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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Hchulhaß und Heeresscheu

Ein Volk, dos sich seiner Wehrkraft bewußt ist und sich ihrer freut, kann
nicht fürchten, daß Äußerlichkeiten wie die Uniformänderungen den Wert seines
Heeres mindern, und kann sich der Kritik, die am Heere geübt wird, nicht
freuen. Das Gedeihen des Simplicissimus und die riesigen Anflagezahlen ge¬
wisser Militärromane setzen voraus, daß sich viele Deutsche der Schmähungen
freuen, womit jenes Blatt und die mit ihm verbundne Gruppe heeresscheuer
Schriftsteller das Heer überhäufen. Die Freude an der Verspottung des Heeres
hat eine tiefe Abneigung gegen das Heer zur Voraussetzung. Diese Abneigung
wurzelt in der Scheu, die ein großer Teil der im neuen Reiche gebornen
Deutschen vor der Wehrpflicht empfindet, und in der Unlust, womit sie dieser
Pflicht genügen. Korfiz Holm, den ich schon genannt habe, erzählt: "Von
1895 bis 1896 diente ich in München mein Jahr ab und brachte es merk¬
würdigerweise zum Gefreiten. Beim Abschied verlieh man mir das Recht, mich
durch Ableistung einer besondern Übung L! nachträglich zum Reserveoffizier zu
qualifiziere". Dies tat ich nicht, sondern siedelte direkt aus der Kaserne in das
Bureau des Simplizissimusverlegers Albert Langen über." Mag er nun als
moderner Ästhete dem Waffendienste abgeneigt sein oder im Heere als Kosmo¬
polit den stärksten Ausdruck der nationalen Art, als Friedensfreund die Vor¬
bereitung für den Krieg, als Gegner der Monarchie die stärkste Stütze des
Monarchischen Staats hassen, sicher rechnete er auf Verständnis für sein Ver¬
halten und auf Zustimmung, und sicher hat er Verständnis und Zustimmung
gefunden. Franz Adam Beherlein beichtet: "Ich komme mir -- hier in Karls¬
bad -- oft wie ein ganz kleines Kind vor. Somit hätt' ich Gelegenheit, mein
Leben noch einmal von vorn anzufangen. Oder vielmehr ein anderes, besseres,
beider würde mir aber wohl nicht zu helfen sein; ich würde wieder nicht Staats¬
gewalt werden und sogar dieselbe Frau zum zweiten Mal nehmen. Nur vor dem
Dienen im deutschen Heere hätt' ich recht bange." Warum er bange hätte, ver¬
schweigt er. Sollte er glauben, die Antwort auf diese Frage in seinen Militär-
Romanen und in seinem Militärdrama gegeben zu haben? Vor dem Dienst in
Uren Heere, das ihm die Modelle für den Hauptmann von Wegstetten, den
Leutnant Reimers, den Oberst von Falkenhcin, den Oberleutnant Güntz, den
Altmeister von Bannewitz, den Leutnant von Höwen geliefert hat, braucht es
'hin doch uicht bange zu sein. Was fehlt diesen Offizicridealen, soweit sie nicht,
von den Landsleuten in der Heimat kaum beachtet, fern in Afrika kämpfen und
^lieu, als die Gelegenheit, ihre Tüchtigkeit zu bewähren? Sind sie nicht vor¬
nehm in der Gesinnung, tadellos im Handeln? Sollte es nicht auch für einen
^"besaiteten Dichter möglich sein, unter ihrer Führung ein Jahr lang den
^erst im deutschen Heere zu ertragen? Seume fand in hessischen und in
^ußischen Regimentern Tcllheime, die für ihn die Härten des Systems mil-
rrten. Daß es im deutschen Heere immer noch Tcllheime in Fülle gibt, davon
""erzeugen Beyerleins Werke den ängstlichsten Skeptiker.

(Schluß folgt)




