Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Das alte Preußen vor 1.806 In diesem Agrarstaat standen die Städte unter allen Umständen in der Diese ganze Staatsordnung war in ihren Grundlagen, in dem Übergewicht Das alte Preußen vor 1.806 In diesem Agrarstaat standen die Städte unter allen Umständen in der Diese ganze Staatsordnung war in ihren Grundlagen, in dem Übergewicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0353" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297485"/> <fw type="header" place="top"> Das alte Preußen vor 1.806</fw><lb/> <p xml:id="ID_1579"> In diesem Agrarstaat standen die Städte unter allen Umständen in der<lb/> zweiten Reihe, Autonome Stndtgemeinden waren in den ostelbischen Kolonial-<lb/> lündern erst im dreizehnten Jahrhundert entstanden; sie hatten sich dann bis tief<lb/> ins Binnenland hinein der Hansa angeschlossen, die ihnen gegenüber der landes¬<lb/> herrlichen Gewalt eine Stütze gewährte; doch hatten sich dieser die preußischen im<lb/> fünfzehnten Jahrhundert entfremdet, die brandenburgischen waren von den ersten<lb/> Hohenzollern zum Austritt gezwungen worden. Der Dreißigjährige Krieg hatte<lb/> sie alle ruiniert und ihr Selbstgefühl gebrochen, Friedrich Wilhelm der Erste<lb/> hatte sie seinem Militärstaat eingeordnet und den meisten sogar die freie Rats¬<lb/> wahl entzogen. Diese war ihnen von Friedrich dem Großen zurückgegeben<lb/> worden, aber autonom waren die Städte nur dem Namen nach. Die Mitglieder<lb/> der Magistrate wurden auf Lebenszeit bestellt und vom König bestätigt und er¬<lb/> gänzten sich bei Vakanzen meist selbst durch ZuWahl; die ersten städtischen Be¬<lb/> amten ernannte der König, die übrigen hatte er zu bestätigen. Bevorzugt wurden<lb/> Juristen und ausgediente Militärs, die einen solchen Posten als Invaliden- und<lb/> Altersversorgung auffaßten; wer ein Gewerbe betneb, galt dafür als nicht ge¬<lb/> eignet. In vielen Städten gab es „Stadtverordnete," „Bürgerrepräsentanten"<lb/> oder wie sie sonst hießen, aber sie vertraten nur die Zünfte und die Kauf¬<lb/> mannsgilden. Die ganze städtische Verwaltung, namentlich die des Kämmerei-<lb/> (Gemeinde-)vermögens, nicht nur der Accise wurde vom Steuerrad und dessen<lb/> vorgesetzter Behörde, der Kriegs- und Domünenkammer, und über dieser<lb/> von dem Provinzialdepartement des Generaldircktoriums bis in die kleinste<lb/> Einzelheit überwacht, ja geleitet. Wirklich autonom war die Stadt nur in<lb/> der Handhabung der Justiz und des Patronats über Kirchen und Schulen; die<lb/> zahlreichen kleinen „Mediatstüdte" standen unter ihren meist adlichen Grund¬<lb/> herren nicht anders als die Dörfer. Zu dieser strengen Abhängigkeit kam die<lb/> schwere Garnisonlast, die durch brutales Auftreten vieler Offiziere noch fühlbarer<lb/> gemacht wurde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1580" next="#ID_1581"> Diese ganze Staatsordnung war in ihren Grundlagen, in dem Übergewicht<lb/> der Rittergüter, aus der alten militärischen Organisation dieser einst von dem<lb/> niedersächsischen Adel eroberten Grenzlande erwachsen; sie war in derselben<lb/> Richtung seit dem Großen Kurfürsten weiter ausgebildet worden, weil die erste<lb/> Aufgabe des Staats die Erhaltung der Wehrmacht zu seiner Selbstbehauptung<lb/> war. Seit dieser Zeit und vollends seit Friedrich Wilhelm dem Ersten war der<lb/> ^del in den Dienst des Heeres und der Verwaltung (vornehmlich durch das<lb/> Landratsamt, die genialste Bildung im Staate des Großen Kurfürsten) gezogen<lb/> und dadurch zu einem militärisch-monarchischen Adel erzogen worden, der in<lb/> Europa nicht seinesgleichen fand; daher auch seine soziale Bevorzugung. Die<lb/> Bauern lieferten dem Heere die Rekruten und zahlten die Grundsteuer, die „Kontri¬<lb/> bution," die ursprünglich zu militärischen Zwecken bestimmt war; die Bürger waren<lb/> ^>n Heeresdienst ausgeschlossen, aber sie trugen durch die Accise zur Erhaltung<lb/> des Heeres bei. Es war kein bequemes Regiment, und für sogenannte Kultur-<lb/> Aufgaben hatte es wenig übrig; aber indem dieser deutsche Nordosten den mo¬<lb/> dernen Staatsbegriff, die Unterordnung des Einzelnen unter den Staatszweck, in<lb/> doller Schärfe, so, wie es sonst in Deutschland nirgends geschah, ausbildete, hat</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0353]
