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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Der Kampf um die Adria

Innsbruck, welche große Gefahr für das friedliche Nebeneinanderleben beider
Staatswesen in dem Umstände liegt, daß gewisse Länder Österreichs zu einem
mehr oder weniger großen Bruchteil von einer italienischen Bevölkerung be¬
wohnt sind.

Damit sind zugleich die beiden Ursachen genannt, die dauernd den Gegen¬
satz zwischen Österreich-Ungarn und Italien wachhalten. Auf der einen Seite
sind es die nationalen italienischen Ansprüche auf den Besitz österreichischer Ge¬
biete. Solange nicht Südtirol mit Trient, Istrien mit Trieft, Dalmatien mit
seinen Inseln und Küstenstädten Italien einverleibt sind, gilt für eine in ihrer
Vcdentnng nicht zu unterschätzende radikal-nationale Partei im italienischen
Volke die Einigung Italiens noch nicht für vollendet. Doch vorläufig sind
das Bestrebungen, denen eine sich ihrer Verantwortung bewußte italienische
Regierung um so weniger Vorschub leisten wird, je mehr sie von dem Gefühl
der völkerrechtlichen Unmöglichkeit durchdrungen ist, das Schicksal der italienischen
Untertanen Österreichs zum Gegenstande diplomatischer Vorstellungen zu machen.
Nur ein für Österreich-Ungarn unglücklicher Krieg mit Italien oder das so oft
prophezeite Auseinanderfallen der alten habsburgischen Monarchie könnte diesen
nationalen Wünschen der italienischen Patrioten Erfüllung verschaffen. Die
andre Ursache der Spannung zwischen den beiden Staaten hat einen ganz
andern Charakter. Die Rivalität Österreich-Ungarns und Italiens um den
Besitz der albanesischen Küstenstüdtc ist, so sehr auch hier auf feiten Italiens
angeblich nationale Beweggründe und Rechte geltend gemacht werden, doch in
der Hauptsache eine Angelegenheit der Diplomatie und der äußern Politik: hier
steht keine Einmischung des einen Staats in die innern Angelegenheiten des
andern in Frage, hier kommt nicht der Wunsch nach Erwerb österreichischer
Gebietsteile durch Italien in Betracht, hier handelt es sich vielmehr um das
Gebiet eines dritten, auf das beide Mächte gleichberechtigte oder unberechtigte
Ansprüche erheben, es harrt hier die schwierige Frage der Lösung, welcher
Macht in dem absehbaren Falle des Zusammenbruchs der osmanischen Herr¬
schaft auf der Balkanhalbinsel die Küstenstädte Albaniens schließlich zufallen
werden. Ganz anders also als im ersten Fall eine Angelegenheit, die zu den
schwierigsten diplomatischen Auseinandersetzungen, und wenn anders kein Aus¬
gleich gefunden wird, zur Anrufung der ultimg. ratio rsAnm führen kann.

An der albanesischen Frage muß einmal das Verhältnis zwischen Österreich-
Ungarn und Italien seine Probe bestehn. Aber gerade weil diese Probe be¬
vorsteht, und weil ihr Ausfall ungewiß ist, ist Österreich vor allem schon aus
strategischen Gründen gezwungen, seine Länder mit italienischer Bevölkerung,
das Trentino und Istrien, fest in der Hand zu halten. Eine kriegerische Aus¬
einandersetzung wegen Albaniens allerdings wird aller Wahrscheinlichkeit nach
auch über das Schicksal jener Gebiete, die heute schon ein Gegenstand der Ent¬
fremdung zwischen beiden Staaten sind, die Entscheidung bringen -- falls
nicht etwa im kritischen Augenblick wichtige Interessen eines Dritten Beachtung
heischen.

Die Voraussetzungen der italienischen Ansprüche auf den Besitz der alba¬
nesischen Küste waren die nationale Einigung Italiens und der langsame, aber


Der Kampf um die Adria

Innsbruck, welche große Gefahr für das friedliche Nebeneinanderleben beider
Staatswesen in dem Umstände liegt, daß gewisse Länder Österreichs zu einem
mehr oder weniger großen Bruchteil von einer italienischen Bevölkerung be¬
wohnt sind.

Damit sind zugleich die beiden Ursachen genannt, die dauernd den Gegen¬
satz zwischen Österreich-Ungarn und Italien wachhalten. Auf der einen Seite
sind es die nationalen italienischen Ansprüche auf den Besitz österreichischer Ge¬
biete. Solange nicht Südtirol mit Trient, Istrien mit Trieft, Dalmatien mit
seinen Inseln und Küstenstädten Italien einverleibt sind, gilt für eine in ihrer
Vcdentnng nicht zu unterschätzende radikal-nationale Partei im italienischen
Volke die Einigung Italiens noch nicht für vollendet. Doch vorläufig sind
das Bestrebungen, denen eine sich ihrer Verantwortung bewußte italienische
Regierung um so weniger Vorschub leisten wird, je mehr sie von dem Gefühl
der völkerrechtlichen Unmöglichkeit durchdrungen ist, das Schicksal der italienischen
Untertanen Österreichs zum Gegenstande diplomatischer Vorstellungen zu machen.
Nur ein für Österreich-Ungarn unglücklicher Krieg mit Italien oder das so oft
prophezeite Auseinanderfallen der alten habsburgischen Monarchie könnte diesen
nationalen Wünschen der italienischen Patrioten Erfüllung verschaffen. Die
andre Ursache der Spannung zwischen den beiden Staaten hat einen ganz
andern Charakter. Die Rivalität Österreich-Ungarns und Italiens um den
Besitz der albanesischen Küstenstüdtc ist, so sehr auch hier auf feiten Italiens
angeblich nationale Beweggründe und Rechte geltend gemacht werden, doch in
der Hauptsache eine Angelegenheit der Diplomatie und der äußern Politik: hier
steht keine Einmischung des einen Staats in die innern Angelegenheiten des
andern in Frage, hier kommt nicht der Wunsch nach Erwerb österreichischer
Gebietsteile durch Italien in Betracht, hier handelt es sich vielmehr um das
Gebiet eines dritten, auf das beide Mächte gleichberechtigte oder unberechtigte
Ansprüche erheben, es harrt hier die schwierige Frage der Lösung, welcher
Macht in dem absehbaren Falle des Zusammenbruchs der osmanischen Herr¬
schaft auf der Balkanhalbinsel die Küstenstädte Albaniens schließlich zufallen
werden. Ganz anders also als im ersten Fall eine Angelegenheit, die zu den
schwierigsten diplomatischen Auseinandersetzungen, und wenn anders kein Aus¬
gleich gefunden wird, zur Anrufung der ultimg. ratio rsAnm führen kann.

