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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Zur Konfessionslage in Deutschland
von einem süddeutschen evangelischen Geistlichen

er in unsern Tagen über die Lage der Konfessionen, über kon¬
fessionelle Polemik oder gar über den konfessionellen Frieden
redet oder schreibt, der befaßt sich mit einer ebenso mißlichen wie
undankbaren Aufgabe. Mag er auch jedes Wort auf die Gold¬
wage legen und so vorsichtig wie möglich vorgehn, so erreicht er
bei dem Gegner meist gar nichts; denn dieser zieht entweder die ihm mißfälligen
Äußerungen hervor, um sich an dem Redner zu reiben und ihn der Unfähigkeit
und Unduldsamkeit zu zeihen, oder der Friedensfreund wird als Kronzeuge für
Anschauungen in Anspruch genommen, die ihm völlig fremd sind, und deren
Verteidigung ihm nicht im Traum eingefallen ist. Aber auch im eignen Lager
stößt er auf nichts als Undank, auf Verkennung und Feindschaft; er wird ver¬
dächtigt als Verräter, als Streber, als charakterloser Schwächling, er wird be¬
schimpft als ein Vogel, der sein eignes Netz beschmutze.

" Unter solchen Verhältnissen gehört schon ein besondrer Mut dazu, ein Thema
M berühren, dessen Ausführung mit ebensoviel Widerwärtigkeiten wie Schwierig¬
keiten verbunden ist. Wenn wir im nachfolgenden gleichwohl den Versuch
königer, so geschieht dies darum, daß wir den Konfessionshader in Deutschland
nachgerade fiir ein nationales Unglück halten und mit dieser Nunahme nicht allein
stehn. Es ist eine alte Erfahrung, daß wer einem hohen Ziel nachstrebt, der
öffentlichen Meinung auch einmal muß Widerstand leisten können. Mag diese
"us hochheben, mag sie uns in den Staub zerren, was kümmert es uus? Wer
^Ule gute Sache vertritt, der darf sich daraus nicht viel machen. Zuletzt wird
steh doch die Erkenntnis Bahn brechen, daß die auf die Spitze getriebnen kon¬
fessionellen Gegensätze die wichtigsten nationalen und wirtschaftlichen Interessen
''Ur schädigen können, und daß der konfessionelle Friede ein unabweisbares Be-
^rfnis unsrer Zeit ist. Noch läßt freilich die Hochflut konfessioneller Leiden-
^äst andre Strömungen, die auf gegenseitiges Sichverstehn und Sichvertragen
hindrängen, nicht aufkommen. Aber gut Ding will ja manchmal Weile haben
Zum Fertigwerdeu, zur Ausreifung. Das deutsche Volk hat im großen und im
^uzen keine Freude an dem konfessionellen Gezänk. Es weiß aus seiner Ver-


Grenzboten II 190S 37


Zur Konfessionslage in Deutschland
von einem süddeutschen evangelischen Geistlichen

er in unsern Tagen über die Lage der Konfessionen, über kon¬
fessionelle Polemik oder gar über den konfessionellen Frieden
redet oder schreibt, der befaßt sich mit einer ebenso mißlichen wie
undankbaren Aufgabe. Mag er auch jedes Wort auf die Gold¬
wage legen und so vorsichtig wie möglich vorgehn, so erreicht er
bei dem Gegner meist gar nichts; denn dieser zieht entweder die ihm mißfälligen
Äußerungen hervor, um sich an dem Redner zu reiben und ihn der Unfähigkeit
und Unduldsamkeit zu zeihen, oder der Friedensfreund wird als Kronzeuge für
Anschauungen in Anspruch genommen, die ihm völlig fremd sind, und deren
Verteidigung ihm nicht im Traum eingefallen ist. Aber auch im eignen Lager
stößt er auf nichts als Undank, auf Verkennung und Feindschaft; er wird ver¬
dächtigt als Verräter, als Streber, als charakterloser Schwächling, er wird be¬
schimpft als ein Vogel, der sein eignes Netz beschmutze.