Das alte Preußen vor 1.806
In diesem Agrarstaat standen die Städte unter allen Umständen in der
zweiten Reihe, Autonome Stndtgemeinden waren in den ostelbischen Kolonial-
lündern erst im dreizehnten Jahrhundert entstanden; sie hatten sich dann bis tief
ins Binnenland hinein der Hansa angeschlossen, die ihnen gegenüber der landes¬
herrlichen Gewalt eine Stütze gewährte; doch hatten sich dieser die preußischen im
fünfzehnten Jahrhundert entfremdet, die brandenburgischen waren von den ersten
Hohenzollern zum Austritt gezwungen worden. Der Dreißigjährige Krieg hatte
sie alle ruiniert und ihr Selbstgefühl gebrochen, Friedrich Wilhelm der Erste
hatte sie seinem Militärstaat eingeordnet und den meisten sogar die freie Rats¬
wahl entzogen. Diese war ihnen von Friedrich dem Großen zurückgegeben
worden, aber autonom waren die Städte nur dem Namen nach. Die Mitglieder
der Magistrate wurden auf Lebenszeit bestellt und vom König bestätigt und er¬
gänzten sich bei Vakanzen meist selbst durch ZuWahl; die ersten städtischen Be¬
amten ernannte der König, die übrigen hatte er zu bestätigen. Bevorzugt wurden
Juristen und ausgediente Militärs, die einen solchen Posten als Invaliden- und
Altersversorgung auffaßten; wer ein Gewerbe betneb, galt dafür als nicht ge¬
eignet. In vielen Städten gab es „Stadtverordnete," „Bürgerrepräsentanten"
oder wie sie sonst hießen, aber sie vertraten nur die Zünfte und die Kauf¬
mannsgilden. Die ganze städtische Verwaltung, namentlich die des Kämmerei-
(Gemeinde-)vermögens, nicht nur der Accise wurde vom Steuerrad und dessen
vorgesetzter Behörde, der Kriegs- und Domünenkammer, und über dieser
von dem Provinzialdepartement des Generaldircktoriums bis in die kleinste
Einzelheit überwacht, ja geleitet. Wirklich autonom war die Stadt nur in
der Handhabung der Justiz und des Patronats über Kirchen und Schulen; die
zahlreichen kleinen „Mediatstüdte" standen unter ihren meist adlichen Grund¬
herren nicht anders als die Dörfer. Zu dieser strengen Abhängigkeit kam die
schwere Garnisonlast, die durch brutales Auftreten vieler Offiziere noch fühlbarer
gemacht wurde.
Diese ganze Staatsordnung war in ihren Grundlagen, in dem Übergewicht
der Rittergüter, aus der alten militärischen Organisation dieser einst von dem
niedersächsischen Adel eroberten Grenzlande erwachsen; sie war in derselben
Richtung seit dem Großen Kurfürsten weiter ausgebildet worden, weil die erste
Aufgabe des Staats die Erhaltung der Wehrmacht zu seiner Selbstbehauptung
war. Seit dieser Zeit und vollends seit Friedrich Wilhelm dem Ersten war der
^del in den Dienst des Heeres und der Verwaltung (vornehmlich durch das
Landratsamt, die genialste Bildung im Staate des Großen Kurfürsten) gezogen
und dadurch zu einem militärisch-monarchischen Adel erzogen worden, der in
Europa nicht seinesgleichen fand; daher auch seine soziale Bevorzugung. Die
Bauern lieferten dem Heere die Rekruten und zahlten die Grundsteuer, die „Kontri¬
bution," die ursprünglich zu militärischen Zwecken bestimmt war; die Bürger waren
^>n Heeresdienst ausgeschlossen, aber sie trugen durch die Accise zur Erhaltung
des Heeres bei. Es war kein bequemes Regiment, und für sogenannte Kultur-
Aufgaben hatte es wenig übrig; aber indem dieser deutsche Nordosten den mo¬
dernen Staatsbegriff, die Unterordnung des Einzelnen unter den Staatszweck, in
doller Schärfe, so, wie es sonst in Deutschland nirgends geschah, ausbildete, hat
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