An der albanesischen Frage muß einmal das Verhältnis zwischen Österreich-
Ungarn und Italien seine Probe bestehn. Aber gerade weil diese Probe be¬
vorsteht, und weil ihr Ausfall ungewiß ist, ist Österreich vor allem schon aus
strategischen Gründen gezwungen, seine Länder mit italienischer Bevölkerung,
das Trentino und Istrien, fest in der Hand zu halten. Eine kriegerische Aus¬
einandersetzung wegen Albaniens allerdings wird aller Wahrscheinlichkeit nach
auch über das Schicksal jener Gebiete, die heute schon ein Gegenstand der Ent¬
fremdung zwischen beiden Staaten sind, die Entscheidung bringen — falls
nicht etwa im kritischen Augenblick wichtige Interessen eines Dritten Beachtung
heischen.

Die Voraussetzungen der italienischen Ansprüche auf den Besitz der alba¬
nesischen Küste waren die nationale Einigung Italiens und der langsame, aber


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[0183] Der Kampf um die Adria Innsbruck, welche große Gefahr für das friedliche Nebeneinanderleben beider Staatswesen in dem Umstände liegt, daß gewisse Länder Österreichs zu einem mehr oder weniger großen Bruchteil von einer italienischen Bevölkerung be¬ wohnt sind. Damit sind zugleich die beiden Ursachen genannt, die dauernd den Gegen¬ satz zwischen Österreich-Ungarn und Italien wachhalten. Auf der einen Seite sind es die nationalen italienischen Ansprüche auf den Besitz österreichischer Ge¬ biete. Solange nicht Südtirol mit Trient, Istrien mit Trieft, Dalmatien mit seinen Inseln und Küstenstädten Italien einverleibt sind, gilt für eine in ihrer Vcdentnng nicht zu unterschätzende radikal-nationale Partei im italienischen Volke die Einigung Italiens noch nicht für vollendet. Doch vorläufig sind das Bestrebungen, denen eine sich ihrer Verantwortung bewußte italienische Regierung um so weniger Vorschub leisten wird, je mehr sie von dem Gefühl der völkerrechtlichen Unmöglichkeit durchdrungen ist, das Schicksal der italienischen Untertanen Österreichs zum Gegenstande diplomatischer Vorstellungen zu machen. Nur ein für Österreich-Ungarn unglücklicher Krieg mit Italien oder das so oft prophezeite Auseinanderfallen der alten habsburgischen Monarchie könnte diesen nationalen Wünschen der italienischen Patrioten Erfüllung verschaffen. Die andre Ursache der Spannung zwischen den beiden Staaten hat einen ganz andern Charakter. Die Rivalität Österreich-Ungarns und Italiens um den Besitz der albanesischen Küstenstüdtc ist, so sehr auch hier auf feiten Italiens angeblich nationale Beweggründe und Rechte geltend gemacht werden, doch in der Hauptsache eine Angelegenheit der Diplomatie und der äußern Politik: hier steht keine Einmischung des einen Staats in die innern Angelegenheiten des andern in Frage, hier kommt nicht der Wunsch nach Erwerb österreichischer Gebietsteile durch Italien in Betracht, hier handelt es sich vielmehr um das Gebiet eines dritten, auf das beide Mächte gleichberechtigte oder unberechtigte Ansprüche erheben, es harrt hier die schwierige Frage der Lösung, welcher Macht in dem absehbaren Falle des Zusammenbruchs der osmanischen Herr¬ schaft auf der Balkanhalbinsel die Küstenstädte Albaniens schließlich zufallen werden. Ganz anders also als im ersten Fall eine Angelegenheit, die zu den schwierigsten diplomatischen Auseinandersetzungen, und wenn anders kein Aus¬ gleich gefunden wird, zur Anrufung der ultimg. ratio rsAnm führen kann. An der albanesischen Frage muß einmal das Verhältnis zwischen Österreich- Ungarn und Italien seine Probe bestehn. Aber gerade weil diese Probe be¬ vorsteht, und weil ihr Ausfall ungewiß ist, ist Österreich vor allem schon aus strategischen Gründen gezwungen, seine Länder mit italienischer Bevölkerung, das Trentino und Istrien, fest in der Hand zu halten. Eine kriegerische Aus¬ einandersetzung wegen Albaniens allerdings wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch über das Schicksal jener Gebiete, die heute schon ein Gegenstand der Ent¬ fremdung zwischen beiden Staaten sind, die Entscheidung bringen — falls nicht etwa im kritischen Augenblick wichtige Interessen eines Dritten Beachtung heischen. Die Voraussetzungen der italienischen Ansprüche auf den Besitz der alba¬ nesischen Küste waren die nationale Einigung Italiens und der langsame, aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/183>, abgerufen am 11.02.2025.