Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Deutschland und die äußere Politik Frankreichs Wir möchten gern unser älteres Konto mit dem westlichen Nachbarn durch Die deutschen Anschauungen in diesen Dingen sind dank der widerspruchs¬ Es wäre vergeblich, leugnen zu wollen, daß das Verhalten des französischen Deutschland und die äußere Politik Frankreichs Wir möchten gern unser älteres Konto mit dem westlichen Nachbarn durch Die deutschen Anschauungen in diesen Dingen sind dank der widerspruchs¬ Es wäre vergeblich, leugnen zu wollen, daß das Verhalten des französischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0026" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297158"/> <fw type="header" place="top"> Deutschland und die äußere Politik Frankreichs</fw><lb/> <p xml:id="ID_34" prev="#ID_33"> Wir möchten gern unser älteres Konto mit dem westlichen Nachbarn durch<lb/> den Frankfurter Frieden als abgeschlossen betrachten, und doch sind wir ge¬<lb/> zwungen, auch unsre gesamte Politik, die sich mit ungelenker Kraft neuen und<lb/> drängenden Aufgaben zuwenden möchte, mit dem Bleigewicht unwandelbaren<lb/> Mißtrauens gegen die unaufrichtige, hinterhaltige und rachsüchtige Politik des<lb/> Volkes jenseits der Vogesen zu beschweren. Noch können wir die Stunde nicht<lb/> absehen, wo wir den schweren Panzer etwas lüften und das Schwert aus der<lb/> Hand legen dürfen. Jede Betrachtung der gegenwärtigen Stellung Frankreichs<lb/> in den internationalen Verwicklungen muß deshalb notwendigerweise von einer<lb/> Analyse der deutsch-französischen Beziehungen ausgehn und wird ebenso not¬<lb/> wendig zu der Frage zurückführen: Wird die Kluft an den Vogesen nie ge¬<lb/> schlossen werden? So zäh die französische Politik gegen uns an ihren alten<lb/> Zielen festhält, so ist doch auch sie der Entwicklung unterworfen und hat<lb/> darum heute ein ganz andres Aussehen als vor dreißig oder auch vor fünf bis<lb/> zehn Jahren.</p><lb/> <p xml:id="ID_35"> Die deutschen Anschauungen in diesen Dingen sind dank der widerspruchs¬<lb/> vollen Berichterstattung in der Tagespresse meist sehr verwirrt. Will man<lb/> Klarheit gewinnen, so heißt es zwei Dinge scharf trennen, die immer wieder<lb/> durcheinander geworfen werden: das ist auf der einen Seite die Stimmung der<lb/> beiden Völker zueinander im persönlichen Verkehr, und auf der andern Seite<lb/> ihre rein politischen Wünsche und nationalen Leidenschaften, die ihren ma߬<lb/> gebenden Ausdruck in der zünftigen Diplomatie finden, deren Sprache freilich<lb/> meist nicht leicht zu verstehn ist, und die trotz der angeblichen Ehrlichkeit der<lb/> neuen Schule doch noch immer nach Talleyrandschen oder gar Mctternichschcn<lb/> Vorbildern arbeitet.</p><lb/> <p xml:id="ID_36" next="#ID_37"> Es wäre vergeblich, leugnen zu wollen, daß das Verhalten des französischen<lb/> Volkes uns gegenüber seit zehn Jahren, besonders aber seit der letzten Welt¬<lb/> ausstellung in einer Umwandlung begriffen ist. Man braucht diese Tatsache<lb/> nicht zu überschätzen, da man ja immer noch nicht weiß, ob diese Ver-<lb/> ündernng nicht rein oberflächlich ist. Es ist ein Fortschritt gegen die wüsten<lb/> Auftritte der siebziger Jahre, bedeutet aber an sich doch noch nicht so sehr viel,<lb/> wenn man heute ungeniert auf den Boulevards deutsch sprechen und seine deutsche<lb/> Zeitung lesen kann, wenn den deutschen Bierhäusern nicht mehr die Fenster<lb/> eingeworfen werden, und wenn der Pariser sein Glas Münchner trinkt, ohne<lb/> wie früher nur bei dein Wort schon Symptome von Tollwut zu zeigen. Daß<lb/> er deu edeln Gerstensaft dabei nicht nach der deutschen Brauerei sondern nach<lb/> dem französischen Importeur nennt, sind noch so Reminiszenzen von früher.<lb/> Die Begeisterung für den so nnfranzösischen Wagner halten wir nicht für echt,<lb/> aber es ist doch schon immer etwas, wenn nicht bei jeder Tannhäuseraufführung<lb/> einige Kompagnien Munizipalgarde ausziehn müssen, um den Garnierschen<lb/> Prunkbau vor der Verwüstung durch erhitzte Patrioten zu retten. Bei großen wie<lb/> kleinen Ausstellungen vermeidet man, die deutschen Farben neben denen andrer<lb/> Nationen sehen zu lassen, deutsche Staatspapiere werden an der Pariser Börse<lb/> nicht gehandelt, und um im vergangnen Jahre die alte gute „Fledermaus" den Leuten<lb/> mundgerecht zu machen, erzählte man in der Presse lang und breit, daß Meister</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0026]
