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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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La Fontaine und das Glück

suchung Über die Viskosität der Elektrizität widmen muß oder dem Partizipial-
infinitiv und ähnlichen Stecknadelpunkten der Konzentration, Dafür mag ein
abgeschlossenes Leben nötig sein. Aber wir wollen in unsern Universitäten freien
Spielraum haben für Lehrer, die in der Welt gewesen sind, das Leben von
mehreren Seiten gesehen und durch Arbeiten verschiedenster Art gelernt haben,
wie andre Menschen leben, sich abmühen, und was sie brauchen. Laßt unsre
Universitäten ihrer ursprünglichen Funktion treu bleiben, vorbereitende Anstalten
zu sein. Wir wollen nicht jährlich so und so viel vollendete Gelehrte aus¬
senden, wir brauchen Lernende, die für die Eventualitäten des Lebens aus¬
gerüstet sind. Was unsre Studenten in den Universitäten lernen sollen, ist: die
Fähigkeit zu denken und die Einheit alles Wissens zu versteh", Ehrfurcht vor
der Wahrheit, Liebe zum Schönen, Sympathie mit den Millionen, die aufwärts
zu streben versuchen."

Ich bin etwas näher auf diese Debatte eingegangen, weil ich zeigen wollte,
wie im amerikanischen Erziehungssystem das Persönliche hervorgehoben wird.
Für den stillen, abgeschlossen lebenden deutschen Gelehrten ist in diesem Lande
in der Tat wenig Raum. Oft habe ich hier in Syraeuse beobachtet, mit welcher
Begeisterung unsre Studenten an den Lehrern hingen, die ihnen imponierte",
was natürlich häufig zur Kritiklosigkeit führte.

Einen großen Wissensschatz nimmt der Student nicht von hier ins Leben,
wohl aber gesunde Ansichten, frei von jeder Blasiertheit, ferner Achtung für
Sittlichkeit und für Religion. Übermenschen werden hier nicht herangezogen,
denn für die Treibhausluft der Überkultnr zeigt man wenig Empfänglichkeit.
Da sich die Universität Syracuse schon jetzt über den Durchschnitt erhebt, scheint
die Zeit nicht fern, wo auch in wissenschaftlicher Beziehung bessere Resultate
erreicht werden. Die günstige Lage der Stadt, im Zentrum des Staats New-
York, wird mehr und mehr zu ihrem Wachstum beitragen. Schon jetzt sind die
Augen der Amerikaner ans diese junge, lebenskräftige Bildungsstätte gerichtet,
und vielleicht kommt die Zeit, wo man auch drüben in der Alten Welt bei
dem Klänge des Wortes Syrakus nicht allein an die historische Stätte im
sonnigen Süden denkt, sondern anch an die blühende Industriestadt mit ihrer
Alma Mater im fernen Westen, dem Lande des Kolumbus.


tvalther Gelo


La Fontaine und das Glück

kuck als Vokabel und Begriff ist eine der Proteusgestalten, an
denen unsre deutsche Sprache besonders reich ist. Das, was der
Sprechende oder Schreibende meint, wenn er vom Glück redet,
hat im raschesten Wechsel bald die eine, bald die andre Bedeu¬
tung, und es bleibt, während andre Sprachen für jeden solchen
besondern Begriff ein eignes Wort haben, dem deutschen Hörer und Leser
überlassen, sich je nach dem Zusammenhange der Rede die Bedeutung heraus


La Fontaine und das Glück

suchung Über die Viskosität der Elektrizität widmen muß oder dem Partizipial-
infinitiv und ähnlichen Stecknadelpunkten der Konzentration, Dafür mag ein
abgeschlossenes Leben nötig sein. Aber wir wollen in unsern Universitäten freien
Spielraum haben für Lehrer, die in der Welt gewesen sind, das Leben von
mehreren Seiten gesehen und durch Arbeiten verschiedenster Art gelernt haben,
wie andre Menschen leben, sich abmühen, und was sie brauchen. Laßt unsre
Universitäten ihrer ursprünglichen Funktion treu bleiben, vorbereitende Anstalten
zu sein. Wir wollen nicht jährlich so und so viel vollendete Gelehrte aus¬
senden, wir brauchen Lernende, die für die Eventualitäten des Lebens aus¬
gerüstet sind. Was unsre Studenten in den Universitäten lernen sollen, ist: die
Fähigkeit zu denken und die Einheit alles Wissens zu versteh», Ehrfurcht vor
der Wahrheit, Liebe zum Schönen, Sympathie mit den Millionen, die aufwärts
zu streben versuchen."

Ich bin etwas näher auf diese Debatte eingegangen, weil ich zeigen wollte,
wie im amerikanischen Erziehungssystem das Persönliche hervorgehoben wird.
Für den stillen, abgeschlossen lebenden deutschen Gelehrten ist in diesem Lande
in der Tat wenig Raum. Oft habe ich hier in Syraeuse beobachtet, mit welcher
Begeisterung unsre Studenten an den Lehrern hingen, die ihnen imponierte«,
was natürlich häufig zur Kritiklosigkeit führte.

Einen großen Wissensschatz nimmt der Student nicht von hier ins Leben,
wohl aber gesunde Ansichten, frei von jeder Blasiertheit, ferner Achtung für
Sittlichkeit und für Religion. Übermenschen werden hier nicht herangezogen,
denn für die Treibhausluft der Überkultnr zeigt man wenig Empfänglichkeit.
Da sich die Universität Syracuse schon jetzt über den Durchschnitt erhebt, scheint
die Zeit nicht fern, wo auch in wissenschaftlicher Beziehung bessere Resultate
erreicht werden. Die günstige Lage der Stadt, im Zentrum des Staats New-
York, wird mehr und mehr zu ihrem Wachstum beitragen. Schon jetzt sind die
Augen der Amerikaner ans diese junge, lebenskräftige Bildungsstätte gerichtet,
und vielleicht kommt die Zeit, wo man auch drüben in der Alten Welt bei
dem Klänge des Wortes Syrakus nicht allein an die historische Stätte im
sonnigen Süden denkt, sondern anch an die blühende Industriestadt mit ihrer
Alma Mater im fernen Westen, dem Lande des Kolumbus.


tvalther Gelo


La Fontaine und das Glück

kuck als Vokabel und Begriff ist eine der Proteusgestalten, an
denen unsre deutsche Sprache besonders reich ist. Das, was der
Sprechende oder Schreibende meint, wenn er vom Glück redet,
hat im raschesten Wechsel bald die eine, bald die andre Bedeu¬
tung, und es bleibt, während andre Sprachen für jeden solchen
besondern Begriff ein eignes Wort haben, dem deutschen Hörer und Leser
überlassen, sich je nach dem Zusammenhange der Rede die Bedeutung heraus


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[0322] La Fontaine und das Glück suchung Über die Viskosität der Elektrizität widmen muß oder dem Partizipial- infinitiv und ähnlichen Stecknadelpunkten der Konzentration, Dafür mag ein abgeschlossenes Leben nötig sein. Aber wir wollen in unsern Universitäten freien Spielraum haben für Lehrer, die in der Welt gewesen sind, das Leben von mehreren Seiten gesehen und durch Arbeiten verschiedenster Art gelernt haben, wie andre Menschen leben, sich abmühen, und was sie brauchen. Laßt unsre Universitäten ihrer ursprünglichen Funktion treu bleiben, vorbereitende Anstalten zu sein. Wir wollen nicht jährlich so und so viel vollendete Gelehrte aus¬ senden, wir brauchen Lernende, die für die Eventualitäten des Lebens aus¬ gerüstet sind. Was unsre Studenten in den Universitäten lernen sollen, ist: die Fähigkeit zu denken und die Einheit alles Wissens zu versteh», Ehrfurcht vor der Wahrheit, Liebe zum Schönen, Sympathie mit den Millionen, die aufwärts zu streben versuchen." Ich bin etwas näher auf diese Debatte eingegangen, weil ich zeigen wollte, wie im amerikanischen Erziehungssystem das Persönliche hervorgehoben wird. Für den stillen, abgeschlossen lebenden deutschen Gelehrten ist in diesem Lande in der Tat wenig Raum. Oft habe ich hier in Syraeuse beobachtet, mit welcher Begeisterung unsre Studenten an den Lehrern hingen, die ihnen imponierte«, was natürlich häufig zur Kritiklosigkeit führte. Einen großen Wissensschatz nimmt der Student nicht von hier ins Leben, wohl aber gesunde Ansichten, frei von jeder Blasiertheit, ferner Achtung für Sittlichkeit und für Religion. Übermenschen werden hier nicht herangezogen, denn für die Treibhausluft der Überkultnr zeigt man wenig Empfänglichkeit. Da sich die Universität Syracuse schon jetzt über den Durchschnitt erhebt, scheint die Zeit nicht fern, wo auch in wissenschaftlicher Beziehung bessere Resultate erreicht werden. Die günstige Lage der Stadt, im Zentrum des Staats New- York, wird mehr und mehr zu ihrem Wachstum beitragen. Schon jetzt sind die Augen der Amerikaner ans diese junge, lebenskräftige Bildungsstätte gerichtet, und vielleicht kommt die Zeit, wo man auch drüben in der Alten Welt bei dem Klänge des Wortes Syrakus nicht allein an die historische Stätte im sonnigen Süden denkt, sondern anch an die blühende Industriestadt mit ihrer Alma Mater im fernen Westen, dem Lande des Kolumbus. tvalther Gelo La Fontaine und das Glück kuck als Vokabel und Begriff ist eine der Proteusgestalten, an denen unsre deutsche Sprache besonders reich ist. Das, was der Sprechende oder Schreibende meint, wenn er vom Glück redet, hat im raschesten Wechsel bald die eine, bald die andre Bedeu¬ tung, und es bleibt, während andre Sprachen für jeden solchen besondern Begriff ein eignes Wort haben, dem deutschen Hörer und Leser überlassen, sich je nach dem Zusammenhange der Rede die Bedeutung heraus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/322>, abgerufen am 05.02.2025.