Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Univerfitäisfragen in Rußland die, um nicht ohne Hörer zu bleiben, bei den Prüfungen größere Nachsicht Einer der wesentlichsten Mängel der jetzigen Universität liegt in der Ebenso verfehlt wie die Studienpläne ist die Art der Staatsprüfungen. Als Examinatoren bei den Staatsprüfungen mußten aus Mangel an Univerfitäisfragen in Rußland die, um nicht ohne Hörer zu bleiben, bei den Prüfungen größere Nachsicht Einer der wesentlichsten Mängel der jetzigen Universität liegt in der Ebenso verfehlt wie die Studienpläne ist die Art der Staatsprüfungen. Als Examinatoren bei den Staatsprüfungen mußten aus Mangel an <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0260" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297392"/> <fw type="header" place="top"> Univerfitäisfragen in Rußland</fw><lb/> <p xml:id="ID_1145" prev="#ID_1144"> die, um nicht ohne Hörer zu bleiben, bei den Prüfungen größere Nachsicht<lb/> zeigen müssen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1146"> Einer der wesentlichsten Mängel der jetzigen Universität liegt in der<lb/> Regelung der Staatsprüfungen und in der Festsetzung der Studienpläne. Diese<lb/> Studienpläne schaden dem akademischen Unterricht, weil sie die wissenschaftliche<lb/> Ausbildung der Studierenden in eine Schablone zwängen. Sie sollen den<lb/> Studierenden nötigen, sich eine möglichst gründliche vollständige Bildung in<lb/> seinem Fache anzueignen, aber verfehlen ihren Zweck, denn die Universität kann<lb/> weder fertige Gelehrte noch Männer der Praxis ins Leben senden, sondern soll<lb/> Interesse an wissenschaftlicher Forschung erwecken, mit den Methoden der<lb/> Forschung vertraut machen und die Erscheinungen des Lebens in ihrer logischen<lb/> Entwicklung aufdecken. Da außerdem die Wissenschaft fortschreitet, neue Lehren<lb/> aufstellt und neue Blüten treibt, da der Universitätsunterricht nur dann lebendig<lb/> ist und die Hörer fesselt, wenn er der Wissenschaft folgt und ihr neue Pfade<lb/> weist, so darf er nicht in die Fesseln ein für allemal gütiger, für alle Uni¬<lb/> versitäten festgelegter Studienplüne gezwängt werden. Geschieht es, so wird der<lb/> Unterricht zu einer mechanischen Wiederholung von Angaben, die der Hörer<lb/> irgendwo selber nachlesen kann. Das Interesse an dem Besuch der Vorlesungen<lb/> geht völlig verloren. Der Student versorgt sich für das Examen aus Wieder¬<lb/> holungskursen, Nepctitorien und ähnlichen auf die Anforderungen der Studien¬<lb/> plüne zugeschnittnen Eselsbrücken mit den notwendigen, oft genug dürftigen und<lb/> unwissenschaftliche» Kenntnissen. Von wissenschaftlicher Ausbildung ist keine<lb/> Rede. Die Zeit aber, die er sonst zu wissenschaftlicher Vertiefung braucht, kann<lb/> und wird er zu Zwecken verwenden, die mit den Aufgaben der Universität in<lb/> schreienden, Widerspruch stehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_1147"> Ebenso verfehlt wie die Studienpläne ist die Art der Staatsprüfungen.<lb/> Sie sollen seit 1884 vor einer besondern Kommission unter dem Vorsitz einer<lb/> jedesmal vom Minister zu ernennenden Persönlichkeit abgehalten, also der Ein¬<lb/> wirkung der Universität möglichst entzogen werden und nach bestimmtem Pro¬<lb/> gramm vor sich gehn. An die Stelle der bisherigen Universitätsprüfungen<lb/> am Schluß jedes Studienjahres sind Semesterabschlüsse eingeführt worden.<lb/> Diese haben aber sehr bald jede Bedeutung verloren, weil die Professoren, be¬<lb/> sonders der stärker» Fakultäten, sie nicht als Prüfungen ansahen, durch die sie<lb/> zu einen« einigermaßen richtigen Urteil über das Wissen ihrer Hörer gelangen<lb/> konnten, sondern nur als eine Bescheinign»«, der wissenschaftlichen Tätigkeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_1148" next="#ID_1149"> Als Examinatoren bei den Staatsprüfungen mußten aus Mangel an<lb/> wissenschaftlichen Kräften wie früher die Professoren und dazu die Privatdozenten<lb/> verwandt werden. Zu Vorsitzenden der Prüfungskommissionen wurden großen¬<lb/> teils Professoren fremder Universitäten bestellt. Die Staatsprüfungen waren<lb/> auf diese Weise zu Universitätsschlußprüfungcn mit rcglcmentarisicrten aber<lb/> wesentlich herabgesetzten Anforderungen geworden, bei denen dem Geist des<lb/> Unterrichts an der Universität keinerlei Rechnung getragen wurde, und sich sehr<lb/> bald eine Verflachung des Wissens bei den Studenten bemerkbar machte. Dem<lb/> sollte dnrch Znsatzbestimmungen abgeholfen werden, die jedoch nur die Einheit¬<lb/> lichkeit der neuen Bestimmungen gefährdete», dem Unterricht nichts nützten und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0260]
Univerfitäisfragen in Rußland
die, um nicht ohne Hörer zu bleiben, bei den Prüfungen größere Nachsicht
zeigen müssen.