Deutschland und die äußere Politik Frankreichs
Wir möchten gern unser älteres Konto mit dem westlichen Nachbarn durch
den Frankfurter Frieden als abgeschlossen betrachten, und doch sind wir ge¬
zwungen, auch unsre gesamte Politik, die sich mit ungelenker Kraft neuen und
drängenden Aufgaben zuwenden möchte, mit dem Bleigewicht unwandelbaren
Mißtrauens gegen die unaufrichtige, hinterhaltige und rachsüchtige Politik des
Volkes jenseits der Vogesen zu beschweren. Noch können wir die Stunde nicht
absehen, wo wir den schweren Panzer etwas lüften und das Schwert aus der
Hand legen dürfen. Jede Betrachtung der gegenwärtigen Stellung Frankreichs
in den internationalen Verwicklungen muß deshalb notwendigerweise von einer
Analyse der deutsch-französischen Beziehungen ausgehn und wird ebenso not¬
wendig zu der Frage zurückführen: Wird die Kluft an den Vogesen nie ge¬
schlossen werden? So zäh die französische Politik gegen uns an ihren alten
Zielen festhält, so ist doch auch sie der Entwicklung unterworfen und hat
darum heute ein ganz andres Aussehen als vor dreißig oder auch vor fünf bis
zehn Jahren.
Die deutschen Anschauungen in diesen Dingen sind dank der widerspruchs¬
vollen Berichterstattung in der Tagespresse meist sehr verwirrt. Will man
Klarheit gewinnen, so heißt es zwei Dinge scharf trennen, die immer wieder
durcheinander geworfen werden: das ist auf der einen Seite die Stimmung der
beiden Völker zueinander im persönlichen Verkehr, und auf der andern Seite
ihre rein politischen Wünsche und nationalen Leidenschaften, die ihren ma߬
gebenden Ausdruck in der zünftigen Diplomatie finden, deren Sprache freilich
meist nicht leicht zu verstehn ist, und die trotz der angeblichen Ehrlichkeit der
neuen Schule doch noch immer nach Talleyrandschen oder gar Mctternichschcn
Vorbildern arbeitet.
Es wäre vergeblich, leugnen zu wollen, daß das Verhalten des französischen
Volkes uns gegenüber seit zehn Jahren, besonders aber seit der letzten Welt¬
ausstellung in einer Umwandlung begriffen ist. Man braucht diese Tatsache
nicht zu überschätzen, da man ja immer noch nicht weiß, ob diese Ver-
ündernng nicht rein oberflächlich ist. Es ist ein Fortschritt gegen die wüsten
Auftritte der siebziger Jahre, bedeutet aber an sich doch noch nicht so sehr viel,
wenn man heute ungeniert auf den Boulevards deutsch sprechen und seine deutsche
Zeitung lesen kann, wenn den deutschen Bierhäusern nicht mehr die Fenster
eingeworfen werden, und wenn der Pariser sein Glas Münchner trinkt, ohne
wie früher nur bei dein Wort schon Symptome von Tollwut zu zeigen. Daß
er deu edeln Gerstensaft dabei nicht nach der deutschen Brauerei sondern nach
dem französischen Importeur nennt, sind noch so Reminiszenzen von früher.
Die Begeisterung für den so nnfranzösischen Wagner halten wir nicht für echt,
aber es ist doch schon immer etwas, wenn nicht bei jeder Tannhäuseraufführung
einige Kompagnien Munizipalgarde ausziehn müssen, um den Garnierschen
Prunkbau vor der Verwüstung durch erhitzte Patrioten zu retten. Bei großen wie
kleinen Ausstellungen vermeidet man, die deutschen Farben neben denen andrer
Nationen sehen zu lassen, deutsche Staatspapiere werden an der Pariser Börse
nicht gehandelt, und um im vergangnen Jahre die alte gute „Fledermaus" den Leuten
mundgerecht zu machen, erzählte man in der Presse lang und breit, daß Meister
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