Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Herrenmenschen vor den Mund und sagte: Es ist des Satans Engel, der ihn mit Fäusten schlägt. Ich bin ja aber gar kein Arzt, erwiderte der Doktor. Doch diese Antwort machte keinen Eindruck auf die Frau. Sie schien kein Kondrot machte eine Grimasse, schüttelte die Hand von seiner Schulter ab Kondrot, sagte die Frau, hör doch, der Herr Doktor ist da! Kondrot suchte sich zu besinnen, kletterte von seinem Bettrande herab, kam Was soll das? fragte der Doktor unwillig. Herr Pastor, sagte Kondrot, ich will und ich muß vor Ihnen beichten. Sela. Ich bin nicht Ihr Pastor, sagte Ramborn, ich kaun Ihre Beichte nicht an¬ Er kann meine Beichte nicht annehmen, stammelte Kondrot. Erbarme dich, Die Frau faßte ihn abermals am Arm und schrie: Höre doch, Michel, es ist Aber Kondrot wehrte sich wie ein Verzweifelter und fing an, in langgezognen Der Doktor sah und hörte es mit innerm Grauen an. Er erinnerte sich der Herrenmenschen vor den Mund und sagte: Es ist des Satans Engel, der ihn mit Fäusten schlägt. Ich bin ja aber gar kein Arzt, erwiderte der Doktor. Doch diese Antwort machte keinen Eindruck auf die Frau. Sie schien kein Kondrot machte eine Grimasse, schüttelte die Hand von seiner Schulter ab Kondrot, sagte die Frau, hör doch, der Herr Doktor ist da! Kondrot suchte sich zu besinnen, kletterte von seinem Bettrande herab, kam Was soll das? fragte der Doktor unwillig. Herr Pastor, sagte Kondrot, ich will und ich muß vor Ihnen beichten. Sela. Ich bin nicht Ihr Pastor, sagte Ramborn, ich kaun Ihre Beichte nicht an¬ Er kann meine Beichte nicht annehmen, stammelte Kondrot. Erbarme dich, Die Frau faßte ihn abermals am Arm und schrie: Höre doch, Michel, es ist Aber Kondrot wehrte sich wie ein Verzweifelter und fing an, in langgezognen Der Doktor sah und hörte es mit innerm Grauen an. Er erinnerte sich der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0337" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297469"/> <fw type="header" place="top"> Herrenmenschen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1493" prev="#ID_1492"> vor den Mund und sagte: Es ist des Satans Engel, der ihn mit Fäusten schlägt.<lb/> Es reißt ihn hierhin, und es reißt ihn dahin, es reißt ihn bis in die Hölle hinein.<lb/> Erbarmen Sie sich, Herr Doktor, geben Sie ihm Tropfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1494"> Ich bin ja aber gar kein Arzt, erwiderte der Doktor.</p><lb/> <p xml:id="ID_1495"> Doch diese Antwort machte keinen Eindruck auf die Frau. Sie schien kein<lb/> Verständnis dafür zu haben, daß einer Doktor heißen und doch nicht Mediziner<lb/> sein könne. Sie ging zu dem Manne, der auf dem Rande des Himmelbettes saß,<lb/> schüttelte ihn am Arm und schrie ihm ins Ohr: Kondrot, Michel Kondrot, der<lb/> Herr Doktor ist da!</p><lb/> <p xml:id="ID_1496"> Kondrot machte eine Grimasse, schüttelte die Hand von seiner Schulter ab<lb/> und fing an, unsichtbare Dinge an den Fingern aufzuzählen. Dann faltete er die<lb/> Hände, richtete seine verschwommnen Augen nach der Decke und begann Gebete<lb/> zu sprechen. Aber es waren wirre, sinnlose Reden. Dann unterbrach er sich auf¬<lb/> schreckend, sah in einen Winkel des Zimmers, zeigte mit zitternden Fingern ins<lb/> Leere und schrie entsetzt auf. Da ist er, da ist er wieder! schrie er aufheulend<lb/> und wehrte sich mit Hand und Fuß, als wenn der leibhaftige Teufel aus der<lb/> Nacht herausträte und ihm die Krallen entgegenstreckte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1497"> Kondrot, sagte die Frau, hör doch, der Herr Doktor ist da!