Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Das alte Preußen vor Herrschaften; sie gaben dem Lande das Gepräge des Agrarstaats, und sie Auf der andern Seite lag den Rittergutsbesitzern die Pflicht ob, sich ihrer Das alte Preußen vor Herrschaften; sie gaben dem Lande das Gepräge des Agrarstaats, und sie Auf der andern Seite lag den Rittergutsbesitzern die Pflicht ob, sich ihrer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0352" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297484"/> <fw type="header" place="top"> Das alte Preußen vor</fw><lb/> <p xml:id="ID_1577" prev="#ID_1576"> Herrschaften; sie gaben dem Lande das Gepräge des Agrarstaats, und sie<lb/> regierten als „Herrschaft" (Dominium) ihre „Untertanen," die gutsangehörigen<lb/> Bauern, wie kleine immune Fürstentümer; sie waren von der Grundsteuer, von<lb/> der Accise und von den Zöllen frei, sie hatten das Bier- und das Branntwein¬<lb/> monopol und das Jagdrecht, sie übten die Gerichtsbarkeit und die Polizeigewalt<lb/> und über die Kirche das Patronat. Noch in den achtziger Jahren des vorigen<lb/> Jahrhunderts sah man auf herrschaftlichen Höfen Schlesiens als Sinnbild dieser<lb/> erloschnen obrigkeitlichen Rechte das schwarzweiß gestrichne Schilderhaus. Den<lb/> Dorfschulzen ernannte der Gutsherr, unter dessen Vorsitz erkannte das Dorf¬<lb/> gericht, d. h. der Schulze mit zwei Schöffen, über kleine Polizeivergehn und be¬<lb/> glaubigte rechtliche Handlungen, alles unter der Aufsicht des Gutsherrn. Da<lb/> die Rittergutsbesitzer zugleich einen eximierter Gerichtsstand hatten, insofern als<lb/> sie nur dem höchsten Gerichte der Provinz unterworfen waren und tatsächlich<lb/> als der anerkannt erste Stand in? Staate ein Privilegium für die höhern<lb/> Beamtenstellen wie vor allem für die Offizierstellen genossen, so waren sie tat¬<lb/> sächlich der herrschende Stand und obendrein ein in sich geschlossener Stand,<lb/> denn der Adliche konnte eine vollkommen rechtsgiltige Ehe nur innerhalb seines<lb/> Standes, eine Ehe mit einer bürgerlichen Frau nur zur linken Hand schließen.<lb/> Diesen Zustand zu erhalten, tat der Staat alles. Nach dem siebenjährigen Kriege<lb/> gründete er ländliche Kreditinstitute, um den schwer geschädigten Ritterguts¬<lb/> besitzern die Erhaltung ihres Besitzes zu ermöglichen, und noch 1785 verbot<lb/> Friedrich der Große den Bürgerlichen den Erwerb von Rittergütern. Dem<lb/> Adel gegenüber waren die Bauern in der Tat „Untertanen," dem Gutsherrn<lb/> zu Spann-, Hand- und Gesindediensten der mannigfachsten Art verpflichtet, in<lb/> der Verfügung über die eigne Person, die Kinder und das Gut durchaus von<lb/> seiner Erlaubnis und Zustimmung abhängig. Diese Gebundenheit des bäuer¬<lb/> lichen Grundbesitzes erschien notwendig, schon um dem Heere seine Rekruten zu<lb/> sichern, weshalb denn auch auf die Erhaltung der Hufenzahl sorgfältig Bedacht<lb/> genommen wurde, aber sie erschwerte jeden Fortschritt über die Dreifelderwirt¬<lb/> schaft hinaus, um so mehr, als die grundherrlichen Weideservituten auf der<lb/> Dvrfflur, die mit der Bedeutung der Schafzucht für die Tuchmacherei zusammen¬<lb/> hingen, die Fortdauer ausgedehnter Bracher verlangten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1578"> Auf der andern Seite lag den Rittergutsbesitzern die Pflicht ob, sich ihrer<lb/> Untertanen in Notfällen anzunehmen, sie gegen Wucher und andre Übervor¬<lb/> teilungen zu sichern, den noch nicht Angefesselten zu einem angemessenen Unter¬<lb/> halt zu verhelfen, für eine gute und christliche Erziehung zu sorgen. Dieser<lb/> letzten Pflicht genügten sie freilich meist in sehr unzulänglicher Weise. In der<lb/> Kurmark war ein Fünftel der Dörfer ohne Schule, die Lehrer waren meist<lb/> mangelhaft vorbereitet und schlecht bezahlt, die Schulhäuser ganz ungenügend,<lb/> sodaß der Unterricht meist in der Wohnstube der Lehrerfamilie erteilt werden<lb/> mußte, dieser selbst inhaltlich auf Lesen und Religion und zeitlich auf die<lb/> Wintermonate beschränkt. Hielten doch die meisten Rittergutsbesitzer die Bildung<lb/> der Kinder des gemeinen Mannes geradezu für nachteilig. Und das alles trotz<lb/> der gesetzlichen Einführung der allgemeinen Schulpflicht unter Friedrich Wilhelm<lb/> dem Ersten!</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0352]
