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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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La Fontaine und das Glück

Man wird die überaus wohlwollende und mütterliche Form der Ermahnung
"in so mehr gewahr, wenn man damit die Worte vergleicht, mit denen Regnier
in der vierzehnten Satire das Glück denselben unvorsichtigen Jungen an¬
reden laßt:

'

Am Schluß der vierzehnten Fabel des siebenten Buchs, die von der Undank¬
barkeit und der Ungerechtigkeit der Menschen gegen die Glücksgöttin handelt,
und in der sich ein Kaufmann das Verdienst seiner Erfolge zuschreibt, nach
deren Umschlag aber dem Glück den widrigen Ausgang seiner weiter" Unter¬
nehmen zur Last legt, faßt La Fontaine die von ihm in diesem Punkte ge¬
machten Beobachtungen dahin zusammen, daß er sagt:


I" bis" nous to kÄsons; lo mal v'sse I" t?ol't.u"s:
On Ä toujours i'inson, Is Oskzi.in toujours to^t.

Wenn diese Schwankungen in dem Bilde, das wir uns nach dein Wunsche
des Dichters von dem Wesen und den Gepflogenheiten der Glücksgöttin machen
sollen, recht der Unberechenbarkeit des Gegenstands und der systemfcindlichen
Anschauungsweise des Dichters entsprechen, und wenn er es uns überläßt, uns
das, was man -- um hierbei die Vorsehung ganz aus dem Spiele zu lassen --
Zufall nennt, entweder durch die Launen des Glücks oder durch unser eignes
Verschulden zu erklären, so ist er auf der andern Seite da, wo es sich um die
Schilderung wahren Glücks, wahrer Zufriedenheit handelt, um so klarer und
bestimmter. Das, was er hierüber an verschiednen Stellen ausführt, gehört zu
dein Einfachsten, natürlichsten und Verständigsten, was über diese" Gegen¬
wart von Moralphilosophen gesagt worden ist. Von der Überspanntheit des
Romantikers und dem Stolze des Übermenschen ist bei dem Verfasser der Er-
äühlnngen und Fabeln nichts zu bemerken: das Glück, das er sich und uns
wünscht, beruht auf bescheidnen Maßhalten, auf weiser Vorsicht, ans auspruch-
^ser Beschaulichkeit, auf dem Genusse der Schönheiten der Natur und des
Landlebens, auf leichter, nicht überhasteter Tätigkeit und vor allem auf Zurück-
^ogenheit, Ruhe und vielem, sehr vielem Schlaf. Wenn man das, was er
Über den Schlaf, lo or-ü den-mir, und das Nichtstun gesagt hat, ernst nehmen
^ille, müßte man ihn sogar für einen Erzfanleuzer und für ein halbes Murmel-
^ halten- Dein er feiert nicht bloß den Schlaf, wenn er ihm zuruft:


l'n qus i'iU tonzsnr" Konors tW mitsllz;
^s t'okkrs pIn" Ä'snosns vns pnK um clos mortsts,

La Fontaine und das Glück

Man wird die überaus wohlwollende und mütterliche Form der Ermahnung
»in so mehr gewahr, wenn man damit die Worte vergleicht, mit denen Regnier
in der vierzehnten Satire das Glück denselben unvorsichtigen Jungen an¬
reden laßt:

'

Am Schluß der vierzehnten Fabel des siebenten Buchs, die von der Undank¬
barkeit und der Ungerechtigkeit der Menschen gegen die Glücksgöttin handelt,
und in der sich ein Kaufmann das Verdienst seiner Erfolge zuschreibt, nach
deren Umschlag aber dem Glück den widrigen Ausgang seiner weiter» Unter¬
nehmen zur Last legt, faßt La Fontaine die von ihm in diesem Punkte ge¬
machten Beobachtungen dahin zusammen, daß er sagt:


I« bis» nous to kÄsons; lo mal v'sse I» t?ol't.u»s:
On Ä toujours i'inson, Is Oskzi.in toujours to^t.

Wenn diese Schwankungen in dem Bilde, das wir uns nach dein Wunsche
des Dichters von dem Wesen und den Gepflogenheiten der Glücksgöttin machen
sollen, recht der Unberechenbarkeit des Gegenstands und der systemfcindlichen
Anschauungsweise des Dichters entsprechen, und wenn er es uns überläßt, uns
das, was man — um hierbei die Vorsehung ganz aus dem Spiele zu lassen —
Zufall nennt, entweder durch die Launen des Glücks oder durch unser eignes
Verschulden zu erklären, so ist er auf der andern Seite da, wo es sich um die
Schilderung wahren Glücks, wahrer Zufriedenheit handelt, um so klarer und
bestimmter. Das, was er hierüber an verschiednen Stellen ausführt, gehört zu
dein Einfachsten, natürlichsten und Verständigsten, was über diese» Gegen¬
wart von Moralphilosophen gesagt worden ist. Von der Überspanntheit des
Romantikers und dem Stolze des Übermenschen ist bei dem Verfasser der Er-
äühlnngen und Fabeln nichts zu bemerken: das Glück, das er sich und uns
wünscht, beruht auf bescheidnen Maßhalten, auf weiser Vorsicht, ans auspruch-
^ser Beschaulichkeit, auf dem Genusse der Schönheiten der Natur und des
Landlebens, auf leichter, nicht überhasteter Tätigkeit und vor allem auf Zurück-
^ogenheit, Ruhe und vielem, sehr vielem Schlaf. Wenn man das, was er
Über den Schlaf, lo or-ü den-mir, und das Nichtstun gesagt hat, ernst nehmen
^ille, müßte man ihn sogar für einen Erzfanleuzer und für ein halbes Murmel-
^ halten- Dein er feiert nicht bloß den Schlaf, wenn er ihm zuruft:


l'n qus i'iU tonzsnr» Konors tW mitsllz;
^s t'okkrs pIn« Ä'snosns vns pnK um clos mortsts,

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[0327] La Fontaine und das Glück Man wird die überaus wohlwollende und mütterliche Form der Ermahnung »in so mehr gewahr, wenn man damit die Worte vergleicht, mit denen Regnier in der vierzehnten Satire das Glück denselben unvorsichtigen Jungen an¬ reden laßt: ' Am Schluß der vierzehnten Fabel des siebenten Buchs, die von der Undank¬ barkeit und der Ungerechtigkeit der Menschen gegen die Glücksgöttin handelt, und in der sich ein Kaufmann das Verdienst seiner Erfolge zuschreibt, nach deren Umschlag aber dem Glück den widrigen Ausgang seiner weiter» Unter¬ nehmen zur Last legt, faßt La Fontaine die von ihm in diesem Punkte ge¬ machten Beobachtungen dahin zusammen, daß er sagt: I« bis» nous to kÄsons; lo mal v'sse I» t?ol't.u»s: On Ä toujours i'inson, Is Oskzi.in toujours to^t. Wenn diese Schwankungen in dem Bilde, das wir uns nach dein Wunsche des Dichters von dem Wesen und den Gepflogenheiten der Glücksgöttin machen sollen, recht der Unberechenbarkeit des Gegenstands und der systemfcindlichen Anschauungsweise des Dichters entsprechen, und wenn er es uns überläßt, uns das, was man — um hierbei die Vorsehung ganz aus dem Spiele zu lassen — Zufall nennt, entweder durch die Launen des Glücks oder durch unser eignes Verschulden zu erklären, so ist er auf der andern Seite da, wo es sich um die Schilderung wahren Glücks, wahrer Zufriedenheit handelt, um so klarer und bestimmter. Das, was er hierüber an verschiednen Stellen ausführt, gehört zu dein Einfachsten, natürlichsten und Verständigsten, was über diese» Gegen¬ wart von Moralphilosophen gesagt worden ist. Von der Überspanntheit des Romantikers und dem Stolze des Übermenschen ist bei dem Verfasser der Er- äühlnngen und Fabeln nichts zu bemerken: das Glück, das er sich und uns wünscht, beruht auf bescheidnen Maßhalten, auf weiser Vorsicht, ans auspruch- ^ser Beschaulichkeit, auf dem Genusse der Schönheiten der Natur und des Landlebens, auf leichter, nicht überhasteter Tätigkeit und vor allem auf Zurück- ^ogenheit, Ruhe und vielem, sehr vielem Schlaf. Wenn man das, was er Über den Schlaf, lo or-ü den-mir, und das Nichtstun gesagt hat, ernst nehmen ^ille, müßte man ihn sogar für einen Erzfanleuzer und für ein halbes Murmel- ^ halten- Dein er feiert nicht bloß den Schlaf, wenn er ihm zuruft: l'n qus i'iU tonzsnr» Konors tW mitsllz; ^s t'okkrs pIn« Ä'snosns vns pnK um clos mortsts,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/327>, abgerufen am 06.02.2025.