Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Der Kampf um die Adria gefährlichen Gegensatzes innerhalb der europäischen Staatengruppc steht, dürfte In diesem Kampf um Albanien handelt es sich im letzten Grunde nicht So verständlich auch die Wünsche Italiens sein mögen, so einleuchtend Wie aber, wenn die Geschichte Italiens selbst als Kronzeuge gegen das Es ist eine in aller Geschichte wiederkehrende Erscheinung, daß das Meer Der Kampf um die Adria gefährlichen Gegensatzes innerhalb der europäischen Staatengruppc steht, dürfte In diesem Kampf um Albanien handelt es sich im letzten Grunde nicht So verständlich auch die Wünsche Italiens sein mögen, so einleuchtend Wie aber, wenn die Geschichte Italiens selbst als Kronzeuge gegen das Es ist eine in aller Geschichte wiederkehrende Erscheinung, daß das Meer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0187" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297319"/> <fw type="header" place="top"> Der Kampf um die Adria</fw><lb/> <p xml:id="ID_823" prev="#ID_822"> gefährlichen Gegensatzes innerhalb der europäischen Staatengruppc steht, dürfte<lb/> die vorausgegangne Darstellung zur Genüge gezeigt daheim</p><lb/> <p xml:id="ID_824"> In diesem Kampf um Albanien handelt es sich im letzten Grunde nicht<lb/> um den Gewinn von Land und Leuten, sondern es steht die größere Frage<lb/> Zur Entscheidung: Soll die Adria frei sein, oder soll eine Macht in ihr die Vor¬<lb/> herrschaft haben? Im Verlauf der publizistischen Erörterungen der letzten Jahre<lb/> ist von österreichischer Seite dieser prinzipielle Kernpunkt der Streitfrage wieder¬<lb/> holt mit voller Klarheit betont worden. Man bestreitet jede Absicht Österreich-<lb/> Ungarns auf die albanesische Küste, stellt aber andrerseits fest, daß auch wen»<lb/> eine solche Absicht bestünde, und auch wenn sie durchgeführt würde, die Schä¬<lb/> digung Italiens durchaus nicht mit der zu vergleichen sei, die ein italienisches<lb/> Albanien für Österreich-Ungarn im Gefolge haben müsse. Denn Albanien im<lb/> Besitz Österreich-Ungarns würde die Freiheit der Adria nicht berühren, Albanien<lb/> im Besitz Italiens würde dieses zur Herrin beider Ufer, mit andern Worten<lb/> der Adria selbst machen. Italien würde in die Lage gesetzt sein, die mir achtzig<lb/> Kilometer breite Straße von Otranto zu einer zweiten Dardanellenstraße zu<lb/> Machen und Österreich-Ungarn jederzeit vom Mittelmeer auszuschließen, wie<lb/> Rußland durch die Dardanellen von ihm ausgeschlossen ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_825"> So verständlich auch die Wünsche Italiens sein mögen, so einleuchtend<lb/> und unbestreitbar ist doch andrerseits die Berechtigung des österreichisch-unga¬<lb/> rischen Standpunkts.</p><lb/> <p xml:id="ID_826"> Wie aber, wenn die Geschichte Italiens selbst als Kronzeuge gegen das<lb/> Italien von heute zugunsten Österreichs - Ungarns aufgerufen werden könnte?<lb/> Man erinnere sich nur, daß es schon einmal eine Adriafrage gegeben hat, und<lb/> daß die Interessenten in dieser Adriafrage des Mittelalters Teile der heute<lb/> rivalisierenden Mächte gewesen sind, nämlich die Republik Venedig und das<lb/> Königreich Ungarn.</p><lb/> <p xml:id="ID_827" next="#ID_828"> Es ist eine in aller Geschichte wiederkehrende Erscheinung, daß das Meer<lb/> keine Schranken schafft, sondern daß es die ihm anwohnenden Völker reizt, über<lb/> die herrenlose Flüche hinüberzugreifen auf die jenseitigen Gestade und sie, zumal<lb/> U'cum sie von einer, was Politik und Kultur anlangt, rückständigen Bevölkerung<lb/> bewohnt sind, dem eignen Machtbereich anzugliedern: das bisher internationale<lb/> Meer gewinnt so fast den Charakter eines nationalen Binnenmeers, einerlei, ob<lb/> diese Besitzergreifung nun mehr Bedeutung für die Politik oder für die Kultur<lb/> hat. Es dürfte auf unserm Planeten wohl kaum ein Meer zu finden sein, auf das<lb/> dieses, mai? möchte fast sagen, Gesetz historischer Entwicklung nicht Anwendung<lb/> fände; für manche Völker besteht in dieser Überbrückung der Meeresfläche der<lb/> wichtigste Teil