Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.maßgebliches und Umnaßgel'liebes seiner Sendung vertrug sich die Ehe nicht; er mußte einsam bleiben. Zudem ist Es ist nicht leicht, aus den abgerissenen, oft ironischen Herzensergießungen Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Karl Mcirquart in Leipzig maßgebliches und Umnaßgel'liebes seiner Sendung vertrug sich die Ehe nicht; er mußte einsam bleiben. Zudem ist Es ist nicht leicht, aus den abgerissenen, oft ironischen Herzensergießungen Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Karl Mcirquart in Leipzig <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0180" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297312"/> <fw type="header" place="top"> maßgebliches und Umnaßgel'liebes</fw><lb/> <p xml:id="ID_798" prev="#ID_797"> seiner Sendung vertrug sich die Ehe nicht; er mußte einsam bleiben. Zudem ist<lb/> er Erotiker und würde darum zum Ehemann nichts langen (S. 60). Auch würde<lb/> er sie dadurch unglücklich machen, daß er sein Innerstes vor ihr verschließen müßte,<lb/> denn der Blick in die wilden Kämpfe und in die tiefe Traurigkeit seines Herzens<lb/> würde sie vernichten. Was ihn zur Verlobung bestimmt hatte, war der Wunsch,<lb/> dieses auserlesene Geschöpf auf eine höhere Stufe des geistigen Lebens zu erheben<lb/> und ihr den Platz in der Weltgeschichte anzuweisen, der ihr gebühre; durch ihn<lb/> soll sie berühmt werden, und darum sollen auch nach beider Tode die Papiere ver¬<lb/> öffentlicht werden, die auf ihr Verhältnis Bezug haben. Außerdem braucht er ein<lb/> Mädchen, nur eins, zu seiner Selbsterziehung. Nachdem er seine Zwecke erreicht<lb/> hat, sendet er ihr den Verlobungsring zurück mit einem Briefe, der seine Gründe<lb/> andeutet. Sie aber will ihn nicht loslassen, wird vor Leidenschaft rasend und<lb/> scheint, wie im Tagebuch des Verführers, bereit gewesen zu sein zu dem Opfer,<lb/> ihm anzugehören, ohne ihn durch die Ehesessel zu binden. Da bricht er in bru¬<lb/> talster Form. Als sie beim Abschied fragt: Willst du nie heiraten? antwortet er:<lb/> „Ja, in zehn Jahren, wenn ich ausgetobt habe, muß ich mir ein jnngblutig<lb/> Fräulein holen, um mich zu verjüngen." Eine notwendige Grausamkeit, bemerkt<lb/> er. Und er fügt ihr die zweite noch größere bei, indem er das Tagebuch des<lb/> Verführers schreibt und herausgibt. Dieses sollte ihr die Überzeugung beibringen,<lb/> daß er sie nie geliebt, sondern nur, als Verführer, mit ihr experimentiert und ge¬<lb/> spielt, zu seiner Unterhaltung alle ihre Anlagen entfaltet und ihre Neigung stufen¬<lb/> weise zur Naserei und zur bedingungslosen Hingabe gesteigert habe. Er will vor<lb/> ihren und der Welt Augen als Schurke erscheinen, damit sie ihn hasse, durch den<lb/> Haß völlig frei von ihm und in der Ehe mit Schlegel glücklich werde. Zugleich<lb/> hat er ihr damit die feinste Galanterie erwiesen, denn ein Liebender ist ja blind,<lb/> darum sein Urteil über sein Mädchen nichts wert. Dagegen von einem Verführer<lb/> von Profession, einem Kenner erkoren zu werden, ist der höchste Ruhm für ein<lb/> Mädchen. Sie scheint niemals recht an seine Schurkerei geglaubt und ihm eine<lb/> platonische Liebe bewahrt zu haben. Beim Tode vermachte er ihr seine Habe, sie<lb/> nahm jedoch die Erbschaft nicht an.</p><lb/> <p xml:id="ID_799"> Es ist nicht leicht, aus den abgerissenen, oft ironischen Herzensergießungen<lb/> dieses übersinnlichen Freiers herauszubekommen, wie er es eigentlich gemeint hat;<lb/> nur ein so feiner Psychologe und Menschenkenner wie Stellanus oder Speck ver¬<lb/> möchte die wirren Vorlagen zu einem lebenswahren Bilde zu gestalten. Natür¬<lb/> lich denkt man bei dem wunderlichen Heiligen an Nietzsche. Gemeinsam ist beiden<lb/> die spitzfindige Selbstquälerei und ein Grad von Originalität, der sie aus den<lb/> Alltagsbahnen hinausdrängt. Sonst aber sind sie grundverschieden. Kierkegaard<lb/> hat in seinem Glauben und in der darauf beruhenden Lebensauffassung niemals<lb/> geschwankt. Gott war ihm so wirklich, daß er in seiner Gegenwart lebte und ar¬<lb/> beitete und wie der Erzvater Jakob beinahe körperlich mit ihm rang, und das<lb/> Tagebuch eines Verführers hat er in Furcht und Zittern und unter beständigem<lb/> Gebet geschrieben.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig<lb/> Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Karl Mcirquart in Leipzig</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0180]
maßgebliches und Umnaßgel'liebes
seiner Sendung vertrug sich die Ehe nicht; er mußte einsam bleiben. Zudem ist
er Erotiker und würde darum zum Ehemann nichts langen (S. 60). Auch würde
er sie dadurch unglücklich machen, daß er sein Innerstes vor ihr verschließen müßte,
denn der Blick in die wilden Kämpfe und in die tiefe Traurigkeit seines Herzens
würde sie vernichten. Was ihn zur Verlobung bestimmt hatte, war der Wunsch,
dieses auserlesene Geschöpf auf eine höhere Stufe des geistigen Lebens zu erheben
und ihr den Platz in der Weltgeschichte anzuweisen, der ihr gebühre; durch ihn
soll sie berühmt werden, und darum sollen auch nach beider Tode die Papiere ver¬
öffentlicht werden, die auf ihr Verhältnis Bezug haben. Außerdem braucht er ein
Mädchen, nur eins, zu seiner Selbsterziehung. Nachdem er seine Zwecke erreicht
hat, sendet er ihr den Verlobungsring zurück mit einem Briefe, der seine Gründe
andeutet. Sie aber will ihn nicht loslassen, wird vor Leidenschaft rasend und
scheint, wie im Tagebuch des Verführers, bereit gewesen zu sein zu dem Opfer,
ihm anzugehören, ohne ihn durch die Ehesessel zu binden. Da bricht er in bru¬
talster Form. Als sie beim Abschied fragt: Willst du nie heiraten? antwortet er:
„Ja, in zehn Jahren, wenn ich ausgetobt habe, muß ich mir ein jnngblutig
Fräulein holen, um mich zu verjüngen." Eine notwendige Grausamkeit, bemerkt
er. Und er fügt ihr die zweite noch größere bei, indem er das Tagebuch des
Verführers schreibt und herausgibt. Dieses sollte ihr die Überzeugung beibringen,
daß er sie nie geliebt, sondern nur, als Verführer, mit ihr experimentiert und ge¬
spielt, zu seiner Unterhaltung alle ihre Anlagen entfaltet und ihre Neigung stufen¬
weise zur Naserei und zur bedingungslosen Hingabe gesteigert habe. Er will vor
ihren und der Welt Augen als Schurke erscheinen, damit sie ihn hasse, durch den
Haß völlig frei von ihm und in der Ehe mit Schlegel glücklich werde. Zugleich
hat er ihr damit die feinste Galanterie erwiesen, denn ein Liebender ist ja blind,
darum sein Urteil über sein Mädchen nichts wert. Dagegen von einem Verführer
von Profession, einem Kenner erkoren zu werden, ist der höchste Ruhm für ein
Mädchen. Sie scheint niemals recht an seine Schurkerei geglaubt und ihm eine
platonische Liebe bewahrt zu haben. Beim Tode vermachte er ihr seine Habe, sie
nahm jedoch die Erbschaft nicht an.
Es ist nicht leicht, aus den abgerissenen, oft ironischen Herzensergießungen
dieses übersinnlichen Freiers herauszubekommen, wie er es eigentlich gemeint hat;
nur ein so feiner Psychologe und Menschenkenner wie Stellanus oder Speck ver¬
möchte die wirren Vorlagen zu einem lebenswahren Bilde zu gestalten. Natür¬
lich denkt man bei dem wunderlichen Heiligen an Nietzsche. Gemeinsam ist beiden
die spitzfindige Selbstquälerei und ein Grad von Originalität, der sie aus den
Alltagsbahnen hinausdrängt. Sonst aber sind sie grundverschieden. Kierkegaard
hat in seinem Glauben und in der darauf beruhenden Lebensauffassung niemals
geschwankt. Gott war ihm so wirklich, daß er in seiner Gegenwart lebte und ar¬
beitete und wie der Erzvater Jakob beinahe körperlich mit ihm rang, und das
Tagebuch eines Verführers hat er in Furcht und Zittern und unter beständigem
Gebet geschrieben.
Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Karl Mcirquart in Leipzig
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |