Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Der britische Staatshaushalt obendrein ein viel größeres Schuldkapital tilgen. Um den vollen Nennwert Es scheint ein Widerspruch, ist aber nichtsdestoweniger wahr, daß die Eine solche vernünftige Schuldentilgung war möglich nach dem Abschlüsse Der britische Staatshaushalt obendrein ein viel größeres Schuldkapital tilgen. Um den vollen Nennwert Es scheint ein Widerspruch, ist aber nichtsdestoweniger wahr, daß die Eine solche vernünftige Schuldentilgung war möglich nach dem Abschlüsse <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0418" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296799"/> <fw type="header" place="top"> Der britische Staatshaushalt</fw><lb/> <p xml:id="ID_1899" prev="#ID_1898"> obendrein ein viel größeres Schuldkapital tilgen. Um den vollen Nennwert<lb/> der Anleihe zu erhalten, wäre natürlich ein höherer Zinsfuß als drei oder<lb/> vier nötig gewesen. Aber das Schuldkapital wäre um mehr als ein Drittel<lb/> niedriger geblieben, und in bessern Zeiten Hütte der Zinsfuß leicht herabgesetzt<lb/> werden können. Ein so geringer Satz wie 3 Prozent ließ in absehbarer Zeit<lb/> keine Minderung zu, und erst ganz vor kurzem, 1902, ist es möglich gewesen,<lb/> ihn auf 2^/2 Prozent herabzusetzen. Noch heute hat der britische Steuerzahler<lb/> Zinsen aufzubringen für viele Millionen, die der Staat vor hundert Jahren<lb/> nicht erhalten hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1900"> Es scheint ein Widerspruch, ist aber nichtsdestoweniger wahr, daß die<lb/> Schuldentilgung selbst nicht wenig zur Vermehrung der Schulden beigetragen<lb/> hat. Nach dem ersten Versuche Walpoles nahm 1786 Pitt die Frage einer<lb/> regelmäßigen Schuldentilgung wieder auf, obwohl er selbst in diesem Jahre<lb/> mit einem Fehlbetrage zu rechnen hatte. Ein besondrer Tilgungstock sollte<lb/> durch Zinseszins die ganze Schuld allmählich abtragen. Doch nur Verluste<lb/> ergaben sich aus seinem Wirken. Denn bis 1815 forderte die Kriegführung<lb/> Anleihe auf Anleihe in immer größern Beträgen, und das Einkommen reichte<lb/> nie für die Ausgaben aus. Nur um dem Gesetze gemäß einen Teil der alten<lb/> Schuld abzukaufen, mußte eine neue gemacht werden, und da der Kurs der<lb/> alten jedesmal höher stand als der Kurs, zu dem die Negierung Geld er¬<lb/> halten konnte, so bedeutete die ganze Tilgungkomödie nichts, als daß die alte<lb/> Schuld gegen eine um 4 bis 7 Prozent höhere neue umgetauscht wurde.<lb/> Trotzdem hielt man noch lange an dem widersinnigen Plane fest, und erst<lb/> 1829 bequemte man sich zu der einfachen Einsicht, daß eine Schuldentilgung<lb/> nur mit einem Überschuß der Einnahmen über die Ausgaben durchgeführt<lb/> werden kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_1901"> Eine solche vernünftige Schuldentilgung war möglich nach dem Abschlüsse<lb/> der napoleonischen Kriege, der das festländische Europa erschöpfte, Gro߬<lb/> britannien aber im Besitze der Seeherrschaft und einer Industrie ließ, der sich<lb/> auf der ganzen Erde keine an die Seite stellen konnte. So groß die Last<lb/> war, die sich Großbritannien aufgebürdet hatte, für den wachsenden Wohl¬<lb/> stand war sie nicht zu groß. Die Besorgnisse vor einem Zusammenbrechen des<lb/> Staatskredits hatten sich als unberechtigt gezeigt, und es fehlte nicht einmal<lb/> an Stimmen, die in der großen Staatsschuld etwas Wohltätiges sahen.<lb/> Soweit ging zwar die Regierung uicht, aber sie strengte sich auch nicht über¬<lb/> müßig an, die Schuld zu verringern. Die Anleihen, die durch die Teuerung<lb/> in Irland, den Krimkrieg und andre Ereignisse nötig wurden, hielten sich in<lb/> verhültnisinüßig bescheidnen Grenzen. Wenn man bedenkt, daß der größte<lb/> Teil der Schuld, volle 773 Millionen, seine Entstehung der kurzen Spanne<lb/> von vierzig Jahren von 1775 bis 1815 verdankt, so ist es deshalb keine be¬<lb/> sondre Leistung, daß die fünfundachtzig übrigen Jahre des dnrch wirtschaft¬<lb/> liche Blüte ausgezeichneten neunzehnten Jahrhunderts die Gesamtsumme nur<lb/> um 273 Millionen vermindert haben. Durch den Bureukrieg ist dann die<lb/> Schuld wieder bedeutend gestiegen, nämlich von 627'/^ auf 770^ Millionen,<lb/> und am 31. März 1905 betrug sie 796736490./".</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0418]
