Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Elsaß - Lothringische verfassungsfrageil geeinigt hätten, den Initiativantrag beim Reichstag einzubringen, daß der Daß in Straßburg ein größeres Bedürfnis nach Selbständigkeit und Un¬ Elsaß - Lothringische verfassungsfrageil geeinigt hätten, den Initiativantrag beim Reichstag einzubringen, daß der Daß in Straßburg ein größeres Bedürfnis nach Selbständigkeit und Un¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0022" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297154"/> <fw type="header" place="top"> Elsaß - Lothringische verfassungsfrageil</fw><lb/> <p xml:id="ID_27" prev="#ID_26"> geeinigt hätten, den Initiativantrag beim Reichstag einzubringen, daß der<lb/> Kaiser eigentlicher Landesherr von Elsaß-Lothringen werde. Gegen diesen der<lb/> Situation einzig angemessenen logischen Antrag entwickelt der Verfasser des<lb/> Artikels schwere Bedenken, die an sich absolut unzutreffend sind, und schlägt<lb/> dafür eine langbemessene Amtsdauer des Statthalters oder gar einen Statt¬<lb/> halter auf Lebenszeit (!) vor. Hierin liegt wieder einmal deutlich ausge¬<lb/> sprochen, daß die ganze sogenannte Verfassungsbeweguug tatsächlich nur auf<lb/> eine Erhöhung der Stellung des Statthalters hinauskommt, eine folgerichtige<lb/> Entwicklung des Keimes, den Manteuffel mit seiner ersten große,? Tischrede<lb/> an den Landesausschuß im Jahre 1879 in das Land gesenkt hat. Es handelt<lb/> sich bei all diesen Vorschlügen gar nicht um das Land, sondern um den<lb/> Statthalter und dessen größere Unabhängigkeit und — Dauer. Außerhalb<lb/> der alldeutschen Beamten- und Professorenkreise gibt es in ganz Elsaß-Lothringen<lb/> wahrscheinlich keine hundert Menschen, die sich für diese ganze Frage irgendwie<lb/> interessieren oder auch nur das geringste Verständnis dafür haben. Mau<lb/> kann also auch nicht behaupten, daß im Lande irgendein wirkliches Bedürfnis<lb/> für solche Veränderungen vorhanden sei. Es sind einzelne Persönlichkeiten,<lb/> die sich eine politische Rolle aus diesem Material zurechtschneiden, dement¬<lb/> sprechend kann es auch nicht weiter wundernehmen, wenn sich die Zentrums¬<lb/> fraktion beeilt, beizeiten ihre schützende Hand darüber zu halten. Jede größere<lb/> Selbständigkeit des Statthalters kann sich nur auf Kosten des Kaisers und<lb/> seiner persönlichen Beziehungen zum Lande vollzieh», ebenso auf Kosten des<lb/> Reichskanzlers, neben dem in dem selbständigen oder gar „erblichen" Statthalter<lb/> von Elsaß-Lothringen plötzlich eine Figur in die Höhe wüchse, die in der<lb/> Reichsverfassung nicht vorgesehen ist und darin auch keinen Platz hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_28" next="#ID_29"> Daß in Straßburg ein größeres Bedürfnis nach Selbständigkeit und Un¬<lb/> abhängigkeit von Berlin seit Möllers Zeiten empfunden wird, ist schon zu<lb/> Anfang dieses Aufsatzes dargetan worden. Daß diese größere Unabhängigkeit<lb/> für das Land oder für das Reich von Nutzen sei, ist damit keineswegs er¬<lb/> wiese». Eher das Gegenteil. Vor allen Dingen muß jedes Bestreben, wie<lb/> es auch heißen möge, das darauf hinausläuft, eine stärkere Potenz zwischen dein<lb/> Kaiser und das Land einzuschieben und damit die Aufgabe des Reichskanzlers<lb/> zu erschweren, unbedingt verworfen werden, nicht etwa wegen der heute in<lb/> Betracht kommenden Persönlichkeiten, sondern wegen der Richtung, in der sich<lb/> eine solche Institution früher oder später zum Nachteil des Reichs unfehlbar<lb/> auswachsen würde. Es wäre eine solche Schöpfung ein vollständiges Verlassen<lb/> des ini Jahre 1870/71 aus wohlerwognen Gründen betretnen und bisher<lb/> erfolgreich festgchaltnen Weges. Für die größere Unabhängigkeit und Selb¬<lb/> ständigkeit des Statthalters, für seiue Berufung auf Lebensdauer oder auf<lb/> eine langbemessenc Amtsdauer oder gar für seine Erblichkeit liegt im Neichs-<lb/> interesse oder auch nur ini Landesinteresse nicht der allergeringste Grund<lb/> vor, es ist das ausschließlich eine neue dynastische Frage. Man könnte aber<lb/> im Gegenteil die Frage aufwerfen, ob denn überhaupt die ganze Institution<lb/> der Statthalterschaft, die immerhin alljährlich eine Viertelmillion kostet,<lb/> noch notwendig ist, n»d ob der Kaiser das Land nicht ebensogut mit dem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0022]
