorbilde Spartas war
dieses Ziel. Das Gute, die Gerechtigkeit, ist ihm im Staat wie in der Seele
die richtige Ordnung, die Harmonie, die Einfügung jedes Teils an der Stelle,
an die er gehört, und die treue Ausübung der ihm zukommenden Verrichtung.
So sollen in der Seele die niedern Triebe der Vernunft, im Staate die ver¬
schiednen Stunde den Vertretern der Vernunft, den Philosophen dienen und
gehorchen. Es ist nach ihm nicht wahr, daß jeder Mensch zu allem Möglichen
befähigt sei. Die Menschen sind verschieden geboren. Jeder ist für eine be¬
stimmte Verrichtung, zum Regieren oder zum Kämpfen oder zur Mathematik
oder Musik oder zum Pflügen oder zum Schustern bestimmt; dazu ist er auch
befähigt, dafür muß er erzogen werden, und an seinem Platze muß er bleiben.
Wenn aber Plato die Philosophen zu Königen machen will, so geschieht das
nicht darum, weil sie die Weisesten sind, als solche das Staatswesen weise
einrichten und auch Weisheit verbreite» werden, sondern weil sie die einzigen
sind, die in ihrer Philosophie ein höheres Gut besitzen, als das Königtum eins
ist, und die darum dieses nicht begehren. Wenn solche herrschen, denen die
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