Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.plato weise genug Proben erhalten sind. Können wir also den Griechischen Studien Plato hat als Jünger seines Meisters begonnen und in seinen Dialogen Grenzboten II 1905 53
plato weise genug Proben erhalten sind. Können wir also den Griechischen Studien Plato hat als Jünger seines Meisters begonnen und in seinen Dialogen Grenzboten II 1905 53
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0421" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296802"/> <fw type="header" place="top"> plato</fw><lb/> <p xml:id="ID_1905" prev="#ID_1904"> weise genug Proben erhalten sind. Können wir also den Griechischen Studien<lb/> keinen besonders hohen Wert beimessen, so müssen wir dafür die Vorlesungen<lb/> über Plato desto mehr loben und empfehlen. Sie bieten ein so lebensvolles,<lb/> überzeugendes Bild des großen Denkers, seiner Persönlichkeit und seines<lb/> Wirkens, daß wir der Versuchung nicht widerstehn können, die Umrisse nach¬<lb/> zuzeichnen, obwohl dabei natürlich gerade das Anziehende des Bildes, das ja<lb/> in der Ausführung liegt, verloren geht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1906" next="#ID_1907"> Plato hat als Jünger seines Meisters begonnen und in seinen Dialogen<lb/> zunächst dessen mündliche Arbeit schriftlich fortgesetzt. Sokrates hatte bemerkt,<lb/> dnß jedermann sich einbilde, viel zu wissen und alles, was ihm vorkommt, zu<lb/> versteh», daß aber dieses vermeintliche Wissen und Verstehn die Prüfung nicht<lb/> aushalte. Den Spruch des Orakels, das ihn für den weisesten aller lebenden<lb/> Menschen erklärte, hatte er sich dahin ausgelegt, daß er der einzige sei, der<lb/> wenigstens dieses eine genau wisse und einsehe, daß er nichts wisse, und unter<lb/> dem Schein, sich von andern belehren zu lassen, hatte er mit seinem abscheu¬<lb/> lichen Fragen, das die selbstgewisser, die Eingebildeten und Hochmütigen<lb/> wütend machte, die Gutwilligen zur Erkenntnis ihrer eignen Unwissenheit ge¬<lb/> bracht. Diese Unwissenheit aber, und mehr noch das eingebildete falsche Wissen,<lb/> hatte Sokrates für äußerst gefährlich gehalten, weil beides sich auch über das<lb/> ethische und das politische Gebiet erstreckte, niemand aber tugendhaft sein und<lb/> dem Staate nützen könne, wenn er keinen klaren und richtigen Begriff von der<lb/> Tugend und vom Gemeinwohl habe. Die Kunst, methodisch Begriffe zu bilden<lb/> und richtige Urteile zu fällen, das ist nun das Ergebnis der scheinbar so<lb/> populären Lehrweise des Sokrates für die Philosophie. Dem Verfahren des<lb/> gemeinen Mannes, wie wir es heute noch bei allen Ungeschickten wahrnehmen,<lb/> daß er auf die Frage, was schön sei, eine Anzahl schöner Gegenstände oder<lb/> Personen aufzählt, stellt er die strenge Definition gegenüber und zeigt, wie<lb/> man durch Zusammenfassung des mehreren Dingen Gemeinsamen und durch<lb/> Absonderung des Angehörigen zum Begriff des Schönen oder einer einzelnen<lb/> Tugend oder sonstigen Eigenschaft gelangt. Damit ist die Logik begründet,<lb/> die Plato Dialektik nennt, weil sie Sokrates in Unterredungen geschaffen hat,<lb/> und weil sie überhaupt nur auf dem Wege der Unterredung, sei diese auch<lb/> nur eine Zwiesprache des Forschers mit sich selbst, gewonnen werden kann.<lb/> Die Form des Dialogs ist darum den Untersuchungen Platos wesentlich. Es<lb/> liegt darin zugleich das Eingeständnis, daß absolut Gewisses, worin alle ohne<lb/> Ausnahme übereinkommen müssen, abgesehen von der Mathematik und der<lb/> formalen Logik selbst, auf keinem Gebiete menschlichen Denkens und Forschens<lb/> erlangt werden könne, und daß man sich beim Suchen nach der Wahrheit jedes<lb/> Dinges mit einem Amiähcrnngswerte begnügen müsse, wie ihn zwei ehrliche<lb/> Vertreter entgegengesetzter Richtungen in der Diskussion zu vereinbaren ver¬<lb/> mögen. Zwischen dem von der Gottheit begeisterten Seher der ältern Zeit, der,<lb/> was er geschaut hat, wie Pythagoras oder Empedokles, in Versen vorträgt,<lb/> und dem Schulmeister, der, wie Aristoteles und die Scholastiker, seiue Dogmen<lb/> in Abhandlungen entwickelt und beweist, steht Plato mit der poetischen Prosa<lb/> seiner Dialoge, und er steht nicht allein zwischen beiden, sondern zugleich über</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1905 53</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0421]
plato
weise genug Proben erhalten sind. Können wir also den Griechischen Studien
keinen besonders hohen Wert beimessen, so müssen wir dafür die Vorlesungen
über Plato desto mehr loben und empfehlen. Sie bieten ein so lebensvolles,
überzeugendes Bild des großen Denkers, seiner Persönlichkeit und seines
Wirkens, daß wir der Versuchung nicht widerstehn können, die Umrisse nach¬
zuzeichnen, obwohl dabei natürlich gerade das Anziehende des Bildes, das ja
in der Ausführung liegt, verloren geht.