Der britische Staatshaushalt
obendrein ein viel größeres Schuldkapital tilgen. Um den vollen Nennwert
der Anleihe zu erhalten, wäre natürlich ein höherer Zinsfuß als drei oder
vier nötig gewesen. Aber das Schuldkapital wäre um mehr als ein Drittel
niedriger geblieben, und in bessern Zeiten Hütte der Zinsfuß leicht herabgesetzt
werden können. Ein so geringer Satz wie 3 Prozent ließ in absehbarer Zeit
keine Minderung zu, und erst ganz vor kurzem, 1902, ist es möglich gewesen,
ihn auf 2^/2 Prozent herabzusetzen. Noch heute hat der britische Steuerzahler
Zinsen aufzubringen für viele Millionen, die der Staat vor hundert Jahren
nicht erhalten hat.
Es scheint ein Widerspruch, ist aber nichtsdestoweniger wahr, daß die
Schuldentilgung selbst nicht wenig zur Vermehrung der Schulden beigetragen
hat. Nach dem ersten Versuche Walpoles nahm 1786 Pitt die Frage einer
regelmäßigen Schuldentilgung wieder auf, obwohl er selbst in diesem Jahre
mit einem Fehlbetrage zu rechnen hatte. Ein besondrer Tilgungstock sollte
durch Zinseszins die ganze Schuld allmählich abtragen. Doch nur Verluste
ergaben sich aus seinem Wirken. Denn bis 1815 forderte die Kriegführung
Anleihe auf Anleihe in immer größern Beträgen, und das Einkommen reichte
nie für die Ausgaben aus. Nur um dem Gesetze gemäß einen Teil der alten
Schuld abzukaufen, mußte eine neue gemacht werden, und da der Kurs der
alten jedesmal höher stand als der Kurs, zu dem die Negierung Geld er¬
halten konnte, so bedeutete die ganze Tilgungkomödie nichts, als daß die alte
Schuld gegen eine um 4 bis 7 Prozent höhere neue umgetauscht wurde.
Trotzdem hielt man noch lange an dem widersinnigen Plane fest, und erst
1829 bequemte man sich zu der einfachen Einsicht, daß eine Schuldentilgung
nur mit einem Überschuß der Einnahmen über die Ausgaben durchgeführt
werden kann.
Eine solche vernünftige Schuldentilgung war möglich nach dem Abschlüsse
der napoleonischen Kriege, der das festländische Europa erschöpfte, Gro߬
britannien aber im Besitze der Seeherrschaft und einer Industrie ließ, der sich
auf der ganzen Erde keine an die Seite stellen konnte. So groß die Last
war, die sich Großbritannien aufgebürdet hatte, für den wachsenden Wohl¬
stand war sie nicht zu groß. Die Besorgnisse vor einem Zusammenbrechen des
Staatskredits hatten sich als unberechtigt gezeigt, und es fehlte nicht einmal
an Stimmen, die in der großen Staatsschuld etwas Wohltätiges sahen.
Soweit ging zwar die Regierung uicht, aber sie strengte sich auch nicht über¬
müßig an, die Schuld zu verringern. Die Anleihen, die durch die Teuerung
in Irland, den Krimkrieg und andre Ereignisse nötig wurden, hielten sich in
verhültnisinüßig bescheidnen Grenzen. Wenn man bedenkt, daß der größte
Teil der Schuld, volle 773 Millionen, seine Entstehung der kurzen Spanne
von vierzig Jahren von 1775 bis 1815 verdankt, so ist es deshalb keine be¬
sondre Leistung, daß die fünfundachtzig übrigen Jahre des dnrch wirtschaft¬
liche Blüte ausgezeichneten neunzehnten Jahrhunderts die Gesamtsumme nur
um 273 Millionen vermindert haben. Durch den Bureukrieg ist dann die
Schuld wieder bedeutend gestiegen, nämlich von 627'/^ auf 770^ Millionen,
und am 31. März 1905 betrug sie 796736490./".
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