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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Ilniversitatsfragen in Rußland

Wirkt die zeitlich (auf vier Jahre) beschränkte Dauer des Rektorats, die in den
Gelehrtenrepubliken andrer Universitäten Bedingung ist, bei der in Rußland
gesetzlichen Ernennung des Rektors insofern nicht günstig, als sie dem mangelnden
Vertrauen der Negierung zu dem jeweiligen Rektor erst recht Ausdruck zu geben
scheint, ihn nur in der Freiheit seiner Handlungen beeinträchtigt und ihn vom
Kurator ganz abhängig macht. Ohne Machtmittel wird der Rektor auch jede
Verantwortlichkeit von sich abzuwälzen suchen, indem er für seine Amtshand¬
lungen die Genehmigung des Kurators einholt. Da aber die ans diese Weise
entstandnen Verfügungen gewöhnlich den geeigneten Augenblick verpassen, so
wird das Ansehen der höhern Behörde in den Angen der Gesellschaft und der
Studierenden erst recht herabgesetzt.

Eine ganz besondre und anderswo undenkbare Stellung nimmt die In¬
spektion ein. Dem Einfluß des Rektors entzogen, eigentlich ohne innern Zu¬
sammenhang mit der Universität, mehr Organ des Kurators und indirekt der
Polizeigewalt des Staats, und zugleich mit weitgehenden Strafbcfuguissen aus¬
gerüstet, hat sie Lehrpersonal und Studierende zu überwache". Sie ist die best¬
gehaßte Behörde und nach einer Äußerung des Professors Scherschenewitsch in
den Nußkija Wjedomostij als spezielles Organ der gegen die Universitäten
beobachteten Politik die Grundursache für die tätige Teilnahme der studierenden
Jugend an innerpolitischen Fragen. Die Tätigkeit der Inspektion kann nicht
besser charakterisiert werden als mit den folgenden Worten derselben Quelle:
"Der junge Mann, der die Universität bezieht, fühlt mit einemmal den schweren
lähmenden Druck der politischen Verdächtigten. Er hat noch nichts getan, aber
er ist verdächtig. Er bemerkt, wie die Beamten der Inspektion sein Gesicht
studieren, damit sie ihn jederzeit wieder erkennen. Während eines harmlos be¬
gonnenen Gesprächs mit einem Beamten nimmt er ein auffallendes Interesse
um seiner Lebensweise und seiner Gedankenarbeit wahr. Bald sieht er sich auch
außerhalb der Universität beobachtet. Wenn er sich in eifrigem Streben mit
Kommilitonen zusammentut, um zu lesen, zu disputieren und Gedanken zu
tauschen, wird dies vermerkt. Wenn er, um einem armen Studiengenossen zu
helfen, eine Sammlung veranstaltet, wird er vor die Inspektion zitiert. Kurz, all
der Schwelle der Universität, wohin der Jüngling freudigen Herzens, empfäng¬
lich, die Wahrheit suchend, gekommen ist, nur um zu lernen, da hört das
Vertrauen auf. Schon argwohnt man in ihm den Staatsverbrecher." Aus
der natürlichen Reaktion gegen diesen Argwohn wird die Kritik, die Feindschaft
gegen die bestehende Ordnung geboren.

(Schluß folgt)




Grenzboten II 190527
Ilniversitatsfragen in Rußland

Wirkt die zeitlich (auf vier Jahre) beschränkte Dauer des Rektorats, die in den
Gelehrtenrepubliken andrer Universitäten Bedingung ist, bei der in Rußland
gesetzlichen Ernennung des Rektors insofern nicht günstig, als sie dem mangelnden
Vertrauen der Negierung zu dem jeweiligen Rektor erst recht Ausdruck zu geben
scheint, ihn nur in der Freiheit seiner Handlungen beeinträchtigt und ihn vom
Kurator ganz abhängig macht. Ohne Machtmittel wird der Rektor auch jede
Verantwortlichkeit von sich abzuwälzen suchen, indem er für seine Amtshand¬
lungen die Genehmigung des Kurators einholt. Da aber die ans diese Weise
entstandnen Verfügungen gewöhnlich den geeigneten Augenblick verpassen, so
wird das Ansehen der höhern Behörde in den Angen der Gesellschaft und der
Studierenden erst recht herabgesetzt.