</p><lb/> <p xml:id="ID_1498"> Kondrot suchte sich zu besinnen, kletterte von seinem Bettrande herab, kam<lb/> schwankenden Schrittes auf den Doktor zu, kniete vor ihm nieder und stimmte einen<lb/> litauischen Choral an.</p><lb/> <p xml:id="ID_1499"> Was soll das? fragte der Doktor unwillig.</p><lb/> <p xml:id="ID_1500"> Herr Pastor, sagte Kondrot, ich will und ich muß vor Ihnen beichten. Sela.<lb/> Darauf fuhr er fort zu singen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1501"> Ich bin nicht Ihr Pastor, sagte Ramborn, ich kaun Ihre Beichte nicht an¬<lb/> nehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1502"> Er kann meine Beichte nicht annehmen, stammelte Kondrot. Erbarme dich,<lb/> er kann meine Beichte nicht annehmen. Ich habe es gewußt, es ist die Sünde<lb/> Wider den heiligen Geist. Ich habe andern gepredigt und bin selbst verwerflich<lb/> erfunden worden. Es ist die Sünde, die dem Menschen nicht vergeben wird, weder<lb/> in dieser noch in jener Welt. Sela. Er sank in sich zusammen, krümmte sich wie<lb/> ein Wurm am Boden und fuhr fort, immer leiser und leiser zu wiederholen: Er<lb/> kann meine Beichte nicht annehmen, er kann meine Beichte nicht annehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1503"> Die Frau faßte ihn abermals am Arm und schrie: Höre doch, Michel, es ist<lb/> ja nicht der Herr Pastor, es ist ja der Herr Doktor!</p><lb/> <p xml:id="ID_1504"> Aber Kondrot wehrte sich wie ein Verzweifelter und fing an, in langgezognen<lb/> Tönen zu heulen und mit den Zähnen zu klappen wie ein Verbannter.</p><lb/> <p xml:id="ID_1505" next="#ID_1506"> Der Doktor sah und hörte es mit innerm Grauen an. 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Er hatte seiue Zercbralorgcme durch Alkohol vergiftet. Nicht der<lb/> Teufel, sondern das Delirium hatte ihn am Kragen. — Wie aber, wenn doch eine<lb/> tiefere Ursache vorhanden war, wenn nicht der Trunk die Wahnvorstellung der<lb/> Schuld hervorgerufen, wenn vielmehr die Schuld zum Trunke geführt hätte, und<lb/> Wenn beides in Aufruhr geraten war, ein zerrüttetes Gehirn und ein belastetes<lb/> Gewissen? Und wenn das der Fall war, welche furchtbare Gewalt beweist dieses</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0337]
Herrenmenschen
vor den Mund und sagte: Es ist des Satans Engel, der ihn mit Fäusten schlägt.
Es reißt ihn hierhin, und es reißt ihn dahin, es reißt ihn bis in die Hölle hinein.
Erbarmen Sie sich, Herr Doktor, geben Sie ihm Tropfen.
Ich bin ja aber gar kein Arzt, erwiderte der Doktor.
Doch diese Antwort machte keinen Eindruck auf die Frau. Sie schien kein
Verständnis dafür zu haben, daß einer Doktor heißen und doch nicht Mediziner
sein könne. Sie ging zu dem Manne, der auf dem Rande des Himmelbettes saß,
schüttelte ihn am Arm und schrie ihm ins Ohr: Kondrot, Michel Kondrot, der
Herr Doktor ist da!
