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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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La Fontaine und das Glück

einen Seite sein harmloses, dem Seelsorger gemachtes Anerbieten, den Erlös
einer neuen Ausgabe der kaum für einen solchen Zweck recht geeigneten "Er¬
zählungen" den Armen zu widmen, und auf der andern Seite die von ihm
ausgesprochue Überzeugung, Gott in seiner unendlichen Güte werde es so ein¬
gerichtet haben, daß die zum ewigen Feuertode Verdammten mit der Zeit die
Hitze gewöhnt werden und darin wie der Fisch im Wasser leben würden, ^'unio
Z, oroirs los äainnös s'g.co0utumsr0ut :i leur owl, et üniront, xar so trouvvr
eomrrio 1e xoi"80n äans I'van.

In unsern Tagen, wo sich materialistischer Pessimismus so vieler Gemüter
bemächtigt hat, wo alles auf einen angeblichen Kampf ums Dasein zurückgeführt
wird, wo niemand mit seinem Lose zufrieden ist, und das Leben ohne lange
Überlegung wie ein lästiger Vettclsnck abgeschüttelt wird, wo uns von den
Philosophen der neusten Richtungen nicht Maßhalten und Bescheidenheit, souderu
Sichausleben und stolzes Übermcnschentum als zu erstrebende Ziele vorgehalten
werden, wird das Herz wie durch einen Sonnenstrahl durch den Anblick eines
Mannes erwärmt, der jedem Größenwahnsinn abhold ist, der sich mit größter
Seeleuruhe in eine Welteinrichtung findet, wie er sie in der siebenten Fabel
des zehnten Buches beschreibt:

der immer wieder darauf zurückkommt, daß die Dinge so am besten sind, wie
sie Gott gemacht hat und einrichtet, und der sich so viel Lebensfreude erhalten
hat, daß er das Leben an sich schon als ein Glück ansieht. Man fühlt, daß
seine Anschauung die rechte und der Pessimismus eine durch Überschätzung der
menschlichen Verstandeskräfte hervorgerufue Verirrung ist, eine Verirrung, an
der die bösen Kräfte, ohne deren Vorhandensein wir den vor unsern Augen sich
abspielenden und in unsern Herzen tobenden Kampf von Gut und Böse nicht
erklären könnten, ihre besondre Freude haben, und die sie als ihre wirksamste
Bundesgenossin ausehen müssen.

Stoiker war La Fontaine nicht. In der zwanzigsten Fabel des zwölften
Buches, wo er von dem skythischer Philosophen erzählt, der, um es einem
griechischen Gartenliebhaber nachzumachen, in seiner Heimat die Obstbäume aller
ihrer Äste beraubt hatte, statt nur das Überflüssige zu entferne", sagt er:

Nein, er war Epikuräer in dem Sinne, daß er das Leben an sich als ein
Glück ansah und sich bemühte, es nach Möglichkeit zu genießen; die stolze Ver¬
achtung des Lebens, wie sie uns mit so vielen schönen Redensarten von den


La Fontaine und das Glück

einen Seite sein harmloses, dem Seelsorger gemachtes Anerbieten, den Erlös
einer neuen Ausgabe der kaum für einen solchen Zweck recht geeigneten „Er¬
zählungen" den Armen zu widmen, und auf der andern Seite die von ihm
ausgesprochue Überzeugung, Gott in seiner unendlichen Güte werde es so ein¬
gerichtet haben, daß die zum ewigen Feuertode Verdammten mit der Zeit die
Hitze gewöhnt werden und darin wie der Fisch im Wasser leben würden, ^'unio
Z, oroirs los äainnös s'g.co0utumsr0ut :i leur owl, et üniront, xar so trouvvr
eomrrio 1e xoi«80n äans I'van.

In unsern Tagen, wo sich materialistischer Pessimismus so vieler Gemüter
bemächtigt hat, wo alles auf einen angeblichen Kampf ums Dasein zurückgeführt
wird, wo niemand mit seinem Lose zufrieden ist, und das Leben ohne lange
Überlegung wie ein lästiger Vettclsnck abgeschüttelt wird, wo uns von den
Philosophen der neusten Richtungen nicht Maßhalten und Bescheidenheit, souderu
Sichausleben und stolzes Übermcnschentum als zu erstrebende Ziele vorgehalten
werden, wird das Herz wie durch einen Sonnenstrahl durch den Anblick eines
Mannes erwärmt, der jedem Größenwahnsinn abhold ist, der sich mit größter
Seeleuruhe in eine Welteinrichtung findet, wie er sie in der siebenten Fabel
des zehnten Buches beschreibt:

der immer wieder darauf zurückkommt, daß die Dinge so am besten sind, wie
sie Gott gemacht hat und einrichtet, und der sich so viel Lebensfreude erhalten
hat, daß er das Leben an sich schon als ein Glück ansieht. Man fühlt, daß
seine Anschauung die rechte und der Pessimismus eine durch Überschätzung der
menschlichen Verstandeskräfte hervorgerufue Verirrung ist, eine Verirrung, an
der die bösen Kräfte, ohne deren Vorhandensein wir den vor unsern Augen sich
abspielenden und in unsern Herzen tobenden Kampf von Gut und Böse nicht
erklären könnten, ihre besondre Freude haben, und die sie als ihre wirksamste
Bundesgenossin ausehen müssen.

Stoiker war La Fontaine nicht. In der zwanzigsten Fabel des zwölften
Buches, wo er von dem skythischer Philosophen erzählt, der, um es einem
griechischen Gartenliebhaber nachzumachen, in seiner Heimat die Obstbäume aller
ihrer Äste beraubt hatte, statt nur das Überflüssige zu entferne», sagt er:

Nein, er war Epikuräer in dem Sinne, daß er das Leben an sich als ein
Glück ansah und sich bemühte, es nach Möglichkeit zu genießen; die stolze Ver¬
achtung des Lebens, wie sie uns mit so vielen schönen Redensarten von den


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[0332] La Fontaine und das Glück einen Seite sein harmloses, dem Seelsorger gemachtes Anerbieten, den Erlös einer neuen Ausgabe der kaum für einen solchen Zweck recht geeigneten „Er¬ zählungen" den Armen zu widmen, und auf der andern Seite die von ihm ausgesprochue Überzeugung, Gott in seiner unendlichen Güte werde es so ein¬ gerichtet haben, daß die zum ewigen Feuertode Verdammten mit der Zeit die Hitze gewöhnt werden und darin wie der Fisch im Wasser leben würden, ^'unio Z, oroirs los äainnös s'g.co0utumsr0ut :i leur owl, et üniront, xar so trouvvr eomrrio 1e xoi«80n äans I'van. In unsern Tagen, wo sich materialistischer Pessimismus so vieler Gemüter bemächtigt hat, wo alles auf einen angeblichen Kampf ums Dasein zurückgeführt wird, wo niemand mit seinem Lose zufrieden ist, und das Leben ohne lange Überlegung wie ein lästiger Vettclsnck abgeschüttelt wird, wo uns von den Philosophen der neusten Richtungen nicht Maßhalten und Bescheidenheit, souderu Sichausleben und stolzes Übermcnschentum als zu erstrebende Ziele vorgehalten werden, wird das Herz wie durch einen Sonnenstrahl durch den Anblick eines Mannes erwärmt, der jedem Größenwahnsinn abhold ist, der sich mit größter Seeleuruhe in eine Welteinrichtung findet, wie er sie in der siebenten Fabel des zehnten Buches beschreibt: der immer wieder darauf zurückkommt, daß die Dinge so am besten sind, wie sie Gott gemacht hat und einrichtet, und der sich so viel Lebensfreude erhalten hat, daß er das Leben an sich schon als ein Glück ansieht. Man fühlt, daß seine Anschauung die rechte und der Pessimismus eine durch Überschätzung der menschlichen Verstandeskräfte hervorgerufue Verirrung ist, eine Verirrung, an der die bösen Kräfte, ohne deren Vorhandensein wir den vor unsern Augen sich abspielenden und in unsern Herzen tobenden Kampf von Gut und Böse nicht erklären könnten, ihre besondre Freude haben, und die sie als ihre wirksamste Bundesgenossin ausehen müssen. Stoiker war La Fontaine nicht. In der zwanzigsten Fabel des zwölften Buches, wo er von dem skythischer Philosophen erzählt, der, um es einem griechischen Gartenliebhaber nachzumachen, in seiner Heimat die Obstbäume aller ihrer Äste beraubt hatte, statt nur das Überflüssige zu entferne», sagt er: Nein, er war Epikuräer in dem Sinne, daß er das Leben an sich als ein Glück ansah und sich bemühte, es nach Möglichkeit zu genießen; die stolze Ver¬ achtung des Lebens, wie sie uns mit so vielen schönen Redensarten von den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/332>, abgerufen am 05.02.2025.