Eine ganz besondre und anderswo undenkbare Stellung nimmt die In¬
spektion ein. Dem Einfluß des Rektors entzogen, eigentlich ohne innern Zu¬
sammenhang mit der Universität, mehr Organ des Kurators und indirekt der
Polizeigewalt des Staats, und zugleich mit weitgehenden Strafbcfuguissen aus¬
gerüstet, hat sie Lehrpersonal und Studierende zu überwache». Sie ist die best¬
gehaßte Behörde und nach einer Äußerung des Professors Scherschenewitsch in
den Nußkija Wjedomostij als spezielles Organ der gegen die Universitäten
beobachteten Politik die Grundursache für die tätige Teilnahme der studierenden
Jugend an innerpolitischen Fragen. Die Tätigkeit der Inspektion kann nicht
besser charakterisiert werden als mit den folgenden Worten derselben Quelle:
„Der junge Mann, der die Universität bezieht, fühlt mit einemmal den schweren
lähmenden Druck der politischen Verdächtigten. Er hat noch nichts getan, aber
er ist verdächtig. Er bemerkt, wie die Beamten der Inspektion sein Gesicht
studieren, damit sie ihn jederzeit wieder erkennen. Während eines harmlos be¬
gonnenen Gesprächs mit einem Beamten nimmt er ein auffallendes Interesse
um seiner Lebensweise und seiner Gedankenarbeit wahr. Bald sieht er sich auch
außerhalb der Universität beobachtet. Wenn er sich in eifrigem Streben mit
Kommilitonen zusammentut, um zu lesen, zu disputieren und Gedanken zu
tauschen, wird dies vermerkt. Wenn er, um einem armen Studiengenossen zu
helfen, eine Sammlung veranstaltet, wird er vor die Inspektion zitiert. Kurz, all
der Schwelle der Universität, wohin der Jüngling freudigen Herzens, empfäng¬
lich, die Wahrheit suchend, gekommen ist, nur um zu lernen, da hört das
Vertrauen auf. Schon argwohnt man in ihm den Staatsverbrecher." Aus
der natürlichen Reaktion gegen diesen Argwohn wird die Kritik, die Feindschaft
gegen die bestehende Ordnung geboren.

(Schluß folgt)




Grenzboten II 190527
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[0213] Ilniversitatsfragen in Rußland Wirkt die zeitlich (auf vier Jahre) beschränkte Dauer des Rektorats, die in den Gelehrtenrepubliken andrer Universitäten Bedingung ist, bei der in Rußland gesetzlichen Ernennung des Rektors insofern nicht günstig, als sie dem mangelnden Vertrauen der Negierung zu dem jeweiligen Rektor erst recht Ausdruck zu geben scheint, ihn nur in der Freiheit seiner Handlungen beeinträchtigt und ihn vom Kurator ganz abhängig macht. Ohne Machtmittel wird der Rektor auch jede Verantwortlichkeit von sich abzuwälzen suchen, indem er für seine Amtshand¬ lungen die Genehmigung des Kurators einholt. Da aber die ans diese Weise entstandnen Verfügungen gewöhnlich den geeigneten Augenblick verpassen, so wird das Ansehen der höhern Behörde in den Angen der Gesellschaft und der Studierenden erst recht herabgesetzt. Eine ganz besondre und anderswo undenkbare Stellung nimmt die In¬ spektion ein. Dem Einfluß des Rektors entzogen, eigentlich ohne innern Zu¬ sammenhang mit der Universität, mehr Organ des Kurators und indirekt der Polizeigewalt des Staats, und zugleich mit weitgehenden Strafbcfuguissen aus¬ gerüstet, hat sie Lehrpersonal und Studierende zu überwache». Sie ist die best¬ gehaßte Behörde und nach einer Äußerung des Professors Scherschenewitsch in den Nußkija Wjedomostij als spezielles Organ der gegen die Universitäten beobachteten Politik die Grundursache für die tätige Teilnahme der studierenden Jugend an innerpolitischen Fragen. Die Tätigkeit der Inspektion kann nicht besser charakterisiert werden als mit den folgenden Worten derselben Quelle: „Der junge Mann, der die Universität bezieht, fühlt mit einemmal den schweren lähmenden Druck der politischen Verdächtigten. Er hat noch nichts getan, aber er ist verdächtig. Er bemerkt, wie die Beamten der Inspektion sein Gesicht studieren, damit sie ihn jederzeit wieder erkennen. Während eines harmlos be¬ gonnenen Gesprächs mit einem Beamten nimmt er ein auffallendes Interesse um seiner Lebensweise und seiner Gedankenarbeit wahr. Bald sieht er sich auch außerhalb der Universität beobachtet. Wenn er sich in eifrigem Streben mit Kommilitonen zusammentut, um zu lesen, zu disputieren und Gedanken zu tauschen, wird dies vermerkt. Wenn er, um einem armen Studiengenossen zu helfen, eine Sammlung veranstaltet, wird er vor die Inspektion zitiert. Kurz, all der Schwelle der Universität, wohin der Jüngling freudigen Herzens, empfäng¬ lich, die Wahrheit suchend, gekommen ist, nur um zu lernen, da hört das Vertrauen auf. Schon argwohnt man in ihm den Staatsverbrecher." Aus der natürlichen Reaktion gegen diesen Argwohn wird die Kritik, die Feindschaft gegen die bestehende Ordnung geboren. (Schluß folgt) Grenzboten II 190527

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/213>, abgerufen am 05.02.2025.