Plato hat als Jünger seines Meisters begonnen und in seinen Dialogen
zunächst dessen mündliche Arbeit schriftlich fortgesetzt. Sokrates hatte bemerkt,
dnß jedermann sich einbilde, viel zu wissen und alles, was ihm vorkommt, zu
versteh», daß aber dieses vermeintliche Wissen und Verstehn die Prüfung nicht
aushalte. Den Spruch des Orakels, das ihn für den weisesten aller lebenden
Menschen erklärte, hatte er sich dahin ausgelegt, daß er der einzige sei, der
wenigstens dieses eine genau wisse und einsehe, daß er nichts wisse, und unter
dem Schein, sich von andern belehren zu lassen, hatte er mit seinem abscheu¬
lichen Fragen, das die selbstgewisser, die Eingebildeten und Hochmütigen
wütend machte, die Gutwilligen zur Erkenntnis ihrer eignen Unwissenheit ge¬
bracht. Diese Unwissenheit aber, und mehr noch das eingebildete falsche Wissen,
hatte Sokrates für äußerst gefährlich gehalten, weil beides sich auch über das
ethische und das politische Gebiet erstreckte, niemand aber tugendhaft sein und
dem Staate nützen könne, wenn er keinen klaren und richtigen Begriff von der
Tugend und vom Gemeinwohl habe. Die Kunst, methodisch Begriffe zu bilden
und richtige Urteile zu fällen, das ist nun das Ergebnis der scheinbar so
populären Lehrweise des Sokrates für die Philosophie. Dem Verfahren des
gemeinen Mannes, wie wir es heute noch bei allen Ungeschickten wahrnehmen,
daß er auf die Frage, was schön sei, eine Anzahl schöner Gegenstände oder
Personen aufzählt, stellt er die strenge Definition gegenüber und zeigt, wie
man durch Zusammenfassung des mehreren Dingen Gemeinsamen und durch
Absonderung des Angehörigen zum Begriff des Schönen oder einer einzelnen
Tugend oder sonstigen Eigenschaft gelangt. Damit ist die Logik begründet,
die Plato Dialektik nennt, weil sie Sokrates in Unterredungen geschaffen hat,
und weil sie überhaupt nur auf dem Wege der Unterredung, sei diese auch
nur eine Zwiesprache des Forschers mit sich selbst, gewonnen werden kann.
Die Form des Dialogs ist darum den Untersuchungen Platos wesentlich. Es
liegt darin zugleich das Eingeständnis, daß absolut Gewisses, worin alle ohne
Ausnahme übereinkommen müssen, abgesehen von der Mathematik und der
formalen Logik selbst, auf keinem Gebiete menschlichen Denkens und Forschens
erlangt werden könne, und daß man sich beim Suchen nach der Wahrheit jedes
Dinges mit einem Amiähcrnngswerte begnügen müsse, wie ihn zwei ehrliche
Vertreter entgegengesetzter Richtungen in der Diskussion zu vereinbaren ver¬
mögen. Zwischen dem von der Gottheit begeisterten Seher der ältern Zeit, der,
was er geschaut hat, wie Pythagoras oder Empedokles, in Versen vorträgt,
und dem Schulmeister, der, wie Aristoteles und die Scholastiker, seiue Dogmen
in Abhandlungen entwickelt und beweist, steht Plato mit der poetischen Prosa
seiner Dialoge, und er steht nicht allein zwischen beiden, sondern zugleich über
Grenzboten II 1905 53
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