Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Schulhaß und Hecresscheu feinerung, für die der Gedanke an Kampf und Tod abstoßend ist, der Grund Dafür, daß nicht Körperschwäche und maßloser Bildungs- und Wissens¬ Ich lebe nicht in dem Wahne, als seien die höhern Schulen allein schuld Die Schule darf uicht verblendet sein. Und doch -- wie wird sie zum Die Schule soll auch den körperlichen Mut in der Jugend ausbilden, zum Schulhaß und Hecresscheu feinerung, für die der Gedanke an Kampf und Tod abstoßend ist, der Grund Dafür, daß nicht Körperschwäche und maßloser Bildungs- und Wissens¬ Ich lebe nicht in dem Wahne, als seien die höhern Schulen allein schuld Die Schule darf uicht verblendet sein. Und doch — wie wird sie zum Die Schule soll auch den körperlichen Mut in der Jugend ausbilden, zum <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0369" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297501"/> <fw type="header" place="top"> Schulhaß und Hecresscheu</fw><lb/> <p xml:id="ID_1633" prev="#ID_1632"> feinerung, für die der Gedanke an Kampf und Tod abstoßend ist, der Grund<lb/> dieser Erscheinung sein — in jedem Fall ist sie bedenklich. Soweit die Heeres¬<lb/> scheu durch die zügellose Heereskritik der Witzblätter und durch eine wertlose<lb/> aber wirksame Skandalliteratur erzeugt wird, hat das Offizierkorps des Beur¬<lb/> laubtenstandes die Aufgabe, durch die Bekämpfung und Widerlegung heeres¬<lb/> feindlicher tendenziöser Zeitungsnachrichten, Witze, Bilder und Romane im Kreise<lb/> der Berufsgenossen und der Verwandten die öffentliche Meinung allmählich zu<lb/> desinfizieren. Diese desinfizierende Tätigkeit — man verzeihe den Ausdruck —<lb/> werden die Offiziere der Reserve und der Landwehr besonders wirksam auch<lb/> dadurch ausüben können, daß sie in ihrem amtlichen und privaten Einflußkreise<lb/> kaiser- und heeresfeindliche Witzblätter rücksichtslos unterdrücken.</p><lb/> <p xml:id="ID_1634"> Dafür, daß nicht Körperschwäche und maßloser Bildungs- und Wissens¬<lb/> dünkel die gebildeten Wehrpflichtigen entwertet, haben die Mittelschulen zu sorgen.<lb/> Die Tüchtigkeit des Charakters und des Körpers darf nicht mehr, wie bisher,<lb/> ein von der Gunst der Verhältnisse geschenktes, nicht von den Erziehern erar¬<lb/> beitetes Ergebnis der Mittelschulbildung sein. Das Hauptziel dieser Schulen<lb/> muß neben der Bildung des Verstandes die sittliche und körperliche Tüchtigkeit<lb/> ihrer Schüler sein. Soweit die Lehrpläne die Erreichung dieser Ziele erschweren<lb/> oder ausschließen, müssen sie geändert werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1635"> Ich lebe nicht in dem Wahne, als seien die höhern Schulen allein schuld<lb/> an dem Rückgange der Wehrfreudigkeit unsrer Jugend. Ich weiß, daß viele<lb/> Eltern ihre Kinder mit einer Bequemlichkeit umgeben, die allenfalls greisen,<lb/> von der Arbeit eines langen Lebens müden Menschen zukommt, und ihnen<lb/> soviel Genüsse zugänglich machen, daß sie frühzeitig unfähig werden, zu genießen.<lb/> „Meine Kinder sollen es besser haben, als ich es in meiner Jugend hatte," das<lb/> ist die Redensart, womit verblendete Väter, die ihre geschonte und gestählte<lb/> Arbeits- und Schaffenskraft einer armen, engen Jugend verdanken, ihre gefähr¬<lb/> liche Schwäche gegen geliebte Kinder entschuldigen. Die Fehler von Individuen<lb/> gefährden Familien, die Fehler von Einrichtungen gefährden das Volk.</p><lb/> <p xml:id="ID_1636"> Die Schule darf uicht verblendet sein. Und doch — wie wird sie zum<lb/> Beispiel der Forderung, in ihren Schülern den Mut zur Wahrheit nicht zu er¬<lb/> töten, sondern auszubilden, gerecht? Sie nimmt vielen Schülern durch das<lb/> Übermaß ihrer Forderungen die Körperfrische und die Geistesfrische, die sie fähig<lb/> machen, die Prüfungsart der Mittelschule, von der ersten Schulaufgabe in Sexta<lb/> bis zur Reifeprüfung, zu überwinden. Dann erwartet sie von ihnen das mutige<lb/> Geständnis, daß sie sich der oder jener entscheidenden Aufgabe nicht gewachsen<lb/> fühlen, und mutige Ergebung in die oft schweren Folgen. Von jungen, un¬<lb/> reifen Menschen heroische