Hchulhaß und Heeresscheu

Ein Volk, dos sich seiner Wehrkraft bewußt ist und sich ihrer freut, kann
nicht fürchten, daß Äußerlichkeiten wie die Uniformänderungen den Wert seines
Heeres mindern, und kann sich der Kritik, die am Heere geübt wird, nicht
freuen. Das Gedeihen des Simplicissimus und die riesigen Anflagezahlen ge¬
wisser Militärromane setzen voraus, daß sich viele Deutsche der Schmähungen
freuen, womit jenes Blatt und die mit ihm verbundne Gruppe heeresscheuer
Schriftsteller das Heer überhäufen. Die Freude an der Verspottung des Heeres
hat eine tiefe Abneigung gegen das Heer zur Voraussetzung. Diese Abneigung
wurzelt in der Scheu, die ein großer Teil der im neuen Reiche gebornen
Deutschen vor der Wehrpflicht empfindet, und in der Unlust, womit sie dieser
Pflicht genügen. Korfiz Holm, den ich schon genannt habe, erzählt: „Von
1895 bis 1896 diente ich in München mein Jahr ab und brachte es merk¬
würdigerweise zum Gefreiten. Beim Abschied verlieh man mir das Recht, mich
durch Ableistung einer besondern Übung L! nachträglich zum Reserveoffizier zu
qualifiziere». Dies tat ich nicht, sondern siedelte direkt aus der Kaserne in das
Bureau des Simplizissimusverlegers Albert Langen über." Mag er nun als
moderner Ästhete dem Waffendienste abgeneigt sein oder im Heere als Kosmo¬
polit den stärksten Ausdruck der nationalen Art, als Friedensfreund die Vor¬
bereitung für den Krieg, als Gegner der Monarchie die stärkste Stütze des
Monarchischen Staats hassen, sicher rechnete er auf Verständnis für sein Ver¬
halten und auf Zustimmung, und sicher hat er Verständnis und Zustimmung
gefunden. Franz Adam Beherlein beichtet: „Ich komme mir — hier in Karls¬
bad — oft wie ein ganz kleines Kind vor. Somit hätt' ich Gelegenheit, mein
Leben noch einmal von vorn anzufangen. Oder vielmehr ein anderes, besseres,
beider würde mir aber wohl nicht zu helfen sein; ich würde wieder nicht Staats¬
gewalt werden und sogar dieselbe Frau zum zweiten Mal nehmen. Nur vor dem
Dienen im deutschen Heere hätt' ich recht bange." Warum er bange hätte, ver¬
schweigt er. Sollte er glauben, die Antwort auf diese Frage in seinen Militär-
Romanen und in seinem Militärdrama gegeben zu haben? Vor dem Dienst in
Uren Heere, das ihm die Modelle für den Hauptmann von Wegstetten, den
Leutnant Reimers, den Oberst von Falkenhcin, den Oberleutnant Güntz, den
Altmeister von Bannewitz, den Leutnant von Höwen geliefert hat, braucht es
'hin doch uicht bange zu sein. Was fehlt diesen Offizicridealen, soweit sie nicht,
von den Landsleuten in der Heimat kaum beachtet, fern in Afrika kämpfen und
^lieu, als die Gelegenheit, ihre Tüchtigkeit zu bewähren? Sind sie nicht vor¬
nehm in der Gesinnung, tadellos im Handeln? Sollte es nicht auch für einen
^»besaiteten Dichter möglich sein, unter ihrer Führung ein Jahr lang den
^erst im deutschen Heere zu ertragen? Seume fand in hessischen und in
^ußischen Regimentern Tcllheime, die für ihn die Härten des Systems mil-
rrten. Daß es im deutschen Heere immer noch Tcllheime in Fülle gibt, davon
""erzeugen Beyerleins Werke den ängstlichsten Skeptiker.

(Schluß folgt)




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[0315] Hchulhaß und Heeresscheu Ein Volk, dos sich seiner Wehrkraft bewußt ist und sich ihrer freut, kann nicht fürchten, daß Äußerlichkeiten wie die Uniformänderungen den Wert seines Heeres mindern, und kann sich der Kritik, die am Heere geübt wird, nicht freuen. Das Gedeihen des Simplicissimus und die riesigen Anflagezahlen ge¬ wisser Militärromane setzen voraus, daß sich viele Deutsche der Schmähungen freuen, womit jenes Blatt und die mit ihm verbundne Gruppe heeresscheuer Schriftsteller das Heer überhäufen. Die Freude an der Verspottung des Heeres hat eine tiefe Abneigung gegen das Heer zur Voraussetzung. Diese Abneigung wurzelt in der Scheu, die ein großer Teil der im neuen Reiche gebornen Deutschen vor der Wehrpflicht empfindet, und in der Unlust, womit sie dieser Pflicht genügen. Korfiz Holm, den ich schon genannt habe, erzählt: „Von 1895 bis 1896 diente ich in München mein Jahr ab und brachte es merk¬ würdigerweise zum Gefreiten. Beim Abschied verlieh man mir das Recht, mich durch Ableistung einer besondern Übung L! nachträglich zum Reserveoffizier zu qualifiziere». Dies tat ich nicht, sondern siedelte direkt aus der Kaserne in das Bureau des Simplizissimusverlegers Albert Langen über." Mag er nun als moderner Ästhete dem Waffendienste abgeneigt sein oder im Heere als Kosmo¬ polit den stärksten Ausdruck der nationalen Art, als Friedensfreund die Vor¬ bereitung für den Krieg, als Gegner der Monarchie die stärkste Stütze des Monarchischen Staats hassen, sicher rechnete er auf Verständnis für sein Ver¬ halten und auf Zustimmung, und sicher hat er Verständnis und Zustimmung gefunden. Franz Adam Beherlein beichtet: „Ich komme mir — hier in Karls¬ bad — oft wie ein ganz kleines Kind vor. Somit hätt' ich Gelegenheit, mein Leben noch einmal von vorn anzufangen. Oder vielmehr ein anderes, besseres, beider würde mir aber wohl nicht zu helfen sein; ich würde wieder nicht Staats¬ gewalt werden und sogar dieselbe Frau zum zweiten Mal nehmen. Nur vor dem Dienen im deutschen Heere hätt' ich recht bange." Warum er bange hätte, ver¬ schweigt er. Sollte er glauben, die Antwort auf diese Frage in seinen Militär- Romanen und in seinem Militärdrama gegeben zu haben? Vor dem Dienst in Uren Heere, das ihm die Modelle für den Hauptmann von Wegstetten, den Leutnant Reimers, den Oberst von Falkenhcin, den Oberleutnant Güntz, den Altmeister von Bannewitz, den Leutnant von Höwen geliefert hat, braucht es 'hin doch uicht bange zu sein. Was fehlt diesen Offizicridealen, soweit sie nicht, von den Landsleuten in der Heimat kaum beachtet, fern in Afrika kämpfen und ^lieu, als die Gelegenheit, ihre Tüchtigkeit zu bewähren? Sind sie nicht vor¬ nehm in der Gesinnung, tadellos im Handeln? Sollte es nicht auch für einen ^»besaiteten Dichter möglich sein, unter ihrer Führung ein Jahr lang den ^erst im deutschen Heere zu ertragen? Seume fand in hessischen und in ^ußischen Regimentern Tcllheime, die für ihn die Härten des Systems mil- rrten. Daß es im deutschen Heere immer noch Tcllheime in Fülle gibt, davon ""erzeugen Beyerleins Werke den ängstlichsten Skeptiker. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/315>, abgerufen am 05.02.2025.