Einer der wesentlichsten Mängel der jetzigen Universität liegt in der
Regelung der Staatsprüfungen und in der Festsetzung der Studienpläne. Diese
Studienpläne schaden dem akademischen Unterricht, weil sie die wissenschaftliche
Ausbildung der Studierenden in eine Schablone zwängen. Sie sollen den
Studierenden nötigen, sich eine möglichst gründliche vollständige Bildung in
seinem Fache anzueignen, aber verfehlen ihren Zweck, denn die Universität kann
weder fertige Gelehrte noch Männer der Praxis ins Leben senden, sondern soll
Interesse an wissenschaftlicher Forschung erwecken, mit den Methoden der
Forschung vertraut machen und die Erscheinungen des Lebens in ihrer logischen
Entwicklung aufdecken. Da außerdem die Wissenschaft fortschreitet, neue Lehren
aufstellt und neue Blüten treibt, da der Universitätsunterricht nur dann lebendig
ist und die Hörer fesselt, wenn er der Wissenschaft folgt und ihr neue Pfade
weist, so darf er nicht in die Fesseln ein für allemal gütiger, für alle Uni¬
versitäten festgelegter Studienplüne gezwängt werden. Geschieht es, so wird der
Unterricht zu einer mechanischen Wiederholung von Angaben, die der Hörer
irgendwo selber nachlesen kann. Das Interesse an dem Besuch der Vorlesungen
geht völlig verloren. Der Student versorgt sich für das Examen aus Wieder¬
holungskursen, Nepctitorien und ähnlichen auf die Anforderungen der Studien¬
plüne zugeschnittnen Eselsbrücken mit den notwendigen, oft genug dürftigen und
unwissenschaftliche» Kenntnissen. Von wissenschaftlicher Ausbildung ist keine
Rede. Die Zeit aber, die er sonst zu wissenschaftlicher Vertiefung braucht, kann
und wird er zu Zwecken verwenden, die mit den Aufgaben der Universität in
schreienden, Widerspruch stehn.
Ebenso verfehlt wie die Studienpläne ist die Art der Staatsprüfungen.
Sie sollen seit 1884 vor einer besondern Kommission unter dem Vorsitz einer
jedesmal vom Minister zu ernennenden Persönlichkeit abgehalten, also der Ein¬
wirkung der Universität möglichst entzogen werden und nach bestimmtem Pro¬
gramm vor sich gehn. An die Stelle der bisherigen Universitätsprüfungen
am Schluß jedes Studienjahres sind Semesterabschlüsse eingeführt worden.
Diese haben aber sehr bald jede Bedeutung verloren, weil die Professoren, be¬
sonders der stärker» Fakultäten, sie nicht als Prüfungen ansahen, durch die sie
zu einen« einigermaßen richtigen Urteil über das Wissen ihrer Hörer gelangen
konnten, sondern nur als eine Bescheinign»«, der wissenschaftlichen Tätigkeit.
Als Examinatoren bei den Staatsprüfungen mußten aus Mangel an
wissenschaftlichen Kräften wie früher die Professoren und dazu die Privatdozenten
verwandt werden. Zu Vorsitzenden der Prüfungskommissionen wurden großen¬
teils Professoren fremder Universitäten bestellt. Die Staatsprüfungen waren
auf diese Weise zu Universitätsschlußprüfungcn mit rcglcmentarisicrten aber
wesentlich herabgesetzten Anforderungen geworden, bei denen dem Geist des
Unterrichts an der Universität keinerlei Rechnung getragen wurde, und sich sehr
bald eine Verflachung des Wissens bei den Studenten bemerkbar machte. Dem
sollte dnrch Znsatzbestimmungen abgeholfen werden, die jedoch nur die Einheit¬
lichkeit der neuen Bestimmungen gefährdete», dem Unterricht nichts nützten und
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