Wahrheitsliebe verlangen, heißt die Anlage zur Wahr¬<lb/> heitsliebe in ihnen ertöten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1637" next="#ID_1638"> Die Schule soll auch den körperlichen Mut in der Jugend ausbilden, zum<lb/> Mindesten nicht ersticken. Vor achtundachtzig Jahren klagte Guts Muths in seinem<lb/> »Turnbuch für die Söhne des Vaterlandes": „Sorgfältige, tausendfach wieder¬<lb/> holte Warnungen predigen im Hause und in der Schule große Vorsicht, große<lb/> Sorgsamkeit im Verhalten, Vermeidung der Gefahr, selbst wo keine ist, Bedächt-<lb/> lichkeit. Überall ein starkes, strenges Zurückdrängen des natürlichen Mutes von</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0369]
Schulhaß und Hecresscheu
feinerung, für die der Gedanke an Kampf und Tod abstoßend ist, der Grund
dieser Erscheinung sein — in jedem Fall ist sie bedenklich. Soweit die Heeres¬
scheu durch die zügellose Heereskritik der Witzblätter und durch eine wertlose
aber wirksame Skandalliteratur erzeugt wird, hat das Offizierkorps des Beur¬
laubtenstandes die Aufgabe, durch die Bekämpfung und Widerlegung heeres¬
feindlicher tendenziöser Zeitungsnachrichten, Witze, Bilder und Romane im Kreise
der Berufsgenossen und der Verwandten die öffentliche Meinung allmählich zu
desinfizieren. Diese desinfizierende Tätigkeit — man verzeihe den Ausdruck —
werden die Offiziere der Reserve und der Landwehr besonders wirksam auch
dadurch ausüben können, daß sie in ihrem amtlichen und privaten Einflußkreise
kaiser- und heeresfeindliche Witzblätter rücksichtslos unterdrücken.
Dafür, daß nicht Körperschwäche und maßloser Bildungs- und Wissens¬
dünkel die gebildeten Wehrpflichtigen entwertet, haben die Mittelschulen zu sorgen.
Die Tüchtigkeit des Charakters und des Körpers darf nicht mehr, wie bisher,
ein von der Gunst der Verhältnisse geschenktes, nicht von den Erziehern erar¬
beitetes Ergebnis der Mittelschulbildung sein. Das Hauptziel dieser Schulen
muß neben der Bildung des Verstandes die sittliche und körperliche Tüchtigkeit
ihrer Schüler sein. Soweit die Lehrpläne die Erreichung dieser Ziele erschweren
oder ausschließen, müssen sie geändert werden.
Ich lebe nicht in dem Wahne, als seien die höhern Schulen allein schuld
an dem Rückgange der Wehrfreudigkeit unsrer Jugend. Ich weiß, daß viele
Eltern ihre Kinder mit einer Bequemlichkeit umgeben, die allenfalls greisen,
von der Arbeit eines langen Lebens müden Menschen zukommt, und ihnen
soviel Genüsse zugänglich machen, daß sie frühzeitig unfähig werden, zu genießen.
„Meine Kinder sollen es besser haben, als ich es in meiner Jugend hatte," das
ist die Redensart, womit verblendete Väter, die ihre geschonte und gestählte
Arbeits- und Schaffenskraft einer armen, engen Jugend verdanken, ihre gefähr¬
liche Schwäche gegen geliebte Kinder entschuldigen. Die Fehler von Individuen
gefährden Familien, die Fehler von Einrichtungen gefährden das Volk.
Die Schule darf uicht verblendet sein. Und doch — wie wird sie zum
Beispiel der Forderung, in ihren Schülern den Mut zur Wahrheit nicht zu er¬
töten, sondern auszubilden, gerecht? Sie nimmt vielen Schülern durch das
Übermaß ihrer Forderungen die Körperfrische und die Geistesfrische, die sie fähig
machen, die Prüfungsart der Mittelschule, von der ersten Schulaufgabe in Sexta
bis zur Reifeprüfung, zu überwinden. Dann erwartet sie von ihnen das mutige
Geständnis, daß sie sich der oder jener entscheidenden Aufgabe nicht gewachsen
fühlen, und mutige Ergebung in die oft schweren Folgen. Von jungen, un¬
reifen Menschen heroische Wahrheitsliebe verlangen, heißt die Anlage zur Wahr¬
heitsliebe in ihnen ertöten.
Die Schule soll auch den körperlichen Mut in der Jugend ausbilden, zum
Mindesten nicht ersticken. Vor achtundachtzig Jahren klagte Guts Muths in seinem
»Turnbuch für die Söhne des Vaterlandes": „Sorgfältige, tausendfach wieder¬
holte Warnungen predigen im Hause und in der Schule große Vorsicht, große
Sorgsamkeit im Verhalten, Vermeidung der Gefahr, selbst wo keine ist, Bedächt-
lichkeit. Überall ein starkes, strenges Zurückdrängen des natürlichen Mutes von
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |