Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
La Fontaine und das Glück

Strebertum ihr Grundsatz, und die goldne Mittelmäßigkeit, die Freiheit des in
seineu Ansichten und Handlungen unabhängigen Mannes wußten sie durch die
reizendsten Schilderungen der Freuden des Landlebens, der mit ihrem Lose
zufriedne", nach keiner fremden Pfeife zu tanzen gezwungnen Bescheidenheit
auch verwöhnten Gaumen annehmbar zu machen, aber als Einsiedler und
Stoiker haben sie deshalb doch nicht gelebt, und was La Fontaine anlangte,
so hat er weder epiknreisches Genießen noch das Tanzen nach fremder Pfeife
verschmäht. Man nimmt an, daß er sich in seinem Romane Psyche unter den
Zügen des Polyphilus hat schildern wollen, von dem er sagt, daß er Gärten,
schattige Plätze und Verse liebte et, ein'it r6in.iL8in't wuwiz los xg.Lsioi.8 clouec-s
<mi i'kinxlissent 1e oceur et'ruf vöitmiuz tönclrösse. Es ist bekannt, wie großen
Raum diese "anmutigen Gefühle" nud diese "gewisse Zärtlichkeit" in seinem
Leben eingenommen haben: mit Ausnahme seiner Frau, die das unverzeihliche
Unrecht hatte, seine Gattin zu sein, liebte er bei der Erde weg alle weiblichen
Wesen, soweit sie jung und hübsch waren, von der Herzogin abwärts bis zum
Nühstrnmpf, den er als einen wahren Schatz bezeichnet lind mit den Worten
^ ^. ^ ^ ^,>gu vont, disu "ouvert i'ion WM" rühmt.

Obwohl er bei Hof kein großes Ansehen genoß, weil er sich nicht der
Gunst des auch im Punkte des literarischen Geschmacks absolut herrschenden
und souveränen Einfluß ausübenden Sonnenkönigs erfreute, hat er doch sein
Lebtag mehr infolge seiner gesellschaftlichen Liebenswürdigkeit als durch be¬
sondre Vorzüge der Herkunft unterstützt in den ersten und exklusivsten
Gesellschaftskreisen verkehrt, und als Frau von Saldiere, die über zwanzig
Jahre wie eine Art Vorsehung für alle seine Bedürfnisse gesorgt hatte, und
in deren Hans er wohnte, ohne daß jedoch das Band der Verehrung, das ihn
an diese geistreiche und liebenswürdige Frau knüpfte, je zärtlichern Gefühlen
Platz gemacht hätte, gestorben war, fand sich ein Ehepaar, die Hervarts, das
sich des bejahrten Waisenkindes annahm, und noch in den letzten Jahren sorgte
eine Dame, die mich nach seinem Tode seine nachgelassene!. Schriften Heraus¬
geber ließ, für feine Weine und Poularden. Die gerühmte bescheidne Ein¬
fachheit stand also mehr ans dem Papier, als daß sie tatsächlich die Lebens-
vcrhciltnisse des von der Natur zum Epikuräer geschaffnen Mannes beeinflußt
hätte, und so schön sich in seinem Munde das Lob der Freiheit und der Un¬
abhängigkeit aufnimmt, so wenig hatte er mich in diesem Punkte gegen an¬
nehmbare Ansncihmcn etwas einzuwenden. Derselbe Mann, der im "Traume
eines Mongolen" persönlich in die Fabel eingreift, um begeistert auszurufen:


La Fontaine und das Glück

Strebertum ihr Grundsatz, und die goldne Mittelmäßigkeit, die Freiheit des in
seineu Ansichten und Handlungen unabhängigen Mannes wußten sie durch die
reizendsten Schilderungen der Freuden des Landlebens, der mit ihrem Lose
zufriedne», nach keiner fremden Pfeife zu tanzen gezwungnen Bescheidenheit
auch verwöhnten Gaumen annehmbar zu machen, aber als Einsiedler und
Stoiker haben sie deshalb doch nicht gelebt, und was La Fontaine anlangte,
so hat er weder epiknreisches Genießen noch das Tanzen nach fremder Pfeife
verschmäht. Man nimmt an, daß er sich in seinem Romane Psyche unter den
Zügen des Polyphilus hat schildern wollen, von dem er sagt, daß er Gärten,
schattige Plätze und Verse liebte et, ein'it r6in.iL8in't wuwiz los xg.Lsioi.8 clouec-s
<mi i'kinxlissent 1e oceur et'ruf vöitmiuz tönclrösse. Es ist bekannt, wie großen
Raum diese „anmutigen Gefühle" nud diese „gewisse Zärtlichkeit" in seinem
Leben eingenommen haben: mit Ausnahme seiner Frau, die das unverzeihliche
Unrecht hatte, seine Gattin zu sein, liebte er bei der Erde weg alle weiblichen
Wesen, soweit sie jung und hübsch waren, von der Herzogin abwärts bis zum
Nühstrnmpf, den er als einen wahren Schatz bezeichnet lind mit den Worten
^ ^. ^ ^ ^,>gu vont, disu »ouvert i'ion WM» rühmt.

Obwohl er bei Hof kein großes Ansehen genoß, weil er sich nicht der
Gunst des auch im Punkte des literarischen Geschmacks absolut herrschenden
und souveränen Einfluß ausübenden Sonnenkönigs erfreute, hat er doch sein
Lebtag mehr infolge seiner gesellschaftlichen Liebenswürdigkeit als durch be¬
sondre Vorzüge der Herkunft unterstützt in den ersten und exklusivsten
Gesellschaftskreisen verkehrt, und als Frau von Saldiere, die über zwanzig
Jahre wie eine Art Vorsehung für alle seine Bedürfnisse gesorgt hatte, und
in deren Hans er wohnte, ohne daß jedoch das Band der Verehrung, das ihn
an diese geistreiche und liebenswürdige Frau knüpfte, je zärtlichern Gefühlen
Platz gemacht hätte, gestorben war, fand sich ein Ehepaar, die Hervarts, das
sich des bejahrten Waisenkindes annahm, und noch in den letzten Jahren sorgte
eine Dame, die mich nach seinem Tode seine nachgelassene!. Schriften Heraus¬
geber ließ, für feine Weine und Poularden. Die gerühmte bescheidne Ein¬
fachheit stand also mehr ans dem Papier, als daß sie tatsächlich die Lebens-
vcrhciltnisse des von der Natur zum Epikuräer geschaffnen Mannes beeinflußt
hätte, und so schön sich in seinem Munde das Lob der Freiheit und der Un¬
abhängigkeit aufnimmt, so wenig hatte er mich in diesem Punkte gegen an¬
nehmbare Ansncihmcn etwas einzuwenden. Derselbe Mann, der im „Traume
eines Mongolen" persönlich in die Fabel eingreift, um begeistert auszurufen:


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0329" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297461"/>
          <fw type="header" place="top"> La Fontaine und das Glück</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1454" prev="#ID_1453"> Strebertum ihr Grundsatz, und die goldne Mittelmäßigkeit, die Freiheit des in<lb/>
seineu Ansichten und Handlungen unabhängigen Mannes wußten sie durch die<lb/>
reizendsten Schilderungen der Freuden des Landlebens, der mit ihrem Lose<lb/>
zufriedne», nach keiner fremden Pfeife zu tanzen gezwungnen Bescheidenheit<lb/>
auch verwöhnten Gaumen annehmbar zu machen, aber als Einsiedler und<lb/>
Stoiker haben sie deshalb doch nicht gelebt, und was La Fontaine anlangte,<lb/>
so hat er weder epiknreisches Genießen noch das Tanzen nach fremder Pfeife<lb/>
verschmäht. Man nimmt an, daß er sich in seinem Romane Psyche unter den<lb/>
Zügen des Polyphilus hat schildern wollen, von dem er sagt, daß er Gärten,<lb/>
schattige Plätze und Verse liebte et, ein'it r6in.iL8in't wuwiz los xg.Lsioi.8 clouec-s<lb/>
&lt;mi i'kinxlissent 1e oceur et'ruf vöitmiuz tönclrösse. Es ist bekannt, wie großen<lb/>
Raum diese &#x201E;anmutigen Gefühle" nud diese &#x201E;gewisse Zärtlichkeit" in seinem<lb/>
Leben eingenommen haben: mit Ausnahme seiner Frau, die das unverzeihliche<lb/>
Unrecht hatte, seine Gattin zu sein, liebte er bei der Erde weg alle weiblichen<lb/>
Wesen, soweit sie jung und hübsch waren, von der Herzogin abwärts bis zum<lb/>
Nühstrnmpf, den er als einen wahren Schatz bezeichnet lind mit den Worten<lb/><quote> ^ ^. ^ ^ ^,&gt;gu vont, disu »ouvert i'ion WM»</quote> rühmt. </p><lb/>
          <p xml:id="ID_1455" next="#ID_1456"> Obwohl er bei Hof kein großes Ansehen genoß, weil er sich nicht der<lb/>
Gunst des auch im Punkte des literarischen Geschmacks absolut herrschenden<lb/>
und souveränen Einfluß ausübenden Sonnenkönigs erfreute, hat er doch sein<lb/>
Lebtag mehr infolge seiner gesellschaftlichen Liebenswürdigkeit als durch be¬<lb/>
sondre Vorzüge der Herkunft unterstützt in den ersten und exklusivsten<lb/>
Gesellschaftskreisen verkehrt, und als Frau von Saldiere, die über zwanzig<lb/>
Jahre wie eine Art Vorsehung für alle seine Bedürfnisse gesorgt hatte, und<lb/>
in deren Hans er wohnte, ohne daß jedoch das Band der Verehrung, das ihn<lb/>
an diese geistreiche und liebenswürdige Frau knüpfte, je zärtlichern Gefühlen<lb/>
Platz gemacht hätte, gestorben war, fand sich ein Ehepaar, die Hervarts, das<lb/>
sich des bejahrten Waisenkindes annahm, und noch in den letzten Jahren sorgte<lb/>
eine Dame, die mich nach seinem Tode seine nachgelassene!. Schriften Heraus¬<lb/>
geber ließ, für feine Weine und Poularden. Die gerühmte bescheidne Ein¬<lb/>
fachheit stand also mehr ans dem Papier, als daß sie tatsächlich die Lebens-<lb/>
vcrhciltnisse des von der Natur zum Epikuräer geschaffnen Mannes beeinflußt<lb/>
hätte, und so schön sich in seinem Munde das Lob der Freiheit und der Un¬<lb/>
abhängigkeit aufnimmt, so wenig hatte er mich in diesem Punkte gegen an¬<lb/>
nehmbare Ansncihmcn etwas einzuwenden. Derselbe Mann, der im &#x201E;Traume<lb/>
eines Mongolen" persönlich in die Fabel eingreift, um begeistert auszurufen:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_32" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0329] La Fontaine und das Glück Strebertum ihr Grundsatz, und die goldne Mittelmäßigkeit, die Freiheit des in seineu Ansichten und Handlungen unabhängigen Mannes wußten sie durch die reizendsten Schilderungen der Freuden des Landlebens, der mit ihrem Lose zufriedne», nach keiner fremden Pfeife zu tanzen gezwungnen Bescheidenheit auch verwöhnten Gaumen annehmbar zu machen, aber als Einsiedler und Stoiker haben sie deshalb doch nicht gelebt, und was La Fontaine anlangte, so hat er weder epiknreisches Genießen noch das Tanzen nach fremder Pfeife verschmäht. Man nimmt an, daß er sich in seinem Romane Psyche unter den Zügen des Polyphilus hat schildern wollen, von dem er sagt, daß er Gärten, schattige Plätze und Verse liebte et, ein'it r6in.iL8in't wuwiz los xg.Lsioi.8 clouec-s <mi i'kinxlissent 1e oceur et'ruf vöitmiuz tönclrösse. Es ist bekannt, wie großen Raum diese „anmutigen Gefühle" nud diese „gewisse Zärtlichkeit" in seinem Leben eingenommen haben: mit Ausnahme seiner Frau, die das unverzeihliche Unrecht hatte, seine Gattin zu sein, liebte er bei der Erde weg alle weiblichen Wesen, soweit sie jung und hübsch waren, von der Herzogin abwärts bis zum Nühstrnmpf, den er als einen wahren Schatz bezeichnet lind mit den Worten ^ ^. ^ ^ ^,>gu vont, disu »ouvert i'ion WM» rühmt. Obwohl er bei Hof kein großes Ansehen genoß, weil er sich nicht der Gunst des auch im Punkte des literarischen Geschmacks absolut herrschenden und souveränen Einfluß ausübenden Sonnenkönigs erfreute, hat er doch sein Lebtag mehr infolge seiner gesellschaftlichen Liebenswürdigkeit als durch be¬ sondre Vorzüge der Herkunft unterstützt in den ersten und exklusivsten Gesellschaftskreisen verkehrt, und als Frau von Saldiere, die über zwanzig Jahre wie eine Art Vorsehung für alle seine Bedürfnisse gesorgt hatte, und in deren Hans er wohnte, ohne daß jedoch das Band der Verehrung, das ihn an diese geistreiche und liebenswürdige Frau knüpfte, je zärtlichern Gefühlen Platz gemacht hätte, gestorben war, fand sich ein Ehepaar, die Hervarts, das sich des bejahrten Waisenkindes annahm, und noch in den letzten Jahren sorgte eine Dame, die mich nach seinem Tode seine nachgelassene!. Schriften Heraus¬ geber ließ, für feine Weine und Poularden. Die gerühmte bescheidne Ein¬ fachheit stand also mehr ans dem Papier, als daß sie tatsächlich die Lebens- vcrhciltnisse des von der Natur zum Epikuräer geschaffnen Mannes beeinflußt hätte, und so schön sich in seinem Munde das Lob der Freiheit und der Un¬ abhängigkeit aufnimmt, so wenig hatte er mich in diesem Punkte gegen an¬ nehmbare Ansncihmcn etwas einzuwenden. Derselbe Mann, der im „Traume eines Mongolen" persönlich in die Fabel eingreift, um begeistert auszurufen:

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/329
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/329>, abgerufen am 06.02.2025.