Das alte Preußen vor
Herrschaften; sie gaben dem Lande das Gepräge des Agrarstaats, und sie
regierten als „Herrschaft" (Dominium) ihre „Untertanen," die gutsangehörigen
Bauern, wie kleine immune Fürstentümer; sie waren von der Grundsteuer, von
der Accise und von den Zöllen frei, sie hatten das Bier- und das Branntwein¬
monopol und das Jagdrecht, sie übten die Gerichtsbarkeit und die Polizeigewalt
und über die Kirche das Patronat. Noch in den achtziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts sah man auf herrschaftlichen Höfen Schlesiens als Sinnbild dieser
erloschnen obrigkeitlichen Rechte das schwarzweiß gestrichne Schilderhaus. Den
Dorfschulzen ernannte der Gutsherr, unter dessen Vorsitz erkannte das Dorf¬
gericht, d. h. der Schulze mit zwei Schöffen, über kleine Polizeivergehn und be¬
glaubigte rechtliche Handlungen, alles unter der Aufsicht des Gutsherrn. Da
die Rittergutsbesitzer zugleich einen eximierter Gerichtsstand hatten, insofern als
sie nur dem höchsten Gerichte der Provinz unterworfen waren und tatsächlich
als der anerkannt erste Stand in? Staate ein Privilegium für die höhern
Beamtenstellen wie vor allem für die Offizierstellen genossen, so waren sie tat¬
sächlich der herrschende Stand und obendrein ein in sich geschlossener Stand,
denn der Adliche konnte eine vollkommen rechtsgiltige Ehe nur innerhalb seines
Standes, eine Ehe mit einer bürgerlichen Frau nur zur linken Hand schließen.
Diesen Zustand zu erhalten, tat der Staat alles. Nach dem siebenjährigen Kriege
gründete er ländliche Kreditinstitute, um den schwer geschädigten Ritterguts¬
besitzern die Erhaltung ihres Besitzes zu ermöglichen, und noch 1785 verbot
Friedrich der Große den Bürgerlichen den Erwerb von Rittergütern. Dem
Adel gegenüber waren die Bauern in der Tat „Untertanen," dem Gutsherrn
zu Spann-, Hand- und Gesindediensten der mannigfachsten Art verpflichtet, in
der Verfügung über die eigne Person, die Kinder und das Gut durchaus von
seiner Erlaubnis und Zustimmung abhängig. Diese Gebundenheit des bäuer¬
lichen Grundbesitzes erschien notwendig, schon um dem Heere seine Rekruten zu
sichern, weshalb denn auch auf die Erhaltung der Hufenzahl sorgfältig Bedacht
genommen wurde, aber sie erschwerte jeden Fortschritt über die Dreifelderwirt¬
schaft hinaus, um so mehr, als die grundherrlichen Weideservituten auf der
Dvrfflur, die mit der Bedeutung der Schafzucht für die Tuchmacherei zusammen¬
hingen, die Fortdauer ausgedehnter Bracher verlangten.
Auf der andern Seite lag den Rittergutsbesitzern die Pflicht ob, sich ihrer
Untertanen in Notfällen anzunehmen, sie gegen Wucher und andre Übervor¬
teilungen zu sichern, den noch nicht Angefesselten zu einem angemessenen Unter¬
halt zu verhelfen, für eine gute und christliche Erziehung zu sorgen. Dieser
letzten Pflicht genügten sie freilich meist in sehr unzulänglicher Weise. In der
Kurmark war ein Fünftel der Dörfer ohne Schule, die Lehrer waren meist
mangelhaft vorbereitet und schlecht bezahlt, die Schulhäuser ganz ungenügend,
sodaß der Unterricht meist in der Wohnstube der Lehrerfamilie erteilt werden
mußte, dieser selbst inhaltlich auf Lesen und Religion und zeitlich auf die
Wintermonate beschränkt. Hielten doch die meisten Rittergutsbesitzer die Bildung
der Kinder des gemeinen Mannes geradezu für nachteilig. Und das alles trotz
der gesetzlichen Einführung der allgemeinen Schulpflicht unter Friedrich Wilhelm
dem Ersten!
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