Elsaß - Lothringische verfassungsfrageil
geeinigt hätten, den Initiativantrag beim Reichstag einzubringen, daß der
Kaiser eigentlicher Landesherr von Elsaß-Lothringen werde. Gegen diesen der
Situation einzig angemessenen logischen Antrag entwickelt der Verfasser des
Artikels schwere Bedenken, die an sich absolut unzutreffend sind, und schlägt
dafür eine langbemessene Amtsdauer des Statthalters oder gar einen Statt¬
halter auf Lebenszeit (!) vor. Hierin liegt wieder einmal deutlich ausge¬
sprochen, daß die ganze sogenannte Verfassungsbeweguug tatsächlich nur auf
eine Erhöhung der Stellung des Statthalters hinauskommt, eine folgerichtige
Entwicklung des Keimes, den Manteuffel mit seiner ersten große,? Tischrede
an den Landesausschuß im Jahre 1879 in das Land gesenkt hat. Es handelt
sich bei all diesen Vorschlügen gar nicht um das Land, sondern um den
Statthalter und dessen größere Unabhängigkeit und — Dauer. Außerhalb
der alldeutschen Beamten- und Professorenkreise gibt es in ganz Elsaß-Lothringen
wahrscheinlich keine hundert Menschen, die sich für diese ganze Frage irgendwie
interessieren oder auch nur das geringste Verständnis dafür haben. Mau
kann also auch nicht behaupten, daß im Lande irgendein wirkliches Bedürfnis
für solche Veränderungen vorhanden sei. Es sind einzelne Persönlichkeiten,
die sich eine politische Rolle aus diesem Material zurechtschneiden, dement¬
sprechend kann es auch nicht weiter wundernehmen, wenn sich die Zentrums¬
fraktion beeilt, beizeiten ihre schützende Hand darüber zu halten. Jede größere
Selbständigkeit des Statthalters kann sich nur auf Kosten des Kaisers und
seiner persönlichen Beziehungen zum Lande vollzieh», ebenso auf Kosten des
Reichskanzlers, neben dem in dem selbständigen oder gar „erblichen" Statthalter
von Elsaß-Lothringen plötzlich eine Figur in die Höhe wüchse, die in der
Reichsverfassung nicht vorgesehen ist und darin auch keinen Platz hat.
Daß in Straßburg ein größeres Bedürfnis nach Selbständigkeit und Un¬
abhängigkeit von Berlin seit Möllers Zeiten empfunden wird, ist schon zu
Anfang dieses Aufsatzes dargetan worden. Daß diese größere Unabhängigkeit
für das Land oder für das Reich von Nutzen sei, ist damit keineswegs er¬
wiese». Eher das Gegenteil. Vor allen Dingen muß jedes Bestreben, wie
es auch heißen möge, das darauf hinausläuft, eine stärkere Potenz zwischen dein
Kaiser und das Land einzuschieben und damit die Aufgabe des Reichskanzlers
zu erschweren, unbedingt verworfen werden, nicht etwa wegen der heute in
Betracht kommenden Persönlichkeiten, sondern wegen der Richtung, in der sich
eine solche Institution früher oder später zum Nachteil des Reichs unfehlbar
auswachsen würde. Es wäre eine solche Schöpfung ein vollständiges Verlassen
des ini Jahre 1870/71 aus wohlerwognen Gründen betretnen und bisher
erfolgreich festgchaltnen Weges. Für die größere Unabhängigkeit und Selb¬
ständigkeit des Statthalters, für seiue Berufung auf Lebensdauer oder auf
eine langbemessenc Amtsdauer oder gar für seine Erblichkeit liegt im Neichs-
interesse oder auch nur ini Landesinteresse nicht der allergeringste Grund
vor, es ist das ausschließlich eine neue dynastische Frage. Man könnte aber
im Gegenteil die Frage aufwerfen, ob denn überhaupt die ganze Institution
der Statthalterschaft, die immerhin alljährlich eine Viertelmillion kostet,
noch notwendig ist, n»d ob der Kaiser das Land nicht ebensogut mit dem
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