Kondrot machte eine Grimasse, schüttelte die Hand von seiner Schulter ab
und fing an, unsichtbare Dinge an den Fingern aufzuzählen. Dann faltete er die
Hände, richtete seine verschwommnen Augen nach der Decke und begann Gebete
zu sprechen. Aber es waren wirre, sinnlose Reden. Dann unterbrach er sich auf¬
schreckend, sah in einen Winkel des Zimmers, zeigte mit zitternden Fingern ins
Leere und schrie entsetzt auf. Da ist er, da ist er wieder! schrie er aufheulend
und wehrte sich mit Hand und Fuß, als wenn der leibhaftige Teufel aus der
Nacht herausträte und ihm die Krallen entgegenstreckte.
Kondrot, sagte die Frau, hör doch, der Herr Doktor ist da!
Kondrot suchte sich zu besinnen, kletterte von seinem Bettrande herab, kam
schwankenden Schrittes auf den Doktor zu, kniete vor ihm nieder und stimmte einen
litauischen Choral an.
Was soll das? fragte der Doktor unwillig.
Herr Pastor, sagte Kondrot, ich will und ich muß vor Ihnen beichten. Sela.
Darauf fuhr er fort zu singen.
Ich bin nicht Ihr Pastor, sagte Ramborn, ich kaun Ihre Beichte nicht an¬
nehmen.
Er kann meine Beichte nicht annehmen, stammelte Kondrot. Erbarme dich,
er kann meine Beichte nicht annehmen. Ich habe es gewußt, es ist die Sünde
Wider den heiligen Geist. Ich habe andern gepredigt und bin selbst verwerflich
erfunden worden. Es ist die Sünde, die dem Menschen nicht vergeben wird, weder
in dieser noch in jener Welt. Sela. Er sank in sich zusammen, krümmte sich wie
ein Wurm am Boden und fuhr fort, immer leiser und leiser zu wiederholen: Er
kann meine Beichte nicht annehmen, er kann meine Beichte nicht annehmen.
Die Frau faßte ihn abermals am Arm und schrie: Höre doch, Michel, es ist
ja nicht der Herr Pastor, es ist ja der Herr Doktor!
Aber Kondrot wehrte sich wie ein Verzweifelter und fing an, in langgezognen
Tönen zu heulen und mit den Zähnen zu klappen wie ein Verbannter.
Der Doktor sah und hörte es mit innerm Grauen an. Er erinnerte sich der
Stellen in Dantes Inferno, in denen geschildert wird, wie sich die Verdammten
im glühenden Brei wälzen oder von den Teufeln mit Peitschen gezüchtigt werden,
und wie ihr Geschrei an den unterirdischen Wölbungen widerhallt. Er hatte das
damals gelesen mit Bewunderung für die Kraft und Schönheit der Sprache, aber
ohne innere Bewegung. Es war ja ciivina oomac-al». Die Sache konnte nicht ernst
genommen werden. Gemälde Flammen, Theatergeheul. Aber das Stück Hölle, das
sich ihm hier auftat, war echt. Welche höllischen Qualen müssen in dem Innern
eines Menschen herrschen, wenn er dadurch gezwungen wird, zum Wurm zu werden
Und solche Töne auszustoßen wie dieser Kondrot. Aber es gibt auch Wahnvor¬
stellungen, die von einem kranken Gehirn, die von krankhaften körperlichen Zu¬
ständen ausgehn. Was diesem Manne fehlte, war nicht schwer zu erraten. Er war
ein Säufer. Er hatte seiue Zercbralorgcme durch Alkohol vergiftet. Nicht der
Teufel, sondern das Delirium hatte ihn am Kragen. — Wie aber, wenn doch eine
tiefere Ursache vorhanden war, wenn nicht der Trunk die Wahnvorstellung der
Schuld hervorgerufen, wenn vielmehr die Schuld zum Trunke geführt hätte, und
Wenn beides in Aufruhr geraten war, ein zerrüttetes Gehirn und ein belastetes
Gewissen? Und wenn das der Fall war, welche furchtbare Gewalt beweist dieses
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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
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