" Unter solchen Verhältnissen gehört schon ein besondrer Mut dazu, ein Thema
M berühren, dessen Ausführung mit ebensoviel Widerwärtigkeiten wie Schwierig¬
keiten verbunden ist. Wenn wir im nachfolgenden gleichwohl den Versuch
königer, so geschieht dies darum, daß wir den Konfessionshader in Deutschland
nachgerade fiir ein nationales Unglück halten und mit dieser Nunahme nicht allein
stehn. Es ist eine alte Erfahrung, daß wer einem hohen Ziel nachstrebt, der
öffentlichen Meinung auch einmal muß Widerstand leisten können. Mag diese
"us hochheben, mag sie uns in den Staub zerren, was kümmert es uus? Wer
^Ule gute Sache vertritt, der darf sich daraus nicht viel machen. Zuletzt wird
steh doch die Erkenntnis Bahn brechen, daß die auf die Spitze getriebnen kon¬
fessionellen Gegensätze die wichtigsten nationalen und wirtschaftlichen Interessen
''Ur schädigen können, und daß der konfessionelle Friede ein unabweisbares Be-
^rfnis unsrer Zeit ist. Noch läßt freilich die Hochflut konfessioneller Leiden-
^äst andre Strömungen, die auf gegenseitiges Sichverstehn und Sichvertragen
hindrängen, nicht aufkommen. Aber gut Ding will ja manchmal Weile haben
Zum Fertigwerdeu, zur Ausreifung. Das deutsche Volk hat im großen und im
^uzen keine Freude an dem konfessionellen Gezänk. Es weiß aus seiner Ver-


Grenzboten II 190S 37
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[0293] [Abbildung] Zur Konfessionslage in Deutschland von einem süddeutschen evangelischen Geistlichen er in unsern Tagen über die Lage der Konfessionen, über kon¬ fessionelle Polemik oder gar über den konfessionellen Frieden redet oder schreibt, der befaßt sich mit einer ebenso mißlichen wie undankbaren Aufgabe. Mag er auch jedes Wort auf die Gold¬ wage legen und so vorsichtig wie möglich vorgehn, so erreicht er bei dem Gegner meist gar nichts; denn dieser zieht entweder die ihm mißfälligen Äußerungen hervor, um sich an dem Redner zu reiben und ihn der Unfähigkeit und Unduldsamkeit zu zeihen, oder der Friedensfreund wird als Kronzeuge für Anschauungen in Anspruch genommen, die ihm völlig fremd sind, und deren Verteidigung ihm nicht im Traum eingefallen ist. Aber auch im eignen Lager stößt er auf nichts als Undank, auf Verkennung und Feindschaft; er wird ver¬ dächtigt als Verräter, als Streber, als charakterloser Schwächling, er wird be¬ schimpft als ein Vogel, der sein eignes Netz beschmutze. " Unter solchen Verhältnissen gehört schon ein besondrer Mut dazu, ein Thema M berühren, dessen Ausführung mit ebensoviel Widerwärtigkeiten wie Schwierig¬ keiten verbunden ist. Wenn wir im nachfolgenden gleichwohl den Versuch königer, so geschieht dies darum, daß wir den Konfessionshader in Deutschland nachgerade fiir ein nationales Unglück halten und mit dieser Nunahme nicht allein stehn. Es ist eine alte Erfahrung, daß wer einem hohen Ziel nachstrebt, der öffentlichen Meinung auch einmal muß Widerstand leisten können. Mag diese "us hochheben, mag sie uns in den Staub zerren, was kümmert es uus? Wer ^Ule gute Sache vertritt, der darf sich daraus nicht viel machen. Zuletzt wird steh doch die Erkenntnis Bahn brechen, daß die auf die Spitze getriebnen kon¬ fessionellen Gegensätze die wichtigsten nationalen und wirtschaftlichen Interessen ''Ur schädigen können, und daß der konfessionelle Friede ein unabweisbares Be- ^rfnis unsrer Zeit ist. Noch läßt freilich die Hochflut konfessioneller Leiden- ^äst andre Strömungen, die auf gegenseitiges Sichverstehn und Sichvertragen hindrängen, nicht aufkommen. Aber gut Ding will ja manchmal Weile haben Zum Fertigwerdeu, zur Ausreifung. Das deutsche Volk hat im großen und im ^uzen keine Freude an dem konfessionellen Gezänk. Es weiß aus seiner Ver- Grenzboten II 190S 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/293>, abgerufen am 05.02.2025.