ihrer Geschichte. Im Mittelmeer haben von den ältesten Zeiten<lb/> bis auf den heutigen Tag Griechen, Römer, Italiener, Franzosen nach den<lb/> Küsten Westasiens und Nordafrikas hinübergegriffen, in dieser Expansion jedoch<lb/> jeweilig unterbrochen durch die Zeiten, wo sich umgekehrt Perser, Araber,<lb/> Türken von den asiatischen und den afrikanischen Küsten des Mittelmeers aus in<lb/> Griechenland, in Italien, in Frankreich und in Spanien festgesetzt oder sich<lb/> ^zusetzen versucht haben. Für die nordischen Meere zeigt die Geschichte der<lb/> Beziehungen zwischen Frankreich und England, zwischen dem deutschen Norden</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0187]
Der Kampf um die Adria
gefährlichen Gegensatzes innerhalb der europäischen Staatengruppc steht, dürfte
die vorausgegangne Darstellung zur Genüge gezeigt daheim
In diesem Kampf um Albanien handelt es sich im letzten Grunde nicht
um den Gewinn von Land und Leuten, sondern es steht die größere Frage
Zur Entscheidung: Soll die Adria frei sein, oder soll eine Macht in ihr die Vor¬
herrschaft haben? Im Verlauf der publizistischen Erörterungen der letzten Jahre
ist von österreichischer Seite dieser prinzipielle Kernpunkt der Streitfrage wieder¬
holt mit voller Klarheit betont worden. Man bestreitet jede Absicht Österreich-
Ungarns auf die albanesische Küste, stellt aber andrerseits fest, daß auch wen»
eine solche Absicht bestünde, und auch wenn sie durchgeführt würde, die Schä¬
digung Italiens durchaus nicht mit der zu vergleichen sei, die ein italienisches
Albanien für Österreich-Ungarn im Gefolge haben müsse. Denn Albanien im
Besitz Österreich-Ungarns würde die Freiheit der Adria nicht berühren, Albanien
im Besitz Italiens würde dieses zur Herrin beider Ufer, mit andern Worten
der Adria selbst machen. Italien würde in die Lage gesetzt sein, die mir achtzig
Kilometer breite Straße von Otranto zu einer zweiten Dardanellenstraße zu
Machen und Österreich-Ungarn jederzeit vom Mittelmeer auszuschließen, wie
Rußland durch die Dardanellen von ihm ausgeschlossen ist.
So verständlich auch die Wünsche Italiens sein mögen, so einleuchtend
und unbestreitbar ist doch andrerseits die Berechtigung des österreichisch-unga¬
rischen Standpunkts.
Wie aber, wenn die Geschichte Italiens selbst als Kronzeuge gegen das
Italien von heute zugunsten Österreichs - Ungarns aufgerufen werden könnte?
Man erinnere sich nur, daß es schon einmal eine Adriafrage gegeben hat, und
daß die Interessenten in dieser Adriafrage des Mittelalters Teile der heute
rivalisierenden Mächte gewesen sind, nämlich die Republik Venedig und das
Königreich Ungarn.
Es ist eine in aller Geschichte wiederkehrende Erscheinung, daß das Meer
keine Schranken schafft, sondern daß es die ihm anwohnenden Völker reizt, über
die herrenlose Flüche hinüberzugreifen auf die jenseitigen Gestade und sie, zumal
U'cum sie von einer, was Politik und Kultur anlangt, rückständigen Bevölkerung
bewohnt sind, dem eignen Machtbereich anzugliedern: das bisher internationale
Meer gewinnt so fast den Charakter eines nationalen Binnenmeers, einerlei, ob
diese Besitzergreifung nun mehr Bedeutung für die Politik oder für die Kultur
hat. Es dürfte auf unserm Planeten wohl kaum ein Meer zu finden sein, auf das
dieses, mai? möchte fast sagen, Gesetz historischer Entwicklung nicht Anwendung
fände; für manche Völker besteht in dieser Überbrückung der Meeresfläche der
wichtigste Teil ihrer Geschichte. Im Mittelmeer haben von den ältesten Zeiten
bis auf den heutigen Tag Griechen, Römer, Italiener, Franzosen nach den
Küsten Westasiens und Nordafrikas hinübergegriffen, in dieser Expansion jedoch
jeweilig unterbrochen durch die Zeiten, wo sich umgekehrt Perser, Araber,
Türken von den asiatischen und den afrikanischen Küsten des Mittelmeers aus in
Griechenland, in Italien, in Frankreich und in Spanien festgesetzt oder sich
^zusetzen versucht haben. Für die nordischen Meere zeigt die Geschichte der
Beziehungen zwischen Frankreich und England, zwischen dem deutschen Norden
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